Seite:PhiloGigGermanLeisegang.djvu/16

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang

sondern beide in der Festigkeit der rechten Vernunft gegründet sind. 49 Und ein andermal (heißt es) an anderer Stelle: „Du aber stelle dich neben mich selbst“[1] (5 Mos. 5, 28). Ein dem Propheten verkündeter Ausspruch ist dies (und bedeutet): Beständigkeit und unbewegliche Ruhe ist die Annäherung an den immer unbeweglich stehenden Gott;[2] denn notwendig muß alles gerade werden durch Anlegung an das rechte Richtmaß. 50 Deshalb scheint mir der überflüssige Dünkel, genannt Jethro,[3] erstaunt über den unbeugsamen, ganz gleichmäßigen und sich immer gleichbleibenden Willen des Weisen, zu schelten und folgendermaßen zu fragen: „Warum sitzest du allein“ (2 Mos. 18, 14)? 51 Wenn einer nämlich den fortwährenden Krieg der Menschen im Frieden sieht, der nicht nur bei Völkern, in Ländern und Städten herrscht, sondern auch im Hause, mehr noch sogar in jedem einzelnen Menschen, und den unbeschreibbaren und schweren Sturm in den Seelen, der von dem gewaltigsten Andrang der zum Leben gehörenden Geschäfte entfacht wird, ist er mit Recht darüber erstaunt, wenn einer im Sturm Ruhe und im Wirbel des wogenden Meeres Stille bewahren konnte. 52 Siehst du, daß auch die durch den Hohenpriester bezeichnete Vernunft sich nicht immer den heiligen Lehren widmen und mit ihnen beschäftigen kann, noch die Erlaubnis erhalten hat, zu jeder Zeit zu [270 M.] ihnen zu gehen, sondern eben nur[4] einmal im Jahre (3 Mos. 16, 2. 34). Denn das in Worte (Gefaßte) ist nicht zuverlässig, weil eine Zweiheit;[5] das Schauen des Seins aber ohne Stimme, allein durch die Seele, ist durchaus fest gegründet, weil es nach der unzerreißbaren Einheit geschieht. – [12] 53 So „verbleibt“ demnach in den Vielen, d. h. in denen, die sich


  1. Wie die Parallelstellen (gesammelt in der Anmerkg. zu Über die Nachkommen Kains § 28) zeigen, faßt Philo in den Worten αὐτοῦ στῆθι μετ’ ἐμοῦ das αὐτοῦ nicht dem MT gemäß örtlich, sondern als Verstärkung von ἐμοῦ auf; in στῆθι sieht er an unserer Stelle ebenso wie Über die Nachkommen Kains § 28 die Aufforderung, fest zu stehen, nicht bloß hinzuzutreten.
  2. Nach Wendlands Konjektur; vgl. Über die Nachkommen Kains § 27.
  3. Über die allegorische Bedeutung Jethros vgl. Über die Geburt Abels § 50 Anm.
  4. Das von Wendland, Rhein. Mus. 1897, 471, mit Recht verteidigte μόλις bezeichnet die einmalige Erlaubnis als das äußerste Entgegenkommen.
  5. Philo verwertet, wie so oft, den Doppelsinn von λόγος Wort und Gedanke. Das gesprochene Wort entspricht der Zweiheit (Über die Unveränderlichkeit Gottes § 84) im Gegensatz zu der nicht sinnlich wahrnehmbaren Gottesbotschaft (ebd. § 83). Vgl. über den Gegensatz zwischen sinnlicher und nichtsinnlicher Mitteilung Über die Nachstellungen § 38 u. Anm.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Riesen (De Gigantibus) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloGigGermanLeisegang.djvu/16&oldid=- (Version vom 14.9.2022)