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Über die Träume/Buch 2

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Über die Träume
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[225]
Zweites Buch.

[659 M.] [1] 1 Bei der Beschreibung der dritten Art gottgesandter Träume möchten wir wahrlich Moses als Helfer bei unserem Werke herbeirufen[1], damit er uns über die Zeichen, wie er sie erfuhr, ohne ihre Bedeutung zu kennen, uns, die wir sie auch nicht kennen, belehre und jedes beleuchte. Die dritte Art aber entsteht, wenn in den Träumen die Seele aus sich heraus bewegt und sich selbst umwendend[2] korybantisch schwärmt und, in Enthusiasmus geratend, durch ihre vorausschauende Kraft die Zukunft kündet. 2 Die erste Art[3] nämlich bestand darin, daß Gott mit der Bewegung beginnt und unsichtbar das uns Unbekannte, ihm aber Bekannte dabei einflüstert; die zweite aber darin, daß unser Geist sich mit der Weltseele zusammenbewegt und von gottgetragenem Wahnsinn erfüllt wird, wodurch es ihm möglich wird, viele künftige Ereignisse vorauszusagen. 3 Daher hat der Hierophant die der ersten Art entsprechenden[4] Erscheinungen ganz deutlich und sehr klar kundgetan, weil Gottes Eingebungen in den Träumen klaren Orakelsprüchen gleichen, die zur zweiten gehörenden weder ganz klar noch allzu dunkel, wofür das auf der Himmelsleiter erschienene Gesicht ein Beispiel ist; denn dies war zwar rätselhaft, das Rätsel aber wurde für die, die scharf sehen können, nicht allzusehr in Dunkel gehüllt. 4 Die zur dritten Art gehörenden Erscheinungen jedoch sind unklarer als die vorausgehenden und bedurften, da hier das Rätsel ganz tief und dunkel ist, auch noch der Traumdeuterkunst. Daher werden alle zu dieser Art gehörenden und vom Gesetzgeber beschriebenen Träume von Männern gedeutet, die in der genannten [226] [660 M.] Kunst erfahren sind. 5 Welches[5]sind nun die Träume? Sollte es nicht jedermann klar sein, daß es die Träume des Joseph, die des Königs Pharao von Ägypten sind und die, die sein Oberbäcker und Obermundschenk sahen? 6 Es möchte sich aber empfehlen, immer mit den ersten die Belehrung zu beginnen. Die ersten aber sind die Träume, die Joseph schaute, wobei er von zwei Teilen der Welt, vom Himmel und von der Erde, zwei Erscheinungen empfing: von der Erde den Traum über die Ernte – der ist (geschildert mit den Worten): „Mich deuchte, wir banden Garben mitten im Felde, meine Garbe aber richtete sich auf“ (1 Mos. 37, 7), – vom Himmel aber den von dem Tierkreis; es heißt nämlich: „Wie die Sonne und der Mond und elf Sterne sich vor mir neigten“ (ebd. 9). 7 Die Deutung des ersten ist, verbunden mit einer heftigen Drohung, folgende: „Du willst doch wohl nicht König werden und über uns König sein? Du willst doch wohl nicht Herr werden und über uns Herr sein?“ (ebd. 8); die des letzteren aber ist nochmals ein gerechter Zornausbruch: „Sollen denn ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen auf die Erde“ (ebd. 10)?

[2] 8 Das mag als eine Art Grundlage im voraus festgelegt sein, das übrige wollen wir, den Geboten der weisen Baumeisterin, der Allegorie, folgend, darauf aufbauen, indem wir jeden der beiden Träume genau untersuchen. Was man aber vor beiden gehört haben muß, ist noch zu sagen: Die Natur des Guten dehnten die einen auf vieles aus, die andern teilten sie dem Besten allein zu; und die einen vermischten sie, die andern ließen sie unvermischt. 9 Die einen nannten nun nur das sittlich Gute gut, bewahrten sie rein und unvermischt und teilten sie der besten der Kräfte in uns zu, dem Verstande; die andern aber, die sie mischten, fügten sie dreien bei: der Seele, dem Körper und den äußeren Dingen. Diese huldigen der weichen und üppigen Lebensweise und wurden die längste Zeit im Frauengemach und in dessen verweichlichten Sitten von der Wiege an aufgezogen; jene aber sind abgehärtet, von Männern in ihrem Knabenalter aufgezogen, selbst Männer in ihrer Gesinnung streben sie vor dem Angenehmen nach dem Zuträglichen und brauchen Nahrungsmittel wie die Athleten zu ihrer Stärkung und Kräftigung, nicht zu ihrem Vergnügen. 10 Die Häupter beider Scharen führt nun Moses vor, als das der edlen den selbstlernenden und selbstgelehrten [227] Isaak – er bezeichnet ihn nämlich als einen der Milch Entwöhnten (1 Mos. 21, 8), der es nicht für richtig hält, überhaupt weiche und milchige, Säuglings- und Kinderspeisen zu brauchen, sondern kräftige und für Erwachsene bestimmte, da er ja vom Kindesalter an gut zum Starkwerden veranlagt ist und zunimmt und dauernd heranwächst –, als das der weichenden und leicht nachgebenden den Joseph. 11 Denn dieser vernachlässigt zwar die seelischen Tugenden nicht, sorgt aber auch für das Wohlbefinden des Körpers [661 M.] und strebt auch nach Reichtum an äußeren Gütern.[6] Er wird aber mit Recht von einer Seite nach der andern gezogen, da er sich viele Lebensziele gesetzt hat, und von jedem nach einer andern Richtung getrieben, schwankt und wankt er, ohne sich fest hinstellen zu können. 12 Die Begierden können nämlich nicht wie verbündete Staaten in Frieden leben, sondern sie führen gegeneinander Krieg und machen Gegenangriffe, so daß sie der Reihe nach bald die Herrschaft gewinnen, bald unterliegen; denn manchmal ist der nach Reichtum und Ruhm hinstrebende Trieb gewaltig und besiegt die Sorgen um Körper und Seele, dann wird er wieder mit Gewalt bezwungen und von beiden oder dem stärkeren[7]besiegt. 13 Ebenso überschwemmen auch sämtliche körperlichen Lüste, wenn sie zum Durchbruch kamen, nacheinander alles Geistige und machen es unsichtbar. Dann aber, bald darnach, schwächt die Weisheit, wenn sie mit heftigem und plötzlichem Winde entgegenweht, den Strom der Lüste und besänftigt überhaupt alle die durch die Sinne entstandenen Bestrebungen und ehrgeizigen Absichten. 14 Ein solcher Kreislauf ewigen Krieges wirbelt um die vielgestaltige Seele. Wenn nämlich ein Feind niedergeworfen ist, wächst ein anderer, in jeder Beziehung stärkerer, heran wie bei der vielköpfigen Hydra; denn auch bei ihr, heißt es, sproßte an der Stelle des abgehauenen Kopfes ein anderer hervor, womit die vielgestaltige und vielerzeugende, schwer zu besiegende Gattung der unsterblichen Schlechtigkeit gemeint ist. 15 Wähle also niemals etwas einzelnes aus und teile es dem Joseph zu, sondern bedenke, daß er das Abbild einer vielfachen und gemischten Lebensauffassung ist. Durch ihn nämlich tritt in die Erscheinung sowohl die zur Vernunft gehörende Selbstbeherrschung, die männlichen Geschlechts ist, 16 geprägt nach seinem Vater Jakob, [228] wie auch die Unvernunft der Sinnlichkeit, ausgebildet durch die mütterliche Abstammung von Rahel, wie auch der Keim der körperlichen Lust, den der Umgang mit Obermundschenken, Oberbäckern und Oberköchen in ihn legte, wie auch der des leeren Wahns, auf den er wie auf einen Wagen leichtsinnig steigt (1 Mos. 41, 43), sich blähend und überhebend, um alle Gleichsetzung mit ihm aufzuheben.

[3] 17 Hiermit ist das Charakterbild Josephs umrissen; jeder der beiden Träume aber ist nun genau zu untersuchen, und zwar ist zunächst der Sinn des Traumes von den Garben zu erforschen. „Mich deuchte“, heißt es, „wir banden Garben“ (1 Mos. 37, 7). Gleich die Worte „mich deuchte“ sind der Ausdruck eines unklaren, zweifelnden, undeutlich erkennenden, aber nicht eines sicher und klar sehenden Menschen. 18 Denn denen, die von tiefem Schlafe aufstehen und noch träumen, ziemt es zu sagen „mich deuchte“, aber nicht den ganz Wachen und deutlich Beobachtenden. 19 Wird doch der Ringer Jakob nicht sagen „mich deuchte“, sondern (er sagt): „Siehe, eine Leiter erhob sich, deren Spitze [662 M.] reichte bis zum Himmel“ (1 Mos. 28, 12), und wiederum: „Als sich die Schafe befruchteten, sah ich sie mit meinen Augen im Schlafe, und siehe, die Böcke und die Widder sprangen auf die Schafe und die Ziegen, und sie waren ganz weiß und bunt und graugesprenkelt“ (1 Mos. 31, 10. 11). 20 Denn auch die Traumgesichte derer, die glauben, das Gute sei um seiner selbst willen erstrebenswert, pflegen notwendig klarer und reiner zu sein, wie auch ihre am hellen Tage vollbrachten Taten wertvoller sind.

[4] 21 Ich wundere mich aber, wenn ich von dem Erzähler des Traumes höre, daß er meinte, Garben zu binden, nicht zu mähen. Jenes ist die Arbeit von Ungelernten und Untergebenen, dies aber die Sache von Führern und in der Landwirtschaft Erfahrenen. 22 Denn die Kunst, das (zum Leben) Nötige von den Hülsen zu scheiden, das Nahrhafte vom Nichtnährenden, das Echte vom Unechten und von der nutzlosen Wurzel die sehr nützliche Frucht, gehört, weniger bei den Dingen, die die Erde hervorsprießen, als bei denen, die die Vernunft wachsen läßt, zur vollendetsten Tugend. 23 Die heilige Schrift nun läßt die Schauenden als Schnitter auftreten, und zwar seltsamerweise als Schnitter nicht der Gerste und des Weizens, sondern als Schnitter des Schnittes selbst. So heißt es: „Wenn ihr schneidet euren Schnitt, sollt ihr es nicht bis zum letzten Rest des Schnittes vollenden“ (3 Mos. 19, 9). 24 Sie (die heilige Schrift) [229] will nämlich, daß der Weise nicht nur ein Unterscheider der verschiedenen Dinge sei, scheidend und trennend das, woraus etwas entsteht, und das, was entstanden ist, sondern daß er seinen Glauben, er könne unterscheiden, selbst aufgebe, mähend die Ernte und abschneidend die eigene Absicht, weil er selbst überzeugt war und den Worten des Moses glaubte: „Die Scheidung kommt Gott allein zu“ (5 Mos. 1, 17), bei dem aller Dinge Vereinigungen und Scheidungen liegen. Zuzugeben, daß man von ihm besiegt wurde, ist schön und rühmlicher als der gepriesene Sieg. 25 Ähnlich gemeint wie die Worte „den Schnitt schneiden“ ist das zweimalige Beschneiden, von dem er ebenso wie von etwas Neuem spricht[8], als erfände er eine Beschneidung der Beschneidung (1 Mos. 17, 13), (und die Worte) „die Reinheit reinigen“ (4 Mos. 6, 2), d. h. die Reinigung der Seele selbst reinigen, indem man Gott das Reinwaschen überläßt und niemals glaubt, man sei selbst ohne göttlichen Rat imstande, das Leben voller Flecken abzuwaschen und rein zu baden. 26 Hiermit verwandt ist auch die „zwiefache Höhle“ (1 Mos. 23, 9), d. h. die zweifachen und des Streites werten Meinungen, die über das Geschöpf und die über den Schöpfer, in denen der Edle aufwächst, der die Dinge in der Welt betrachtet, aber auch forschend fragt nach dem Vater, der sie hervorbrachte. 27 Daher findet man auch, glaube ich, in der Musik die Konsonanz der Doppeloktave;[9] denn sowohl das Werk wie auch sein Schöpfer sollten durch zwei vollendetste Melodien gepriesen werden, nicht durch dieselben; 28 denn da ja die Gegenstände, die besungen werden, [663 M.] verschieden sind, müssen auch die Melodien und Symphonien unterschieden sein, wobei die verbindende Harmonie[10] dem verbundenen und aus Verschiedenem harmonisch gefügten Weltall zuzuteilen ist, die getrennte aber dem seinem Wesen nach von der ganzen Schöpfung getrennten Gott. 29 Eine tugendliebende Gesinnung aber offenbart wiederum der Hierophant[11], wenn er sagt: „Ihr sollt es nicht bis zum letzten Rest des Schnittes vollenden“ (3 Mos. 19, 9), eingedenk seines ursprünglichen Grundsatzes, demzufolge er zugestand: „Das Ende gehöre dem Herrn“ (4 Mos. 31, 28ff.), bei dem die Macht ist und die Bestätigung aller [230] Dinge.[12] 30 Aber der in die Kunst des Mähens nicht Eingeweihte freilich rühmt sich und sagt: „Mich deuchte, ich band mit anderen Garben, die ich nicht geschnitten hatte“ (1 Mos. 37, 7), und er bedachte bei sich selbst nicht, daß dies ein Geschäft für Sklaven und Ungelernte ist, wie ich ja auch schon kurz vorher sagte.

