Über die Unveränderlichkeit Gottes/Text

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[72] [272 M.] [1] 1 „Und wenn nach jenem“,[1] heißt es, „einkehrten die Boten bei den Töchtern der Menschen, zeugten sie für sich selbst“ (1 Mos. 6, 4). Es ist doch wohl zu untersuchen, welchen Sinn das „nach jenem“ hat. Es handelt sich jedenfalls um eine Zurückbeziehung, die etwas von dem Vorhergehenden deutlicher erklärt. 2 Es war aber vorher[2] die Rede vom göttlichen Geiste, von dem es hieß, daß er bis in alle Ewigkeit in der zersplitterten und vielgestaltigen Seele, die sich überdies mit der Last des Fleisches als drückendster Bürde beschwert hat,[3] nur sehr schwer verbleiben könnte. „Nach jenem“ [273 M.] Geiste aber gehen die „Boten“ zu den Töchtern der Menschen ein. 3 Solange nämlich in der Seele die reinen Strahlen der Vernunft leuchten, durch die der Weise Gott und seine Kräfte schaut, geht keiner der Lügenboten in den Verstand ein, sondern sie werden aus den geweihten Gefäßen[4] alle herausgedrängt. Wenn aber das Licht des Denkens verdunkelt und überschattet wurde, schleichen sich die Genossen der Finsternis ein,[5] kommen mit den niedrigen und weichlichen Leidenschaften, die er Töchter der Menschen nennt, zusammen und zeugen (Kinder) für sich, nicht für Gott.[6] 4 Denn die wahren Erzeugnisse Gottes sind die vollkommenen Tugenden, die Verwandten der Schlechten aber die unharmonischen Laster. Lerne aber, wenn du magst, mein Geist, das Nicht-sich-selbst-zeugen kennen von dem vollkommenen[73] Abraham, der den geliebten und einzigen echten Sprößling der Seele, das deutlichste Ebenbild der selbstgelehrten Weisheit, mit Namen Isaak, Gott zuführt[7] und hingibt mit voller Bereitwilligkeit als ein notwendiges und geziemendes Dankgeschenk, nachdem er, wie die Schrift sagt (1 Mos. 22, 2. 9), an den Füßen gefesselt hatte das ungewöhnliche Schlachtopfer, entweder weil er, einmal göttlicher Verzückung gewürdigt, es nicht mehr für recht hielt, Sterbliches zu betreten, oder weil er die Schöpfung als schwankend und unstät durchschaute, nachdem er die unwandelbare Beständigkeit des Seins erkannt hatte, an die er, wie es heißt (1 Mos. 15, 6), geglaubt hat. [2] 5 Seine Schülerin und Nachfolgerin wird Anna,[8] die Gabe der Weisheit Gottes. Übersetzt nämlich wird sie mit „ihr Gnadengeschenk“. Denn als sie nach dem Empfang göttlichen Samens schwanger wurde und die Geburtswehen bis zum Ende überstanden hatte, gebar sie den in die Ordnung Gottes eingegliederten Charakter, genannt Samuel[9] – er heißt nämlich übersetzt „Gott Zugeordneter“ –, und gab ihn, den sie empfangen hatte, dem Geber wieder, da sie nichts für ihr eigenes Gut hielt, es sei denn eine göttliche Gnadengabe. 6 Sie spricht nämlich in dem ersten Buche der Könige[10] folgendermaßen: „Ich gebe ihn dir als eine Gabe“ (1 Sam. 1, 28), d. h. soviel als: ihn, der eine (mir verliehene) Gabe ist, so daß der Sinn ist: „Den Gegebenen gebe ich“, nach folgendem hochheiligen Spruche Mosis: „Meine Gaben, meine Geschenke, meine Erträgnisse[11] sollt ihr mir regelmäßig darbringen“ (4 Mos. 28, 2). 7 Denn wem anders soll man danken als Gott? Und wodurch, wenn nicht durch seine Gaben?[74] Denn anderes in Fülle zu besitzen, ist nicht möglich. Da er aber keines Dinges bedürftig ist, befiehlt er, ihm sein Eigentum darzubringen im Übermaß seiner Wohltätigkeit für unser Geschlecht; denn wenn wir uns bemühen, gegen ihn dankbar und ehrfürchtig zu sein, werden wir rein bleiben, entsühnt von den Sünden, die das Leben beschmutzen in Worten, Gedanken und Taten. 8 Wäre es doch töricht, nicht , zu gestatten, die Heiligtümer [274 M.] zu betreten, ohne sich vorher gewaschen zu haben und am Körper sauber zu sein, sich aber zum Beten und Opfern anzuschicken mit noch beflecktem und besudeltem Geiste. Und die Heiligtümer sind doch aus unbeseeltem Stoffe, aus Stein und Holz erbaut, und auch der Körper an sich ist etwas Unbeseeltes. Aber wenn er auch seelenlos ist, soll er mit den unbeseelten Dingen nicht in Berührung kommen, ohne Waschungen und heiligende Reinigungen vorgenommen zu haben; wer aber wollte sich unterfangen, unrein an seiner Seele mit Gott, dem Reinsten, zusammenzukommen, zumal ohne reuige Absicht? 9 Wer sich aber nicht nur neuer Sünden enthält, sondern auch von den Sünden der Vergangenheit zu läutern entschlossen hat, der komme fröhlich herbei; wem solche (Gesinnung) fehlt, der ist unrein und bleibe fern; denn er wird niemals dem verborgen bleiben, der das in den Falten der Seele (Versteckte) schaut und in ihren innersten Gemächern einherwandelt. [3] 10 Der Gottgeliebtheit einer Seele deutlichster Beweis jedoch ist der Lobgesang, in dem (die Worte) vorkommen: „Die Starre gebar sieben, die aber reich an Kindern war, ermattete“ (1 Sam. 2, 5), obwohl die Sprecherin doch die Mutter nur eines einzigen, nämlich des Samuel, ist. 11 Wie könnte sie nun sagen, daß sie sieben geboren habe, wenn sie nicht ganz im Einklang mit der Wissenschaft meinte, daß die Eins und die Sieben dasselbe seien, nicht nur in der Zahlenlehre, sondern auch in der Harmonie des Weltalls und in den Gedanken der tugendsamen Seele?[12] Denn der Gott allein zugeordnete Samuel, der überhaupt mit nichts anderem Gemeinschaft hat, ist dem Einen und der Einheit, dem wahren Sein, entsprechend beschaffen. 12 Diese Beschaffenheit aber ist die der Sieben, da seine Seele in Gott ruht und sich um keines der sterblichen Werke mehr abmüht;[75] müht; sie läßt die Sechszahl hinter sich, die er denen zuwies, die den ersten Preis nicht zu erlangen vermochten und sich daher notgedrungen um den zweiten bemühen müssen. 13 Die „Starre“ also, nicht die Erstarrte, sondern die Starke und Kraftstrotzende,[13] die durch Enthaltsamkeit, Tapferkeit und Ausdauer die Wettkämpfe um den Besitz des Besten ausficht, mußte natürlich die der Sieben gleichwertige Einheit gebären; denn fruchtbar und kinderreich ist ihre Natur. 14 Die aber reich an Kindern sei, ermatte, heißt es unstreitig und sehr deutlich. Denn wenn eine einzelne Seele viele Geburten hatte und sich von dem Einen entfernte, dann wird sie natürlich vielfältig und ermattet sodann, wenn sie durch die Menge der an ihr hängenden Kinder beschwert und bedrückt wird; – die meisten von ihnen sind jedoch Früh- und Fehlgeburten. 15 Sie gebiert nämlich die durch die Augen erweckten Begierden nach Formen und Farben, sie gebiert die durch die Ohren erweckten nach Tönen, sie geht schwanger auch mit den Leibes- und Geschlechtsgelüsten, so daß sie, unter der schweren Last der an ihr hängenden Sprößlinge erschlafft und die Hände vor Entkräftung sinken lassend, erschöpft wird. Auf solche Weise bezwungen zu werden, kommt allen denen zu, die für sich selbst als für vergängliche Wesen Vergängliches zeugen. [4] 16 Einige aber [275 M.] wurden sogar durch die Selbstsucht nicht nur niedergezwungen, sondern sogar getötet. Daher hörte Onan, „als er merkte, daß der Same nicht ihm gehören werde“ (1 Mos. 38, 9), nicht eher auf, das vernünftige Denken, das vorzüglichste unter den existierenden Dingen, zu verderben, als bis er selbst völlige Vernichtung erfahren hatte, durchaus richtig und nach Gebühr. 17 Denn wenn Einzelne alles um ihrer selbst willen tun wollen, ohne sich um, die Ehrung der Eltern, die Wohlerzogenheit der Kinder, das Heil des Vaterlandes, den Schutz der Gesetze, die Sicherung der Sitten, die Wohlfahrt der Einzelnen und der Gesamtheit, die Achtung vor den Heiligtümern und die Frömmigkeit gegen Gott zu kümmern, werden sie ins Unglück geraten. 18 Denn für eines der Dinge, die ich nannte, auch das Leben selbst hinzugeben, ist rühmlich; sie aber sagen, daß sie alle die so erstrebenswerten Dinge verachten würden, wenn sie nicht irgendeinen Genuß mit sich bringen sollten. Daher nimmt der unbestechliche Gott den üblen Vertreter einer widernatürlichen Anschauung[76] mit Namen Onan hinweg. 19 Die also sind alle zu meiden, die nur für sich selbst zeugen, d. h. alle, die nur dem eigenen Nutzen nachjagen und die andern verachten, als ob sie nur für sich selbst da wären und nicht für so viele andere, für Vater, Mutter, Weib, Kinder, Vaterland und das Menschengeschlecht, und – wenn man weiter ausholend reden soll – für Himmel, Erde, die ganze Welt, Erkenntnisse, Tugenden, den Vater und Lenker des Alls.[14] Einem jeden von diesen soll man das ihm Gebührende nach Möglichkeit zukommen lassen und soll nicht alles als ein Anhängsel an sich selbst, sondern sich selber als ein Anhängsel an alles andere betrachten.

[5] 20 Doch damit genug, wir wollen das Folgende mit unserer Untersuchung verbinden. „Es sah“, heißt es nun, „Gott der Herr, daß sich mehrten die Laster der Menschen auf der Erde und ein jeder in seinem Herzen geflissentlich Böses sann alle Tage, da gedachte Gott daran, daß er den Menschen erschuf auf der Erde, und faßte einen Entschluß.[15] Und es sprach Gott: Ich will den Menschen, den ich erschuf, vertilgen vom Angesichte der Erde“ (1 Mos. 6, 5–7). 21 Vielleicht werden manche oberflächliche Menschen glauben, der Gesetzgeber meine, daß der Schöpfer über die Schöpfung des Menschen Reue empfand beim Anblick ihrer Gottlosigkeit, und deswegen das ganze Geschlecht zu vernichten wünschte. Doch sie mögen wissen, daß sie mit einer solchen Ansicht die Sünden jener Altvorderen geringer und leichter erscheinen lassen im Vergleich mit ihrer beispiellosen Gottlosigkeit. 22 Denn was könnte es für einen größeren Frevel[77] geben als zu glauben, der Unveränderliche könne sich ändern? Nehmen doch [276 M.] sogar einige an, daß nicht einmal alle Menschen in ihren Meinungen schwanken; daß nämlich die ehrlichen und lauteren Philosophen[16] aus der Wissenschaft als höchstes Gut (das Ergebnis) gewonnen haben, nicht mit den Verhältnissen (die Gesinnung) zu wechseln, sondern mit unbeugsamer Festigkeit und mit bestimmter Sicherheit an alles Geziemende heranzutreten.[17] [6] 23 Aber auch dem Gesetzgeber ist es wohlgefällig, daß der Vollkommene nach Ruhe strebe; denn die zu dem Weisen[18] aus göttlichem Munde gesprochenen Worte: „Du aber stelle dich neben mich selbst“ (5 Mos. 5, 31)[19] bezeichnen aufs deutlichste die Unbeugsamkeit und Unwandelbarkeit der Gesinnung und ihre in jeder Beziehung feste Begründung. 24 Denn es ist in der Tat bewundernswert, wenn einer die Seele wie eine Leier harmonisch abgestimmt hat, nicht in hohen und tiefen Tönen, sondern in der Erkenntnis der entgegengesetzten (Lebensrichtungen) und in der Anwendung des Besseren, indem er die Harmonie der Tugenden und des von Natur Guten weder übermäßig anschwellen noch weich verhallen ließ, sondern darauf achtete, sie in gleicher Höhe erklingen zu lassen und melodisch anzuschlagen.[20] 25 Dies nämlich ist das vollkommenste von der Natur gebildete Instrument, ein Muster der von Menschenhänden gefertigten,[21] und wenn es schön abgestimmt wurde, vollbringt es die allerbeste Symphonie, die nicht in der Brechung und den Tönen einer melodischen Stimme,[22] sondern in der Übereinstimmung der Handlungen im Leben besteht. 26 Wenn nun die Menschenseele den gewaltigen Wogenschwall und die Flut, die ein heftig ausbrechender Sturm des Lasters plötzlich erregte, durch sanftes Wehen der Erkenntnis und Weisheit abgewiesen, die Aufwallung und Gärung niedergeschlagen hat und sich im Genusse[78] ruhigen Wetters der Windstille[23] erfreut, kannst du dann noch daran zweifeln, daß der Unvergängliche und Selige, der im Besitz der Macht über die Tugenden und die Vollkommenheit und Glückseligkeit selbst ist, keiner Sinnesänderung bedarf, sondern bei dem beharrt, was er von Anfang an wünschte, ohne etwas daran zu ändern? 27 Menschen allerdings kommt notwendig die Veränderlichkeit zu durch ihre innere oder äußere Unbeständigkeit; so haben wir uns zum Beispiel oftmals Freunde gewonnen und uns von ihnen wieder getrennt, nachdem wir nur kurze Zeit mit ihnen verkehrten, ohne daß wir ihnen etwas vorzuwerfen gehabt hätten, um sie mit Feinden oder Unbekannten auf eine Stufe zu stellen. 28 Eine solche Handlungsweise bekundet unsere leichtsinnige Sorglosigkeit, da wir nicht imstande sind, unsere ursprünglichen Absichten mit Festigkeit durchzuführen. Gott aber ist nicht unbeständig. Überdies kommt es doch vor, daß, wenn wir uns auch vornehmen auf denselben Urteilen zu bestehen, so doch die mit uns Verkehrenden nicht auf ihrem Standpunkt beharrten, so daß notwendigerweise unsere Ansichten sich mit veränderten. 29 Denn für einen Menschen ist es unmöglich, die Ereignisse der Zukunft und die Gedanken anderer vorauszusehen. Gott aber ist alles wie in reinem Glänze offenbar. Denn er dringt auch bis in die Winkel der Seele [277 M.] und kann das, was den anderen unsichtbar ist, weithin deutlich erblicken; mit Fürsorge und Voraussicht, den ihm eigentümlichen Tugenden, läßt er sich nichts entweichen und seiner Beobachtung entgehen. Daher verträgt sich auch die Unklarheit der Zukunft nicht mit seinem Wesen; denn nichts ist für Gott unklar und zukünftig. 30 Nun ist es klar, daß der Erzeuger seine Erzeugnisse, der Baumeister seine Gebäude und der Verwalter das ihm Anvertraute kennen muß. Gott aber ist in Wahrheit Vater, Baumeister und Verwalter der Dinge im Himmel und in der Welt. Wohl bleiben auch die kommenden Ereignisse im Dunkel der Zukunft, bald für einen kleineren, bald für einen größern Zeitraum. 31 Doch auch Schöpfer der Zeit ist Gott; denn er ist ihres Vaters Vater – Vater aber der Zeit ist der Kosmos – und dessen Bewegung hat er als ihren Ursprung offenbart, so daß die Zeit im Verhältnis zu Gott die Stellung eines Enkels einnimmt.[24] Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn[79] Gottes, da er sinnlich wahrnehmbar ist; denn den älteren – der aber ist geistig[25] – würdigte er des Erstgeburtsrechts und beschloß, daß er bei ihm bleibe. 32 Dieser jüngere, sinnlich wahrnehmbare Sohn bewirkte nun dadurch, daß er in Bewegung versetzt wurde, das Aufleuchten und den Aufgang des Wesens der Zeit, so daß es vor Gott nichts Zukünftiges gibt, vor ihm, der auch über die Schranken der Zeiten erhaben ist; denn auch sein Leben ist nicht eine Zeit, sondern Ewigkeit, das Urbild und Muster der Zeit.[26] In der Ewigkeit aber gibt es nichts Vergangenes und Zukünftiges, sondern nur Gegenwärtiges.

