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Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang

dieser der wahre (Mensch), von dem auch einer der Alten,[1] der bei hellem Tage eine Laterne nahm, zu denen, die ihn fragten, sagte, er suche einen Menschen.[2] 34 Daß er aber nicht zu allen Verwandten des Fleisches gehe, hat einen notwendigen Grund. Denn zu einigen muß man gehen, wie z. B. zu den notwendigen Lebensbedürfnissen, durch deren Gebrauch wir ohne Krankheit und gesund leben können werden, den Überfluß aber muß man fortjagen, wodurch die Begierden entfacht werden und alles Ehrenwerte in einem einzigen Ansturm niederbrennen. 35 Nicht zu allem Fleischlichen also sollen die Begierden entflammt sein; denn die ungezähmten Lüste bissen oft, wenn sie sich wie Hunde anschmeicheln, hinterlistig unheilbare Wunden. Darum wollen wir, indem wir die der Tugend befreundete Bedürfnislosigkeit den Verwandten des Körpers vorziehen, die große und unendliche Masse unversöhnlicher Feinde vernichten. Wenn aber irgendwo eine Gelegenheit dazu nötigt, mehr als das Gebührende und Hinlängliche zu nehmen, wollen wir selbst nicht hingehen; denn er sagt: „Nicht soll er selbst hingehen, seine Scham zu entblößen.“ [9] 36 Was das aber bedeutet, muß erklärt werden: Oft erhielten Leute, die keine Geldgeschäfte gemacht hatten, ein reichliches Vermögen, andere, die nicht auf Ruhm ausgingen, wurden öffentlicher Anerkennung und Ehren gewürdigt, und denen, die auch nicht eine kleine Kräftigung erhofften, fiel größtes Wohlergehen[3] zu. 37 Alle diese mögen also lernen, an die genannten Dinge nicht „heranzutreten“, d. h. sie nicht zu bewundern und mehr als genug anzunehmen, indem sie jedes von ihnen, das Geld, den Ruhm und die körperliche Kraft, nicht nur für kein [268 M.] Gut, sondern sogar für ein sehr großes Übel erachten.[4] Den Geldgierigen nämlich ist der Drang[5] nach Geld eigentümlich, den Ruhmgierigen der nach Ruhm, den Freunden von Wettkämpfen und Gymnastik der nach Körperkraft; denn das Bessere, die Seele, haben sie den schlechteren, seelenlosen


  1. Gemeint ist der Kyniker Diogenes, vgl. Diog. Laert. VI 41.
  2. Vgl. über den „wahren Menschen“ meine Anmerkung zu Über die Nachstellungen § 10.
  3. εὐτονία, eigentlich: Wohlgespanntheit, ein stoischer Fachausdruck, der von Chrysipp stammt (Dyroff, Die Ethik d. alt. Stoa, Berlin 1897, 61 u. 165) und sich auch bei Epiktet (Diss. II 15, 8) findet.
  4. Ich folge Wendlands Konjektur.
  5. Im griechischen πρόσοδος klingt das προσέρχεσθαι der Bibel nach; beide bedeuten auch „jemanden angehen, sich um seine Gunst bemühen“.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloGigGermanLeisegang.djvu/13&oldid=- (Version vom 14.9.2022)