31 Garben (δράγματα) sind in allegorischer Bedeutung m. E. Tätigkeiten (πράγματα), die jeder wie seine eigene Nahrung ergreift, von der er zu leben und ewig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten hofft. [5] 32 Es gibt nun unzählige Unterschiede zwischen den Garben, ich meine zwischen den gleichsam nährenden Tätigkeiten, unzählige auch zwischen denen, die die Garben ergreifen und erwählen, so daß man alle weder nennen noch ausdenken kann. Aber es ist nicht unangebracht, einige von ihnen als Beispiel zu erläutern, die auch der Erzähler des Traumes erwähnt hat. 33 Er sagt nämlich zu seinen Brüdern: „Mich deuchte, wir banden Garben“ (ebd.). Von seinen Brüdern aber hat er mit zehn den Vater, aber nur mit einem die Mutter gemeinsam. Der Name eines jeden von ihnen aber ist das Symbol einer höchst wichtigen Tatsache: Ruben das einer guten Anlage – er heißt nämlich „Sehender Sohn“,[13] als Sohn zwar nicht vollkommen, als Schauender aber und Scharfblickender wohlgeraten, 34 Simeon das des Lernens – er bedeutet nämlich „Anhören“[14] –, das der edlen Betätigungen und Taten und der heiligen Handlungen Levi,[15] das der an Gott gerichteten Gesänge und Hymnen Judas,[16] das der Belohnungen, die für gute Werke gegeben werden, Issachar[17] – wahrscheinlich aber waren die Werke selbst der vollständige Lohn –, Sebulon das des Lichtes, da er „verfließende Nachtwache“ heißt[18] – wenn aber die Nacht verfließt und davongegangen ist, geht notwendigerweise das Licht auf –, 35 das des Unterscheidens und Schneidens der Dinge Dan,[19] das des räuberischen Angriffs und Gegenangriffs Gad,[20] Aser das des natürlichen [231] Reichtums[21] – er bedeutet nämlich „Glücklichpreisung“, da ja der Reichtum für einen glücklichen Besitz gehalten wird –, 36 das des Friedens Naphthalim – denn alles öffnet sich und tut sich auf dem Frieden, wie es [664 M.] dem Kriege sich verschließt; sein Name aber heißt übersetzt „Breitmachen“ oder „Geöffnetes“ –, Benjamin aber das der jugendlichen und greisenhaften Zeit;[22] denn er soll in Übersetzung „Sohn der Tage“ bedeuten, durch Tage und Nächte aber wird der junge ebenso wie der alte Äon gemessen. 37 Es ergreift nun jeder das zu ihm Passende, und nachdem er die Teile ergriffen hat, bindet[23] er alle zusammen: der Wohlgeratene die Treffsicherheit, die Geduld und das Gedächtnis, aus denen die Wohlgeratenheit besteht, der gut Lernende das Zuhören, das Schweigen und die Aufmerksamkeit, der Handelnde den Mut und die waghalsige Kühnheit, 38 der Danksagende das Lob, die Lobgesänge, die Hymnen und Seligpreisungen in Wort und Gesang, der nach Lohn Strebende die geduldige Standhaftigkeit unverdrossener Ausdauer und die Sorgfalt verbunden mit unübertrefflicher Schnelligkeit, 39 der dem Licht statt der Finsternis Nachgehende das Wachsein und den Scharfblick, der das Schneiden und Unterscheiden der Dinge Betreibende die scharfen Begriffe, das Sich-nicht-täuschen-lassen durch Ähnliches, als wäre es dasselbe, die Unbeeinflußbarkeit und die Unbestechlichkeit, 40 der die Räuber Übertreffende und den gegen ihn im Hinterhalt Liegenden wieder einen Hinterhalt Legende den Betrug, die List, die Gaukelei, die Spitzfindigkeit, die Verstellung und die Heuchelei, was alles an sich tadelnswert, gegen die Feinde gebraucht aber löblich ist, der nach dem Reichtum der Natur Trachtende die Selbstbeherrschung und die Bedürfnislosigkeit, und der den Frieden Liebende die Wohlgesetzlichkeit, die Gerechtigkeit, die Bescheidenheit und die Billigkeit. [6] 41 Hieraus werden die Garben der Brüder, die mit ihm von demselben Vater stammen, gebunden, die des Bruders aber, mit dem er dieselbe Mutter hat, aus Tagen und aus der Zeit, die keines Dinges Ursachen sind, aber die scheinbaren von allem.[24] 42 Der Träumer [232] und Traumdeuter selbst aber – denn er war beides – ergreift den leeren Wahn als größten, glänzendsten und für das Leben tauglichsten Besitz. Deshalb wird er zuerst durch seine Träume, die Lieblinge der Nacht, dem König des Körperlandes[25] bekannt, nicht durch die Klarheit weithin leuchtender Taten, die zu ihrem Erweis des Tageslichtes bedürfen. 43 Dann wird er zum Aufseher oder Pfleger von ganz Ägypterland ausgerufen und soll an Ehren den zweiten Rang neben dem König einnehmen, eine Stellung, die von der richtenden Einsicht für ruhmloser und lächerlicher gehalten wird als Unterwerfung und Entehrung. 44 Dann legt er sich ein „goldenes Halsband“ (1 Mos. 41, 41. 42) um, einen offensichtlichen Henkerstrick, d. h. den Kreis und das Rad der endlosen Notwendigkeit[26] – nicht die Folgerichtigkeit und das Nacheinander im Leben sowie die Reihe der Vorgänge in der Natur, wie es die Thamar tut; denn ihr Schmuck war nicht [665 M.] ein Halsband, sondern eine Schnur[27] – (1 Mos. 38, 18) –, und einen königlichen Ring (1 Mos. 41, 42), ein Geschenk, das man nicht schenken sollte, und ein Unterpfand, dem nicht zu trauen ist, wiederum ganz entgegengesetzt dem, das der Thamar gegeben wurde von Juda, dem König des Schauenden, d. h. Israels. 45 Er nämlich gibt der Seele einen Siegelring (1 Mos. 38, 18), ein wunderschönes Geschenk, wodurch er sie belehrt, daß Gott die formlose Substanz des Weltalls geformt, die unausgeprägte geprägt, die gestaltlose gestaltet, die ganze Welt vollendet und versiegelt hat durch ein Bild und eine Idee, nämlich durch seinen eigenen Logos.[28] 46 Doch jener steigt auch noch auf den Wagen, der der zweite an Rang ist (1 Mos. 41, 43), von Hochmut betäubt und von hohler Aufgeblasenheit, und er verwaltet das Getreide (ebd. 48), d. h. er [233] speichert für den Körper die Nahrungsmittel auf und verschafft sie ihm von überall her; das aber ist ein gegen die Seele errichtetes schweres Bollwerk. 47 Seine Lebensanschauung und sein Streben im Leben aber bezeugt nicht zum wenigsten auch sein Name. Joseph nämlich bedeutet „Zusatz“.[29] Der leere Wahn aber setzt dem Echten immer das Unechte zu, dem Eigenen das Fremde, dem Wahren die Lüge, dem Selbstgenügsamen das Übermaß, dem Lebensunterhalt die Schwelgerei, dem schlichten Lebenswandel die Hoffahrt.

[7] 48 Achte aber darauf, was ich hiermit sagen will. Durch Speisen und Getränke werden wir ernährt, auch wenn es nur wohlfeilstes Gerstenbrot und frisches Wasser ist. Wozu hat nun eitler Wahn unzählige Arten von Kuchen, Honiggebäck und anderem Backwerk dazu gesetzt und mit viel Mühe bereitete, mannigfache Mischungen unzähliger Weine, die mehr zur Befriedigung des Gelüstes als zur Nahrungsaufnahme hergerichtet worden sind? 49 Ferner sind Gewürze zur Nahrung notwendig wie Zwiebeln, Küchenkräuter und viele Obstsorten und schließlich Käse und dergleichen; wenn du willst, nehmen wir bei den an Fleischnahrung gewöhnten Menschen auch noch Fische und verschiedenes Fleisch hinzu. 50 Wäre es nun nicht genug, wenn sie das auf Kohlen rösteten und einfach auf dem Feuer brieten nach Art der wahrhaft heroischen Männer[30] und so zu sich nähmen? Doch hierauf allein geht der Schlemmer nicht aus, sondern er verbündet sich mit dem eitlen Wahn, weckt die in ihm liegende Lüsternheit und sucht und hält Ausschau nach Köchen und durch ihre Kunst berühmten Anrichtern. 51 Wenn diese die seit langer Zeit für den armen Magen erfundenen Reizmittel herangeschafft, Speisen von eigentümlichem Geschmack hergerichtet und sie gehörig angeordnet haben, schmeicheln sie der Zunge und verwöhnen sie; dann ködern sie sich als Zugang zu den Sinnen den Geschmack, durch den der, der sich auf die Jagd nach Gastereien machte, alsbald statt eines freien Mannes als Sklave erscheint. 52 Wer wüßte wahrlich nicht, daß die Kleidung zunächst gegen die dem Körper aus Kälte [666 M.] und Hitze entstehenden Schädigungen angefertigt wurde? Windabwehrend, wie die Dichter irgendwo sagen,[31] im Winter, abkühlend aber im Sommer. 53 Wer läßt nun die prächtigen [234] Purpurgewänder, wer die durchscheinenden und feinen Sommerkleider, wer die spinnwebendünnen Hüllen, wer die durch Färben oder Weben mit Blumen geschmückten Gewänder für sich kunstvoll herstellen durch Leute, die zu färben oder bunt zu weben verstehen und die in der Malerei geübte Nachbildung noch übertreffen? Wer? Ist es nicht der eitle Wahn? [8] 54 Doch auch ein Haus brauchten wir aus denselben Gründen, und damit wir nicht durch die Überfälle von Tieren oder in ihrem Charakter vertierten Menschen Schaden erleiden. Wozu schmücken wir nun Fußboden und Wände mit kostbaren Steinen? Wozu durchreisen wir Asien, Libyen, ganz Europa und die Inseln auf der Suche nach auserlesen schönen Säulen und Architraven? 55 Was bemühen und ereifern wir uns über dorische, ionische und korinthische Kannelierungen und was sonst noch die in den bestehenden Stilgesetzen Schwelgenden hinzuerfanden, um unsere Säulenkapitelle zu schmücken? Wozu bauen wir Männersäle und Frauengemächer mit goldenen Decken? Geschieht nicht auch das um des eitlen Wahnes willen? 56 Gewiß genügte für den Schlaf auch der weiche Erdboden – zumal da, wie man erzählt, noch bis zum heutigen Tage die Gymnosophisten[32] bei den Indern nach alter Sitte auf der bloßen Erde schlafen –, genügt er aber nicht, so doch ein Bodenbelag aus aufgelesenen Feldsteinen oder ein Bett aus einfachem Holz. 57 Sie jedoch stellen mit viel Mühe und Kosten und großem Zeitaufwand von elfenbeinernen Füßen getragene Bettgestelle her und Betten, geschmückt[33] mit kostbarem Perlmutter und mit buntem, eingelegtem Schildpatt, ferner[34] ganz silberne, goldene und mit Edelsteinen besetzte Lagerstätten, geschmückt mit Blumen- und Goldstickereien zum Zeigen und Zurschaustellen, nicht zum täglichen Gebrauch, alles Dinge, deren Schöpfer der eitle Wahn ist. 58 Was brauchte man zum Salben nach mehr zu suchen als nach der ausgepreßten Frucht des Ölbaums? Denn sie glättet und löst die Schlaffheit des Körpers und macht sein Fleisch schön, und wenn er überhaupt etwas schlaff geworden sein sollte, zieht sie ihn fest zusammen und verleiht ihm nicht weniger als sonst etwas anderes Stärke und Spannkraft. 59 Aber gegen die nützlichen Salbmittel wurden die angenehmen des eitlen [235] Wahns gesetzt, um die sich die Salbenköche bemühen und zu denen große Länder Beiträge liefern, Syrien, Babylon, die Inder, die Skythen, bei denen die Gewürzkräuter wachsen. [9] 60 Was braucht man zum Trinken mehr als den von der Natur mit vollendeter Kunst hergestellten Becher? Der Becher aber sind unsere Hände;[35] [667 M.] wer sie zusammenfaltet und hohl macht, sie richtig an den Mund legt, während ein anderer den Trank hineingießt, schafft sich nicht nur ein Mittel gegen den Durst, sondern auch eine unsagbare Freude. 61 Wenn aber überhaupt etwas anderes nötig war, genügte dann nicht der ländliche Holzbecher, und mußte man nach den Künsten anderer berühmter Männer suchen? Wozu muß die unendliche Menge silberner und goldener Becher hergestellt werden, wenn nicht um der sich so mächtig brüstenden Hoffahrt willen und wegen des überheblichen eitlen Wahns? 62 Wenn aber manche Leute sich zu bekränzen für nötig halten, nicht mit einem duftenden Kranze aus Lorbeer oder Efeu, Veilchen oder Lilien oder einer Rose oder überhaupt einem Zweige oder irgendeiner Blume, sondern Gottes Gaben verschmähend, die er zu allen Jahreszeiten (als Geschenk) wachsen läßt, goldene Kränze, eine recht schwere Last, hoch auf dem Kopf tragen auf offenem und belebtem Markte ohne Schamgefühl, kann man da an etwas anderes denken, als daß sie Sklaven des eitlen Wahnes sind, obwohl sie sagen, daß sie nicht nur Freie, sondern auch vieler anderer Herren sind?[36] 63 Der ganze Tag würde mir darüber vergehen, die Verderbnisse des menschlichen Lebens aufzuzählen. Doch was soll man noch lange reden? Denn wer hat von ihnen nicht gehört, wer sie nicht gesehen? Wer ist nicht darin geübt und daran gewöhnt? Daher hat die heilige Schrift ganz treffend den, der Feind der Anspruchslosigkeit, aber Genosse des eitlen Dunstes ist, eine Zugabe[37] genannt. 64 Wie nämlich an den Bäumen überflüssige Zweige als große Schädlinge der edlen (Reiser) wachsen, die die Gärtner entfernen und abschneiden aus Vorsorge für das [236] Nötige, so wächst an dem wahren und anspruchslosen Leben das falsche und verblendete, für das sich bis zum heutigen Tage kein Gärtner gefunden hat, der den schädlichen Zuwachs mit den Wurzeln selbst abschnitt. 65 Deshalb also schreien die um Einsicht Ringenden, die von ihm wissen, daß er (Joseph) dieser Mißbildung[38] zuerst mit den Sinnen, dann auch mit dem Geiste nachging, geradezu auf: „Ein böses Tier hat Joseph geraubt und gefressen“ (1 Mos. 37, 33). 66 Und ist nicht ein wildes Tier das vielverworrene, aus Hoffahrt gemachte Leben der in Verwirrung geratenen Menschen, dessen schlaue Schöpfer Habsucht und Tücke sind, und läßt es sich nicht alle gut schmecken, die in seine Nähe kommen? Darum wird auch für sie, obwohl sie noch leben, wie für Tote Trauer veranstaltet werden, da sie ein Leben haben, das des Jammers und der Klagen wert ist. Weshalb ja auch Jakob um Joseph trauert, obwohl er noch lebt. 67 Moses aber will es nicht zulassen, daß Nadab und seine heiligen Logoi[39] betrauert werden (3 Mos. 10, 6); sie wurden nämlich nicht von einem wilden, bösen Tier geraubt, sondern von der Kraft einer unauslöschbaren und unsterblichen Flamme emporgehoben, weil sie den heißen, feurigen, das Fleisch verzehrenden und nach der [668 M.] Frömmigkeit hineilenden Eifer, der dem Irdischen fremd, Gott aber vertraut ist, unbefleckt als Opfer darbrachten, nachdem sie das zögernde Bedenken aus dem Weg geräumt hatten. Zum Altar waren sie nicht über die Stufen gelangt – denn das ist vom Gesetz verboten –, sondern von günstigem Winde emporgehoben und bis zu den Himmelskreisen getragen, wurden sie wie ein Brand- und Fruchtopfer in ätherische Strahlen aufgelöst. [10] 68 Nun aber soll, liebe Seele, die du dem Lehrer gehorchst, deine Hand und deine Kraft[40] abgeschlagen werden, sobald sie beginnt, nach den Geschlechtsteilen [237] eines Geschöpfes oder nach den menschlichen Bestrebungen zu greifen. ...[41] 69 die Hand, die an die Hoden gegriffen hat, soll abgeschlagen werden (5 Mos. 25, 11. 12),[42] erstens weil sie die Lust begrüßte, die man hassen sollte, zweitens weil sie glaubte, das Zeugen stünde in unserer Macht, schließlich weil sie dem Geschöpf die Kraft des Schöpfers zugeschrieben hat. 70 Siehst du nicht, daß Adam, die Erdmasse, stirbt, als er nach dem Zwillingsbaum[43] greift (1 Mos. 2, 9), weil er die Zweiheit höher schätzte als die Einheit und die Schöpfung mehr bewunderte als den Schöpfer?[44] Du aber komm heraus aus dem Dunst und Wogenschwall[45] und entfliehe den lächerlichen Bestrebungen des sterblichen Lebens wie jener furchtbaren Charybdis[46] und berühre sie, wie man so sagt, auch nicht mit der Fingerspitze. 71 Wenn du dich aber zu den heiligen Dienstleistungen rüstest, mache deine ganze Hand und Kraft auf und fasse recht fest die Lehren der Bildung und Weisheit an. Es gibt nämlich auch ein Gebot, das folgendermaßen lautet: „Wenn eine Seele eine Gabe oder ein Opfer darbringt, soll die Gabe aus Mehl bestehen“, und dann fügt sie (die hl. Schrift) hinzu: „und er soll eine Handvoll nehmen von dem Mehl mit dem Öl und dem ganzen Weihrauch und soll das Gedächtnisopfer auf den Altar legen“ (3 Mos. 2, 1. 2). 72 Sagt sie nicht sehr treffend, daß es die unkörperliche Seele sei, die da opfern will, aber nicht die zweifache aus Sterblichem und Unsterblichem bestehende Masse? Denn was in Wahrheit betet, danksagt, wahrhaft untadlige Opfer darbringt, war doch nur eins, die Seele. Was ist nun das Opfer der körperlosen Seele? 73 Was anders als Mehl, das Symbol einer durch die Lehren der Bildung gereinigten Gesinnung, die dazu fähig ist, die Nahrung gesund und das Leben schuldlos zu machen? 74 Von ihr, wird befohlen, soll der Priester mit der ganzen Handvoll zulangen, das heißt: mit allen Handgriffen des Geistes, und die mit den lautersten und reinsten Lehren ganz [238] erfüllte Seele selbst als schönstes Opfertier heranführen, als eine fette und glänzende, sich des göttlichen Lichtes freuende und von den aus der Gerechtigkeit und den andern Tugenden aufsteigenden Düften angewehte, so daß sie stets das wohlriechendste und angenehmste Leben ernte; denn mit dem Öl und dem [669 M.] Weihrauch, die der Priester zusammen mit dem Mehl erfaßt, ist dies gemeint. [11] 75 Deshalb hat auch Moses ein besonderes Fest für die Garbe eingesetzt, nur nicht für jede, sondern für die aus dem heiligen Land. „Wenn ihr“, heißt es nämlich, „in das Land kommt, das ich euch gebe, und erntet seine Ernte, sollt ihr Garben als Erstlingsopfer eurer Ernte zu dem Priester bringen“ (3 Mos. 23, 10). 76 Das heißt aber: Wenn du kommst, mein Geist, in das Land der Tugend, das zu schenken allein Gott zukommt, in das weidereiche, mit gutem Ackerboden, das fruchttragende, und du dann die entsprechenden Güter gesät und sie, durch den Vollendenden vermehrt, geerntet hast, so sollst du sie nicht eher nach Hause bringen, das heißt: dir selbst nicht die Ursache des Ertrages beilegen und zuschreiben, als bis du sie als Erstlinge dargebracht hast dem Urheber des Reichtums und dem, der dich dazu veranlaßt hat, die den Reichtum einbringenden Werke zu verrichten. 77 Und es heißt „das Erstlingsopfer der Ernte eurer selbst“, und nicht des Landes, darbringen, auf daß wir uns selber[47] mähen und ernten, indem wir alle schönen, nährenden und vortrefflichen Triebe zum Opfer bringen.