[7] 33 Nachdem wir nun zur Genüge darüber gehandelt haben, daß das Sein keine Reue empfindet, werden wir im folgenden darlegen, was der Sinn der Worte ist: „Gott gedachte daran, daß er den Menschen erschuf auf der Erde, und faßte einen Entschluß“ (1 Mos. 6, 6). 34 Nachdenken und Entschluß,[27] das eine ein Bestandteil des Denkens, der andere der Erfolg des Denkens, hat der Schöpfer des Alls als zuverlässigste Kräfte erwählt und braucht sie immer, wenn er seine Werke betrachtet. Was nun die (göttliche) Ordnung[80] nicht verläßt, das lobt er um des Gehorsams willen; was sich aber entfernt, das verfolgt er mit der für Fahnenflüchtige festgesetzten Strafe. 35 Von den Körpern nämlich hat er die einen gebunden durch einen inneren Zusammenhang (ἕξις), die andern durch eine Natur (φύσις), andere durch eine Seele (ψυχή), wieder andere durch eine vernünftige Seele (λογικὴ ψυχή).[28] Als festestes Band nun von Steinen und Hölzern, die ja aus der Verwachsenheit[29] losgerissen werden, schuf er den inneren Zusammenhalt. [278 M.] Dieser aber ist eine Luftsubstanz (πνεῦμα), die sich zu sich selbst zurückwendet; sie beginnt nämlich von der Mitte aus, um sich bis zu den Enden zu erstrecken; ist sie aber an der äußersten Oberfläche angelangt, so kehrt sie wieder um, bis sie an denselben Ort gekommen ist, von dem sie zuerst ausging. 36 Dieser fortwährende Hin- und Rücklauf des inneren Zusammenhaltes ist ein unvergänglicher, den die Läufer nachahmen und an den alle drei Jahre wiederkehrenden Festen[30] in den allen Menschen zugänglichen Theatern als eine gar große, glänzende und erstrebenswerte Tat vorführen. [8] 37 Die Natur aber teilte er den Pflanzen zu,[31] indem er sie mischte aus vielerlei Kräften, der Nährkraft, der Wandlungsfähigkeit und der Kraft des Wachstums. Denn sie werden auch genährt, da sie der Nahrung bedürfen, wie folgendes beweist: Die Pflanzen, die nicht befeuchtet werden, schwinden dahin und gehen ein, so wie andererseits die bewässerten sichtbarlich wachsen; denn die bisher in Niedrigkeit am Boden hinkrochen, schnellen plötzlich empor und werden zu den allerlängsten Trieben. 38 Was brauche ich über ihre Wandlungfähigkeit zu sagen? Denn zur Zeit der Wintersonnenwende fallen die verwelkten Blätter auf die Erde, und die (Knospen) an den Zweigen, die von den Landleuten wie bei lebenden Wesen Augen genannt werden, schließen sich, und alle dem Wachstum dienenden Öffnungen verstopfen sich, während die[81] Natur dann im Innern sich sammelt und ausruht, damit sie Atem schöpfend wie ein Ringer nach dem Wettkampfe und die eigene Kraft sammelnd zu den gewohnten Kämpfen von neuem antreten kann. Das aber geschieht zur Frühlings- und Sommerzeit. 39 Denn wie aus tiefem Schlafe sich wieder aufrichtend öffnet sie (die Natur) die Augen, dreht die geschlossenen Öffnungen (der Knospen) nach oben und macht sie weit auf. Alles aber, womit sie schwanger geht, gebiert sie: Blätter und Zweige, Ranken, Reben und vor allem eine Frucht. Ist sie dann vollendet, so verabreicht sie die Nahrung wie eine Mutter dem Kinde durch gewisse unsichtbare Poren, die den Brüsten bei den Frauen ähnlich sind, und sie hört nicht eher auf zu nähren, bis die Frucht vollendet wurde. 40 Vollendet aber ist die völlig ausgereifte (Frucht), wenn sie, ohne daß sie jemand abpflückt, selbst danach verlangt, das Zusammenleben zu lösen, da sie der Nahrung von der Mutter nicht mehr bedarf, wohl aber fähig ist, wenn sie guten Boden erhält, denen, die sie hervorbrachten, ähnliche (Pflanzen) auszusäen und zu erzeugen. [9] 41 Die Seele aber schuf der Schöpfer so, daß sie sich von der Natur durch dreierlei unterscheidet, durch die sinnliche Wahrnehmung, das Vorstellungsvermögen und den Begehrungstrieb,[32] denn die Pflanzen sind willenlos, vorstellungslos und ohne sinnliche Wahrnehmung, von allen Lebewesen aber hat jedes an den genannten Kräften Anteil. 42 Die sinnliche Wahrnehmung ist nun, wie es ihr Name selbst sagt,[33] gewissermaßen ein „Hineinstellen“ und führt die Erscheinungen dem Geiste zu; denn in diesem wird, da er ja eine sehr große und allumfassende Schatzkammer ist, alles durch das Gesicht und das Gehör und die anderen Sinnesorgane „hineingestellt“ und darin aufgestapelt. 43 Die Vorstellung aber ist eine [279 M.] in der Seele stattfindende Prägung;[34] denn auf das, was ein jeder der Sinne herbeiführt, drückt sie wie ein Finger- oder Siegelring das eigene Gepräge auf. Dem Wachse gleichend[35] nimmt der Geist den Eindruck genau auf und bewahrt ihn bei sich, bis die Vergeßlichkeit, die Feindin des Gedächtnisses, die Spur verwischt, undeutlich[82] macht oder ganz verschwinden läßt. 44 Die Erscheinung und der Eindruck aber versetzen die Seele bald in eine geneigte, bald in die entgegengesetzte Stimmung. Diesen ihren Zustand nennt man Begehrungsvermögen, das wir, um es zu definieren, als die erste Bewegung der Seele bezeichnet haben.[36] Hierin nun besteht der Vorzug der Tiere vor den Pflanzen. Wir aber wollen nun betrachten, worin der Mensch sich vor den Tieren auszeichnet. [10] 45 Er erhielt ja als besondere Gabe die Vernunft, die das Wesen aller Körper und Handlungen begreift. Wie nämlich im Körper der Gesichtssinn die führende Stellung einnimmt, im Weltall aber das Wesen des Lichtes, ebenso ist in unserm Innern das Vorzüglichste der Geist; 46 denn er ist das Auge der Seele,[37] erleuchtet durch (seine) eigenen Strahlen,[38] durch die die große und tiefe Finsternis, welche die Unkenntnis der Tatsachen verbreitete, zerstreut wird. Dieser Teil der Seele wurde nicht aus denselben Elementen gebildet, aus denen das Übrige vollendet wurde, sondern er erhielt eine reinere und bessere Substanz, die, aus der die göttlichen Wesen geschaffen wurden.[39] Deshalb meint man[40] mit Recht, daß von unseren (Kräften) allein die Vernunft unvergänglich sei. 47 Denn sie allein würdigte der schaffende Vater der Freiheit, löste sie von den Fesseln der Notwendigkeit und ließ sie frei, indem er sie beschenkte mit dem ihm am besten anstehenden und zu ihm passenden Besitz, dem freien Willen,[41] soweit sie ihn fassen konnte. Die andern Lebewesen, in deren Seelen das Prinzip der freien Selbstbestimmung, der Geist, nicht vorhanden ist, sind, unterjocht und gebändigt, dem Menschen zum Dienste übergeben[83] wie Sklaven den Herren; der Mensch jedoch, der die Gabe freien und sich selbst bestimmenden Urteils erhielt und seine Kräfte meist nach freiem Entschluß gebraucht, verdiente mit Recht Tadel für vorsätzliche Vergehen, Lob aber für freiwillige, rechte (d. h. vernünftige) Taten. 48 Bei den Pflanzen und Tieren ist weder die Fruchtbarkeit zu loben, noch die Mißbeschaffenheit[42] zu tadeln – denn die auf beide gerichteten Regungen und Wandlungen erhielten sie ohne freie Wahl und freien Willen –, des Menschen Seele allein aber erhielt von Gott die freiwillige Regung, und darin vor allem wurde sie ihm ähnlich; befreit von der bösen und schlimmsten Herrin, der Notwendigkeit, soweit es möglich ist, [280 M.] würde sie gewiß einen Vorwurf verdienen, wenn sie dem nicht nachfolgte, der sie befreite; so würde sie denn auch die für undankbare Freigelassene bestimmte unerbittliche Strafe mit vollstem Recht erhalten.[43] 49 Daher „dachte Gott daran und faßte einen Entschluß“, nicht jetzt erst, sondern seit langem schon fest und sicher, „daß er den Menschen erschuf“, d. h. wie er ihn erschaffen hatte. Er schuf ihn nämlich als einen Ungebundenen und Freien, der seine freiwilligen und nach freiem Entschluß wirkenden Kräfte zu dem Zwecke gebrauchen sollte, daß er in Erkenntnis des Guten und Bösen und dadurch, daß er eine Vorstellung vom Schönen und Häßlichen erhielt und über Gerechtes und Ungerechtes, sowie überhaupt das von der Tugend und dem Laster Ausgehende in Unschuld nachdachte, das Bessere erwählte, das Gegenteil aber fliehe. 50 Darum steht auch folgender Spruch im Deuteronomium geschrieben: „Siehe, ich habe vor dein Angesicht gegeben das Leben und den Tod, das Gute und das Böse, damit du das Leben erwähltest“ (5 Mos. 30,[84] 15. 19). Dadurch will er uns doch wohl beides lehren, daß die Menschen sowohl das Gute, wie auch sein Gegenteil kennen und daß sie an Stelle des Schlechteren das Bessere erwählen sollen, da sie in sich selbst den Geist wie einen unbestechlichen Richter besitzen,[44] der den Vorschriften der rechten Vernunft gehorchen, denen ihres Gegensatzes aber widerstehen soll.

