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Amt. 43 Denn bei dem Schlechten zu verweilen ist sehr schädlich, bei dem vollkommenen Guten aber sehr gefährlich. Jakob wenigstens muß, indem er vor Esau flieht, sich zugleich von seinen Eltern trennen; denn da er noch nach der Tugend strebt und um sie kämpft, meidet er zwar die Schlechtigkeit, vermag aber noch nicht, mit der vollkommenen selbstgelehrten Tugend zusammenzuleben. [8] 44 Deshalb wird er fortziehen zu Laban, nicht dem Syrer, sondern dem Bruder seiner Mutter, das heißt: er wird sich in die Herrlichkeiten des Lebens hineinbegeben; denn Laban bedeutet „weiß“.[1] Dort angelangt wird er sein Haupt nicht hoffärtig erheben, durch sein zufälliges Glück übermütig gemacht; denn die Übersetzung von ‘Syrer’ ist ‘emporgehoben’. Die Schrift erwähnt aber gerade nicht den Syrer Laban, sondern Laban, den Bruder der Rebekka. 45 Denn wenn die Güter des Lebens dem Schlechten in die Hand gegeben werden, so heben sie seinen der Einsicht baren Geist zum Übermut empor, der Syrer genannt ist, dagegen in der Hand des Liebhabers der Bildung, der standhaft und fest bei den Lehren der Tugend beharrt, + + + +; dieser (letztere) ist mit dem Bruder der Rebekka, der Geduld, gemeint. Er bewohnt Haran, auf deutsch „Löcher“, das Symbol der Sinne;[2] denn wer noch am Reigen des irdischen Lebens teilnimmt, der bedarf der Sinnesorgane. 46 „Mein Kind“ – heißt es (weiter), – „wohne daher bei ihm“ nicht dein ganzes Leben, sondern „einige Tage“ (1 Mos. 27, 44); das bedeutet: lerne das Gebiet [553 M.] der Sinne kennen, erkenne dich selbst und deine einzelnen Organe, was ein jedes ist, zu welchem Zweck es entstanden, auf welche Weise es tätig ist, und wer es ist, der das Wunderwerk bewegt und unsichtbar in unsichtbarer Weise seine Fäden zieht,[3] sei es nun der Geist in dir oder der Geist des Alls. [4] 47 Wenn du aber dich selbst erforscht hast, so prüfe auch die Besitztümer Labans genau, die als herrlich geltenden Glücksgüter des eitlen Ruhmes, und laß dich von keinem unter ihnen gefangen nehmen, sondern mache von allen wie ein guter Bildhauer kunstgemäß den gehörigen Gebrauch. Denn wenn du in diesem vermischten, bürgerlichen Leben


  1. Dieselbe Etymologie bei anderer allegorischer Deutung Quaest. in Gen. IV § 239.
  2. Vgl. Über die Wanderung Abr. § 188; Über die Träume I § 41ff.
  3. Das Bild vom Puppenspieler ist platonisch; vgl. Plato Gesetze I 13, 644 Ε Μ. Α.
  4. Vgl. Über die Wanderung Abr. § 185f.; Über die Träume I § 53ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/016&oldid=- (Version vom 21.5.2018)