[12] 78 Doch der Myste und zugleich Mystagoge der Träume[48] erkühnt sich zu sagen, daß seine Garbe sich aufrichtete und gerade stand (1 Mos. 37, 7). Nämlich tatsächlich so, wie die stolzen Pferde ihren Nacken hochheben, setzen sich alle, die Genossen des eitlen Wahns sind, hinweg über alles, über Staaten, Gesetze, väterliche Sitten, die jeweiligen Verhältnisse. 79 Dann gehen sie von der Führung des Volkes zu seiner Beherrschung über, werfen das Eigentum ihrer Mitmenschen nieder, das ihnen Gehörende aber richten sie auf und stellen es fest hin, und auch das, was frei und nicht knechtisch von Natur gesinnt ist, suchen sie unter ihre Gewalt zu bringen. 80 Deshalb fügt er hinzu: „Eure Garben aber drehten sich herum und [239] neigten sich vor meiner Garbe“ (ebd.). Es staunt nämlich an der Liebhaber der Ehrfurcht den Unbeugsamen, der Vorsichtige den Kühnen, der die Gleichheit Schätzende den, der sich selbst und andern gegenüber nicht gleich bleibt, und vielleicht mit Recht. 81 Denn der Edle, der ja nicht nur ein Betrachter des menschlichen Lebens, sondern auch aller Dinge in der Welt ist, weiß, wie stark der Wind der Notwendigkeit, des Zufalls, günstiger Gelegenheit, des Zwanges und der Macht zu wehen pflegt und wieviel Pläne und welch himmelstürmendes Glück sie erschütterten und niederrissen, 82 so daß er die Vorsicht als seinen Schild nötig brauchen wird, den angeborenen Schutz vor unerwartetem, schwerem Leid. Denn, glaube ich, was die Mauer für eine Stadt bedeutet, das ist die Vorsicht für jedermann. 83 Sind nun nicht alle die verrückt und wahnsinnig, die sich bemühen, eine unpassende Freimütigkeit an den Tag zu legen, und es wagen, Königen und Tyrannen bei Gelegenheit zu widersprechen und zuwiderzuhandeln, ohne zu merken, daß sie nicht nur wie die Tiere mit ihren Nacken unter das Joch gebeugt wurden, sondern mit ihren ganzen Leibern und [670 M.] Seelen, mit Weibern und Kindern und Eltern und der zahlreichen Verwandtschaft und Gemeinschaft von Gefährten und Geschwistern gebunden sind und daß es in der Macht des Führers und Lenkers steht, sie mit aller Leichtigkeit anzuspornen, zu treiben, aufzuhalten und zurückzuhalten, und ihnen alles, was er will, kleines und größeres, anzutun? 84 So werden sie denn gestochen, gegeißelt und verstümmelt, und wenn sie alles zusammen, was schlimmer ist als der Tod, grausam und unbarmherzig erduldet haben, abgeführt, um schließlich zu sterben. [13] 85 Das ist der Lohn für den zu unpassender Gelegenheit geäußerten Freimut, nicht der für Freimut vor verständigen Richtern, sondern der voller Torheit, Wahnsinn und unheilbarem Trübsinn. Was meinst du? Wenn einer ein aufziehendes Unwetter sieht, einen starken Gegenwind bemerkt, einen niederprasselnden Regen und ein heftig wogendes Meer, bricht er da, wo er doch im Hafen bleiben müßte, auf und fährt auf hohe See? 86 Welcher Steuermann oder Kapitän wäre je so betrunken und von Sinnen gewesen, daß er, wenn alles dies hereinbräche, was ich sagte, noch auf See fahren wollte, damit das Schiff, wenn das Meer von oben darauf stürzt, voll geworden mit den Schiffern selbst verschlungen wird? Wer gefahrlos segeln will, konnte doch einen ruhigen, günstigen und sanften Wind abwarten. Und wie? 87 Wenn einer sieht, wie ein Bär [240] oder ein Wildschwein oder ein Löwe ihn mit voller Wucht anspringt, macht er ihn da, wo er ihn doch besänftigen und zähmen sollte, noch wilder und reizt ihn, damit er sich selbst den unbarmherzigsten Fleischfressern zur Speise und zum Schmaus bereite? 88 Es nützt ja auch niemandem etwas, den Spinnen und ägyptischen Schlangen und den andern Tieren, die verderbliches Gift in sich tragen, Widerstand zu leisten; sie bringen doch denen, die einmal gebissen sind, den unvermeidlichen Tod. Muß man doch schon froh sein, wenn man dadurch, daß man sie mit Singen bezaubert und an seine Hand gewöhnt, nichts Böses von ihnen erleidet. 89 Sind nun nicht manche Menschen wilder und hinterlistiger als Schweine, Spinnen und Giftschlangen? Ihrer Hinterlist und Feindseligkeit zu entgehen ist nicht anders möglich, als dadurch daß man Zähmungs- und Besänftigungsmittel anwendet. Deshalb also wird der weise Abraham sich vor den Söhnen des Heth – das heißt „die außer sich Geratenen“[49] – beugen (1 Mos. 23, 7), da die Umstände es geraten erscheinen lassen, dies zu tun. 90 Denn nicht aus Ehrerbietung denen gegenüber, die ihrer Natur nach, der Abstammung nach und aus Gewohnheit Feinde des Geistes sind, die die Münze der Seele,[50] die Bildung, verderbend und zerstückelnd jämmerlich vertun, kam er, um sich zu verbeugen, sondern aus Furcht vor ihrer augenblicklichen Macht und unbesiegbaren Stärke und auf der Hut davor, sie zu reizen, verschafft er sich als großen und festen Besitz und Tugendpreis[51] den besten Aufenthaltsort weiser Seelen: die doppelte Höhle [671 M.] (1 Mos. 23, 9),[52] die ihm durch Kampf und Krieg nicht zu erwerben möglich gewesen wäre, wohl aber durch Unterwürfigkeit und das Anerbieten seiner Dienste. 91 Wie denn? Pflegen nicht auch wir, wenn wir auf dem Markte weilen, auszuweichen vor den Regierenden, auszuweichen aber auch vor den Zugtieren? Doch aus verschiedener und nicht aus derselben Absicht: vor den Regierenden nämlich [241] in Ehrerbietung, vor den Zugtieren aber aus Furcht davor, daß uns von ihnen ein Schade geschehe. 92 Und wenn es die Gelegenheit erlaubt, so ist es schön, zum Angriff überzugehen und die Macht der Feinde zu brechen; läßt sie es aber nicht zu, so ist es sicher, sich ruhig zu verhalten; wer sich aber von ihnen einen Vorteil verschaffen will, der muß sie (die Feinde) zahm machen.

[14] 93 Daher verdienen nun auch diejenigen Lob, die dem Vorstand des leeren Wahns[53] nicht ausweichen, sondern sich ihm entgegenstellen und sprechen: „Du willst doch wohl nicht König werden und über uns König sein?“ (1 Mos. 37, 8). Denn sie sehen, daß er dazu noch nicht stark genug ist, daß er nicht ist wie eine lodernde und leuchtende Flamme, die in reichlichem Holz Nahrung findet, sondern noch wie ein glimmender Funke, daß er von Ruhm nur träumt, aber ihn noch nicht klar verfolgt. 94 Sie machen sich nämlich selbst damit gute Hoffnungen, wie wenn sie niemals unterworfen werden könnten. Deshalb sagen sie: „Du willst doch wohl nicht über uns König sein?“ Das heißt dasselbe wie: Glaubst du, daß du herrschen wirst, solange wir leben, bei Kräften sind und atmen? Wenn wir schwach werden, wirst du vielleicht zur Herrschaft kommen; solange wir aber stark sind, wird dir das Los eines Untergebenen bestimmt sein. 95 Und so ist es natürlich auch. Solange nämlich in unserem Geiste die rechte Vernunft stark ist, löst sich der leere Wahn auf; er erstarkt aber, wenn jene schwach wird. Solange also die Seele ihre eigene Kraft noch unversehrt erhält und keiner ihrer Teile verstümmelt ist, soll sie getrost nach dem ihr entgegentretenden Dünkel werfen und schießen und freien Mutes sprechen: Du wirst weder König noch Herr sein, weder über uns noch, solange wir da sind, über andere. 96 Vielmehr werden wir deine Drohungen und Prahlereien mit einem einzigen Ansturm überrennen mit Hilfe unserer Speer- und Schildträger, der Söhne der Klugheit, von denen es heißt: „Sie haßten ihn noch mehr um seiner Träume und um seiner Worte willen“ (ebd.). 97 Und sind nicht alle die Trugbilder, die der Dünkel hervorbringt, Worte und Träume, alles dagegen, was sich auf das rechte Leben und die rechte Vernunft bezieht, Taten und deutliche Klarheiten? Und jene sind hassenswert, weil sie erlogen, diese aber liebenswert, weil sie voller liebenswürdiger Wahrheit sind. 98 Daher soll keiner es wagen, so tugendreiche [242] Männer weiterhin zu schmähen, als ob sie ein Beispiel für die menschen- und bruderfeindliche Gesinnung darstellten, sondern er soll begreifen, daß der, über den hier geurteilt wird, kein Mensch ist, sondern von den Charakterzügen, die sich in eines jeden Seele finden, die Ruhmsucht und die Hoffahrt; er billige die, die gegen [672 M.] diese eine unversöhnliche Feindschaft und einen untilgbaren Haß hegen, und niemals schenke er seine Liebe dem, der von jenen gehaßt wurde, in der klaren Erkenntnis, 99 daß dergleichen Richter wohl niemals von der gesunden Überzeugung abwichen, sondern da sie von Anfang an gelernt haben und dazu erzogen wurden, den wahren König, den Herrn, anzubeten und zu verehren, entrüstet sind, wenn einer die Ehrung Gottes für sich beansprucht und dessen Anbeter zu seinem eignen Dienst ruft. [15] 100 Deshalb werden sie kühn sagen: „Du willst doch nicht etwa König werden und über uns König sein?“ Oder weißt du nicht, daß wir nicht nach eigenem Gesetz leben, sondern von dem unsterblichen König, von dem einzigen Gotte, regiert werden? Wie denn? „Du willst Herr sein und über uns herrschen?“ (1 Mos. 37, 8). Werden wir denn nicht schon beherrscht und haben und werden behalten auf alle Zeit denselben Herrn? In seinem Dienste sind wir so froh wie kein anderer über seine Freiheit. Ist doch der Gottesdienst von allem, was in der Welt in Ehren steht, das beste. 101 So möchte nun auch ich selbst wünschen, ich könnte bei ihren Erkenntnissen fest verbleiben; denn sie sind Späher und Kundschafter und streng gerechte Aufseher von Tatsachen, nicht von Körpern, nüchtern in alle Ewigkeit, so daß sie durch nichts mehr, was den Menschen zu verlocken pflegt, getäuscht werden. 102 Ich aber bin bis jetzt noch im Zustand des Rausches, befinde mich in großer Unklarheit und brauche Krücken und Führer wie die Blinden; denn wenn ich gestützt werde, werde ich vielleicht nicht anstoßen und ausgleiten. 103 Wenn aber Menschen, die sich ihrer Unüberlegtheit und Unbesonnenheit bewußt sind, sich nicht bemühen, denen zu folgen, die genau und umsichtig alles Nötige erforscht haben – sie die Unwissenden denen, die den Weg kennen –, so mögen sie wissen, daß sie in unpassierbare Abgründe hineingestoßen sind und trotz ihres Drängens nicht mehr werden vorwärts kommen können. 104 Ich aber fühle mich mit ihnen, wenn ich mich auch nur wenig vom Rausche freigemacht habe, derart verbunden, daß ich ihre Ansicht über Freund und Feind teile. Dann aber werde ich um nichts weniger den Träumer, ebenso [243] wie sie, abweisen und hassen. Und kein vernünftig denkender Mensch dürfte mich deshalb schelten, weil die Meinungen und Stimmen der Mehrheit immer siegen. 105 Wenn er sich aber zum besseren Leben hinwenden wird und nicht mehr träumt, nicht mehr, in die leeren Traumvorstellungen der Eitlen gehüllt, Unglück erleidet, nicht mehr von Nacht und Finsternis und den Zufälligkeiten unklarer und unbeweisbarer Dinge träumt, 106 sondern sich aus dem tiefen Schlafe erhebt und wach bleibt, wenn er Klarheit statt Verworrenheit, statt trügerischen Glaubens Wahrheit, statt Nacht Tag, Licht statt Finsternis annimmt und sich von dem Weib des Ägypters, das heißt: von der Leibeslust, die ihn dazu verleitet, zu ihr hereinzukommen und ihres Umgangs zu genießen (1 Mos. 39, 7), abwendet, aus Verlangen nach Mäßigung [673 M.] und unsagbarem Drang nach Frömmigkeit, 107 wenn er sich wieder um die Familien- und Erbgüter kümmert, denen er entfremdet zu sein schien, willens, den ihm zufallenden Anteil an der Tugend wieder in Besitz zu nehmen, und wenn er bei der allmählichen Rückkehr zur Besserung, als ob er schon auf dem Gipfel und am Ziele seines Lebens fest stünde, das verkündet, was er durch sein Leiden genau begriffen hat, daß er nämlich „Gott“ gehört (1 Mos. 50, 19), aber gar keinem mit den Sinnen erkennbarem Geschöpf mehr, 108 da werden seine Brüder versöhnliche Verträge mit ihm abschließen, den Haß in Liebe und das Übelwollen in Wohlwollen verwandeln, und ich, ihr Gefolgsmann – lernte ich es doch, ihnen zu gehorchen wie der Diener seinen Herrn – werde nicht aufhören, ihn um seiner Sinnesänderung willen zu preisen. 109 Wie ja auch der Hierophant Moses seine Sinnesänderung als der Verehrung und des Gedächtnisses wert vor dem Untergang bewahrt sinnbildlich dargestellt dadurch, daß er von seinen Gebeinen[54] nicht glaubte zulassen zu dürfen, daß sie für immer in Ägypten begraben blieben (2 Mos. 13, 19), da er es für bedenklich hielt, wenn etwas Gutes der Seele entsproßte, dies verdorren und verschwinden zu lassen, überschwemmt von den Fluten, die der ägyptische Strom der Leidenschaften, das heißt: der Körper, der durch alle Sinne fließt, dauernd ergießt.