[11] 51 Nachdem wir hierüber zur Genüge gehandelt haben, wollen wir das Nächste betrachten. Es ist aber folgendes: „Ich werde den Menschen, den ich schuf, vertilgen vom Angesichte der Erde, vom Menschen bis zum Vieh, vom Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, weil ich ergrimmte,[45] da[46] ich ihn schuf“ (1 Mos. 6, 7). 52 Wieder glauben einige,[47] wenn sie diese Worte hören, daß das Sein wütend und zornig werde. Es kann aber überhaupt von keinem Affekt ergriffen werden. Menschlicher Schwachheit ist es eigen, zu zürnen, Gott aber besitzt weder die unvernünftigen Leidenschaften der Seele, noch überhaupt die Teile und Glieder des Körpers. Nichtsdestoweniger werden von dem Gesetzgeber dergleichen Dinge ausgesprochen, soweit sie einführender Belehrung dienen, um nämlich denen eine Lehre zu geben, die auf andere Weise nicht zur Vernunft kommen können. 53 Unter den in den Geboten und Verboten enthaltenen Gesetzen[48] nämlich, die ja in eigentlichem Sinne Gesetze sind, werden zwei oberste Leitsätze über den Urgrund vorangestellt, der eine „daß Gott nicht wie ein Mensch“ (4 Mos. 23, 19), der andere, daß er wie ein Mensch ist. 54 Aber der erstere wird durch die sicherste Wahrheit beglaubigt, der letztere aber nur zur Belehrung der großen Menge angeführt. Deshalb heißt es auch [281 M.] mit[85] Bezug auf ihn: „wie ein Mensch seinen Sohn erziehen wird“,[49] wodurch gesagt wird, daß er um der Erziehung und Zucht willen, aber nicht in seinem Wesen so beschaffen sei. 55 Von den Menschen nämlich sind die einen Freunde der Seele, die andern des Körpers. Die Genossen der Seele nun sind imstande, mit geistigen und unkörperlichen Wesen zu verkehren, und vergleichen das Sein mit keiner irdischen Gestalt, sondern lösen es ab von jeglicher Qualität – denn eins der Dinge, die zu seiner Seligkeit und seinem höchsten Glücke gehören, wäre die Erfassung seiner reinen Existenz ohne ein Kennzeichen – und nahmen allein die Vorstellung des Seins in sich auf, ohne ihm Gestalt zu geben. 56 Die aber Zugeständnisse und Bündnisse mit dem Körper eingingen, können die fleischliche Hülle nicht ablegen und ein einziges und sich selbst genügendes, einfaches, ungemischtes und unvermengtes Wesen nicht schauen, wobei sie nicht daran denken, daß das aus der Vereinigung mehrerer Kräfte entstandene Geschöpf mehrere Teile braucht zur Befriedigung der einzelnen Bedürfnisse, [12] Gott aber, da er ungeworden ist und die andern Dinge ins Werden brachte, nichts von dem bedurfte, was den Geschöpfen Nutzen bringt. 57 Denn was sollen wir noch darüber reden? Wenn er organische Teile besäße, hätte er wohl Füße, um zu gehen – wohin aber soll er gehen, da er alles ausfüllt? und zu wem, da ihm keiner ebenbürtig ist? und weshalb? denn er hat ja nicht für seine Gesundheit zu sorgen wie wir –, auch Hände sollte er haben zum Nehmen und Geben, nimmt aber von niemandem etwas – denn, abgesehen von seiner Bedürfnislosigkeit, hat er alles zum Besitz –, wohl aber gibt er durch sein Wort, dessen er sich als Vermittler der Gaben bedient, durch das er auch die Welt erschuf.[50] 58 Auch der Augen bedarf er nicht, denen ohne wahrnehmbares Licht keine Erkenntnis zuteil wird; das wahrnehmbare Licht aber ist etwas Gewordenes; Gott aber hat schon vor allem Werden gesehen, indem er sich selbst als[86] Licht gebrauchte.[51] 59 Was soll man aber noch über die Organe der Ernährung reden? Denn wenn er diese besäße, müßte er auch Nahrung zu sich nehmen, und, gesättigt, wieder ausleeren, nach der Ausleerung[52] aber wieder Appetit haben; und von anderem Entsprechendem will ich gar nicht reden. Das sind Fabeleien gottloser Menschen, die dem Göttlichen dem Worte nach nur menschliche Gestalt, in der Tat aber menschliche Leidenschaften zuschreiben. [13] 60 Weshalb sagt nun Moses, daß Füße, Hände, Kommen, [282 M.] Gehen bei dem Ungewordenen vorhanden seien, warum, (daß er) eine Waffenrüstung (habe) zur Abwehr gegen Feinde? Denn das Schwert läßt er ihn führen[53] und Geschosse verwenden und Stürme und verderbenbringendes Feuer – Sturmschild und Blitz nennen dies mit anderen Ausdrücken die Dichter[54] und sagen, es seien die Waffen des Urgrunds –, dazu führt er noch Eifersucht, Mut, Zorn und dergleichen nach menschlicher Vorstellungsweise an? 61 Doch den Fragenden wird geantwortet: Ihr da, ein Ziel muß dem besten Gesetzgeber vorschweben, (nämlich das,) allen, die mit ihm in Berührung kommen, zu nützen. Die nun eine glückliche Naturanlage und einen in allem schuldlosen Lebenswandel erlosten, da sie den diesem entsprechenden breiten und geraden Lebensweg fanden und sich der Wahrheit als Weggenossin bedienten, wurden von ihr in die untrüglichen Geheimnisse des Seins eingeweiht und dichten ihm nichts von den Dingen der Schöpfung an. 62 Für diese paßt am besten der in den verkündeten Offenbarungen vorliegende Spruch, daß „Gott nicht ist wie ein Mensch“, aber auch nicht wie der Himmel und wie die Welt.[55] Denn von irgendeiner Beschaffenheit sind diese Wesen und der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich; er aber ist nicht einmal, abgesehen von seiner reinen Existenz, durch den Geist zu begreifen. Seine Existenz nämlich ist es, die wir begreifen, von den außer der Existenz[87] (noch vorhandenen Eigenschaften) aber nichts.[56] [14] 63 Die aber eine trägere und stumpfe Natur besitzen, da sie bei der Ernährung im Kindesalter falsch behandelt wurden, und nicht scharf sehen können, brauchen belehrende Ärzte, die gegen das vorhandene Leiden die passende Heilung erdenken. 64 Ist doch auch für ungebärdige und unvernünftige Sklaven ein befürchteter Herr von Nutzen; denn aus Angst vor dessen Zornausbrüchen und Drohungen werden sie durch Furcht wider Willen zurechtgewiesen. Alle derartigen Leute nun mögen die Unwahrheit hören, durch die ihnen genützt wird, wenn sie durch die Wahrheit nicht zur Vernunft gebracht werden können. 65 Denn auch die berühmtesten Ärzte bringen es nicht über sich, den körperlich Leidenden und Hinfälligen die Wahrheit zu sagen, da sie wissen, daß sie dadurch nur mutloser werden und die Krankheit nicht geheilt wird, daß sie aber durch einen Trost mit dem Gegenteil leichter den gegenwärtigen Zustand tragen werden und die Schwäche nachlassen wird.[57] 66 Denn welcher vernünftige Mann mag wohl dem Patienten sagen: „Du da, du sollst geschnitten, gebrannt, amputiert werden“, wenn er dies auch notwendigerweise aushalten muß? Niemand wird es sagen. Denn da jener zuvor schon den Mut sinken läßt und sich (dadurch) noch eine andere Krankheit, eine seelische, zuzieht, die schlimmer ist als die vorausgehende körperliche, wird er zu der ärztlichen Behandlung keinen guten Willen mitbringen; [283 M.] da er aber infolge des Betrugs des Arztes das Gegenteilige erwartet, wird er alles freudig mit Geduld auf sich nehmen, und sollte das Heilverfahren auch noch so schmerzlich sein. 67 Da nun der Gesetzgeber ein ganz vorzüglicher Arzt der Leiden und Krankheiten der Seele ist, stellte er sich als einzige Aufgabe und als Endziel, die Krankheiten des Geistes mit der Wurzel selbst auszuschneiden, daß keine übrig bliebe und den Keim zu einem unheilbaren Leiden bilde. 68 So hoffte er, sie auf die Art gründlich ausrotten zu können, wenn er den Urgrund auftreten läßt mit Drohungen, Unwillen und unerbittlichem Zorn, dazu mit Verteidigungswaffen gegen die anstürmenden Übeltäter. Denn nur so wird der Unvernünftige belehrt. 69 Deshalb scheint er mir durch die beiden erwähnten Hauptstücke, nämlich das, daß „Gott wie ein Mensch“ und das, daß er „nicht wie ein Mensch“ ist, zwei verschiedene, auseinander folgende und miteinander[88] verwandte (Eigenschaften) zu verbinden: Furcht und Liebe; denn, wie ich sehe, beziehen sich sämtliche durch die Gesetze für die Frömmigkeit gegebenen Gebote entweder auf das Lieben oder auf das Fürchten des Seienden. Denen nun, die bei dem Sein weder an einen Körperteil, noch an einen Affekt eines Menschen denken, sondern es dem Gottesbegriff entsprechend nur an sich selbst verehren, ist das Lieben am angemessensten, den andern aber das Fürchten.

[15] 70 Das ist es also, was der Untersuchung in geeigneter Weise voranzustellen war. Wir müssen aber an die ursprüngliche Aufgabe herangehen, nämlich die Frage, nach dem Sinn der Worte: „ich ergrimmte, da ich sie[58] schuf“. Er will wohl etwa das sagen, daß die einen durch den Zorn Gottes schlecht geworden sind, die andern aber gut durch die Gnade. Denn auch weiter unten sagt er: „Noah aber fand Gnade“ (1 Mos. 6, 8). 71 Denn Zorn, ein in eigentlichem Sinne (nur) Menschen zuzuschreibender Affekt, wird aber ganz richtig[59] in übertragenem Sinne von dem Seienden ausgesagt zur Erklärung einer sehr notwendigen Sache, (nämlich der,) daß alles, was wir aus Zorn oder Furcht oder Trauer oder Freude[60] oder in einem andern Affekte tun, offensichtlich des Vorwurfs und Tadels wert ist, was aber in rechter Einsicht der Vernunft und Erkenntnis (geschieht), lobenswürdig ist. 72 Man sieht, welche große Vorsicht er auch auf den Ausdruck verwendet, wenn er sagt, „daß er, weil er ergrimmte, sie schuf“, aber nicht umgekehrt: weil er sie schuf, ergrimmte er.[61] Denn letzteres wäre ein Akt der Reue, welchen die alles voraussehende Natur Gottes nicht zuläßt, jenes aber die (Redeweise) des[89] Verkünders der sehr richtigen Lehre, daß die Quelle der Sünden der Zorn,[62] die der rechten Taten aber der Verstand ist. 73 Da aber Gott seiner in allem vollkommenen Güte gedenkt, selbst wenn die gesamte Menschenmenge aus eigener Schuld um der Überfülle ihrer Sünden willen zu Falle käme, streckt er seine rechte und erlösende Hand aus, hilft auf, [284 M.] richtet empor und läßt es nicht zu, daß das ganze Geschlecht vernichtet und vertilgt wird. [16] 74 Deshalb heißt es jetzt, daß Noah Gnade finde bei ihm, während die andern, die sich als undankbar herausstellten, Strafe erleiden sollen, damit er das erlösende Erbarmen vereinige mit dem Gericht über die Sünder. Deshalb sagt auch der Psalmist irgendwo: „Von Gnade und Gericht will ich dir singen“ (Psalm 101, 1). 75 Denn wenn Gott über das sterbliche Geschlecht richten wollte ohne Erbarmen, würde er das verdammende Urteil fällen, da ja kein einziger Mensch das Leben von der Geburt bis zum Tode ohne Fehltritt aus eigener Kraft durch-läuft, sondern (jeder) bald freiwillige, bald unfreiwillige Fehltritte begeht. 76 Damit nun die Gattung erhalten bleibe, wenn auch viele Einzelwesen zugrunde gingen, läßt er das Erbarmen miteinfließen, von dem er auch zum Wohle der Unwürdigen Gebrauch macht, und erbarmt sich nicht nur nach dem Richten, sondern richtet auch aus Erbarmen. Denn älter als die Strafe ist bei ihm das Erbarmen, da er ja den, der Bestrafung verdient, nicht nach der Strafe, sondern schon vor der Strafe kennt. [17] 77 Deshalb heißt es an anderer Stelle: „Ein Becher ist in der Hand des Herrn voll einer Mischung ungemischten Weines“ (Psalm 75, 9). Das Gemischte ist aber doch nicht ungemischt.[63] Vielmehr hat das einen ganz der Sache entsprechenden und mit dem oben Gesagten übereinstimmenden Sinn; denn Gott verwendet die Kräfte in bezug auf sich selbst ungemischt, in bezug auf die Schöpfung aber gemischt. Die ungemischten zu erfassen, ist nämlich einem sterblichen Wesen unmöglich. 78 Oder meinst du, du könntest zwar den reinen Glanz der Sonne nicht anschauen – denn es wird eher das Augenlicht, durch das Geflimmer der Strahlen geblendet, erlöschen, als daß es hinblicken und eine Wahrnehmung machen könnte; und dabei ist doch auch die Sonne nur eins[90] der Werke Gottes, ein Teil des Himmels, eine Ätherverdichtung[64] –, doch jene ungewordenen Kräfte, die um ihn herum das glänzendste Licht ausstrahlen, könntest du ungemischt erkennen? 79 Wie er nun die Sonnenstrahlen ausspannte vom Himmel bis zu den Grenzen der Erde, indem er die allzu große Hitze in ihnen mäßigte und abschwächte durch kalte Luft – denn diese mischte er ihnen bei, damit das lichtartige von dem flammenartigen Feuer getrennt durch Abstoßung der Brennkraft und Anziehung der Leuchtkraft mit dem ihm verwandten und vertrauten (Licht) in den Augen zusammentreffe und (von ihm) angezogen werde; denn deren Vereinigung aus einem Gegensatz zu ein und demselben und ihr Handinhandgehen bewirkt die Gesichtswahrnehmung[65] –, welcher Sterbliche könnte so Gottes Erkenntnis und Weisheit und Besonnenheit und Gerechtigkeit und eine jede der anderen Tugenden in ihrer Lauterkeit aufnehmen? Doch nicht einmal der ganze Himmel und die Welt! 80 Da nun der Schöpfer die überschwenglichen Kräfte in allen den vortrefflichsten Werken seiner Umgebung kannte und ebenso die in ihrer Natur liegende Schwachheit der Geschöpfe, wenn sie sich auch noch so erhaben dünkten, wollte er weder [285 M.] wohltun noch strafen nach seinem Vermögen, sondern bemißt ihren Anteil an beiden (Wohltat und Strafe) nach seiner Erkenntnis ihres Vermögens. 81 Wenn wir nun von der abgeschwächten und mittlere Maße einhaltenden Mischung seiner Kräfte trinken und genießen könnten, würden wir hinreichende Freude ernten, wie sie vollkommener das Menschengeschlecht nicht zu erlangen trachten soll; denn von den reinen und ungemischten und wirklich höchsten Kräften wurde nachgewiesen, daß sie allein in der Umgebung des Seins existieren. [18] 82 Dem angeführten ähnlich ist aber auch das an anderer Stelle ausgesprochene Wort: „Einmal[91] sprach der Herr, zweifach hörte ich dies“[66] (Psalm 62, 12). Denn das „einmal“ gleicht dem Ungemischten – denn auch das Ungemischte ist eine Einheit und die Einheit ein Ungemischtes –, das „zweifach“ aber dem Gemischten; denn das Gemischte ist nicht einfach, da es Vereinigung und Trennung zuläßt. 83 Ungemischte Einheiten nun spricht die Gottheit; denn ihr Wort ist keine Luftschwingung und überhaupt mit keinerlei anderem vermengt, sondern unkörperlich und nackt, von einer Einheit nicht unterschieden.[67] 84 Wir aber hören in der Zweiheit; denn der aus dem Kopfe kommende Hauch wird durch die rauhe Luftröhre vorgestoßen, im Munde von der Zunge wie von einer Künstlerin geformt und nach außen getragen, mit der ihm verwandten Luft vermengt und sie erschütternd vollendet sie in harmonischer Weise die Mischung einer Zweiheit.[68] Denn der Zusammenschall aus zwei verschiedenen Tönen harmoniert zuerst in einer Zweiheit, die, in ihre Teile zerlegt, einen hohen und einen tiefen Ton enthält. 85 Sehr wohl stellt er[69] also der Menge der ungerechten Geister einen einzigen, den gerechten, entgegen, an Zahl zwar geringer, an Kraft aber größer, damit nicht beim Abwiegen wie auf einer Wage das Schlechtere nach unten sinke, sondern durch die Kraft des gegenteiligen Ausschlages zum Besseren aufgewogen und entkräftet werde.

