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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

oder Lehrer, oder wie man den Priester sonst nennen mag, von dem allein sie zurechtgewiesen und zur Vernunft gebracht werden kann, ist weit entfernt. Vergebung aber wird denen zuteil, die aus Unkenntnis sündigen, da sie nicht wissen, was sie zu tun haben; denn sie empfinden das auch gar nicht als Sünden, glauben vielmehr oftmals mit ihren Fehltritten großes zu vollbringen. 135 Wenn aber der wahre Priester, das uns überführende Gewissen.[1] in uns eingeht wie ein ganz reiner Lichtstrahl, [293 M.] dann erkennen wir (erst) die in uns liegenden, der Seele nicht frommenden Willensregungen und die tadelnswerten und Vorwurf verdienenden Taten, die wir aus Unkenntnis des (uns) Zuträglichen unternahmen. Das alles macht nun der priesterliche Überführer unrein und befiehlt, daß es ausgeräumt und herausgenommen werde, damit er das Haus der Seele selbst rein sehe und die Krankheiten heile, die etwa in ihm stecken. [29] 136 Das ahmt auch das [verwitwete] Weib in den Königsbüchern nach, das dem Propheten begegnet (1 Könige 17, 10); eine Witwe aber ist sie, nicht wie wir eine nennen, wenn sie ihren Mann verloren hat, sondern weil sie ledig[2] ist der Laster, die den Geist verderben und beflecken, so wie auch bei Moses die Thamar;[3] 137 denn auch dieser wurde, als sie verwitwet war, befohlen, sich zu setzen in dem Hause des einzigen und erlösenden Vaters (1 Mos. 38, 11), durch den sie zwar nach Aufgabe des Verkehrs und Umgangs mit den Sterblichen dauernd einsam und ledig menschlicher Freuden gehalten wird, aber göttliche Frucht empfängt und erfüllt mit dem Samen der Tugend schwanger geht und gute Taten gebiert. Sobald sie diese geboren hat, trägt sie den Preis über ihre Widersacher davon und wird als Siegerin eingetragen, als Sinnbild mit sich führend die Palme des Sieges; denn Thamar bedeutet Palme. 138 Es sagt aber zu den Propheten ein jeder Geist, der ledig und frei vom Bösen werden will: „Mann Gottes, du kamst zu mir, zu erinnern an mein Unrecht und an meine Sünde“ (1 Könige 17, 18). Wenn nämlich dieser Gottbegeisterte, von himmlischer Sehnsucht Ergriffene und durch die unwiderstehlichen Stacheln gotterfüllten Wahnsinns Aufgeregte in die Seele einzieht, erregt er den


  1. Der Priester ist, wie immer, Symbol des Logos. Über den Logos als Gewissen bei Philo und in der Stoa vgl. mein Buch Der Heilige Geist 78, 6 (auf 81).
  2. Χηρεύειν bezeichnet nicht nur Witwenschaft, sondern ledigen Stand überhaupt; s. zu Über die Einzelges. III § 12.
  3. Über Thamar vgl. Alleg. Erklär. III § 7. De congr. § 124. De fuga et inv. § 149. De somniis II § 44. De mut. nom. § 184. Über die Tugenden § 221.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/31&oldid=- (Version vom 22.2.2022)