[16] 110 Das Traumgesicht von den Garben, das von der Erde aus gesehen wurde[55]und seine Deutung sind nunmehr besprochen; jetzt [244] aber ist es an der Zeit, das andere zu betrachten und zu untersuchen, wie es von der Traumdeutungskunst bestimmt wird. 111 „Er sah“, heißt es nun, „einen andern Traum und erzählte ihn seinem Vater und seinen Brüdern und sprach: Mir schien, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir. Und sein Vater schalt ihn und sprach: was ist das für ein Traum, den du da geträumt hast? Sollen etwa ich und deine Mutter und deine Brüder uns aufmachen und kommen und vor dir niederfallen auf die Erde? Es beneideten ihn aber seine Brüder, sein Vater aber behielt das Wort“ (1 Mos. 37,9–11). 112 Es sagen nun die Meteorologen, der Zodiakus sei der größte unter den Himmelskreisen[56] und werde durch die zwölf Tiersternbilder geschmückt, von denen er den Namen hat; Sonne und Mond aber, die sich immer um ihn herumdrehen, gingen durch jedes Tierbild hindurch, nicht mit derselben Geschwindigkeit, sondern in ungleichen Zahlen und Zeiten, jene in dreißig Tagen, dieser aber höchstens in einem Zwölftel hiervon, was zwei und ein halber Tag ist. 113 Es kam nun dem, der die gottgesandte Erscheinung sah, so vor, als werde er von elf Sternen ehrfürchtig gegrüßt; als zwölften aber ordnete er sich selbst ein, um den Tierkreis voll zu machen. 114 Ich erinnere mich aber, daß ich auch schon früher einmal von einem Manne hörte, der sich nicht ohne Sorgfalt und nicht leichtsinnig mit dieser Wissenschaft beschäftigte, daß nicht die Menschen allein ehrsüchtig sind, sondern auch die Sterne und daß im Wettkampf um den Vorrang die größeren [674 M.] immer von den kleineren Trabantendienst verlangen[57]. 115 Ob das nun Wahrheit oder leeres Geschwätz ist, das zu untersuchen mag denen überlassen bleiben, die den Himmelserscheinungen nachjagen. Wir aber meinen, daß, wer wirren Eifer, unsinnige Streitsucht und leeren Wahn liebt, immer von Torheit aufgeblasen ist und nicht nur über Menschen, sondern auch über das natürliche Wesen der Dinge hinwegzusehen sich vermißt. 116 Und er meint, um seinetwillen sei dies alles geworden und jedes müsse ihm wie einem König seinen Tribut bringen: Erde, Wasser, Luft und Himmel. Und er verfügt über solch ein Übermaß von Einfalt, daß er sich nicht überlegen kann, was schon ein unverständiges Kind einsehen könnte, daß kein Künstler jemals um des [245] Teiles willen ein Ganzes, sondern um des Ganzen willen einen Teil verfertigt. Ein Teil aber des Alls ist der Mensch, so daß er, geschaffen zur Vervollkommnung der Welt, mit Recht auch selbst ihr Tribut entrichte. [17] 117 Manche aber strotzen nun dermaßen von Dummheit, daß sie sich ärgern, wenn die Welt nicht ihren Wünschen folgt. Aus diesem Grunde gab Xerxes, der Perserkönig, als er seine Feinde niederwerfen wollte, ein Muster an Großtuerei, indem er die natürliche Ordnung umstürzen wollte.[58] 118 Erde nämlich wollte er in ein anderes Element verwandeln und Meer; Land wollte er gegen Meer und Meer gegen Land vertauschen, dadurch daß er den Hellespont überbrückte, das Athosgebirge aber in tiefe Buchten zerriß, die, alsbald von Seewasser erfüllt, zum neuen, von Menschenhand geschaffenen Meere wurden, wodurch er den alten Zustand der Natur völlig veränderte. 119 Nachdem er aber das Irdische scheinbar verzaubert hatte, stieg der Unglückselige mit seinen waghalsigen Plänen sogar bis zum Himmel hinauf und trug seine Gottlosigkeit mit empor, um das Unbewegliche zu bewegen und das göttliche Heer herabzustürzen, und unternahm – wie das Sprichwort sagt – das Äußerste.[59] 120 Er ließ nämlich gegen das vornehmste der dortigen Wesen, gegen die Sonne, die Beherrscherin des Tages, mit Pfeilen schießen, als ob er nicht selbst vom unsichtbaren Pfeil des Wahnsinns verwundet wäre, weil er nicht nur nach unausführbaren, sondern auch nach den unheiligsten Taten strebte, von denen ihm auch schon das Unterfangen einer der beiden zu einer großen Schande werden mußte. 121 Einer der menschenreichsten Stämme der Germanen aber soll – bei ihnen hat das Meer Flut und Ebbe – gegen den Ansturm der dort wieder zurückströmenden Fluten in allem Ernst vorgedrungen sein, die bloßen Schwerter gegen sie drohend vorgestreckt haben, gelaufen und dem schäumenden Meere wie einer Schar von Feinden entgegengetreten sein.[60] 122 Solche Leute muß man verabscheuen, weil sie zu Angriffswaffen zu greifen sich [246] erkühnen gegen die nicht unterjochbaren Teile der Natur; man muß sie aber auch auslachen, weil sie Unmögliches unternehmen, als wäre es möglich, in dem Glauben, auch das Wasser könnte wie ein Lebewesen gestochen, verwundet und getötet werden und andererseits Schmerzen empfinden, sich fürchten, aus Angst vor den Anstürmenden davonlaufen und alle freudigen und schmerzlichen Seelenregungen aufnehmen. [18] 123 Jüngst [675 M.] vor nicht langer Zeit, lernte ich einen Mann kennen, einen höheren Beamten,[61] der, als er die Leitung und Verwaltung Ägyptens übernommen hatte, unsere alten Gebräuche umzustoßen und besonders das heiligste und ehrfürchtigste Gesetz über den Sabbat aufzuheben gedachte und dazu zwang, ihm (an diesem Tage) knechtische Dienste zu leisten und auch anderes gegen die bestehende Sitte zu tun, in dem Glauben, das werde der Anfang anderweitiger Änderung und Überschreitung von allem sein, wenn er die von den Vätern überkommene Sitte des Sabbats abschaffen könnte. 124 Und als er sah, daß weder die, die er dazu zu zwingen versuchte, seinen Befehlen nachkamen, noch die übrige Menge sich beruhigte, sondern daß sie die Sache schwer und hart ertrug und sie wie über eine Versklavung, Zerstörung und Vernichtung des Vaterlandes trauerten und betrübt waren, glaubte er ihnen durch eine Rede das gesetzwidrige Handeln beibringen zu sollen. 125 Er sprach: Wenn plötzlich ein Angriff von Feinden geschähe oder eine Überschwemmung des Flusses, der mit seinen Fluten den Damm zerriß, oder eine Feuersbrunst, ein Blitzschlag, Hungersnot, Pest, Erdbeben oder was es sonst Schlimmes von Menschenhand oder von Gott geschickt gibt, werdet ihr da in aller Ruhe zu Hause bleiben? 126 Oder werdet ihr in der gewohnten Haltung auftreten, die rechte Hand nach innen gekehrt, die andere aber unter dem Gewand an die Hüfte gelegt,[62] damit ihr auch nicht einmal unabsichtlich etwas zur Rettung beitraget? 127 Und werdet ihr in euren Synagogen sitzen, die gewohnte Versammlung abhalten und [247] ungestört die heiligen Bücher lesen und, wenn etwas nicht klar wäre, es erklären und euch mit der von den Vätern ererbten Philosophie weitläufigst beschäftigen und mit Muße bei ihr verweilen? 128 Nein, ihr werdet das alles hinwerfen und euch aufmachen zur Hilfeleistung für euch selbst, für eure Eltern und Kinder und für das Leben der andern euch Vertrautesten und Liebsten und, wenn man die Wahrheit sagen soll, auch für euer Hab und Gut, damit auch das nicht verschwinde. 129 Und nun bin ich selbst, sagte er, das alles zusammen, was ich euch aufgezählt habe: Sturm, Krieg, Überschwemmung, Blitz, auszehrende und pestartige Krankheit, das Erdbeben, das an dem Feststehenden rüttelt und es aufrührt, eine schicksalhafte Notwendigkeit nicht nur dem Worte nach, sondern deren offenbare, dicht vor euch stehende Macht. 130 Was werden wir nun von einem Manne meinen, der sagt oder auch nur denkt, daß er dies alles sei? Nicht, daß er ein Mensch von ganz unerhörter Art ist? Ist es doch schon etwas in unserer Welt gar nicht Vorkommendes[63] und ein nie dagewesener Frevel, daß nämlich der ganz unglückselige Mensch sich mit dem ganz seligen Wesen zu vergleichen wagte. 131 Würde ein solcher sich es überlegen, Sonne und Mond und die anderen Sterne zu schmähen, [676 M.] wenn etwas von dem, was man sich im Verlaufe der Jahreszeiten erhoffte, entweder überhaupt nicht oder nicht mühelos eintrifft, wenn der Sommer Hitze, der Winter schweren Frost bringt, Frühling und Herbst aber, der eine für die Fruchtbarkeit unergiebig, der andere für die Entstehung von Krankheiten besonders fruchtbar ist ? 132 Alle Segel eines zügellosen Mundwerks und seiner verleumderischen Zunge zieht er auf, um die Sterne anzuklagen, als hätten sie den gewohnten Tribut nicht dargebracht, weil er es für richtig hält, daß von den himmlischen Wesen den irdischen und vor allem ihm selbst um so mehr Ehre und Anbetung erwiesen werde, als er in seiner Eigenschaft als Mensch von den anderen Lebewesen verschieden zu sein glaubt. [19] 133 So werden die Chorführer des leeren Wahnes von uns geschildert, die Choreuten aber wollen wir nun in der ihnen entsprechenden Reihenfolge betrachten. Sie stellen immer denen nach, die sich in der Tugend üben. Wenn sie sehen, wie diese sich bemühen, ihr Leben in untrüglicher Wahrheit erglänzen zu lassen und es gleichsam bis zum Licht des Mondes oder dem reinen Sonnenstrahl zu erhellen, hindern sie sie [248] daran durch Trug oder Gewalt, treiben sie in den lichtlosen Raum der Gottlosen, den tiefe Nacht, endlose Finsternis und ungezählte Scharen von Trugbildern, Gespenstern und Traumgestalten erfüllen, und zwingen sie, nachdem sie sie dort untergetaucht haben, sie wie Despoten zu verehren. 134 Den nämlich, der sich in der Einsicht übt, deuten wir als Sonne, da sie den Körpern, er aber den seelischen Dingen Licht verleiht, die Bildung aber, die er besitzt, als Mond – denn in der Nacht macht man von beiden den reinsten und nützlichsten Gebrauch –, als Brüder aber die edlen Gedanken, gleichsam Söhne der Bildung und der sich übenden Seele. Ihnen allen, die den Pfad des Lebens in gerader Richtung führen, möchten die Leute, die nichts Gesundes zu sagen und zu denken entschlossen sind, durch gewandte und künstliche Griffe den Hals brechen, sie köpflings ins Verderben stürzen und sie zu Boden reißen, indem sie ihnen ein Bein stellen. 135 Deshalb tadelt auch einen solchen der Vater, aber nur milde, d. h. nicht Jakob, sondern der rechte Logos, der älter ist als dieser, mit den Worten: „Was war das für ein Traum, den du da geträumt hast“? (1 Mos. 37, 10). Es war doch wohl nur ein Traum, den du sahst?[64] 136 Oder meintest du, daß das, was von Natur frei ist, durch Zwang dem Menschen versklavt, und was herrschend ist, untertan werden müßte, und, was noch unsinniger ist, nicht Untertan anderer, sondern Untertan der Beherrschten, nicht Sklaven anderer, sondern Sklaven der Versklavten? Es müßte denn durch Gottes des allein Allmächtigen Kraft, dem es gebührt, auch das Unbewegte zu bewegen und das Dahinfahrende zu befestigen, eine Verwandlung des Bestehenden in sein Gegenteil erfolgen. [677 M.] 137 Denn[65] was soll das Zürnen und Schelten auf einen, der im Traum ein Gesicht sah, für einen Sinn haben? Er wird sagen: Habe ich es etwa nach meinem Willen gesehen? Was führst du gegen mich die Vorwürfe ins Feld, die für die gelten, die mit Vorbedacht sündigten? Was mich von außen her befiel und mir gegen meinen Willen plötzlich den Verstand erschütterte, das habe ich erzählt. 138 Doch hier ist ja nicht vom Traume die Rede, sondern von Dingen, die Träumen gleichen. Was den nicht allzu Geläuterten groß und glänzend und erstrebenswert zu sein scheint, ist klein [249] und dunkel und der Verspottung würdig vor unbestechlichen Richtern der Wahrheit.

[20] 139 Soll ich nun, sagt er, der ich der rechte Logos bin, hingehen, und soll auch kommen die Mutter und zugleich die Erzieherin der wißbegierigen Schar, die tugendhafte Bildung, und sollen dahereilen auch unser beider Söhne und dir gegenübertreten, so der Reihe nach in einer Ordnung die Hände emporheben und den Dünkel anbeten, den wir zuvor ausgestoßen haben? 140 Sollen wir dann uns auf den Boden niederwerfen und anfangen, zu dir zu flehen und dich zu verehren? Doch niemals möge zu solchem Geschehen die Sonne leuchten, da zum Übel tiefe Finsternis, zum Guten aber fernher strahlendes Licht gehört. Welch größeres Übel aber könnte geschehen, als den falschen und lügnerischen Dünkel statt der ungekünstelten und untrüglichen Bescheidenheit zu verherrlichen und zu bewundern? 141 Sehr richtig aber ist noch hinzugefügt: „Es bewahrte der Vater das Wort“ (1 Mos. 37, 11). Es ist nämlich die Sache, nicht einer jüngeren, unfruchtbaren und sterilen Seele, sondern einer wahrhaft erwachsenen und das Zeugen verstehenden, mit der Bedachtsamkeit zusammen zu leben und nichts völlig zu verachten, sondern sich vor der unentrinnbaren und unbesiegbaren Macht Gottes zu beugen und ringsumher danach zu spähen, was ihr als das Ende noch zustoßen wird. 142 Deshalb heißt es in der heiligen Schrift auch von der Schwester des Moses – sie wird aber von uns Allegorikern „Hoffnung“ genannt –, sie schaute hin von ferne (2 Mos. 2, 4), doch wohl auf das Ende des Lebens hinblickend, damit es sie zur rechten Stunde treffe, wenn es ihr der Vollender von oben vom Himmel herabsendet. 143 Denn viele, die oftmals unschiffbare Meere durchkreuzten und eine weite Fahrt bei günstigen Winden ungefährdet mitmachten, scheiterten plötzlich in den Häfen selbst, als sie gerade landen wollten. 144 Und Unzählige, die schwere und lange Kriege mit aller Kraft unternahmen und unverwundet zu Ende führten, so daß sie nicht einmal an der äußersten Haut geritzt wurden, sondern wie von [678 M.] einer öffentlichen Versammlung und von einem Volksfest mit unversehrten Körpern und wohlerhaltenen Gliedern zurückkamen, wurden, als sie in fröhlicher Heiterkeit heimkehrten, in ihren eigenen Häusern von solchen, von denen es am wenigsten hätte geschehen sollen, hinterlistig angefallen und, wie das Sprichwort sagt, „wie Ochsen an der Krippe“[66] geschlachtet. [250] [21] 145 Wie nun unerwartete und unberechenbare Schicksalsschläge dies niederzuschmettern pflegen, so stürzen sie auch die seelischen Kräfte in ihr Gegenteil und biegen sie um, wenn sie dazu imstande sind, und zwingen sie zur Umkehrung. Denn wer blieb, wenn er in den Ringkampf des Lebens eingetreten ist, ohne Fehltritt? Wer wurde nicht zu Fall gebracht? Glücklich der, dem es nicht oft geschah! 146 Wem lauerte nicht die Schicksalsgöttin auf, Atem schöpfend und Kraft sammelnd, damit sie, wenn sie mit ihm handgemein geworden ist, ihn sofort hinwegraffe, ehe der Gegner sich zum Kampf gerüstet hat? 147 Kennen wir nicht sogar Leute, die vom Kindes- ins Greisenalter gelangten und keinerlei Beunruhigung zu spüren bekamen, sei es wegen der Wohlgeratenheit ihrer Natur oder wegen der Fürsorge ihrer Ernährer und Erzieher oder wegen beider Umstände, Leute, die von dem tiefen innerlichen Frieden erfüllt waren, der in Wahrheit Friede ist, ein Vorbild des Friedens unter den Staaten, und die deshalb für glücklich gehalten wurden, weil sie den von den Leidenschaften angefachten Bürgerkrieg, der der schwerste der Kriege ist, nicht einmal im Traume kennen lernten, und die dann doch an ihrem Lebensabend selbst aus der Bahn geschlagen wurden und scheiterten entweder durch die Offenheit[67] ihrer Zunge oder durch die Unersättlichkeit ihres Magens oder durch die unbeherrschte Geilheit ihres Unterleibs? 148 Denn die einen erstrebten das jugendliche, ehrlose, verfemte und häßliche Leben der Lüstlinge „auf der Schwelle des Alters“,[68] die andern das durchtriebene und ränkevolle und leichtsinnige, beginnend mit der Vielgeschäftigkeit, zu einer Zeit, da es sich geziemt hätte, sie aufzugeben, auch wenn sie alt gewesen wäre. 149 Deshalb muß man Gott anflehen und inbrünstig bitten, daß er an unserem dem Verhängnis unterworfenen Geschlecht nicht vorübergehe, sondern gestatte, daß sein rettendes Mitleid ewig dableibe; denn es ist schlimm, wenn die, die den ungetrübten Frieden gekostet haben, daran gehindert werden, sich (an ihm) zu sättigen. [22] 150 Doch sei wohlgemut! Dieser Hunger ist ein leichteres Übel als der Durst, da er ja Verlangen und Sehnsucht zu Tröstern hat. Wenn man aber aus einer andern Quelle, deren Naß schmutzig und ungesund ist, um des Verlangens nach einem Trunke willen sich sättigen [251] muß, dann müssen die, die sich mit einer bitter-süßen Lust erfüllen, in einem nicht mehr lebenswerten Leben weiterexistieren, zu Schädlichem hinstrebend, als ob es Nützliches wäre, aus Unkenntnis dessen, was ihnen zuträglich ist. 151 Die lästigste Flut solcher Übel aber bricht dann herein, wann die unvernünftigen Kräfte der Seele die des Verstandes angreifen und besiegen. 152 Solange nämlich die Rinderherden [679 M.] den Rinderhirten, die Schafherden den Schafhirten und die Ziegenherden den Ziegenhirten gehorchen, werden die Angelegenheiten der Herden gut verrichtet; sobald aber die vorgesetzten Herdenführer schwächer werden als ihre Tiere, wird alles falsch gemacht, und Unregelmäßigkeit entsteht aus Regelmäßigkeit, Unordnung aus Ordnung, Unruhe aus Beständigkeit und Verwirrung aus Trennung, weil keine gesetzliche Aufsicht mehr besteht; denn wenn eine da war, so ist sie jetzt schon zerstört. 153 Wie nun? Meinen wir nicht, daß auch in uns selbst eine Herde von Tieren ist, insofern der unvernünftige Haufe unsrer Seele von der Vernunft getrennt ist,[69] und ein Hirt, der führende Geist? Solange er jedoch kräftig ist und zum Beherrschen der Herde fähig, wird alles gerecht und zuträglich verrichtet. 154 Wenn aber den König eine Schwäche überfällt, dann müssen auch die Untertanen miterschlaffen; und wenn sie am meisten frei geworden zu sein glauben, dann werden sie am meisten ein Kampfpreis, der bereit da liegt für die, die sich auch nur zum Kampfe rüsten wollen. Denn die Herrenlosigkeit ist etwas Gefährliches, die Herrschaft aber etwas Heilbringendes, und besonders die, in der Gesetz und Gerechtigkeit geachtet sind; das aber ist die Herrschaft, die mit Vernunft ausgeübt wird.