[19] 86 Was das aber heißt: „Noah fand Gnadengaben[70] vor dem Herrn Gott“ (1 Mos. 6, 8), wollen wir im Zusammenhang betrachten. Von den Findern finden die einen wieder, was sie früher besaßen und verloren, die andern aber (finden), was sie früher nicht besaßen, sondern sich jetzt erst aneignen. Diesen Vorgang nun pflegen die Untersucher der eigentlichen Wortbedeutungen „Finden“, jenen aber „Wiederfinden“ zu nennen. 87 Für den ersteren nun sind ein ganz klares[92] Beispiel die Vorschriften über das große Gebet[71] (4 Mos. 6, 2). Es ist aber ein Gebet eine Forderung von Gütern an die Gottheit,[72] ein großes Gebet aber der Glaube daran, daß Gott selbst aus sich heraus Urheber der Güter ist, ohne daß ein anderes von den Dingen mitwirkt, die den Anschein erwecken, Nutzen zu bringen, nicht die Erde, als ob sie Früchte trüge, nicht der Regen, als ob er Samen und Pflanzen wachsen ließe, nicht die Luft, als ob sie imstande sei zu nähren, nicht die Landwirtschaft, als ob sie die Ursache des Ertrages, nicht die Heilkunst, als ob sie die der Gesundheit, nicht die Ehe, als ob sie die der Erzeugung von Kindern sei. 88 Denn alle diese Dinge erfahren durch die Kraft Gottes Wechsel und Veränderungen, [286 M.] so daß sie häufig das dem Gewohnten Entgegengesetzte vollbringen. Er nun,[73] sagt Moses, sei „heilig und lasse wachsen das Haar des Hauptes“ (ebd. 5), was bedeutet: er vermehrt in dem Haupte die hauptsächlichen Keime der Tugendlehren, läßt sie gleichsam wie langes Haar wachsen und wird um ihretwillen geheiligt. 89 Doch manchmal büßt er sie ein, wie wenn plötzlich ein Wirbelwind über die Seele hereingebrochen wäre und alles Gute aus ihr herausgerissen hätte. Dieser Wirbelwind aber ist eine unfreiwillige, plötzlich den Geist befleckende Wandlung, die er (Moses) Tod nennt (ebd. 9).[74] 90 Doch obwohl er (sie) verloren hat, wird er auch wieder entsühnt, nimmt (sie) wieder auf und erinnert sich derer, die er bis dahin vergessen hatte, und was er eingebüßt, findet er, so daß die vorigen Tage der Wandlung als sinnlos erkannt werden (ebd. 12),[75] entweder weil die Wandlung ein sinnloser Vorgang ist, im Widerspruch stehend mit der rechten Vernunft und ohne Anteil an der Besonnenheit, oder[93] insofern, als sie nicht wert ist, gezählt zu werden. „Denn der-gleichen“, heißt es, „hat weder Vernunft noch Zahl“.[76] [20] 91 Oft aber treffen wir auf Dinge, die wir vorher nicht einmal im Traume sahen, so wie man erzählt, daß ein Bauer, der ein Stück Land umgrub, um einige Edelbäume darauf zu pflanzen, auf einen Schatz stieß und unerhofftes Glück gewann. 92 So antwortet der Asket,[77] als ihn sein Vater[78] nach (der Herkunft) seiner Erkenntnis folgendermaßen fragt: „Was ist das, was du so bald fandest, mein Sohn?“ und spricht: „Was mir gegeben hat der Herr Gott“ (1 Mos. 27, 20); denn wenn Gott die Lehren der ewigen Weisheit ohne Anstrengung und Mühe verleiht, finden wir in ihnen plötzlich, ohne es zu erwarten, einen Schatz vollkommenen Glückes. 93 Oft aber kommt es vor, daß die, die mühselig suchen, das Gesuchte verfehlen, daß die aber, die sorglos (suchen), leicht auch das finden, woran sie nicht dachten. Denn die zu träge und langsam in ihrem Leben sind, verwenden ebenso wie die an den Augen Erblindeten vergebliche Mühe auf das Betrachten irgendeines der Gegenstände der Erkenntnis; die aber eine glückliche Naturanlage besitzen, treffen ohne Suchen auf tausenderlei mit treffsicherem und zielbewußtem Zugriff, so daß es scheint, als ob sie selbst sich gar keine Mühe gäben, auf die Dinge zu treffen, sondern jene ihnen instinktiv zuvorkämen, danach drängten, in ihren Gesichtskreis zu kommen und die deutlichste Wahrnehmung ihrerseits veranlaßten. [21] 94 Ihnen, sagt der Gesetzgeber, werden gegeben „große und schöne Städte, die sie nicht erbauten, Häuser voll von Gütern, die sie nicht gefüllt haben, ausgehauene Brunnen, [287 M.] die sie nicht ausgehauen haben, Weinberge und Ölberge, die sie nicht gepflanzt haben“ (5 Mos. 6, 10. 11).[79] 95 Als Städte und als Häuser bezeichnet er sinnbildlich[94] die allgemeinen und besonderen Tugenden;[80] denn einer Stadt ist die Gattung vergleichbar, weil sie sich auch in größeren Umrissen darstellt und mehreren gemeinsam ist, die Art aber einem Hause, weil es auf einen kleineren Raum beschränkt ist und Gemeinsamkeit ausschließt. 96 Die vorbereiteten Brunnen aber sind die für sie ohne Mühen bereit liegenden Kampfpreise, Behälter himmlischer und trinkbarer Fluten, wohlbereitete Schatzkammern zur Bewahrung der oben aufgezählten Tugenden, aus denen der Seele die vollkommene, das Licht der Wahrheit ausstrahlende Freudigkeit ersteht. Die Weinberge macht er daher zum Sinnbild der Freudigkeit, die Ölberge zu dem des Lichtes. 97 Glücklich sind demnach diejenigen, die etwas Ähnliches erleben wie die aus tiefem Schlafe Erwachenden und plötzlich die Welt mühelos und ohne Anstrengung Erblickenden, unglücklich aber die, denen das nicht zuteil wird, wonach sie wetteifernd strebten,[81] angetrieben durch Streitsucht, eine sehr böse Krankheit. 98 Denn abgesehen davon, daß sie das Ziel verfehlen, nehmen sie auch noch zu dem nicht geringen Schaden eine große Schande auf sich, wie die Schiffe, die gegen widrige Winde ansegeln; denn außer dem, daß sie den schützenden Häfen fern bleiben, auf die sie hinsteuern, gehen sie oft mitsamt der Mannschaft und den Lasten unter und bringen Leiden den Freunden, Freude aber den Feinden. [22] 99 Darum sagt das Gesetz, daß „einige[82] aber zogen mit Gewalt hinauf in das Gebirge, und es kam heraus der Amoriter, der in jenem Gebirge wohnte, und er schlug ihnen Wunden, wie es die Bienen tun, und verfolgte sie von Seir bis Horma“ (5 Mos. 1, 43. 44). 100 Die zur Aneignung der Künste und Wissenschaften nicht Begabten müssen nämlich, wenn sie, durch Gewalt gezwungen, sich mit dergleichen abgeben, nicht nur das Ziel verfehlen, sondern auch Schande verdienen; und die, die ein anderes Pflichtgebot ohne innere Zustimmung tun, ungern und mit Vergewaltigung ihres eigenen freien Willens, handeln nicht verdienstlich und werden vielmehr von dem Gewissen verwundet und verfolgt. 101 Oder willst du sagen, daß diejenigen, die anvertrautes Gut von geringem Geldwert zurückzahlten, um größere Summen diebisch zu erjagen, sich durch Zuverlässigkeit auszeichnen,[95] sie, die, auch wenn sie viel gezahlt hätten, ihrer angeborenen Unzuverlässigkeit, von der sie unaufhörlich aufgehetzt werden, hätten Gewalt antun müssen? 102 Alle aber, die einen unechten Dienst des Alleinweisen betrieben, dadurch daß sie wie in einem hochfeierlichen Schauspiel eine Rolle im Leben nur solange übernahmen, als sie sich den versammelten Zuschauern zeigten, die Seele voll von Heuchelei statt von Frömmigkeit, spannen sie sich nicht selbst auf die Folter und quälen sich [288 M.] unter dem Zwang, das fälschlich darzustellen, was sie in Wahrheit nicht gefühlt haben? 103 So werden sie denn auch eine kurze Zeit verhüllt durch die symbolischen Gewänder der Götterfurcht, die zwar eine Gottesfurcht in verstümmelter Form,[83] ein großer Schade aber für ihre Anhänger und Genossen ist; dann aber, wenn sie die Verkleidungen abgelegt haben, offenbaren sie ihre nackte Heuchelei, und dann werden sie wie Leute, die sich das Bürgerrecht anmaßten, als unebenbürtig gekennzeichnet, da sie sich selbst in die Bürgerliste des größten Staates, der Tugend, eingetragen haben, ohne dazu irgendwie berechtigt zu sein. Denn das „Verkappte“[84] währt nur kurze Zeit, wie schon das Wort zeigt, das von „knapp“ abzuleiten ist; knapp nannten aber die Alten eine kurzbemessene Frist. [23] 104 Was das aber heißt: „Noah fand Gnade vor dem Herren Gott“, ist zu untersuchen. Soll gesagt werden, daß er (nur) Gnade erlangte, oder, daß er der Gnade (auch) für wert gehalten wurde? Doch das erstere anzunehmen, ist nicht wahrscheinlich. Denn was für ein Vorzug würde ihm gewährt sein, da ja alle Wesen, nicht nur die zusammengesetzten, sondern auch die elementaren, einfachen, göttlicher Gnade gewürdigt wurden? 105 Das letztere aber hat wohl einen gewissen, nicht ungereimten Sinn, da der Urgrund die seiner Gaben für wert hält, welche die göttliche Münze in sich,[85] den heiligsten Geist, mit schimpflichen Handlungen nicht verderben. Aber auch (diese Erklärung) ist wohl nicht richtig. 106 Denn wie vorzüglich müßte wohl einer sein, der von Gott einer Gnade wert befunden werden sollte? Ich jedenfalls glaube,[96] daß dies kaum die ganze Welt erreichen könnte, obwohl diese das erste, größte und vollkommenste der göttlichen Werke ist. 107 Es wird also wohl besser sein anzunehmen, daß der Edle in Forschungseifer und Erkenntnisfülle in allem, was er durchforschte, das als die höchste Wahrheit „fände“, daß eine „Gnadengabe“ Gottes sei alles: Erde, Wasser, Luft, Feuer, Sonne, Sterne, Himmel, alle Tiere und Pflanzen. Gott aber schenkt keine Gnade sich selbst – denn er hat kein Bedürfnis –, wohl aber die Welt der Welt und die Teile einander selbst und schließlich dem All. 108 Unermeßliche Güter aber hat er dem Ganzen sowohl wie auch den Teilen geschenkt, obwohl er nichts seiner Gnade wert erachtete, sondern er blickte auf die ewige Güte und hielt das Wohltun für entsprechend seiner seligen und glücklichen Natur, so daß ich, wenn mich einer fragte, was die Ursache der Weltentstehung sei, aus meiner von Moses erhaltenen Kenntnis antworten würde: Die Güte des Seienden, welche die [289 M.] älteste der Kräfte Gottes und die Gnadenquelle ist.[86] [24] 109 Zu beachten aber ist, daß es von Noah heißt, er habe Wohlgefallen[87] den Kräften des Seins, dem Herrn und Gott[88] (1 Mos. 6, 8), Moses aber dem von seinen Kräften Begleiteten und, abgesehen von ihnen, nur der Existenz nach zu Begreifenden; denn er spricht[89] aus dem Angesichte Gottes: „Du hast Gnade gefunden vor mir“ (2 Mos. 33, 17), womit er ihn selbst ohne jedes andere bezeichnet.[90] 110 So also hält der Seiende die in Moses (verkörperte) höchste Weisheit selbst der Begnadung durch sich allein für wert, die dieser nachgebildete (Weisheit) zweiten Grades und speziellerer Art aber durch seine dienenden Kräfte, denen entsprechend er Herr und Gott, Herrscher und Wohltäter ist. 111 Ein anderer, den Körper und das Laster liebender Geist aber, verdorben durch die Lust, den Oberkoch[91] (1 Mos. 39, 1) unseres zusammengesetzten[97] (Wesens),[92] kastriert an allen männlichen Geschlechtsteilen der Seele, arm an guten Werken und außerstande, göttliche Kunde zu vernehmen, wird aus der heiligen Gemeinde ausgestoßen (5 Mos. 23, 2), in der [Gespräche und][93] Reden über die Tugend dauernd gepflogen werden, und in das Gefängnis der Laster geworfen, findet aber Gnade, die schimpflicher als Verunehrung ist, bei dem Oberkerkermeister (1 Mos. 39, 20. 21). 112 Gefangene nämlich sind eigentlich nicht die, welche man nach ihrer gerichtlichen Verurteilung durch erloste Beamte oder erwählte Richter[94] an einen für Übeltäter bestimmten Ort abführt, sondern von der Natur verurteilte Seelenarten,[95] die erfüllt sind von Torheit, Zügellosigkeit, Ungerechtigkeit, Gottlosigkeit und anderen unsagbaren Übeln. 113 Deren Aufseher, Wächter und Verwalter aber, der Leiter des Gefängnisses, ist eine Vereinigung und Zusammenfassung der sämtlichen, mannigfachen Schlechtigkeiten, die zu einer Gestalt zusammengewoben wurden, bei der Wohlgefallen zu finden eine ganz große Strafe bedeutet. An sie denken manche nicht, sondern im Irrtum über das Schädliche, das sie für etwas Nützliches halten, verkehren sie hocherfreut mit ihm und leisten ihm Gefolgschaft, um Unterbeamte und Nachfolger im Gefängnisdienst über freiwillige und unfreiwillige Sünden zu werden, nachdem sie als zuverlässig erfunden wurden. 114 Du aber, meine Seele, halte eine solche Gewaltherrschaft und Leitung für schlimmer als die drückende Knechtschaft; befleißige dich vor allem einer ungebundenen, fessellosen und freien Wahl der Lebensführung; 115 solltest du aber doch von dem Laster geködert werden, so nimm es lieber auf dich, eine Gefangene als eine Gefängniswärterin zu sein; denn wenn du (dort) Mißhandlungen erfährst und jammerst, so wirst du Mitleid finden; [290 M.] gibst du dich aber dem Trachten nach Ämtern und der Gier nach Ehrenstellen hin, so wirst du als angenehmes, aber auch größtes Übel den Beruf einer Gefängniswärterin auf dich nehmen, wodurch du in alle Ewigkeit der Knechtschaft verfallen[98] sein wirst. [25] 116 Die Gnadenbezeugungen von Oberkerkermeistern weise also mit aller Kraft ab, nach denen des Urgrundes dagegen strebe mit allem Eifer. Wenn du aber dazu nicht imstande bist – denn außerordentlich ist die Größe der (an dich gestellten) Anforderung –, gehe unverzüglich zu seinen Kräften und werde deren Bittsteller, bis sie die Beständigkeit und Echtheit deiner Verehrung anerkennen und dich in die Reihe derer einordnen, die ihnen Wohlgefallen, wie auch den Noah, von dessen Kindern (die Schrift) ein ganz bewundernswertes und völlig eigenartiges Verzeichnis aufstellt; 117 es heißt nämlich: „Das sind die Erzeugnisse Noahs: Noah war ein gerechter Mensch, ein vollkommener in seinem Geschlecht; bei Gott fand Noah Wohlgefallen“[96] (1 Mos. 6, 9). Müssen doch die Erzeugnisse des Körpers selbst auch Körper sein; denn Pferde erzeugen Pferde, Löwen Löwen und Rinder Stiere, ebenso notwendigerweise auch Menschen Menschen; 118 eines guten Geistes Kinder aber sind nicht dergleichen, sondern die erwähnten Tugenden: das Menschsein, das Gerechtsein, das Vollkommensein, das Gottwohlgefallen, welches als das Vollendetste und der Gipfel des höchsten Glückes zum Schlüsse genannt wird. 119 „Zeugung“ aber ist einerseits die Führung und gewissermaßen der Weg aus dem Nichtsein in das Sein – in diesem Sinne wenden sie Pflanzen und Tiere notwendig immer an –, andererseits aber ist sie Verwandlung aus einer besseren Gattung in eine geringere Art, an die er (Moses) denkt, wenn er sagt: „Das aber sind die Zeugungen Jakobs: Joseph war siebzehn Jahre alt, als er mit seinen Brüdern die Schafe weidete, er war aber jung, mit den Söhnen Bilhas und Silpas, der Weiber seines Vaters“ (1 Mos. 37, 2).[97] 120 Denn sobald dieser ringende und erkenntnisliebende Geist[98] von den göttlicheren Gedanken zu menschlichen und irdischen Ansichten hinabgezogen wurde, wird sogleich Joseph, der Reigenführer des Körpers[99] und seiner Kräfte,[99] geboren; „jung ist er“ noch,[100] wenn er auch durch die Länge der Zeit grau geworden wäre, ohne eine altersreife Meinung und Kunde überhaupt vernommen zu haben, wie sie die Genossen des Moses aufstellten und als nützlichsten Besitz und Genuß für sich selbst und die (mit ihnen) in Berührung Kommenden fanden. 121 Deshalb scheint es mir, als lasse er ihn, weil er seine Gestalt und die genaueste Erscheinung seines Charakters deutlicher beschreiben wollte, die Herden weidend auftreten mit keinem ebenbürtigen, sondern mit den unebenbürtigen[101] Brüdern, die, da sie von Nebengattinnen geboren wurden, von der schlechteren Abstammung, der weiblicherseits, aber nicht von der besseren, der männlicherseits, ihren Namen erhalten; denn sie werden hier Söhne der Weiber Bilha und Silpa, aber nicht Israels, ihres Vaters, genannt.

