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Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang

und festen Besitz, da die menschlichen Dinge schwanken und immer wieder andere Wandlungen annehmen. 29 Die Hauptursache aber der Unvernünftigkeit ist das Fleisch und die Verwandtschaft mit dem Fleische. Auch er meint das, wenn er sagt, „weil sie Fleisch sind“, könne der göttliche Odem nicht verbleiben. Nun aber bringen wohl auch Ehe und Kindererziehung und die Versorgung des Nötigen, mit Armut verbundene Ruhmlosigkeit, Geschäfte privater und öffentlicher Art und vielerlei anderes die Weisheit zum Welken, bevor sie aufgeblüht ist;[1] 30 aber nichts ist ihrem Wachstum so hinderlich wie die Fleischesnatur; denn diese liegt gleichsam als erster und größter Grundstein der Unkenntnis und Unwissenheit dem zugrunde, worauf jedes der Genannten aufgebaut wird. 31 Wohl genießen unfleischliche und unkörperliche Seelen, verweilend auf der Schaubühne des Alls, göttliches Schauen und Hören, [267 M.] wonach sie eine unstillbare Sehnsucht überkommen hat, ohne daß sie jemand daran hindert; die aber die Fleischeslast schleppen, vermögen, beschwert und bedrückt, nicht zu den himmlischen Umläufen emporzublicken, sondern werden mit ihrem Nacken herabgezogen wie die Vierfüßler[2] und an der Erde verwurzelt. [8] 32 Deshalb spricht auch der Gesetzgeber, der beschlossen hat, den ungesetzlichen und ungebührlichen Umgang und Geschlechtsverkehr zu beseitigen,[3] in der Einleitung folgendermaßen: „Mensch, Mensch soll nicht gehen zu jedem Verwandten seines Fleisches, seine Scham zu entblößen, ich (bin) der Herr“ (3 Mos. 18, 6). Wie könnte einer besser dazu antreiben, das Fleisch und das dem Fleische Verwandte zu verschmähen, als auf diese Weise? 33 Jedoch er bringt nicht allein davon ab, sondern er weist auch deutlich nach, daß der wahrhafte Mensch sich nicht freiwillig zu den dem Körper lieben und verwandten Lüsten begeben, vielmehr stets nach Entfremdung von ihnen streben wird. Jedenfalls ist der Umstand, daß er nicht einmal, sondern zweimal „Mensch, Mensch“, sagt, ein Zeichen dafür, daß nicht der aus Körper und Seele bestehende, sondern der tugendübende (Mensch) gemeint ist; denn tatsächlich ist


  1. Wieder dient Plato Phaedon 66 Β ff. als Muster.
  2. Sie nimmt ihm also (bildlich) die aufrechte Haltung, in der Philo oft mit Plato und anderen Philosophen den auszeichnenden Vorzug der Menschen sieht.
  3. Wenn Philo die Sittlichkeitsgesetze nicht allegorisch verflüchtigt, wie De fuga et invent. § 193, sondern wörtlich nimmt, so ist das eine in den rein allegorischen Schriften seltene Inkonsequenz; vgl. aber Bd. III dieses Übersetzungswerks S. 9, 1 und S. 57, 3.
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Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloGigGermanLeisegang.djvu/12&oldid=- (Version vom 14.9.2022)