[23] 155 Die Träume des leeren Wahns mögen nun hiermit erörtert sein. Der Völlerei aber gibt es zwei Arten: Trinken und Essen, aber das eine braucht nicht verschiedenartige Würzen und Zutaten, das andere unzählig viele. Dies obliegt nun zwei erfindungsreichen Verwaltern, die (Erfordernisse) des übertrieben sorgfältigen Trinkens dem Obermundschenk, die des nötigeren Essens dem Oberbäcker. 156 Wohlweislich aber werden sie uns als Leute dargestellt, die in ein und derselben Nacht ihre Träume haben; denn beide bemühen sich um dasselbe Bedürfnis und besorgen die Ernährung, nicht die einfache, sondern die mit Lust und Genuß verbundene. Und jeder von ihnen arbeitet für eine Hälfte der Ernährung, beide zusammen [252] aber für die ganze. 157 Es zieht aber auch der eine Teil den andern nach sich; denn die gegessen haben, werden auch sofort zum Trinken angeregt, und die getrunken haben, sogleich zum Essen, so daß nicht zum wenigsten auch aus diesem Grunde für beide dieselbe Zeit des Traumes angesetzt ist. 158 Der Obermundschenk hat nun die Trunksucht, der Oberbäcker die Gefräßigkeit als seinen Beruf erlost. Es sieht aber im Traume jeder von beiden das ihm Entsprechende, der eine den Wein und die den Wein erzeugende Pflanze, den Weinstock, der andere aber in Körben liegende reinliche Brote und sich selber die Körbe tragend (1 Mos. 40, 16. 17). 159 Es dürfte wohl das Richtige sein, zuerst den ersten Traum zu untersuchen; er ist folgender: „In meinem Schlafe stand ein Weinstock mir gegenüber. An dem Weinstock aber waren drei Wurzeln, und er selbst blühte und hatte Zweige getrieben; reif waren seine Trauben. Und ich hielt den Becher des Pharao in meiner Hand; [680 M.] und ich nahm die Traube und zerdrückte sie in den Becher, und ich gab den Becher in die Hände des Pharao“ (1 Mos. 40, 9–11). 160 Bewundernswert und wahrheitsgemäß sind die vorausgeschickten Worte: „In meinem Schlafe“. Tatsächlich ist ja ein Mensch, der sich weniger dem durch Wein als dem durch Unvernünftigkeit verursachten Rausche hingibt und gegen das Aufrechte und Wache eingenommen ist, wie die Schlafenden zu Boden gestreckt, ist erschlafft und hat die Augen der Seele geschlossen, außerstande, etwas von dem zu sehen oder zu hören, was des Sehens und Hörens wert ist. 161 Vom Schlafe[70] bezwungen aber geht er die dunkle und führerlose, nicht Bahn, sondern Bahnlosigkeit des Lebens dahin, von Dornen und Disteln durchstochen, manchmal auch von Berghängen stürzend und auf andere fallend, so daß er sie und sich selbst jämmerlich zugrunde richtet. 162 Der tiefe und ausgedehnte Schlaf aber, durch den jeder Tor gefesselt wird, nimmt (ihm) die wahren Vorstellungen weg, erfüllt seinen Geist mit trügerischen Gebilden und unsicheren Traumbildern und verleitet ihn dazu, das Vorwurfsvolle hinzunehmen, als sei es etwas Löbliches. Denn auch jetzt träumt er von einem Leid wie von einer Freude und merkt es nicht, daß er die Pflanze sieht, die am Unverstand und am Irrtum schuld ist, nämlich den Weinstock. 163 „Es stand“, heißt es ja, „ein Weinstock mir gegenüber“ (1 Mos. 40, 9), das Begehrte [253] dem Begehrenden, die Schlechtigkeit dem Schlechten; der Weinstock, den wir Unvernünftigen, ohne es zu merken, gegen uns selbst anbauen, dessen Frucht wir sowohl essen und auch trinken und sie so in jede der beiden Arten von Nahrung einreihen, dessen wir uns bemächtigen, wie es scheint, nicht zu einem halben Schaden, sondern zu einem ganzen, vollen und vollständigen.

[24] 164 Man darf aber nicht übersehen, daß der berauschende Trank des Weinstocks alle, die ihn genießen, nicht in denselben, sondern oft in entgegengesetzte Zustände versetzt, so daß die einen von ihnen als besser, die andern schlechter als sie waren, erfunden werden. 165 Den einen nämlich entfesselte er die Versonnenheit und den Mißmut, erleichterte die Sorgen, besänftigte Zorn und Leid, lenkte ihren Charakter zur Milde und machte die Seelen mit sich selbst zufrieden; den andern wiederum reizte er den Mut an, steigerte die Lust,[71] erregte die Sinnlichkeit, erweckte die Roheit und erzeugte einen vorlauten Mund, eine ungezügelte Zunge, schrankenlose Sinne, rasende Leidenschaften und einen verwilderten, von allem aufgeregten Geist; 166 so scheint es, als gliche der Zustand der ersteren dem windstillen Wetter in der Luft oder der wellenlosen Stille auf dem Meere oder der friedlichsten Beständigkeit im Staatsleben, der der letzteren aber dem heftigen und starken Winde oder dem stürmischen und wogenden Meere oder dem Aufstand, der Unruhe, die grauenvoller ist als ein friedloser und unversöhnlicher Krieg. 167 Es gibt nun aber zweierlei [681 M.] Gastmähler: das eine ist erfüllt von Lachen, Scherz, von Anbietenden, gutes Erwartenden, Gastgeschenke Bringenden, von Fröhlichkeit, freudigem Zuruf, Heiterkeit, Frohsinn und Sicherheit, 168 das andere aber von Nachdenklichkeit, Verdrossenheit, Anstößigkeiten, Schimpfereien, Verletzungen, von Zürnenden, Mißtrauischen, Zankenden, sich Würgenden, Raufenden, Ohren und Nasen und was sonst zufällig an Körperteilen zur Hand ist, Verstümmelnden[72] und den Rausch und die Unvernunft ihres ganzen [254] Lebens in unheiligem mit aller Unanständigkeit geführtem Kampfe Beweisenden. [25] 169 Ferner wäre nun zu bedenken, daß auch der Weinstock das Symbol zweier Dinge ist: des Unverstands und des Frohsinns. Beides wollen wir, obgleich es sich aus vielem ergibt, durch weniges erweisen, damit wir nicht zu weitschweifig werden. 170 Als uns einer auf dem von Leidenschaften und Übeltaten freien Wege führte, der Philosophie, und uns wie auf ein Gebirge[73] hinaufgeleitete, die rechte Vernunft auf eine Warte stellte, und aufforderte, ringsum das ganze Land der Tugend zu betrachten, ob es guter Boden ist und tief, grünes Laub und Früchte tragend und gut dazu geeignet, auch die ausgestreuten Lehren mitwachsen zu lassen, gut, die gepflanzten und sich zu Bäumen entwickelnden Grundsätze zu festen Stämmen zu machen, oder ob das Gegenteil der Fall ist, und was die Handlungen gleichsam wie Städte angeht, ob sie wohlverwahrt und befestigt sind oder unbewehrt und nicht wie durch den festen Ring von Mauern[74] umkleidet sind, und in betreff der Einwohner, ob sie an Menge und Kraft zugenommen haben oder wegen ihrer Schwächlichkeit wenig Männer zählen oder aus Menschenmangel schwach sind, 171 da konnten wir nicht den ganzen Baumstamm der Weisheit tragen, schnitten einen Zweig und eine Weintraube ab und luden sie auf als deutlichstes Zeichen der Freude, eine sehr leichte Last, um den Sproß und die Frucht zugleich des Schönen und Guten denen zu zeigen, die im Geiste den Reben treibenden und Trauben tragenden Weinstock klar vor sich sehen[75] (vgl. 4 Mos. 13). [26] 172 Diesen Weinstock, von dem wir nur einen Teil mitnehmen konnten, setzen sie treffend dem Frohsinn gleich. Zeuge dafür aber ist mir einer der alten Propheten, der in göttlicher Begeisterung sprach: „Ein Weinberg des allmächtigen Herrn ist das Haus Israels“ (Jes. 5, 7). 173 Israel aber ist der Gott und Welt schauende Geist – er bedeutet nämlich der „Gott Schauende“[76] –, das Haus des Geistes aber ist die ganze Seele.[77] Diese aber ist der heiligste Weinberg, der als Frucht den göttlichen Sproß trägt: die Tugend. 174 So groß und herrlich aber ist das „frohe Sinnen“, [255] die wörtliche Bedeutung[78] von „Frohsinn“, daß Moses sagt, auch Gott halte es nicht für unter seiner Würde, davon Gebrauch zu machen, und dann am meisten, wenn das Menschengeschlecht [682 M.] sich von den Sünden abwendet, sich aber der Gerechtigkeit zuneigt und zukehrt, aus freiem Entschluß den Gesetzen und Satzungen der Natur folgend. 175 „Es wird sich wenden“, heißt es nämlich, „der Herr dein Gott sich zu freuen über dich zum Guten, wie er sich gefreut hat über deine Väter, wenn du hinhörst auf seine Stimme, zu halten alle Gebote und Rechte und Bestimmungen, die geschrieben stehen in dem Buche dieses Gesetzes“ (5 Mos. 30, 9. 10). 176 Wer könnte wohl stärker eine Sehnsucht nach der Tugend und einen Eifer für das Gute und Schöne einflößen? Willst Du, heißt es, meine Seele, daß Gott sich freue? Erfreue dich selbst, und hierzu brauchst du keinerlei Aufwand zu machen – denn wessen bedarf er von dem Deinen? – nein, im Gegenteil: was er dir an Gütern gibt, nimm es freudig an. Denn am Geben hat er seine Freude, wenn die Empfänger der Gabe würdig sind. 177 Du müßtest denn glauben, daß man zwar mit Recht sage, die ein schuldvolles Leben Führenden erbittern Gott und machen ihn zornig, daß aber die, die ein löblich Leben führen, ihn nicht erfreuen. 178 Aber die Väter und Mütter, unsere sterblichen Eltern, erfreut doch nichts so sehr wie die Tugenden ihrer Kinder, obgleich sie unzähliger Dinge bedürfen; den Erzeuger des Alls aber und den überhaupt nichts Bedürfenden sollte die Schönheit und Güte seiner Kinder[79] nicht erfreuen? 179 Wenn du nun, meine Seele, erfahren hast, was für ein Übel der Zorn Gottes ist, was für ein Gut aber Gottes Freude, veranlasse nichts, was den Zorn verdient, zu deinem eigenen Verderben, sondern befleißige dich nur dessen, wodurch du Gott Freude machen wirst. 180 Solches aber wirst du finden, nicht dadurch daß du lange und unbetretene Wege zurücklegst oder unbeschiffbare Meere durchfährst oder in atemloser Hast nach den Grenzen der Erde und des Meeres hinstrebst; denn nicht in die weiteste Ferne ist es ausgewandert und aus den Grenzen des bewohnten Landes entflohen, sondern, wie Moses sagt (5 Mos. 30, 12–14), gar nahe neben dir steht das Gute und ist mit dir verbunden, zusammengesetzt aus den drei wichtigsten Teilen, Herz, [256] Mund und Händen, das heißt: aus Gedanken, Wort und Taten, da man das Gute denken, sagen und tun muß, erfüllt[80] von guter Absicht, gutem Handeln und gutem Reden.