[291 M.] [26] 122 Man wird aber mit Recht fragen, warum es unmittelbar nach (der Schilderung) der Vollkommenheit[102] Noahs in den Tugenden heißt, daß „die Erde vernichtet wurde vor Gott und erfüllt mit Ungerechtigkeit“ (1 Mos. 6, 11). Doch ist es wohl für einen, der in der Wissenschaft nicht gänzlich unerfahren ist, nicht schwer, eine Lösung zu finden. 123 Man muß also sagen, daß, wenn in der Seele das unvergängliche Wesen erschien, das sterbliche sofort vernichtet wird; denn die Geburt guter Taten ist der Tod der bösen, wie auch beim Aufleuchten eines Lichtes das Dunkel verschwindet. Deshalb wird in dem Gesetz über den Aussatz ganz deutlich gesagt, „wenn lebende Farbe[103] an dem Aussätzigen erschien, wird er unrein werden“ (3 Mos. 13, 14. 15); 124 und gerade folgendes verbindet er damit und fügt es andeutungsweise hinzu: „und es macht [ihn][104] unrein die gesunde[100] Farbe“, im Gegensatz zum Wahrscheinlichen und Gewöhnlichen; denn alle Menschen halten das Kranke für das Verderben des Gesunden und das Tote für das des Lebendigen, nicht umgekehrt das Gesunde und Lebendige für das (Verderben) des Gegenteils, sondern für das Genesung Bringende. 125 Wie aber der Gesetzgeber in seiner Weisheit durchaus originell ist, so brachte er auch dies als eigene Lehre vor, daß das Gesunde und Lebendige schuld daran sei, daß man sich von Befleckungen nicht rein erhalte; denn die an der Seele tatsächlich erscheinende gesunde und lebensvolle Farbe wird der Überführer. 126 Wenn dieser erscheint, stellt er eine Liste aller ihrer Sünden auf und hört kaum auf, sie zu schmähen, zu beschämen und zu schelten. Sie aber wird überführt und erkennt jedes Einzelne, was sie gegen die rechte Vernunft tat, und dann empfindet sie sich selbst als töricht, zuchtlos, ungerecht und voller Befleckungen. [27] 127 Deshalb schreibt er auch ein ganz sonderbares Gesetz, in dem er sagt, daß der teilweise Aussätzige unrein, der ganz und gar von den Fußspitzen bis zum Scheitel vom Aussatz Befallene aber rein sei (3 Mos. 13, 11–13),[105] obgleich man doch leicht auf das Gegenteil, das anzunehmen wohlverständlich wäre, geschlossen hätte, daß (nämlich) der über irgendeinen kleinen Teil des Körpers ausgedehnte Aussatz weniger, der aber so weit, daß er ihn gänzlich bedeckt, ausgebreitete mehr unrein sei. 128 Er aber bekundet, wie mir scheint, durch diese symbolischen Ausdrücke jene durchaus richtige Tatsache, daß die unfreiwilligen Vergehen, mögen sie auch noch so ausgedehnt sein, keinen Vorwurf verdienen und rein sind, da sie im Gewissen keinen gestrengen Ankläger haben, daß aber die mit Absicht begangenen, selbst wenn sie nicht sehr weit ausgebreitet sind, geprüft von dem Richter in der Seele,[106] für unheilig, befleckt und unrein [292 M.] erachtet[101] werden. 129 Nun bedeutet der zwiefach geartete und zwei Farben hervortreibende Aussatz die mit Absicht begangene Schlechtigkeit; denn obwohl die Seele in sich selbst die gesunde, lebendige und rechte Vernunft besitzt, macht sie von ihr, als ihrem Steuermann, keinen Gebrauch zum Heile des Guten, sondern liefert sich selbst Leuten aus, die der Schiffahrt unkundig sind, und richtet das ganze Lebensschiff zugrunde, das unter heiterem Himmel und in Windstille hätte gerettet werden können. 130 Der sich in eine einzige weiße Art verwandelnde (Aussatz) stellt aber die unfreiwillige Veränderung dar (die dann eintritt), wenn der Geist an seinem Denken ganz und gar verschnitten wurde, so daß vom Denkvermögen keinerlei Same übrig blieb, (wenn er) wie die in Dunkel und tiefer Finsternis Lebenden nichts von dem sieht, was er tun soll, sondern wie ein Blinder unvermutet auf alles stürzt und dauernde Fehltritte und einen unfreiwilligen Fall nach dem andern zu ertragen hat. [28] 131 Dem ähnlich aber ist die Vorschrift über das Haus, in dem der Aussatz oft aufzutreten pflegt; denn es heißt: „Wenn in einem Hause der Aussatz ausgebrochen ist, soll der Besitzer kommen und es dem Priester melden und sprechen: es scheint mir, als ob der Aussatz in dem Hause ausbricht“; dann fügt er hinzu: „und es wird der Priester anordnen, das Haus auszuräumen, bevor der Priester zur Besichtigung in das Haus hineingeht, und nicht wird unrein werden, was in dem Hause ist; und darauf soll der Priester zur Untersuchung hineingehen“ (3 Mos. 14, 34–36). 132 Demnach ist, bevor der Priester hineingeht, das im Hause Befindliche rein, sobald er aber hineingegangen ist, alles unrein; und doch wäre das Gegenteil anzunehmen, (nämlich) daß beim Eintritt eines reinen und vollkommenen Mannes, der die Gebete, Sühnungen und Gottesdienste für alle abzuhalten pflegt, das Innere gebessert und aus Unreinem zu Reinem werde. Nun aber bleibt es nicht einmal in demselben Zustande, sondern wendet sich zur schlechteren Seite nach dem Eintritt des Priesters. 133 Ob diese (Bestimmungen) aber bei wörtlicher, nächstliegender Deutung miteinander vereinbar sind, sollen die untersuchen, denen das gewohnt und lieb ist; ich aber muß dagegen sagen, daß nichts miteinander so gut in Zusammenhang steht, wie die Befleckung des Hauses mit dem Eintritt des Priesters. 134 Solange nämlich die göttliche Vernunft nicht in unsere Seele gewissermaßen wie in eine Wohnung gekommen ist, sind alle ihre Taten schuldlos;[107] denn der Aufseher oder Vater[102] oder Lehrer, oder wie man den Priester sonst nennen mag, von dem allein sie zurechtgewiesen und zur Vernunft gebracht werden kann, ist weit entfernt. Vergebung aber wird denen zuteil, die aus Unkenntnis sündigen, da sie nicht wissen, was sie zu tun haben; denn sie empfinden das auch gar nicht als Sünden, glauben vielmehr oftmals mit ihren Fehltritten großes zu vollbringen. 135 Wenn aber der wahre Priester, das uns überführende Gewissen.[108] in uns eingeht wie ein ganz reiner Lichtstrahl, [293 M.] dann erkennen wir (erst) die in uns liegenden, der Seele nicht frommenden Willensregungen und die tadelnswerten und Vorwurf verdienenden Taten, die wir aus Unkenntnis des (uns) Zuträglichen unternahmen. Das alles macht nun der priesterliche Überführer unrein und befiehlt, daß es ausgeräumt und herausgenommen werde, damit er das Haus der Seele selbst rein sehe und die Krankheiten heile, die etwa in ihm stecken. [29] 136 Das ahmt auch das [verwitwete] Weib in den Königsbüchern nach, das dem Propheten begegnet (1 Könige 17, 10); eine Witwe aber ist sie, nicht wie wir eine nennen, wenn sie ihren Mann verloren hat, sondern weil sie ledig[109] ist der Laster, die den Geist verderben und beflecken, so wie auch bei Moses die Thamar;[110] 137 denn auch dieser wurde, als sie verwitwet war, befohlen, sich zu setzen in dem Hause des einzigen und erlösenden Vaters (1 Mos. 38, 11), durch den sie zwar nach Aufgabe des Verkehrs und Umgangs mit den Sterblichen dauernd einsam und ledig menschlicher Freuden gehalten wird, aber göttliche Frucht empfängt und erfüllt mit dem Samen der Tugend schwanger geht und gute Taten gebiert. Sobald sie diese geboren hat, trägt sie den Preis über ihre Widersacher davon und wird als Siegerin eingetragen, als Sinnbild mit sich führend die Palme des Sieges; denn Thamar bedeutet Palme. 138 Es sagt aber zu den Propheten ein jeder Geist, der ledig und frei vom Bösen werden will: „Mann Gottes, du kamst zu mir, zu erinnern an mein Unrecht und an meine Sünde“ (1 Könige 17, 18). Wenn nämlich dieser Gottbegeisterte, von himmlischer Sehnsucht Ergriffene und durch die unwiderstehlichen Stacheln gotterfüllten Wahnsinns Aufgeregte in die Seele einzieht, erregt er den[103] Gedanken an alte Freveltaten und Sünden, nicht damit sie diese wieder begehre, sondern damit sie große Klage erhebe, ihren früheren Abfall bedaure, dessen Früchte verabscheue und sich von ihnen abwende, dem aber folge, worin sie der Interpret Gottes, der Logos und Prophet unterweist. 139 Denn die Vorfahren bezeichneten die Propheten als Männer Gottes oder als Schauende (1 Sam. 9, 9), womit sie die Gotterfüllten und die Betrachtung der Dinge, die ihnen eignete, richtig und zutreffend bezeichneten.[111]

[30] 140 Mit Recht sagte also der hochheilige Moses, daß die Erde dann verderbt wurde, als die Tugenden des gerechten Noah erschienen waren; „sie wurde aber“, heißt es, „verderbt, weil alle Fleischeslust[112] seinen Weg auf der Erde verdarb“ (1 Mos. 6, 12). 141 Manche werden wohl meinen, der Ausdruck sei hier fehlerhaft und das Sinnentsprechende und keinen Anstoß Erregende hieße so: „als alle Fleischeslust [294 M.] ihren eigenen Weg vernichtete“; denn es ist ungebräuchlich, einem weiblichen Worte, der Fleischeslust, ein männliches Pronomen[113] „seinen“ hinzuzufügen. 142 Es ist aber wohl nicht von der Fleischeslust allein die Rede, die ihren eigenen Weg vernichtet, in welchem Falle man mit Recht annehmen müßte, daß hier ein Mißgriff in der Ausdrucksweise vorliege, sondern von zweien, der Fleischeslust, die verderbt wird, und einem andern, dessen Weg sie zu verderben und zu vernichten versucht, so daß man folgendermaßen zu interpretieren hat: Es vernichtet alle Fleischeslust den zu Gott führenden vollkommenen Weg des Ewigen und Unvergänglichen. 143 Dieser (Weg), wisse, ist die Weisheit; denn auf ihr, die breit und gangbar ist, dahinwandelnd gelangt der Geist bis zum Ziele; das Ziel des Weges aber ist das Erkennen und die Kenntnis Gottes. Diesen Weg haßt und verabscheut und sucht zu vernichten jeder Genösse der Fleischeslüste; denn nichts ist einander so zuwider wie die Erkenntnis der Fleischeslust. 144 Den Angehörigen des Sehergeschlechtes, Israel genannt[114] nun, die diese Königsstraße wandeln wollen,[104] widerstreitet Edom, der Irdische[115] – denn so heißt er in Übersetzung – und droht, er werde sie eilends und mit aller Kriegsmacht von dem Wege abdrängen und diesen gänzlich unwegsam und ungangbar machen. [31] 145 Die abgeschickten Gesandten sagen nun folgendes: „Wir wollen durch deine Erde vorbeiziehen;[116] wir werden nicht durch Äcker, nicht durch Weinberge gehen, wir trinken kein Wasser deines Brunnens. Auf der Königsstraße werden wir ziehen; nicht nach rechts noch nach links wollen wir ausbiegen, bis wir deine Grenzen durchschritten haben. Edom aber antwortete und sprach: Du sollst nicht durch mich hindurchziehen, sonst werde ich mit Krieg dir entgegen ziehen. Und es sprachen zu ihm die Söhne Israels: am Gebirge wollen wir entlang ziehen. Wenn wir aber und das Vieh von deinem Wasser trinken, wollen wir dir eine Ehre geben;[117] aber die Sache hat nichts zu bedeuten,[118] wir wollen am Gebirge entlang ziehen. Er aber sprach: Du sollst nicht durch mich hindurchziehen“ (4 Mos. 20, 17–20). 146 Von einem der Alten[119] wird erzählt, daß er beim Anblick eines reich ausgestatteten Festzuges sich zu einigen seiner Schüler umwandte und sagte: „Meine Freunde, da seht ihr, was ich alles nicht brauche“, ein kleiner Spruch, durch den er eine große und wahrhaft himmlische Botschaft verkündete. 147 Was meinst du? Hast du im olympischen Kampfe gegen allen Reichtum den Siegeskranz erworben und über seine Schätze so die Herrschaft gewonnen, daß du nichts davon zum Genuß und Gebrauch behalten hast? Bewundernswert ist der Ausspruch, viel bewundernswerter aber die Gesinnung, die so eine Kraft besitzt, daß sie sofort und ohne Anstrengung einen überlegenen Sieg davontragen konnte. [32] 148 Doch nicht nur einem Einzelnen ist es erlaubt, die Anfangsgründe der Weisheit zu verkünden, in denen er von Moses unterwiesen wurde, sondern [295 M.] auch einem ganzen menschenreichen Volk. Beweis dafür ist folgendes: Es erkühnte sich und wagte die Seele eines jeden seiner Schüler, zu dem Könige aller scheinbaren Güter, zu dem irdischen Edom – denn irdisch sind tatsächlich alle auf Schein beruhenden[105] Güter – zu sprechen: „gleich werde ich durch deine Erde ziehen“. Was für ein außerordentliches und großartiges Unterfangen! 149 Ihr könntet, sagt es mir, über alle scheinbaren und als solche geltenden Güter der Erde hinwegschreiten, daran vorüberziehen und vorbeilaufen? Und keinerlei Widerstand wird euer Vorwärtsstreben aufhalten und zum Stehen bringen? 150 Werdet ihr vielmehr von den Schatzkammern des Reichtums, die ihr alle miteinander gefüllt erblickt, euch abwenden und den Blick ablenken, über die Ehrungen der Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits aber und die von der Menge gepriesenen Adelstitel euch hinwegsetzen? Und den Ruhm, für den die Menschen alles hingeben, werdet ihr hinter euch lassen wie etwas, das gar keiner Beachtung wert ist? Wie ferner? Werdet ihr vorübergehen an Gesundheit des Körpers, Schärfe der Sinne, erstrebenswerter Schönheit, unbezwingbarer Kraft und allem anderen, wodurch das Haus oder die Totenkammer der Seele, oder wie man es sonst nennen mag, geschmückt wird, so daß ihr nichts davon unter die Gattung der Güter zählt? 151 Das sind die großen Wagnisse einer olympischen und himmlischen Seele, die den irdischen Raum verlassen hat, sich aufschwang und unter den göttlichen Wesen weilt; denn da sie erfüllt ist von der Scham der echten und unvergänglichen Güter, hat sie sich natürlich von den zeitlichen und unechten losgelöst. [33] 152 Was hat es nun aber für Zweck, an allen irdischen Gütern der Sterblichen vorüberzugehen, aber nicht mit rechter Vernunft vorüberzugehen, sondern, wie es einige tun, aus Saumseligkeit oder Leichtsinn oder aus Unkenntnis derselben? Denn nicht alle stehen überall in Ehre, sondern die einen schätzen dies, die andern jenes. 