[27] 181 Wir wollen demnach zu dem Obermundschenk, der die eine Art der Völlerei, die Vieltrinkerei, betreibt, sagen: Warum bist du so übel dran, Unvernünftiger? Du scheinst zwar das herzustellen, was zum Frohsinn führt, in Wahrheit aber entfachst du die Flamme des Unverstandes und der Zügellosigkeit und trägst ihr vielen und reichlichen Stoff zu. 182 Doch vielleicht könnte er antworten: Beschuldige mich nicht voreilig, bevor du mich kennen gelernt hat. Zum Einschenken ward ich bestellt, aber wahrlich nicht einem Manne, der mit Besonnenheit, Frömmigkeit und den andern Tugenden ausgestattet ist, sondern einem gefräßigen, [683 M.] unbeherrschten, ungerechten und mit seiner Gottlosigkeit prahlenden, der einmal zu sagen sich erkühnte: „Ich kenne den Herrn nicht“ (2 Mos. 5, 2)[81]. So betreibe ich selbst begreiflicherweise das, was jenem eine Lust ist. 183 Wundere dich aber nicht, daß Gott und der widergöttliche Geist, nämlich Pharao, an Entgegengesetztem ihre Freude haben. Wer ist nun Gottes Mundschenk? Der die Trankopfer darbringende, der wahrhaft große Hohepriester, der den Zutrunk der ewig strömenden Gnadengaben annimmt und als Gegenleistung, indem er die ganze Schale des berauschenden Trankes vollgießt, sich selbst darbringt. Du siehst, daß es Unterschiede unter den Mundschenken gibt, die denen entsprechen, die durch sie bedient werden. 184 Deshalb bin ich (der Mundschenk) des seinen eigensinnigen und in allem ohnmächtigen Verstand auf die Ausschweifungen richtenden Pharao ein Eunuch (1 Mos. 40, 1. 2), dem die Zeugungsorgane der Seele ausgeschnitten sind, ausgetreten aus der Männergesellschaft, geflohen auch aus der Gesellschaft der Weiber, weder ein männliches noch ein weibliches Wesen, ohne Samen spenden, noch empfangen zu können, von beiden Seiten angefeindet, zu keiner von beiden gehörend, eine Fehlprägung der Münze Mensch[82], ohne Anteil an der Unsterblichkeit, die durch die Aufeinanderfolge von Kindern oder Nachkommen für immer lebendig erhalten wird, ausgeschlossen aus der Versammlung und der heiligen Gemeinde; denn es wird [257] geradezu befohlen, daß kein Eunuch und kein Verschnittener hineinkomme (5 Mos. 23, 1). [28] 185 Der Hohepriester aber ist ohne Fehl, unversehrt, der Mann einer Jungfrau (3 Mos. 21, 17 und 13), merkwürdigerweise einer solchen, die niemals zum Weibe wird, sondern im Gegenteil die Eigenschaften des Weibes während des Umgangs mit dem Manne aufgegeben hat (1 Mos. 18, 11),[83] und er ist nicht nur ein Mann, fähig dazu, fleckenlose und jungfräuliche Lehren auszusäen, sondern er ist auch der Vater heiliger Logoi. 186 Von ihnen sind die einen Aufseher und Leiter der Vorgänge in der Natur, nämlich Eleasar und Ithamar (2 Mos. 28, 1), die andern Diener Gottes, die sich beeilen, die himmlische Flamme zu entzünden und anzufachen;[84] denn dadurch daß sie immer die Reden über die Frömmigkeit pflegen,[85] bringen sie es dahin, daß wie aus einem Feuerzeug die gottähnlichste Art der Gottesfurcht herausleuchtet. 187 Ihr Führer zugleich und Vater ist aber nicht jedes beliebige Glied der heiligen Gemeinde, sondern der, ohne den die Versammlung der Seelenteile überhaupt niemals zusammenberufen wäre und sich versammelt hätte, der Vorsitzende, der Obmann, der Verwalter, der allein für sich selbst, auch ohne andere, das einzelne zu erwägen und auszuführen imstande ist. 188 Dieser ist zwar, mit den andern zusammen betrachtet, nur wenig, viel aber wird er, wenn er allein da ist, (er wird nämlich) der ganze Gerichtshof, der ganze Rat, das ganze Volk, die große Masse, das gesamte Menschengeschlecht, ja mehr noch, wenn man die Wahrheit sagen soll, eine Art Mittelwesen zwischen Gott und Mensch, geringer als jener, aber mächtiger als ein Mensch. 189 Es heißt nämlich: „Wenn der Hohepriester in [684 M.] das Allerheiligste hineingeht, wird er kein Mensch sein“ (3 Mos. 16, 17).[86] Was wird er nun sein, wenn er kein Mensch ist? Etwa gar ein Gott? Das möchte ich nicht behaupten – denn diese Bezeichnung hat der Erzprophet Moses als sein Los erhalten, als er noch in Ägypten [258] war und Gott des Pharao genannt wurde (2 Mos. 7, 1)[87] – er ist vielmehr weder ein Gott noch ein Mensch,[88] sondern er berührt beide Extreme, gleichsam die Basis und die Spitze. [29] 190 Die eine Art des Weinstocks, die der Frohsinn sich erwählt hat, und der aus ihr entstehende Trank, die unvermischte Wohlberatenheit, und der Mundschenk, der aus dem göttlichen Mischkrug schöpfte, den Gott selbst bis zum Rande mit Tugenden füllte, die ist nun erklärt. 191 Die andere Art aber, die der Unvernunft, des Leides und des Streites beim Weingelage wird auf eine besondere Art[89] durch das an anderer Stelle Gesagte in dem größeren Liede[90] näher erläutert: „Denn vom Weinstock Sodoms“, heißt es, „ist ihr Weinstock und ihre Rebe aus Gomorrha; ihre Traube ist die Traube der Galle und ihre Beere die der Bitternis; Wut der Drachen ihr Wein, unheilbare Wut der Nattern“ (5 Mos. 32, 32–33).[91] 192 Du siehst, was der Rauschtrank der Unvernunft bewirkt: die Bitterkeit, die Bosheit, die Wut, den Zorn, die Wildheit, die Bissigkeit, die Hinterlist. Ganz klar heißt es, der Sproß der Unvernunft sei zu Sodom – Sodom aber bedeutet Blindheit oder Unfruchtbarkeit[92] –, da die Unvernunft etwas Blindes und unfruchtbar an guten Werken ist; von ihr verführt haben einige es für richtig gehalten, alles nach sich selbst zu messen, zu wägen und zu zählen.[93] Gomorrha nämlich heißt übersetzt „Maß“. 193 Moses aber nahm an, daß das Gewicht, das Maß und die Zahl des Alls Gott sei,[94] aber nicht der menschliche Geist. Er erklärt es aber durch folgende Worte: „Nicht soll in deinem Beutel sein zweierlei Gewicht, ein großes und[95] ein kleines; nicht soll in deinem Hause sein zweierlei Maß, ein großes und ein kleines; wahres und richtiges Gewicht sollst du haben“ (5 Mos. 25, 13–15).[96] 194 Ein wahrer und richtiger Maßstab aber ist es, wenn [259] wir glauben, daß der allein gerechte Gott alles mißt und wägt und durch Zahlen, Grenzen und Markzeichen die Natur des Alls umgrenzt hat, ein unrichtiger und falscher aber ist es zu meinen, daß das alles nach dem menschlichen Geiste geschehe.

195 Als aber der Eunuch und zugleich Mundschenk des Pharao die den Unverstand erzeugende Pflanze, den Weinstock, im Traume gesehen hatte, gibt er noch dazu eine Schilderung von drei Wurzeln, um die den drei Zeiten[97] entsprechenden äußersten Grenzen beim Sündigen mitanzudeuten. Wurzel nämlich bedeutet das Äußerste. [30] [685 M.] 196 Wenn nun Unverstand die ganze Seele beschattet hat und gefangen hält und keinen ihrer Teile los und frei gelassen hat, zwingt er sie nicht nur dazu, alle wieder gut zu machenden Sünden zu tun, sondern auch alle unheilbaren. 197 Die nun, die für Heilung empfänglich sind, werden als leichteste und erste beschrieben, die unheilbaren aber als schwerste und letzte, Wurzeln vergleichbar. 198 Und wie, meine ich, die Einsicht mit den geringeren Vorteilen beginnt, aber mit dem Übermaß der vollkommenen Pflichten endet, auf dieselbe Weise bewältigt auch der Unverstand die Seele von oben her, entfremdet sie in kurzer Zeit ihrer Erziehung, siedelt sie fern von der rechten Vernunft an und reißt sie bis zu den äußersten Grenzen hinab. 199 Der Traum aber offenbarte, daß der Weinstock nach den drei Wurzeln Blüten und Zweige treibt und Früchte trägt – „er selbst“, heißt es nämlich, „blühte und hatte Zweige getrieben; reif waren seine Trauben“ (1 Mos. 40, 10) –, er, dem es zukam, der Unfruchtbarkeit zu verfallen, niemals grünes Laub zu tragen und in alle Ewigkeit vertrocknet zu sein.[98] 200 Denn was für ein größeres Übel könnte es geben als einen blühenden und fruchtbringenden Unverstand? Aber auch „der Becher des Pharao“, der Behälter der Torheit und der Betrunkenheit und des das ganze Leben nicht aufhörenden Rausches, ist, heißt es, „in meiner Hand“ (1 Mos. 40, 11), das heißt so viel wie: in meinen Unternehmungen, Plänen und Kräften; denn ohne meine Gedanken wird die Leidenschaft nicht aus sich selbst heraus ihren freien Lauf gehen. 201 Wie nämlich in den Händen des Wagenlenkers die Zügel liegen müssen, in denen des [260] Steuermanns aber das Steuer – denn so allein wird der Lauf des Wagens und die Fahrt des Schiffes richtig –, so liegt in der Hand und Macht dessen, der die eine Art der Völlerei, die Trunksucht, betreibt, die Befriedigung des Unmäßigen. 202 Aber was fiel ihm ein, daß er sich unterfing, sich einer Sache zu rühmen, die mehr der Verleugnung als des Bekenntnisses wert ist? Oder wäre es nicht besser gewesen, nicht zu bekennen, Lehrer der Unmäßigkeit zu sein, sondern dem Unmäßigen die Erreger des Lasters aufzubürden, als wäre er der Erfinder und Schöpfer des so schändlichen Lebens eines Weichlings und Schwächlings? 203 So ist es aber: der Unverstand prahlt mit dem, was sich ziemte, verborgen zu werden. Jetzt ist er nicht nur stolz darauf, daß er den Behälter der unmäßigen Seele, den Becher, in seinen Händen herumträgt und ihn allen Leuten zeigt, sondern auch darauf, daß er die Traube in ihn zerdrückt; das aber heißt: das zur Befriedigung des Lasters Dienende schaffen und das Verborgene ans Licht bringen. 204 Wie nämlich die Säuglinge, die Nahrung haben wollen, wenn sie Milch saugen möchten, die Brust der Amme drücken und pressen, so preßt der Erzeuger der Unmäßigkeit kräftig die Quelle, aus der das Übel der Trunkenheit fließt [686 M.], um die herausgedrückten Tropfen als süßeste Nahrung zu benutzen. [31] 205 Hiermit mag uns der Mann beschrieben sein, der sich an ungemischtem Wein berauscht hat, das trunkene und schwatzhafte[99], unheilbare Laster; sein Verwandter aber, auch er ein Schlemmer, ein Freund des vielen Essens und der Gefräßigkeit, der die Zubereitung der Speisen im Übermaß betreibt, soll nun betrachtet werden. 206 Man braucht jedoch nicht viel Nachdenken, um seiner habhaft zu werden; denn das getreueste Abbild seines Porträts ist das ihm erschienene Traumbild. Wenn wir also dieses genau untersucht haben, werden wir jenes wie ein Bild in einem Spiegel sehen. 207 „Ich glaubte“, heißt es nämlich, „drei Kornkörbe auf meinem Haupte zu tragen“ (1 Mos. 40, 16). Das Haupt jedoch, sagen wir allegorisierend, ist der führende Teil der Seele, der Geist, auf ihm aber liege alles. Er verkündete nämlich auch einmal von ihm: „Über mich kam dies alles“ (1 Mos. 42, 36). 208 Er stellt sich nun dar, wie er sich fertig macht zu einer Lieferung, die er zubereitete gegen [261] den armen Magen, und der Tor scheut sich nicht, Körbe zu tragen und sich mit einer derartig großen dreifachen Last von Körben zu beschweren, das heißt nämlich mit den drei Teilen der Zeit.[100] 209 Die Lust nämlich, sagen die, die ihr anhangen,[101] besteht aus der Erinnerung an vergangene Freuden, aus dem Genuß der gegenwärtigen und aus der Hoffnung auf die zukünftigen, 210 so daß die drei Körbe den drei Teilen der Zeit entsprechen, das Backwerk aber in den Körben dem zu jedem der Teile Passenden: der Erinnerung an vergangene (Freuden), der Teilnahme an gegenwärtigen, der Erwartung zukünftiger, der das alles Tragende aber dem Lüstling, der nicht mit einer Art Unmäßigkeit, sondern mit fast allen Gattungen und Arten der Ausschweifung den Tisch angefüllt hat, der der Opferspende und des gastlichen Salzes entbehrt. 211 Von ihm hat allein der König Pharao wie bei einer Volksspeisung Genuß, der das Ausstreuen,[102] Zerstreuen und Verderben der Enthaltsamkeit betreibt. Er bedeutet nämlich „Zerstreuung“.[103] Seine Hoheit und Königswürde hat er aber nicht, weil er stolz sein könnte auf Güter der Besonnenheit, auf die er es sein dürfte, sondern, weil er sich, was er nicht dürfte, mit den Bestrebungen der Unverschämtheit brüstet, und dabei scheitert er an der Unersättlichkeit, Gefräßigkeit und Weichlichkeit. 212 Daher denn die Vögel, das heißt: die von außen her zufliegenden unberechenbaren Zufälle, über alles wie ein Feuer herfallen, es entzünden und mit ihrer alles fressenden Kraft verzehren werden (1 Mos. 40, 17), so daß auch nicht ein Restchen übrigbleibt zum Genuß für den Korbträger, der hoffte, seine Erfindungen und Einfälle bis in alle Ewigkeit unentwindbar in [687 M.] Sicherheit zu tragen. 213 Dank sei dem sieghaften Gott, der die bis zum Äußersten getriebenen Bestrebungen des dem Laster Frönenden erfolglos macht, dadurch daß er geflügelte Wesen unsichtbar schickt zu ihrer Vernichtung und ihrem Verderben. Wenn nun der Geist alles dessen beraubt worden ist, was er geschaffen hat, wird er, wie wenn man ihm den Hals abgeschnitten hätte, als ein Kopfloser und ein Toter erfunden werden, angenagelt wie die Gekreuzigten am Holze der [262] dürftigen und armseligen Unbildung.[104] 214 Solange nämlich keiner der plötzlichen Zufälle, die (uns) unvorhergesehen heimzusuchen pflegen, Schaden anrichtet, scheinen die zum Genuß der Lust dienenden Künste freie Bahn zu haben, fahren jene aber aus dem Unsichtbaren (wie ein Blitz) hernieder, so werden diese vernichtet, und ihr Schöpfer geht mit ihnen zugrunde.

[32] 215 Die Träume derer, die die Werkstatt des Geschmacks in den beiden Arten der Nahrung unter sich geteilt haben, des Trankes und der Speise, nicht der notwendigen, sondern der überflüssigen und unmäßigen, sind nun erklärt; die Träume des Mannes aber, der über sie und über alle anderen Seelenkräfte zu herrschen scheint, mit Namen Pharao, sollen der Reihe nach sogleich durchgesprochen werden: 216 „In meinem Traume nämlich“, heißt es, „glaubte ich zu stehen an dem Ufer des Flusses; und wie aus dem Flusse stiegen sieben Kühe mit auserlesenem Fleisch und schön anzusehen, und sie weideten an dem Ufer.[105] Und siehe, sieben andere Kühe stiegen hinter ihnen aus dem Flusse, notleidend, häßlich anzusehen und mager an Fleisch, wie ich solche häßlicher in ganz Ägyptenland nicht gesehen habe. 217 Und es fraßen die mageren und häßlichen Kühe die ersten sieben Kühe, die schönen, auserlesenen, auf, und sie gingen in ihre Magen ein, und man merkte es nicht, daß sie in ihre Magen gekommen waren, und ihr Ansehen blieb häßlich wie zuvor. 218 Nachdem ich aber aufgewacht war, schlief ich wieder ein und sah wiederum in meinem Schlafe, und zwar daß sieben Ähren hervorwuchsen an einem einzigen Halme, voll und schön. Andere sieben Ähren aber mager und vom Winde zerzaust wuchsen neben ihnen hervor. Und es verschlangen die sieben (mageren und zerzausten) Ähren (die sieben) schönen und vollen Ähren“ (1 Mos. 41, 17–24).[106] 219 Du erkennst schon an der Einleitung den Selbstsüchtigen, der, obgleich er beweglich, umlenkbar und wandelbar an [263] Körper und Seele ist, spricht: „Ich glaubte zu stehen“, und nicht bedachte, daß allein Gott die Unbeweglichkeit und die Festigkeit eigen ist und dem, der zu seinen Freunden gehört.[107] 220 Der klarste Beweis für die an ihm wirksame unbewegbare Kraft ist diese unsere Welt, die immer in derselben Weise und auf dieselbe Art besteht – wenn aber die Welt unveränderlich ist, warum sollte da ihr Schöpfer nicht feststehend sein? –, und dann auch die heilige Schrift, der untrüglichste Zeuge. 221 Es wird nämlich von Gott gesagt: „Hier stehe ich vor dir auf dem Fels am Horeb“ (2 Mos. 17, 6)[108], das heißt soviel wie: [688 M.] ich, der ich sichtbar und hier bin, ich bin auch dort und überall, da ich das All ausgefüllt habe, in demselben Zustand verharrend und bleibend, da ich unwandelbar bin, bevor du oder irgendein Ding in das Werden eintratest, gegründet auf die höchste und älteste Macht der Herrschaft, von der das Werden der Dinge strömte und der Quell der Weisheit ausfloß.[109] 222 Ich nämlich bin es, „der dir aus dem hochzackigen Felsen eine Wasserquelle hervorsprudeln ließ“ (5 Mos. 8, 15),[110] heißt es an anderer Stelle. Es zeugt aber auch Moses für die Unwandelbarkeit des Göttlichen mit den Worten: „Ich sah den Ort, wo der Gott Israels stand“ (2 Mos. 24, 10),[111] womit er seine Unwandelbarkeit durch sein Stillstehen und seine Gegründetheit andeutet. [33] 223 Aber das Göttliche besitzt ja ein solches Übermaß an Festigkeit, daß es auch noch den auserwählten Naturen von seiner Sicherheit, wie von seinem besten Besitz, etwas mitteilt. Ja, gleich seine gnadenreiche Wesensart[112] – es ist das aber [264] das Gesetz und der älteste Logos[113] des Seins – sagt er, werde er fest gründen gleichsam wie eine gottähnliche Statue auf dem Grund der Seele des Gerechten, wenn er zu Noah spricht: „Ich werde meine Wesensart vor dich hinstellen“ (1 Mos. 6, 18).[114] 224 Damit gibt er aber auch noch zweierlei zu verstehen: erstens daß die Gerechtigkeit sich von der Wesensart Gottes nicht unterscheidet, zweitens daß die andern etwas schenken, was sich von denen unterscheidet, die es empfangen, daß Gott aber nicht nur solches schenkt, sondern sie selber sich selbst; mich nämlich hat er mir selbst geschenkt und jedes Wesen sich selber; denn das Wort: „Ich werde meine Wesensart vor dich hinstellen“, heißt soviel wie: „Ich werde sie dir schenken“. 225 Es streben aber auch alle Gottgeliebten danach, dem Sturm der Vielgeschäftigkeit zu entrinnen, in dem Wogenschwall und Brandung immer durcheinandertosen, und in die stillen und schiffebergenden Häfen der Tugend einzulaufen. 226 Bemerkst du nicht, was über den weisen Abraham gesagt wird, daß er „dem Herrn gegenüber stand“ (1 Mos. 18, 22)?[115] Denn wann ist es wahrscheinlich, daß eine Denkseele nicht mehr wie auf einer Waage schwankt und festzustehen vermag, als wann sie sich Gott gegenüber befindet, ihn sehend und von ihm gesehen? 227 Denn von zwei Seiten aus erlangt sie die Stabilität: vom Anblick des Unvergleichlichen und (der Erkenntnis), daß er von den ihm unähnlichen Dingen nicht abgelenkt wird, und von dem Angeblicktwerden (und der Erkenntnis), daß er sie (die Denkseele) die der Lenker für würdig hielt, zu seinem Anblick zu kommen, dem allein Besten, nämlich sich selbst, zuerteilt hat. Und dem Moses fürwahr wurde folgende Weissagung verkündet: „Du aber stelle dich neben mich“ (5 Mos. 5, 31),[116] woraus sich beides bereits Erwähnte ergibt: die Unbeugsamkeit des Edlen und die Festigkeit des Seienden in jeder Beziehung. [34] 228 Tatsächlich nämlich wird auch das sich Gott Nahende an Unveränderlichkeit dem Feststehenden selbst verwandt,[117] und wenn der Geist zur Ruhe kam, erkannte er deutlich, was für ein großes Gut die Ruhe ist, und staunend [265] über ihre [689 M.] Schönheit erfaßte er, daß er entweder Gott allein zugeteilt worden sei oder dem zwischen dem sterblichen und dem unsterblichen Geschlecht in der Mitte stehenden Wesen. 229 Demnach heißt es: „Und ich stand zwischen dem Herrn und euch“ (5 Mos. 5, 5),[118] womit er nicht etwa ausdrücken will, daß er auf seinen eigenen Füßen feststand, sondern nur anschaulich machen wollte, daß die Denkseele des Weisen, wenn sie sich von Stürmen und Kämpfen befreit hat und die windstille Ruhe und tiefen Frieden genießt, höher ist als ein Mensch, geringer aber als Gott. 230 Der gewöhnliche Menschengeist nämlich wird erschüttert und verwirrt von den zufällig eintretenden Ereignissen, er aber ist, weil selig und glücklich, ledig alles Übels. Ein Mittelwesen ist der Weise, richtig ausgedrückt: weder ein Gott noch ein Mensch, sondern an beide Extreme heranreichend, durch seine Menschlichkeit an das sterbliche Geschlecht, durch seine Tugend an das unvergängliche. 231 Dem kommt auch der über den Hohenpriester verkündete Spruch nahe: „Wenn er“, heißt es nämlich, „in das Allerheiligste hineingeht, wird er kein Mensch sein, bis er wieder herauskommt“ (3 Mos. 16, 17)[119]. Wenn er aber dann kein Mensch wird, so ist es klar, daß er auch kein Gott (wird); was ist er anderes als ein Diener Gottes,[120] nach seinem sterblichen Teile der Schöpfung, nach dem unsterblichen dem Schöpfer verwandt. 232 Die Mittelstellung aber behält er so lange, bis er wieder herauskommt in die körperlichen und fleischlichen Verhältnisse. Und damit verhält es sich folgendermaßen: Wenn der Geist, von göttlichem Liebesdrang ergriffen, sich bis zum Allerheiligsten hinstreckt und mit Einsatz seines ganzen Strebens und Eifers vorankommt, hat er, von Gott hingerissen, alles andere vergessen, hat aber auch sich selber vergessen; er erinnert sich allein und klammert sich an den von Trabanten Geschützten und von Dienern Betreuten, dem er die heiligen und unberührten Tugenden als Rauchopfer darbringt. 233 Wenn aber die Begeisterung zum Stillstand kommt und der heftige Drang nachläßt, entläuft er dem Göttlichen wieder und wird Mensch, da er auf das Menschliche getroffen ist, das ihm im Vorhof auflauerte, um ihn, wenn er sich von drinnen auch nur sehen läßt, hinwegzuraffen. [35] 234 Den Vollendeten also schildert [266] Moses weder als Gott noch als Menschen, sondern, wie gesagt, als ein Zwischenwesen zwischen ungewordener und vergänglicher Natur; den Fortschreitenden aber ordnet er wiederum ein in das Zwischengebiet zwischen Lebenden und Toten, wobei er lebend diejenigen nennt, die im Bunde mit der Einsicht leben, tot aber die, die sich der Unvernunft erfreuen. 235 Es wird nämlich über Aaron gesagt, daß er „in der Mitte stand zwischen den Toten und den Lebendigen, und es ließ das Zerbrechen nach“ (4 Mos. 17, 13).[121] Der Fortschreitende wird nämlich weder unter denen, die dem Leben der Tugend gestorben sind, gefunden, weil er voll Sehnsucht und Eifer nach dem Guten ist, noch unter denen, [690 M.] die in der höchsten und vollkommenen Glückseligkeit leben – denn noch fehlt ihm etwas bis zum Ziele –, sondern er steht in Verbindung mit beiden. 236 Deshalb wird auch ganz richtig hinzugefügt: „Das Zerbrechen ließ nach“, aber es hörte nicht auf.[122] Es hört nämlich bei den Vollendeten das auf, was die Seele zerbricht, zerschlägt und zertrümmert, bei den Fortschreitenden aber wird es verringert, gleichsam nur gehemmt und gemindert.

[36] 237 Da nun das Feststehen und die Standhaftigkeit und das in Ewigkeit im selben Zustande unveränderlich und unwandelbar Verharren zuerst bei dem Seienden vorhanden ist, dann bei dem Logos des Seienden, den er Wesensart nannte, drittens aber bei dem Weisen und viertens bei dem Fortschreitenden, wie kam da der schlechte und allem Unheil verfallene Geist dazu zu glauben, daß er allein stehen könnte, wo er doch umhergetrieben wird wie in einer Sintflut und fortgerissen wird durch die aufeinanderfolgenden Wirbel der durch den Körper, den wir wie eine Leiche mit uns herumschleppen,[123] strömenden Fluten? 238 „Ich glaubte“, heißt es nämlich, „zu stehen am Ufer des Flusses“ (1 Mos. 41, 17). Von dem Flusse aber sagen wir symbolisch, daß er eine Rede sei, da beide sich nach außen bewegen und dahinfließend eine reißende Geschwindigkeit haben und bald leicht dahinströmen in Fluten – der eine des Wassers, die andere der Zeitwörter und Hauptwörter –, [267] bald schwer fließen, nachlassend und versiegend. 239 Sie bringen gewiß beide Nutzen, der Fluß dadurch, daß er die Fluren, die Rede dadurch, daß sie die Seelen der Hörfreudigen tränkt, aber es kommt auch vor, daß sie schaden, wenn sie überschäumen, der Fluß, wenn er den angrenzenden Acker überschwemmt, die Rede, wenn sie den Verstand der Unaufmerksamen verwirrt und in Unordnung gebracht hat. So gleicht die Rede einem Flusse.[124] 240 Das Wesen der Rede aber ist ein zweifaches: ein besseres und ein schlechteres; das bessere ist das Nutzen bringende, das schlechtere aber notwendigerweise das Schaden bringende. 241 Sehr deutliche Beispiele aber für jedes von beiden hat Moses denen, die sehen können, gegeben. „Ein Fluß“, sagt er nämlich, „geht von Eden aus, den Garten zu tränken; von dort scheidet er sich in vier Ursprünge“ (1 Mos. 2, 10).[125] 242 Er nennt aber die Weisheit des Seienden Eden, das bedeutet „froher Genuß“,[126] weil, glaube ich, sowohl die Weisheit Gottes Ergötzen wie auch Gott das der Weisheit ist, da ja auch in den Psalmen gesungen wird: „Ergötze dich an Gott“ (Psalm 37, 4).[127] Es kommt aber von der Weisheit wie aus einer Quelle der göttliche Logos einem Flusse gleich herab, auf daß er befeuchte und tränke die olympischen und himmlischen Keime und Gewächse tugendliebender Seelen wie einen Garten. 243 Dieser heilige Logos aber scheidet sich in die vier Ursprünge, das heißt: er teilt sich in die vier Tugenden, deren jede eine Königin ist. Das Sichscheiden in Ursprünge bezieht sich nicht auf örtliche Gebiete, sondern auf die Königsherrschaft,[128] damit er bei der Darstellung der Tugenden sogleich [691 M.] auch den sich ihrer bedienenden Weisen als König in Erscheinung treten lasse, der dazu erwählt worden ist nicht von Menschen, sondern von dem untrüglichen und unbestechlichen und allein freien Wesen. 244 Es sagen nämlich zu Abraham die, die an ihm die Weisheit bemerkten: „Ein König von Gott bist du unter uns“ (1 Mos. 23, 6).[129] womit sie für die sich mit Philosophie Beschäftigenden den Lehrsatz aufstellen, [268] daß allein der Weise Herrscher und König und die Tugend unumschränkte Herrschaft und Königsgewalt ist. [37] 245 Diesen Logos verglich einer der Anhänger des Moses mit einem Flusse und sprach in den Psalmen: „Der Fluß Gottes wurde erfüllt mit Wasser“ (Psalm 65, 10). Nun ist es doch unsinnig, dies von einem auf unserer Erde fließenden Flusse in buchstäblichem Sinne zu sagen, sondern, wie es scheint, spricht er deutlich von dem göttlichen Logos voll vom Naß der Weisheit, der keinen Teil frei und leer von sich läßt, ja mehr noch, der, wie man sagen könnte,[130] ganz und gar sich ergießt und zur Höhe gehoben wird durch den dauernden und ununterbrochenen Zustrom jener ewig fließenden Quelle. 246 Es gibt aber auch noch folgenden anderen Psalmenvers: „Das Strömen des Flusses erfreut die Stadt Gottes“ (Psalm 46, 5). Was für eine Stadt? Denn was jetzt die heilige Stadt ist, in der sich auch der heilige Tempel befindet, ist fern vom Meer ebenso wie von Flüssen gegründet worden, so daß es klar ist, daß er etwas anderes als das offen zutage Liegende durch eine Allegorie darlegen will. 247 Tatsächlich überströmt und erfreut der Strom des göttlichen Logos, der ununterbrochen[131] und dauernd mit Wucht in Ordnung dahingetragen wird, alles durch und durch. 248 Stadt Gottes nämlich nennt er einerseits die Welt, die den ganzen Mischkrug göttlichen Trankes in sich aufnahm,[132] ihn unvermischt aufsog und, damit gelabt, den in alle Ewigkeit unentreißbaren und unauslöschlichen Frohsinn gewann, andererseits aber die Seele des Weisen, von der es heißt, daß Gott in ihr auch umherwandle wie in einer Stadt. „Ich werde in euch wandeln“, heißt es nämlich, „und ich werde euer Gott sein“ (3 Mos. 26, 12).[133] 249 Und wer soll einer glückseligen Seele, die als den heiligsten Becher ihren eigenen Geist hinhält, die heiligen Gefäße des wahrhaften Frohsinns vollgießen, wenn nicht Gottes Mundschenk und Zechmeister, sein Logos, der sich von dem Tranke nicht unterscheidet, sondern selbst ungemischt ist, das Labsal, die Würze, die Ausgelassenheit, die Heiterkeit, das – um auch selbst poetische Ausdrücke zu gebrauchen – ambrosische Freuden- und Frohsinnsmittel? [269] [38] 250 Die Stadt Gottes aber wird von den Hebräern Jerusalem genannt, ein Name, der übersetzt „Gesicht des Friedens“[134] heißt. Daher suche die Stadt des [692 M.] Seienden nicht in den Landstrichen der Erde – denn sie ist nicht von Holz oder Stein gebaut –, sondern in der kampflosen und klarsichtigen Seele, die sich das beschauliche und friedfertige Leben zum Ziele gesetzt hat. 251 Denn welche ehrwürdigere und heiligere Wohnung könnte man für Gott in dieser Welt finden als einen schaulustigen Geist, der alles zu sehen sich beeilt und nicht einmal im Traume nach Aufstand und Aufruhr trachtet? 252 Es raunt mir aber wieder einmal der unsichtbare Geisthauch zu, der unbemerkt in mir umzugehen pflegt[135] und spricht: „Du da, du scheinst mir unkundig zu sein einer wichtigen und wünschenswerten Sache, über die ich dich – denn schon zu vielem anderen habe ich dich zur rechten Zeit angeleitet – neidlos belehren werde. 253 Wisse denn, mein Lieber, daß Gott allein der untrüglichste und wahre Friede ist, die ganze gewordene und vergängliche Substanz aber ein fortgesetzter Krieg. Ist doch Gott etwas, das freien Willen hat, die Substanz aber eine Notwendigkeit. Wer es nun vermöchte, den Krieg, die Notwendigkeit, das Werden und Vergehen zu verlassen, zu dem Unerschaffenen, zum Unvergänglichen, zu dem, was freien Willen hat, zum Frieden überzugehen, von dem möchte man mit Recht sagen, daß er ein Aufenthalt und eine Stadt Gottes sei. 254 Es darf also für dich kein Unterschied sein, ob du dieselbe zugrundeliegende Sache Gesicht des Friedens oder Gesicht Gottes nennst, weil nämlich der Friede nicht nur ein Mitglied im Chore der vielnamigen Kräfte des Seienden ist, sondern der Chorführer.[136] [39] 255 Auch dem weisen Abraham, heißt es ja, werde er geben einen Anteil am Lande „von dem Fluß Ägyptens bis zu dem großen Fluß Euphrat“ (1 Mos. 15, 18),[137] womit er weniger einen Landabschnitt