153 Deshalb fügt er, um zu lehren, daß sie in richtigem Gebrauche der Vernunft zu Verächtern der genannten (Güter) geworden seien, dem „ich werde vorüberziehen“ die Worte hinzu: „durch deine Erde“. Denn das war das Wichtigste, daß sie, die sich inmitten aller unendlichen Vorräte der scheinbaren Güter befanden, sich von keinem der ausgestellten Netze fangen ließen, vielmehr imstande waren, dem Feuer gleich in einem einzigen Ansturm die mannigfachen und andauernden Einflüsse zu durchbrechen.[120] 154 Durch diese, sagen sie, „würden sie vorüberziehen“, nicht aber auch durch „die Äcker und Weinberge“; denn das wäre[106] eine zum Himmel schreiende[121] Torheit, an den edlen Seelenpflanzen vorüberzugehen, die edle Früchte, gute Reden und lobenswerte Taten, hervorbringen; nein, bleiben muß man[122] und ernten und in Fülle genießen; denn die schönste unter den vollkommenen Tugenden ist die unersättliche Heiterkeit, deren Sinnbilder die erwähnten Weinberge sind.[123] 155 Wir aber, [296 M.] auf die Gott von oben herab die Quellen der Güter niedertauen und regnen läßt, sollten wir aus einem Brunnen trinken und Tropfen auf der Erde suchen, wo uns der Himmel unaufhörlich bessere Nahrung regnen läßt als Nektar und Ambrosia, die in der Sage gepriesen werden? [34] 156 Werden wir ferner als Aushilfe und Zuflucht ein Werk des Kleinglaubens unternehmen und durch Menschenkunst aufbewahrtes Getränk heraufziehen, wir, denen der Allerlöser den himmlischen Schatz zu Nutz und Frommen öffnete? Denn der Weihepriester Moses betet, daß „der Herr uns öffne seinen guten Schatz, den Himmel, Regen zu spenden“ (5 Mos. 28, 12).[124] 157 Erhört aber wurden die Gebete des Gottesfreundes. Und wie? Du glaubst doch wohl nicht, daß einer, der weder Himmel noch Regen noch Brunnen noch überhaupt etwas Irdisches für fähig hält, ihn zu ernähren, sondern das alles überging und aus eigener Erfahrung sagte: „Gott, der mich ernährte von Jugend auf“ (1 Mos. 48, 15), alle Wasseransammlungen auf Erden auch nur eines Blickes gewürdigt hätte? 158 So wird wohl aus einem Brunnen nicht trinken mögen, wem Gott die reinen Rauschgetränke gibt, bald durch einen dienenden Engel, den er das Schenkenamt auszuüben würdigte, bald auch durch sich selbst, ohne jemanden zwischen den Geber und den Empfänger zu stellen. 159 So wollen wir nun unverzüglich versuchen, auf der Königsstraße zu wandeln, wir, die wir uns dazu entschlossen haben, am Irdischen vorüberzugehen. Eine Königsstraße aber ist der Weg, dessen Besitzer nicht ein einzelner Privatmann ist, sondern allein der auch in Wahrheit einzige König. 160 Das aber ist, wie ich auch schon etwas weiter oben sagte, die Weisheit, durch die allein bittenden Seelen die Zuflucht zum Ungewordenen gewährt wird; denn es ist[107] anzunehmen, daß, wer auf der Königsstraße ungehindert wandelt, nicht eher müde wird, als bis er den König getroffen hat. 161 Dann aber erkennen die Ankömmlinge seine Glückseligkeit und die eigene Nichtigkeit; denn auch als Abraham sich Gott nahte, erkannte er sogleich sich selbst als Erde und Asche (1 Mos. 18, 27). 162 Doch weder zur rechten noch zur anderen Seite sollen sie von der Königsstraße abbiegen,[125] sondern mitten auf ihr selbst fortschreiten. Die Abschweifungen nach beiden Seiten sind nämlich tadelnswert, da sie einerseits Übertreibung und dadurch Überspannung, andererseits Versäumnis und Erschlaffung mit sich bringen; denn hier ist das Rechte nicht weniger zu tadeln als das Linke. 163 Bei den unbesonnen Lebenden ist wohl die Tollkühnheit zur Rechten, die Feigheit aber zur Linken, bei Leuten von geringer Vornehmheit bezüglich des Geldausgebens [297 M.] ist der Geiz das rechte, verschwenderischer Aufwand das linke (Extrem); und manche, die im Berechnen überklug sind, meinen, man müsse den Betrug anstreben, die Naivität aber fliehen; und andere eilen der Götterfurcht als etwas Rechtem nach, weichen aber der Gottlosigkeit aus als etwas, das man fliehen muß.[126] [35] 164 Damit wir nun aber beim Abirren nicht gezwungen werden, uns mit den Krieg führenden Schlechtigkeiten einzulassen, wollen wir den Willen und Wunsch hegen, auf der Mitte der Straße fortzueilen. In der Mitte zwischen Kühnheit und Feigheit aber liegt die Tapferkeit, zwischen überschäumendem Leichtsinn und schmutzigem Geiz die Mäßigkeit, zwischen Frevelmut und Torheit die Einsicht, und zwischen Aberglaube und Gottlosigkeit die Frömmigkeit.[127] 165 Diese liegen in der Mitte zwischen den Abschweifungen nach beiden Seiten, alles zugängliche und gangbare Wege, auf denen man nicht mit körperlichen Organen, sondern mit den Regungen einer Seele einherwandeln soll, die beständig nach dem Besten strebt. 166 Hierüber ärgerte sich am meisten der irdische Edom – denn er bangte um die Abwehr und Zerstörung seiner eigenen Ansichten –, und er wird mit unversöhnlichem Kriege drohen, wenn wir den Durchzug erzwängen und stets die Frucht seiner Seele abschnitten und niedermähten, die er zum Verderben der Besonnenheit aussäte, aber (noch) nicht erntete; denn er sagt: „Du sollst nicht durch mich hindurchziehen, sonst werde ich im[108] Kriege dir entgegenziehen.“ 167 Aber ohne uns um eine seiner Entgegnungen zu kümmern, wollen wir antworten, daß „wir über das Gebirge ziehen werden“, das heißt, daß wir, gewohnt unter hohen und erhabenen Kräften zu weilen und alles begrifflich[128] zu analysieren, indem wir den jeweiligen Sinn eines jeden erforschen, wodurch sein Wesen erkannt wird, alles Äußerliche und Körperliche verachten; denn das ist niedrig und gar sehr am Boden klebend, dir wohl lieb, uns selbst aber verhaßt, weshalb wir nichts davon berühren wollen. 168 Denn wenn wir das, wie man so sagt, auch nur mit der äußersten Fingerspitze anrühren, werden wir dir Geschenk und „Ehre geben“; denn du wirst dich brüsten und verkünden, daß auch wir, die Tugendsamen, von den Verlockungen der Lust verführt wurden. [36] 169 „Denn wenn wir und unser Vieh“, heißt es, „von deinem Wasser trinken, werden wir dir eine Ehre geben“, nicht den bei den Dichtern sogenannten Sold,[129] Silber, Gold oder anderes, was Käufer und Verkäufer gegeneinander einzutauschen pflegen, sondern Ehre empfängst du jetzt als Geschenk. 170 Tatsächlich nämlich freut sich jeder Zuchtlose, Ungerechte und Feige, lacht und glaubt [298 M.] Ehre zu genießen, wenn er einen der sittenstrengeren Menschen die Anstrengung fliehen, von Gewinnsucht beherrscht oder sich einer Verlockung der Lust geneigt sieht; und er beginnt vor der großen Menge übermütig gestikulierend über seine eigenen Laster philosophische Reden zu halten, als ob es gar notwendige und nützliche Dinge wären, indem er sich darauf beruft, daß, wenn es nicht so wäre, ein Ehrenmann wie Ν. N. nicht nach solchen (Grundsätzen) gehandelt hätte. 171 Wir wollen nun jedem Bösewicht sagen: Wenn wir von deinem Wasser trinken, (d. h.) wenn wir mit irgendeiner von deinen unüberlegten Neigungen in Berührung kommen würden, so würden wir dir statt Schande und Unehre – denn deren bist du wert – Ehre und Beifall einbringen; denn gewiß ist auch „die Sache“, um die du dich bemüht hast, „keiner Beachtung wert“, überhaupt ein Nichts.[130] 172 Oder glaubst du, daß eins der irdischen Dinge in Wahrheit sei und existiere, nicht aber vielmehr, daß sie wie auf einer Schaukel trügerischer und[109] unsicherer Meinung schweben und zum leeren Räume hinabsinken, in nichts von trügerischen Träumen unterschieden? 173 Willst du aber nicht die Schicksale der einzelnen Menschen untersuchen, (so durchforsche) die Wandlungen ganzer Länder und Völker zum Besseren wie auch zum Schlechteren. Einst blühte Hellas, aber die Makedonier nahmen ihm seine Macht. Makedonien wieder blühte auf, aber in einzelne Teile zersplittert, verlor es seine Kraft, bis es vollständig zerstückelt wurde. 174 Vor den Makedoniern war das Reich der Perser vom Glücke begünstigt, aber ein einziger Tag vernichtete ihr volkreiches, großmächtiges Königtum, und jetzt herrschen Parther, einstmals ihre Untertanen, über die Perser, die noch vor kurzem ihre Fürsten waren. Einst blähte sich Ägypten herrlich und weit, doch wie eine Wolke ging sein großer Wohlstand dahin. Was ist aus den Äthiopern geworden, was aus Karthago und dem libyschen Reich? Was sind die Könige von Pontus? 175 Was ist Europa und Asien und, um es kurz zu sagen, die ganze Welt? Wird sie nicht nach oben und unten gejagt und gestoßen wie ein Schiff auf hoher See, das bald günstigen, bald aber auch widrigen Winden gehorcht?[131] 176 Denn es dreht sich im Kreise der göttliche Logos, den die meisten Menschen Schicksal nennen; und dann strömt er jeweils über Staaten und Völker und Länder dahin und teilt den Besitz der einen den andern und den aller allen zu, durch den Zeitenwechsel allein den Besitzstand der Einzelnen vertauschend, auf daß die ganze Welt, wie ein einzelner Staat, die Demokratie, die beste der Verfassungen, genieße.[132] [37] 177 Es gibt also kein Werk und kein Ding aus menschlichem Bemühen, sondern ein Schatten ist's, und ein Wind, der vorüberfährt, bevor er nur angehalten hat. Denn er kommt und geht wieder dahin wie bei Flut und Ebbe; denn das zurückebbende Meer wird manchmal mit Sturmesbrausen gewaltsam getrieben und sich ergießend macht es das bisherige Festland zum See; manchmal aber auch weicht es zurück und verwandelt einen großen Teil des Meeres in Land. 178 So lenkte auch manchmal [299 M.] der Wohlstand, der ein großes 178 und menschenreiches Volk überschwemmte, den Lauf seines Stromes ab und ließ auch nicht einen kleinen Tropfen zurück, damit auch[110] nicht eine Spur der früheren Üppigkeit übrigbliebe. 179 Hiervon aber haben nicht alle Menschen richtige und vollständige Begriffe, wohl aber die, die gewohnt sind, der richtigen und gefestigten Begriffsbestimmung und Begründung nachzugehen. Denn die sagen selbst beides, sowohl daß die ganze Beschäftigung mit der geschaffenen Welt „nichts wert sei“, wie auch daß wir „über das Gebirge ziehen“ wollen; 180 denn es ist nicht möglich, daß einer, der nicht auf hohen Begriffsbahnen wandelt, auf das Sterbliche verzichtet, zum Unvergänglichen aber sich wendet und (zu ihm) übersiedelt. So beabsichtigt der irdische Edom die himmlische Königsstraße der Tugend zu versperren, der göttliche Logos aber wiederum seine und die seiner Gesinnungsgenossen. 181 Als deren einer ist auch Bileam zu bezeichnen; denn auch er ist ein Erdengeschöpf, kein himmlischer Sproß. Beweis aber dafür ist folgendes: Da er Vorzeichen und trügerischen Weissagungen nachging, „sah er“, da sein Seelenauge geschlossen war, auch als er aufblickte, nicht „den Engel Gottes gegenüberstehen“ (4 Mos. 22, 31),[133] wandte sich um und ließ vom Unrecht ab, sondern wurde, da der Strom der Torheit, dem er sich hingab, groß war, von ihm überschwemmt und ertrank. 182 Denn dann sind wahrhaftig die Krankheiten der Seele nicht nur schwer zu heilen, sondern völlig unheilbar, wenn wir, sobald das Gewissen sich meldet – das aber ist der göttliche Logos, ein leitender und das im Wege Stehende wegräumender Engel, auf daß wir, ohne zu straucheln, auf der breiten Straße dahinschreiten (Psalm 91, 11. 12)[134] – unsere eigenen urteilslosen Meinungen seinen Anweisungen vorziehen, die er zur Ermahnung und Warnung und zur besseren Einrichtung des ganzen Lebens dauernd zu erteilen pflegt. 183 Deshalb wird der Ungehorsame, der sich nicht umkehrt zu dem ihm entgegenschreitenden Gewissen „den Untergang mit samt den Verwundeten“ (4 Mos. 31, 8) erhalten, die die Leidenschaften durchbohrten und verwundeten. Sein Unglück aber wird den noch nicht völlig Entsühnten eine ausreichende Lehre werden, zu versuchen, den Richter im Innern gnädig zu stimmen. Es wird ihnen aber gelingen, wenn sie nichts von dem umstoßen, was er für recht erkannte.


  1. Gemeint ist, wie der MT zeigt, hiernach, was Philo absichtlich mißversteht. Natürlich faßt er den Vorgang nicht als einmalig, sondern als ständig eintretend. Der Doppelsinn von ἄγγελος, das im Text nicht Bote, sondern Engel bedeutet, ist im Deutschen nicht wiederzugeben; bezeichnend ist, wie die folgende Deutung über das Attribut Gottes hinweggeht. In den Schlußworten folgt Philo der LXX gegen den MT, nach dem sie gebaren ihnen zu übersetzen wäre.
  2. Über die Riesen § 19ff.
  3. Ebenda § 30f. Zum Gedanken, daß der Leib die Seele belaste, vgl. Heinemann, Poseidonios' metaphysische Schriften I 56 und 140, der besonders auf Weish. Sal. 9,15 aufmerksam macht.
  4. Die Weihgefäße (περιρραντήρια) sind zu erklären aus dem bei Philo häufigen Bilde der Seele als eines Gefäßes (ἀγγεῖον) der Tugend, so z. B. De congressu § 21, Quis rerum div. her. § 311, De fuga et invent. § 194. Auch σῶμα und αἴσθησις sind ἀγγεῖα ψυχῆς, Über die Nachkommen Kains § 137.
  5. Vgl. Über die Einzelgesetze II § 42: παρευημέρησαν αἱ κακίαι.
  6. Über das Motiv der Zeugung Gottes nicht für sich, sondern für die erwählten Menschen vgl. mein Buch Pneuma Hagion 52ff.; Heinemann, Monatsschr. für Gesch. u. Wiss. d. Jud. 66, 272ff.
  7. Philo verwertet den Doppelsinn von ἀνάγειν, das nicht nur darbringen, sondern auch auf etwas zurückführen bedeuten kann. Abraham schreibt also den Isaak nicht sich, sondern Gott zu. – Die Attribute „einziger“ und „geliebter“ (μόνος, ἀγαπητός) treten in der mystisch-religiösen Literatur der Spätantike – der Heiden ebenso wie der Christen – bei Göttersöhnen oder deren Hypostasen auf. Vgl. bei Philo De ebrietate § 30; τὸν μόνον καὶ ἀγαπητὸν αἰσθητὸν υἱὸν ... τόνδε τὸν κόσμον. Siehe unten § 31f.
  8. Über Anna (חַנָּה‎ = חִנָּה‎) und ihre allegorische Deutung vgl. Über die Trunkenheit § 145ff. De mut. nom. § 143f. De somniis I § 254.
  9. Über Samuel (von שׂוםsetzen, aufstellen) und seine allegorische Deutung vgl. De somniis I § 254f. Über die Wand. Abrah. § 196. Über die Trunkenheit § 144.
  10. Philo zählt nach der LXX vier Bücher der Könige, wobei 1. und 2. Sam. als die beiden ersten gelten an die sich 1. u. 2. Reg. anschließen.
  11. In dem ungenau zitierten Vers (vgl. Über die Cherubim § 84 und Anm.) faßt Philo meine Gaben als die von mir gegebenen statt die mir gebührenden.
  12. Vgl. Über die Weltschöpfung § 99f., wo Philo die Sieben noch über die Eins stellt; Allegor. Erkl. I § 15 und Über den Dekalog § 102–105, wo die Sieben mit der Eins als nahe verwandt bezeichnet wird; Über die Nachkommen Kains § 64. Zu dem im folgenden erwähnten Verhältnis der Sechszahl zur Sieben vgl. Über die Einzelges. II § 56–64.
  13. Philo verwertet den Doppelsinn von στεῖρος, das an der Bibelstelle, wie der MT zeigt, unfruchtbar bedeuten soll, aber auch fest, unnachgiebig bedeuten kann. Anders deutet er die Stelle De mut. nom. § 143f.
  14. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 180f. Die Gegenüberstellung der Pflichten gegen die Menschen auf der einen und gegen die ganze Welt und Gott auf der andern Seite spiegelt die Lehre der jüngeren Stoa wieder, die zwischen einem kleinen Staate, dem der Menschen, und einem großen, dem Kosmos, unterschied, denen beiden der Weise zu dienen hat; vgl. Seneca De otio 4,1. Ep. 68, 2. Epiktet Diss. II 5, 26. III 22, 83f. und hierzu Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epiktet, Stuttgart 1894, 93.
  15. Daß Philo in seinem Septuagintatext (ἐνεθυμήθη ὁ θεὸς, ὅτι ἐποίησε τὸν ἄνθρωπον ἐπὶ τῆς γῆς, καὶ διενοήθη) das ἐνθυμεῖσθαι als Nachdenken (ἔννοια), das διανοεῖσθαι als Entschluß (διανόησις) auffaßt, geht aus §§ 33 und 34 hervor, und es muß dementsprechend hier schon in diesem Sinne übersetzt werden. Tatsächlich war im hebräischen Urtext hier von Reue und Zorn Jahwes die Rede: וַיִּנָּחֶם יְהוָה כִּֽי־עָשָׂה אֶת־הָאָדָם בָּאָרֶץ וַיִּתְעַצֵּב אֶל־לִבֹּו׃‎ Schon die LXX haben in ihrer Übersetzung diese Stelle abgeschwächt, und Philo nimmt ihr hier im Sinne der antiken Lehre von der Affektlosigkeit Gottes den letzten Rest des Anstößigen; vgl. zur Sache Max Pohlenz, Vom Zorne Gottes, 8 u. ö.
  16. Gemeint sind die Stoiker, denen Philo auch sonst einen Ehrenplatz unter den Philosophen einräumt; vgl. De migrat. Abrah. § 128: παρὰ τοῖς ἄριστα φιλοσοφήσασιν. De plant. § 49: εἶπον oἱ πρῶτοι.
  17. So auch Mangey; der Zusammenhang spricht eher dafür, ἁρμόττω in der Grundbedeutung fügen (ἁρμονία Fügung, Schicksal) zu fassen: „alle Schickungen zu meistern“.
  18. Zu Moses.
  19. Vgl. Über die Riesen § 49 und Anm.
  20. Über diese Symphonie in der Seele des Weisen vgl. Zenon fg. 179 Arn.
  21. Nach einer verbreiteten Anschauung (Posidonius bei Sen. Ep. 90, 22) beruhen unsere Werkzeuge auf Nachbildung natürlicher Organe.
  22. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 106 Anm.
  23. Zur „Windstille“ der Seele vgl. die Anm. zu Über die Geburt Abels § 16.
  24. Diese merkwürdige Spekulation Philos geht im wesentlichen auf posidonische Gedanken zurück, wie wir sie bei Plutarch Quaestion. Platon. 1007 C finden: εἰκόνες δ᾽ εἰσὶν ἄμφω τοῦ θεοῦ, τῆς μὲν οὐσίας ὁ κόσμος τῆς δ᾽ ἀιδιότητος ὁ χρόνος [79] ἐν κινήσει, καθάπερ ἐν γενέσει θεὸς ὁ κόσμος. ὅθεν ὁμοῦ γεγονότας φησὶν ὁμοῦ καὶ λυθήσεσθαι πάλιν, ἄν τις αὐτοὺς καταλαμβάνῃ λύσις. (vgl. Tim. 38 B.) οὐ γὰρ οἷὸν τ᾽ εἶναι χωρὶς χρόνου τὸ γενητὸν ὥσπερ οὐδὲ τὸ νοητὸν αἰῶνος, εἰ μέλλει τὸ μὲν ἀεὶ μένειν τὸ δὲ μηδέποτε διαλύεσθαι γιγνόμενον. Hiermit verbindet Philo erstens die auch sonst sich bei ihm findende Lehre vom Kosmos als dem Sohne Gottes (Über die Trunkenheit § 30. Leben Mos. II § 134. Über die Einzelges. I § 96), eine Lehre, die sich auch bei Plutarch (Quaest. Platon. 1001 B) angedeutet findet, der ausdrücklich Gott als den Vater der Welt bezeichnet, und die im Poimandres IX 8 in voller Ausbildung erscheint. Zweitens drückt er die Zeit, die nach Plato (Tim. 38 B) und Posidonius (Gronau, Poseidonios u. die jüdisch-christl. Genesisexegese, Leipzig 1914 S. 43ff.) mit dem Himmel und der Welt zugleich entstand, in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis zum Kosmos herab, in dem dieser zur Gottheit steht, und bezeichnet sie als Sohn des Kosmos. Philos Tendenz, der Zeit (χρόνος) eine möglichst niedrige Stellung anzuweisen, entspringt aus einer Polemik gegen die Spekulation von der Zeit (χρόνος = Χρόνος = Κρόνος) als dem Urprinzip und der obersten Gottheit; vgl. meine Anmerkung zu Über die Geburt Abels usw. § 77.
  25. Der κόσμος νοητός, der platonischen Ideenwelt entsprechend.
  26. Plato, Tim. 37 D: διακοσμῶν (ὁ θεός) ἅμα οὐρανὸν ποιεῖ μένοντος αἰῶνος ἐν ἑνὶ κατ' ἀριθμὸν ἰοῦσαν αἰώνιον εἰκόνα, τοῦτον ὃν δή χρόνον ὠνομάκαμεν. Über die Weiterwirkung dieser Stelle in den auf Posidonius zurückgehenden Kommentaren zum Timaeus vgl. Gronau, Poseidonios u. d. jüd.-christl. Genesisexegese, Leipzig 1914 S. 41f. und im Neuplatonismus meine Abhandlung: Die Begriffe der Zeit und Ewigkeit im späteren Platonismus (Beitr. z. Gesch. d. Philos. d. Mittelalters ΧΙII 4).
  27. ἔννοια καὶ διανόησις = „ἐνεθυμήθη ὁ θεὸς ... καὶ διενοήθη“.
  28. Vgl. hierzu Alleg. Erklär. II § 22ff. und Anm. dazu.
  29. In συμφυΐα (vgl. § 40) wird die Wurzel φυ, von der φύσις stammt, empfunden; eine φύσις hat der lebende Baum, aber nicht das losgerissene Holz.
  30. Die τριετηρίς gilt als der älteste Zyklus kultischer Feste; vgl. Horn. Hymn. 34, 11; Herod. 4, 108.
  31. Philo folgt den Stoikern, die gegen Plato und Arietoteies den Pflanzen eine ψυχή absprachen, weil sie die vegetative Kraft (φυτικὴ δύναμις) nicht ψυχή nennen wollten. Belege bei A. Bonhöffer, Epiktet und die Stoa, Stuttgart 1890 S. 67ff. Philo geht dann weit über die Stoa hinaus, so daß im folgenden die Pflanzen von beseelten Wesen kaum zu unterscheiden sind, hält sich aber streng an die stoische Terminologie.
  32. αἴσθησις, φαντασία, ὁρμή nach stoischer Terminologie.
  33. Philo leitet αἴσθησις von εἴσθεσις ab.
  34. Nach Zenos Definition (Arnim, Stoic. vet. fr. I 58), auf Grund deren Kleanthes das Bild von der φαντασία als des Abdruckes eines Petschaftes in Wachs gebraucht (Arnim, ebd. I 484).
  35. Siehe Über die Einzelges. I § 106 und Anmerkung dazu; Über die Weltschöpfung § 166; Alleg. Erklär. I § 61. Arnim a. a. Ο. II 843ff.
  36. Eine nur bei Philo auftretende Definition der ὁρμή, die sonst wohl als Bewegung der Seele (Plutarch. Advers. Colot. 1122 D: ἡ ὁρμή, κίνησις οὖσα καὶ φορὰ τῆς ψυχῆς), aber nicht als „erste“ Bewegung bezeichnet wird.
  37. Vgl. Aristot. Topic. 1, 17 p. 108 a 11: ὡς ὄψις ἐν ὀφθαλμῷ, νοῦς ἐν ψυχῇ. Eth. Nic. 1, 6 p. 1096 b 28: ὡς γὰρ ἐv σώματι ὄψις, ἐν ψυχῇ νοῦς, vgl. Rhet. 1411 b 13. Chalc. in Tim. 266: Stoici deum visum vocantes, quod optimum putabant. Siehe Über die Weltschöpfung § 53. Über die Nüchternheit § 5.
  38. Das Licht offenbart sich selbst und die beleuchteten Dinge; Über die Einzelges. I § 42 u. ö.
  39. Unter den göttlichen Wesen sind die Sterne zu verstehen, die aus Äther bestehen, in dem Philo eine fünfte Substanz neben und über den vier Elementen sieht (Quis rer. div. her. § 283. Quaest. in Gen. III § 6), die er aber meist mit dem vierten Elemente, dem Feuer, in eins setzt.
  40. Jüngere Stoiker: Heinemann, Pos. met. Schr. I 59.
  41. Siehe die übernächste Anmerkung.
  42. Beide Worte können im Griech. auch aktiv (gute und schlechte Führung) verstanden werden.
  43. Philos Spekulation von der Willensfreiheit, die dem Menschen dadurch gegeben ist, daß er von der Gottheit Anteil an dem über der Notwendigkeit (ἀνάγκη) stehenden νοῦς erhielt, stimmt aufs genaueste mit der in den hermetischen Schriften überlieferten Mystik zusammen, nach welcher der νοῦς im Menschen aus der über den Gestirnsphären gelegenen Ätherregion stammt und darum über der εἱμαρμένη (oft gleich ἀνάγκη) steht, die vor allem an die Tätigkeit der Planeten geknüpft ist. Wir haben also die Reihe: νοῦς, ἀνάγκη, φύσις, der im Weltgebäude αἰθήρ, ἀστέρες und die Welt unter dem Monde entsprechen. Durch seinen Anteil am νοῦς ragt also der Mensch über φύσις und ἀνάγκη in die Ätherregion und damit in die unmittelbare Nähe Gottes empor. Vgl. hierüber und über die Quellen dieser Mystik, unter denen die Philosopheme des Posidonius eine führende Rolle spielen, J. Kroll, Die Lehren des Hermes Trismegistos, Münster 1914, 214ff.
  44. Über den Geist als Richter in uns vgl. Über die Nachkommen Kains § 59 u. die dort in der Anm. gesammelten Stellen.
  45. Das folgende ergibt, daß Philo hier das ἐθυμώθην im Sinne von „zürnen, ergrimmen“ faßt, während er das vorausgehende ἐνεθυμήθη mit der ἔννοια zusammenstellte und als „Nachdenken“ deutete. Zu Text und Übersetzung der Schlußworte vgl. § 70ff.
  46. ὅτι kann hier daß oder sofern, da, weil bedeuten.
  47. Vgl. § 21. Gemeint sind nicht, wie Geffcken (Die altchristliche Apologetik, N. J. VIII 1905. 633) annimmt, heidnische Angreifer der jüdischen Schriften, sondern Leute aus dem jüdischen Volke selbst; vgl. auch M. Pohlenz, Vom Zorne Gottes 8.
  48. Νόμος hat eine viel weitere Bedeutung als unser Gesetz; es heißt auch Sitte, Regel usw.
  49. Philo denkt natürlich nicht an die in den Ausgaben angemerkte Stelle 5 Mos. 1,31: ὡς ἐτροφοφόρησέν σε κύριος ὁ θεός σου, ὡς εἴ τις τροφοφορήσει ἄνθρωπος τὸν υἱὸν αὐτοῦ (Mangey dachte an Textverderbnis bei Philo!), sondern zitiert 5 Mos. 8, 5: ὡς εἴ τις παιδεύσαι ἄνθρωπος τὸν υἱὸν αὐτοῦ, οὕτως Κύριος ὁ θεός σου παιδεύσει σε. Gerade auf παιδεύσει legt die folgende Deutung Wert.
  50. Über die Schöpfung durch das Wort vgl. Über die Geburt Abels § 65, Über den Dekalog § 47. De somniis I § 182 und zum Motiv im allgemeinen J. Kroll a. a. O. 148f.
  51. Vgl. Über die Weltschöpfung § 31, wo schon das νοητὸν φῶς ein Abbild der göttlichen Vernunft ist.
  52. Statt παυσάμενος lese ich mit Wendland ἀποπατήσας.
  53. Ζ. Β. 5 Mos. 32,41. Vom „Feuer“ ist ebd. V. 22 die Rede; den Sturm denkt Philo wohl zum Blitz hinzu, an Stellen außerhalb der Thora, wie 2 Sam. 22, 16, Jes. 10, 33 oder Hiob 4, 9 hat er schwerlich gedacht.
  54. So vor allem Homer, Il. 21, 400ff., 17, 593ff. u. ö.
  55. Philo polemisiert häufig gegen die, die Gott dem Himmel oder dem Kosmos gleichsetzen, und meint damit die Chaldäer (Über Abrah. § 69) und die Stoiker (Über die Einzelges. I § 13). Vgl. mein Buch Der Heilige Geist 62, 1 u. 2.
  56. Siehe Cohns Einleitung zum I. Bande S. 15.
  57. Siehe Über die Cherub. § 15, wo Philo denselben aus Plato Rep. 389 entlehnten Gedanken ausdrückt.
  58. Philo zitiert den Bibelvers hier und Quaest. in Gen. I § 95 richtig; § 51 ist αὐτόν statt αὐτούς vielleicht nur Textfehler.
  59. Εὐθυβόλως ist wohl nicht mit Wendland (Rh. Mus. 1897, 481) als pleonastischer Zusatz zu κυριολογούμενον zu fassen, übrigens bemerkt Philo nicht oder läßt doch nicht merken, daß mit § 71 eine neue der vorigen widersprechende Deutung beginnt; wesentlich klarer ist seine Darstellung Quaest. in Gen. I 95, auch bezüglich der (von Mangey nicht richtig verstandenen) Auffassung des doppelten ὅτι.
  60. Die vier stoischen Affekte (vgl. Arnim, Stoic. vet. frg. I 211), nur daß an erster Stelle statt der ἐπιθυμία die ὀργή eingesetzt ist.
  61. Philo benutzt den Doppelsinn des griechischen ὅτι, das sowohl daß wie auch weil bedeuten kann, und will in den Sätzen: ὅτι ἐθυμώθην, ὅτι ἐποίησα αὐτούς das erste ὅτι als „weil“ und das zweite als „daß“ verstanden wissen. Genau so verfährt er All. Erkl. II § 78 mit dem doppelten ὅτι 4 Mos. 21, 7.
  62. θυμός, das Philo nach § 71 im allgemeinen Sinne von Affekt überhaupt verstanden wissen will.
  63. Die Schwierigkeit entsteht erst durch die LXX, die ἄκρατος allgemein = Wein versteht.
  64. πίλημα αἰθέριον; ebenso Über die Cherubim § 26. Schon Anaximander (Diels, Vorsokratiker 2, 18) nannte die Sterne πιλήματα ἀέρος τροχοειδῆ, πυρὸς ἔμπλεα, Heraklit und Parmenides (Diels 12 A 11): πιλήματα πορός. – De somniis I § 22 nennt Philo die Sterne πιλήματα ἀδιάλυτα αἰθέρος. Über die ihm vorliegende doxographische Quelle vgl. P. Wendland in den Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. XXXIII (Berlin 1897) S. 1075ff.
  65. Nach Chrysipp entsteht der Sehakt auf folgende Weise: Aus dem ἡγεμονικόν strömt der Sehpneuma (ὁρατικὸν πνεῦμα) in die Pupille. Dieses Pneuma verursacht durch seinen Anprall mit der das Auge umgebenden Luft eine kegelförmige Wellenbewegung. Vermittels dieses Luftkegels nun soll sich das Sehpneuma mit den Dingen berühren, worauf der Sehakt erfolgt. L. Stein, Psychol, d. Stoa Berlin 1886 S. 127f. Arnim, Stoic. vet. fr. II 866f.
  66. Nach dein hebräischen Text: „Einmal hat Gott geredet, zweimal habe ich dies vernommen, daß die Macht bei Gott ist“. Der Vers ist ein sogenannter Zahlenspruch mit Aufsteigen zu der nächst höheren Zahl; das „zweimal“ steht hier im Sinne von „mehrmals, wiederholt“.
  67. Vgl. Über die Riesen § 52 und Anm.
  68. Der psychologische Prozeß ist nach stoischer Lehre geschildert; vgl. Plut. plac. phil. IV 21 (Aet. Diels 411): ἀκοὴ δὲ πνεῦμα διατεῖνον ἀπὸ τοῦ ἡγεμονικοῦ μέχρις ὤτων.
  69. 1 Mos. 6, 7 f.: Übergang zur Deutung von V. 8.
  70. Philo verwertet im folgenden den Doppelsinn von χάρις = Gunst und Gnade.
  71. Philo verwertet den Doppelsinn von εὐχή Gelübde und Gebet. Gemeint ist das Gelübde des Nasir: Über die Einzelges. I § 247 ff. und Anm.
  72. Eine Definition des Gebets (εὐχή in dem Doppelsinn von Gebet und Gelübde), die bei Philo mehrmals wiederkehrt; vgl. Über die Geburt Abels § 53, Über die Landwirtschaft § 89. Über die μεγάλη εὐχή vgl. Über die Trunkenheit § 2. Über die Einzelges. I § 248.
  73. Nämlich der Nasir, der wiederfindet, was er schon einmal besaß, siehe § 86 und 87.
  74. Num. 6, 9: ἐὰν γάρ τις ἀποθάνῃ ἐπ᾽ αὐτῷ αἰφνίδιον, παραχρῆμα μιανθήσεται ἡ κεφαλὴ εὐχῆς αὐτοῦ, καὶ ξυρήσεται. 12: αἱ δ᾽ ἡμέραι αἱ πρότεραι ἄλογοι ἔσονται, ὅτι ἐμιάνθη κεφαλὴ εὐχῆς αὐτοῦ. Vgl. Über die Landwirtschaft § 175ff., wo Philo diese Verse anführt und auslegt, und De fuga et invent. § 115, Alleg. Erkl. I § 17 und Anmerkung dazu.
  75. Siehe die Anm. zu Über die Landwirtschaft § 179.
  76. Ein Ausspruch, der sich bei Theokrit Id. XIV 48 findet:

    Ἄμμες δ' οὔτε λόγῳ τινὸς ἄξιοι, οὔτ' ἀριθματοί,
    Δύστανοι Μεγαρῆτες, ἀτιμοτάτῃ ἑνὶ μοίρᾳ,

    und der nach dem Scholion zu diesen Versen (Scholia in Theocr. rec. C. Wendel p. 302 ad XIV 48, 49) auf einen Orakelspruch zurückgeht, den die Megarer erhielten, als sie den Gott fragten, wer tüchtiger als sie sei, und in dem es am Schluß heißt:

    ὑμεῖς δ', ὦ Μεγαρεῖς, οὔτε τρίτοι οὔτε τέταρτοι
    οὔτε δυωδέκατοι, οὔτ' ἐν λόγῳ οὔτ' ἐν ἀριθμῷ.

  77. Ὁ ἀσκητής, ständiger Beiname des Jakob bei Philo.
  78. Isaak. Vgl. Philos Auslegung dieser Stelle Über die Geburt Abels § 64. Über die Trunkenheit § 119f. De fuga et invent. § 169.
  79. Eine ähnliche Interpretation dieser Bibelstelle gibt Philo De fuga et inv. § 175ff.
  80. Zu πόλις und οἰκία = ἀρετή vgl. Alleg. Erklär. III § 1ff. Über die Wand. Abrah. § 18.
  81. Dagegen hat nach Über die Geburt Kains § 115 das Streben nach Tugend seinen Selbstwert, auch wenn es erfolglos bleibt.
  82. Absichtlich freie Wiedergabe des Schriftwortes „ihr zoget“.
  83. Ich folge Wendlands und Cohns Konjektur κόλουσις statt κώλυσις.
  84. Philos Ableitung des Wortes βίαιος gewaltsam von βαιός knapp ist nicht besser als obiges Wortspiel.
  85. Ein bei Philo sehr häufiges, ursprünglich kynisches Bild zur Bezeichnung der von Gott geprägten Menschenseele. In der hellenistischen Mystik (auch des Christentums) treten an dessen Stelle σφραγίς, σφραγίζεσθαι und Ähnliches, oft ganz in demselben Sinne.
  86. Über das Motiv der Weltschöpfung durch Gottes Güte vgl. Alleg. Erklär. III § 78 und Über die Cherubim § 127 mit den dazugehörenden Anmerkungen. – Der Text folgt Wendlands Rekonstruktion.
  87. Es ist quellenkritisch zu beachten, daß Philo hier Gnade finden trotz der § 106 vorgebrachten Bedenken wörtlich versteht; ebenso Quaest. in Gen. I § 96.
  88. Über die Kräfte Gottes, die Philo in den Worten κύριος und θεός ausgedrückt findet, vgl. Cohns Einleitung zu Band I dieses Übersetzungswerkes S. 19. Über die Einzelgesetze I § 41ff.
  89. Ich lese mit Cohn λέγει für λέγεται.
  90. Ich setze δεικνύντος αὐτόν statt δεικνὺς ἑαυτόν nach Cohns Konjektur.
  91. Über diese Allegorie vgl. Alleg. Erklär. III § 236. Über die Trunkenheit § 211. De mut. nom. § 173. Über Joseph § 61ff. Philo überträgt Eigenschaften des Eunuchen auf den ihm „verkauften“ Joseph.
  92. Vgl. Über die Riesen § 62 und Anmerkung.
  93. Ich setze mit Wendland διάλογοι für das von Cohn getilgte σύλλογοι. – Zur Sache vgl. Über die Trunkenheit § 213. Über die Wand. Abrah. § 69. De mut. nom. § 205. De somniis II § 184. Über die Einzelges. I § 325 u. die Anmerk. dieser Stelle.
  94. Über erloste (κλήρῳ ἄρχοντες) und erwählte Beamte vgl. Über die Einzelges. IV § 151ff.
  95. Nur der Weise ist frei.
  96. In Wahrheit ist natürlich gemeint: Dies ist die Geschlechtsfolge Noahs, (der) ein gerechter Mann usw. war. Philo bezieht aber die Überschrift der ganzen Noaherzählung in willkürlichem Mißverständnis nur auf die Angaben des gleichen Verses, indem er unter γενέσεις nicht wie sonst (Über Abraham § 31ff.; Quaest. in Gen. I § 97) die Erzeuger, sondern die Erzeugten versteht und die folgenden Eigenschaften Noahs als diese Erzeugnisse faßt; dies legt auch der MT nahe; daher die in der Anmerk. zu Über Abraham angeführten Parallelen. Die Übersetzung trägt der folgenden Deutung Rechnung.
  97. Vgl. Über Joseph § 2ff.
  98. Nämlich Jakob, der ἀσκητής.
  99. Joseph ist bei Philo ὁ τῶν τοῦ σώματος ἐπιτηδείων προστάτης (De mut. nom. § 89), (ὅλος) εἰς τὰς τοῦ σώματος καὶ τῶν αἰσθήσεων (εἰσδεδυκώς) (Über die Nachstell. § 17).
  100. Nach unserem Bibelvers; Vgl. Über die Nüchternheit § 12.
  101. Die Bezeichnung der Mägdesöhne als unebenbürtig (ebenso All. Erkl. II § 94, Über die Nüchternheit § 12, Über die Tugenden § 224) entspricht griechisch-römischen, nicht jüdischen Rechtsbegriffen.
  102. Zwar gilt Noah Über die Landwirtschaft § 125ff. nicht als vollkommen, sondern als „Anfänger“; Philo sieht von dieser Auffassung und ihrer schriftmäßigen Begründung ab, da sie in unseren Zusammenhang nicht paßt.
  103. Philo nimmt den Ausdruck χρὼς ζῶν, der eigentlich wildes Fleisch bedeutet, in dem anderen Sinne, den χρώς im Griechischen haben kann, nämlich gleich χρῶμα Hautfarbe, wie aus § 125 hervorgeht, wo er χρῶμα für χρώς setzt.
  104. Die von Mangey aus dem Septuagintatext vorgeschlagene Hinzufügung αὐτόν macht hier den Sinn, in dem Philo den Vers verstanden wissen will, deutlicher.
  105. Nach dem hebräischen Text heißt die Stelle: Wenn sich eine aussätzige Stelle an einem Menschen zeigt, so soll man ihn zum Priester bringen. Und wenn der Priester wahrnimmt, daß sich ein weißer Grind auf der Haut befindet, an welchem die Haare weiß geworden sind, und daß wildes Fleisch in dem Grinde wuchert, so erweist sich [das Übel] an seiner Haut als ein veralteter Aussatz, und der Priester erkläre ihn für unrein, ohne ihn [erst] abzusperren, denn er ist unrein. Wenn aber der Aussatz durchweg auf der Haut ausbricht, so daß der Aussatz die ganze Haut des Betroffenen vom Kopf bis zu den Füßen bedeckt, wohin auch nur der Priester blicken mag, und der Priester wahrnimmt, daß der Aussatz den ganzen Leib bedeckt, so erkläre er den Betroffenen für rein: er ist ganz und gar weiß geworden und ist somit rein. – Zur allegorischen Auslegung Philos vgl. Über Noahs Pflanzung § 110f.
  106. Siehe oben Anm. zu § 50.
  107. Vgl. Alleg. Erklär. I § 35.
  108. Der Priester ist, wie immer, Symbol des Logos. Über den Logos als Gewissen bei Philo und in der Stoa vgl. mein Buch Der Heilige Geist 78, 6 (auf 81).
  109. Χηρεύειν bezeichnet nicht nur Witwenschaft, sondern ledigen Stand überhaupt; s. zu Über die Einzelges. III § 12.
  110. Über Thamar vgl. Alleg. Erklär. III § 7. De congr. § 124. De fuga et inv. § 149. De somniis II § 44. De mut. nom. § 184. Über die Tugenden § 221.
  111. Vgl. Über die Wand. Abrah. § 38. Quis rer. div. her. § 78.
  112. Ich übersetze hier Fleischeslust für σάρξ, um wie im Griechischen ein weibliches Wort zu bekommen, da sonst Philos Unterscheidung zwischen τὴν ὁδὸν αὐτοῦ und τὴν ὁδὸν αὐτῆς im Deutschen nicht wiederzugeben ist. Im übrigen wird § 143 unter σάρξ eben gerade σαρκὸς ἡδονή verstanden.
  113. Wörtlich: einen männlichen Kasus, nämlich αὐτοῦ statt αὐτῆς. – Zu der Beziehung eines Pronomens auf ein vorher gar nicht genanntes Wort vgl. All. Erkl. II 81.
  114. Israel erklärt Philo als ὁ ὁρῶν θεόν, vgl. Über Abraham § 57 und Anm.
  115. Über Edom und die Königsstraße vgl. zu Über die Nachkommen Kains § 101f.; Über die Wand. Abrah. § 146.
  116. Zur Übers. s. § 153f.
  117. Der Sinn ist eigentlich: „so wollen wir es bezahlen“; vgl. aber § 169. Τιμή kann Ehre und Wert bedeuten.
  118. Die Bibel meint: es macht keine Schwierigkeit; s. aber § 171ff.
  119. Von Diogenes; Cicero Tusc. V 91. Diog. Laert. II 25. Epicurea p. 296, 21.
  120. Philo urgiert die Härte des Ausdrucks: sie zogen durch die Erde vorbei, nicht durch sie hindurch oder an ihr vorbei.
  121. Ich lese nach Mangeys Konjektur διωλύγιος = weithin sich erstreckend, weithin schallend.
  122. Philo versteht also: „an dem Lande (= Erde) werden wir vorbeiziehen, aber Felder und Weinberge nicht durchwandern“, sondern darin weilen!
  123. Über den Weinberg als Sinnbild der Heiterkeit vgl. § 96 und De fuga et inv. § 176. De somniis II § 174.
  124. Über die Auslegung dieser Stelle vgl. Alleg. Erklär. III § 104. Quis rer div. her. § 76.
  125. Vgl. Über die Nachstellungen § 101. Über die Riesen § 64.
  126. § 142f.
  127. Nach den Definitionen der Tugenden bei Aristoteles, Eth. Nic. 9. 1115 a 13ff.
  128. Philo verwertet (was Mangey übersieht) in einer nicht wiederzugebenden Weise den Anklang von ὄρος Berg an ὅρος Begriff.
  129. ὦνος, von Dichtern gebraucht, z.B. Il. 21, 41. Od. 14, 297. Theocr. 1, 58 u.ö.
  130. Philo greift auf das Bibelwort (s. zu § 145) zurück und faßt πράγμα, das wir mit Sache wiedergeben, im Sinne von Einrichtung, Staatswesen, was sprachlich möglich ist.
  131. Geffcken, Kynika und Verwandtes S. 2, 3 verweist auf folgende ähnliche Behandlungen des wechselvollen Erdenlaufs: Sen. Ep. 91, 9; Luc. Char. 25; Οv. Met. XV 424ff. An Posidonius als Vorlage denkt v. Scala, Studien des Polybius 177, 2 ohne Grund.
  132. Dadurch, daß die Machtunterschiede schwinden.
  133. Über Bileam und die allegorische Auslegung dieser Stelle vgl. Über die Cherubim § 32-36.
  134. Über den Logos als Engel vgl. Alleg. Erklär. III § 177. Über die Cherubim § 35. De confus. ling. § 146. De fuga et inv. § 5 und 203. De mut. nom. § 87. De somniis I § 240.
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