[270] als den besseren Teil an uns selbst meint. Dem Fluß Ägyptens nämlich wird unser Körper gleichgesetzt und die in ihm und durch ihn entstehenden Leidenschaften, dem Euphrat aber die Seele und was ihr lieb ist. 256 Es wird demnach als lebenswichtigste und umfassendste Lehre aufgestellt, daß der Weise als Los die Seele und die Seelentugenden erhielt, sowie der Tor andererseits den Körper und die körperlichen und durch den Körper entstehenden Laster. 257 Das Wort „von“ aber bezeichnet zweierlei: erstens einschließlich der Sache, von der aus gerechnet wird, zweitens aber ausschließlich derselben. Wenn wir nämlich sagen, von der Morgenstunde bis zum Abend seien zwölf Stunden und vom Monatsanfang bis zum Dreißigsten seien dreißig Tage, beziehen wir die erste Stunde und den Monatsanfang mit ein; wenn aber einer sagt, [693 M.] der Acker liege drei oder vier Stadien von der Stadt entfernt, so meint er das sicherlich, ohne die Stadt mitzurechnen. 258 So ist auch hier anzunehmen, daß unter den Worten „von dem Flusse Ägyptens“ die Entfernung ausschließlich des Flusses zu verstehen ist; denn er will, daß wir nach der Trennung vom Körperlichen, das sich unserm Anblick als im Zustand des Fließens und der zugrundegehenden und zugrunderichtenden Vergänglichkeit darstellt, das Ackerlos der Seele in Empfang nehmen mit den unvergänglichen und der Unvergänglichkeit würdigen Tugenden. 259 So haben wir allerdings bei unserer Suche gefunden, daß die lobenswerte Rede einem Flusse gleicht. Die tadelnswerte selbst aber war eben der ägyptische Fluß, eine Art führungslose und unwissende, eine sozusagen seelenlose Rede. Deshalb verwandelt sie sich auch in Blut (2 Mos. 7, 20), da sie nicht zu nähren vermag – denn die Rede der Unbildung ist nicht trinkbar – und sie gebiert gewiß mit Leichtigkeit blut- und seelenlose Frösche (2 Mos. 8, 6), die einen seltsamen und rauhen Klang, eine Qual für das Gehör, ertönen lassen. 260 Es heißt aber, daß darin auch alle Fische zugrunde gingen (2 Mos. 7, 21); das sind, symbolisch ausgedrückt, die Gedanken. Diese nämlich schwimmen und werden geboren in der Rede wie in einem Flusse, lebenden Wesen gleichend und sie beseelend. In einer ungebildeten Rede aber sind die Gedanken gestorben; denn nichts Verständliches ist da zu finden, sondern nur, wie ein Dichter[138] sagt, des Geschreis unordentliche und endlos geschwätzige Klänge.

[271] [40] 261 Hierüber nun genug. Da er aber nicht nur ein Stehen und einen Fluß, sondern auch Ufer eines Flusses im Traumgesicht geschaut zu haben erklärt, da er sagt: „Ich glaubte zu stehen an dem Ufer des Flusses“ (1 Mos. 41, 17), dürfte es nötig sein, auch über das Ufer das Passende zu erwähnen. 262 Die Natur scheint nun aber um zweier sehr nötiger Dinge willen den Lebewesen und besonders den Menschen Lippen,[139] angefügt zu haben: einmal um des Schweigens willen – denn sie sind eine Schutzwehr und ein ganz fester Damm der Stimme –, zweitens um der Sprechfähigkeit willen; denn durch sie wird der Redefluß dahingetragen. Wenn sie sich nämlich zusammenziehen, wird er aufgehalten, und es ist unmöglich, daß er dahinfließt, wenn sie nicht auseinandertreten. 263 Deshalb üben und schulen sie (uns) für beides, für das Reden und das Schweigen, wenn (wir) den passenden Augenblick für beides beobachten. Wird zum Beispiel etwas des Hörens Wertes gesagt, höre in Ruhe zu, ohne etwas zu entgegnen, nach der Vorschrift des Moses: „Schweige und höre“ (5 Mos. 27, 9). 264 Unter denen nämlich, die zu den eristischen Disputationen kommen, dürfte man von keinem einzigen glauben, daß er richtig rede und zuhöre; wer wirklich hören will, dem ist das Schweigen von Nutzen.[140] 265 Ferner, wenn du in den Kämpfen und Übelständen des Lebens die gnädige Hand und Macht Gottes erblickst, schirmend und schützend, schweige. Denn dieser Helfer bedarf keines [694 M.] Beistandes im Kampfe. Ein Beweis hierfür ist der in den heiligen Schriften niedergelegte Spruch: „Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet schweigen“ (2 Mos. 14, 14). 266 Wenn du aber vollends siehst, daß die echten Sprößlinge und Erstgeborenen Ägyptens zugrunde gehen (2 Mos. 11, 5), das Begehren, das Genießen, das Trauern, das Fürchten, das Unrechttun, das Unverständigsein, das Leben in Ausschweifungen und was hiermit verbrüdert und verwandt ist, schweige erschüttert, dich beugend vor der furchtbaren Macht Gottes. 267 „Denn es soll“, heißt es, „nicht ein Hund mit der Zunge blecken, nicht vom Menschen bis zum Vieh“ (ebd. 7), das heißt so viel wie: es geziemt weder der hündischen, [272] bellenden und keifenden Zunge, noch dem Menschen in uns,[141] dem leitenden Geist, noch der viehischen Herde, der Sinnlichkeit, sich zu brüsten, wenn, wo uns das, was in unsern Kräften steht, genommen wurde, die ganze Hilfe im Kampfe ohne Geheiß von außen her kam. um uns zu beschützen. [41] 268 Es ergeben sich aber viele Gelegenheiten, bei denen es sich nicht gehört zu schweigen, sondern die das Reden in Gesprächsform fordern. Für sie kann man auch wieder Vorschriften aufgestellt sehen. Inwiefern? Ist da irgendein unerwarteter Mitbesitz an etwas Gutem eingetreten? Schön ist es da gewiß, seinen Dank auszusprechen und den, der es schickte, zu preisen. 269 Was ist nun das Gute? Ist die uns angreifende Leidenschaft gestorben und kopfüber unbegraben hinabgestürzt worden? So wollen wir gewiß nicht zögern, sondern einen Chor aufstellen und den ehrwürdigsten Gesang anstimmen und alle auffordern zu sprechen: „Singen wir dem Herrn, denn ruhmvoll hat er sich verherrlicht; Roß und Reiter warf er ins Meer“ (2 Mos. 15, 1).[142] 270 Aber der Untergang und das Entweichen der Leidenschaft ist freilich ein Gut, aber kein vollkommenes Gut. Das Finden der Weisheit aber ist ein überschwengliches Gut. Ist sie gefunden, so wird das ganze Volk nicht mit einem einzigen Teile der Musik, sondern mit allen ihren Harmonien und Melodien singen. 271 „Da“, heißt es nämlich, „sang Israel dieses Lied bei dem Brunnen“ (4 Mos. 21, 17), das heißt: bei der früher verborgenen, aber wieder gesuchten und schließlich aufgefundenen, von Natur tiefen Erkenntnis, deren Bestimmung es ist, die Saatfelder der Vernunft der des Schauens Beflissenen in ihren Seelen zu bewässern. Und ferner. 272 Wenn wir die echte Frucht des Geistes eingesammelt haben, befiehlt uns nicht die heilige Schrift, in der Vernunft wie in einem Korbe (5 Mos. 26, 2 und 4) die Erstlinge des Ertrags der Güter, die die Seele als Blüten, Zweige und Früchte getragen hat, geradezu zur Schau zu stellen und, den Lobpreis auf den alles zur Vollendung bringenden Gott anstimmend, folgendes zu sagen: „Ich habe ausgeräumt das Heilige aus meinem Hause“ (ebd. 13), und ich habe es aufbewahrt [695 M.] in dem Hause Gottes, und ich habe zu Verwaltern und Wächtern gesetzt die auf Grund ihres Adels zum heiligen Tempeldienst Erwählten? 273 Das aber sind [273] die Leviten, die Fremdlinge, die Waisen und Witwen (ebd.), teils Bittflehende, teils Auswanderer und Flüchtlinge, teils Waisen und Witwen der Schöpfung, die sich aber Gott als den Gatten der ihm dienstbaren Seele und als ihren echten Vater zugeschrieben haben. [42] 274 Auf diese Art zu reden wie auch zu schweigen, ist durchaus angebracht. Der entgegengesetzten aber befleißigen sich die Toren; denn sie sind Eiferer für ein tadelnswertes Schweigen und ein verbrecherisches Reden geworden, und sie üben beides zu ihrem und anderer Leute Verderben. 275 Die größte Übung aber haben sie darin, das zu sagen, was sie nicht sollten; denn wenn sie den Mund öffnen und ihn ungezügelt, wie einen nicht zu bändigenden Strom, laufen lassen, senden sie, wie die Dichter sagen[143] ihre schwatzhafte Rede dahin, die tausenderlei unnützes Zeug mitschleppt. 276 Daher wandten sich denn die einen der Verteidigung der Lust und Begierde und jedes übermäßigen Triebes[144] zu, führten die unvernünftige Leidenschaft als Bollwerk gegen den leitenden Verstand auf und gerieten schließlich noch, nachdem sie sich zu streitbarem Wetteifer gerüstet hatten, in Kampf in der Hoffnung, das schauende Geschlecht blenden und über die Bergabhänge und in die Schluchten, aus denen es wohl nie wieder ein Erheben gäbe, hinabstürzen zu können. 277 Einige aber zeigten sich nicht nur als Gegner der menschlichen, sondern auch der göttlichen Tugend. Bis zu solchem Wahnsinn ließen sie sich hinreißen. Als Chorführer der die Leidenschaft liebenden Schar wird nun Pharao, der König des Ägyptenlandes, beschrieben. Es wird nämlich zu dem Propheten gesagt: „Siehe, er selbst zieht aus an das Wasser, und du stelle dich ihm entgegentretend ans Ufer des Flusses“ (2 Mos. 7, 15).[145] 278 Denn des einen Eigentümlichkeit ist es, immer zur Bewegung und Verbreitung der Flut der unvernünftigen Leidenschaft auszuziehen, Eigentümlichkeit des Weisen aber ist es, dem gewaltigen Fluß von Reden zugunsten der Lust und Begierde entgegenzutreten, nicht mit den Füßen, sondern mit seiner Meinung, fest und unbeweglich, bei dem zum Flusse gehörenden Ufer, das heißt: bei dem Munde und bei der Zunge, die die Werkzeuge der Rede waren; denn wenn er fest auf sie trat, wird er die für die Leidenschaft sprechenden Wahrscheinlichkeiten widerlegen [274] und niederschlagen können. 279 Der Feind des schauenden Geschlechts aber ist das Volk Pharaos, das nicht aufhörte, die Tugend anzugreifen, zu verfolgen und zu knechten, bis es eine böse Vergeltung erfuhr für das, was es angerichtet hatte, versenkt ins Meer der Übeltaten und in die Brandung, die die tobende Leidenschaft erregte, so daß jener Augenblick [696 M.] einen überschwenglichen Anblick, einen widerstandslosen Sieg und eine alle Hoffnung übertreffende Freude brachte. 280 Darum heißt es: „Es sah Israel die Ägypter tot an dem Ufer des Meeres“ (2 Mos. 14, 30).[146] Groß ist die schützende Hand, die dazu zwingt, daß an Mund, Lippen und Rede diejenigen zu Falle kommen, die diese Werkzeuge gegen die Wahrheit geschärft haben, auf daß nicht durch fremde, sondern durch ihre eigenen Waffen die sterben, die sie gegen andere erhoben hatten. 281 Dreierlei sehr Schönes aber verkündet (die heilige Schrift) der Seele als frohe Botschaft: erstens den Untergang der ägyptischen Leidenschaften, zum andern daß es geschah, nicht an irgendeinem andern Orte, sondern an den Rändern der salzigen und bitteren Quelle, gleichsam eines Meeres, (den Rändern), durch welche die der Tugend feindliche sophistische Rede herausgeflossen war, schließlich aber den Anblick des Sturzes. 282 Denn nichts Gutes möge unsichtbar sein, sondern es möge ans schattenlose Licht und an die leuchtende Sonne gebracht werden; umgekehrt ist das Schlechte wert, in tiefe Finsternis und Nacht zu fallen.[147] Und dieses möge auch nicht durch Zufall jemals sichtbar werden, das Gute aber möge von schärferen Augen immer von allen Seiten betrachtet werden. Was ist so sehr etwas Gutes als das Leben des Guten und der Tod des Schlechten? [43] 283 Drei also waren es, die ihre Redegewalt bis zum Himmel ausdehnten. Diese richteten ihre Anstrengung gegen die Natur, ja mehr noch: gegen ihre eigene Seele, indem sie sagten, es gäbe nur dieses Wahrnehmbare und Sichtbare hier, das weder jemals geworden sei noch wieder vergehen werde, ungezeugt und unvergänglich, ohne Verwaltung, Steuerung und Aufsicht. 284 Als sie dann eine Schlußfolgerung auf die andere gesetzt hatten, führten sie den Bau ihrer unhaltbaren Lehre wie einen Turm in die Höhe empor. Es heißt nämlich, daß „die ganze Erde eine Sprache war“ (1 Mos. 11, 1),[148] eine unstimmige Übereinstimmung [275] aller Seelenteile[149] zu dem Zwecke, die größte zusammenhaltende Kraft in der Welt zu erschüttern: die Herrschaft. 285 Deshalb schlägt, die da hofften, mit ihren Gedanken bis in den Himmel hinaufzustürmen zur Vernichtung der ewigen Königsherrschaft, die gewaltige und unbezwingbare Hand nieder, dabei auch die aufgebaute Lehre mitzerschlagend. 286 Es wird aber der Ort[150] „Verwirrung“ genannt, ein zu dem umstürzenden Wagnisse passender Name. Denn was ist verwirrender als die Anarchie? Sind nicht die Häuser, wenn sie nicht unter Aufsicht stehen, voll von Mißständen und Unruhe? Gehen nicht die Städte, wenn sie keinen König haben, durch die Pöbelherrschaft, die Ursache der größten Übeltaten,[151] zugrunde? 287 Und verloren nicht Länder, Völker und Erdteile, deren Regierungen gestürzt wurden, ihren früheren großen Wohlstand? 288 Und was braucht man [697 M.] von menschlichen Verhältnissen zu reden? Denn auch die anderen Scharen von Lebewesen, von Vögeln, Land- und Wassertieren bestehen ohne irgendeinen Herdenführer nicht, sondern sie verlangen nach ihrem eigenen Führer und sind immer um ihn herum, als wäre er die einzige Ursache ihrer Güter, bei dessen Abwesenheit sie zerstreut und vernichtet werden. 289 Glauben wir demnach, daß für die irdischen Wesen, die der kleinste Teil des Weltalls sind, die Beherrschung die Ursache von Gütern, die Anarchie aber die von Übeln sei, die Welt aber nicht durch die Leitung des herrschenden Gottes mit höchstem Glücke erfüllt ist? 290 Sie erleiden nun die zu dem, was sie angerichtet haben,[152] passende Strafe. Die nämlich, die die heilige Lehre in Unordnung brachten, erfuhren, daß sie von der Anarchie in Unordnung gebracht wurden,[153] indem sie verwirrt wurden, ohne noch Verwirrung angerichtet zu haben. Solange sie aber noch keine Strafe erhalten haben, ziehen sie, von ihrem Wahnsinn aufgeblasen, die Regierung des Alls mit unheiligen Worten herab, geben sich selbst als Herrscher und Könige aus und schieben die unzerstörbare Macht Gottes der Schöpfung zu, die sich beständig im Zustand des Untergangs und der Vernichtung befindet. [44] 291 Übertreibend und prahlend [276] pflegen daher diese lächerlichen Menschen folgendes zu sagen: Wir sind die Führer, wir die Machthaber; auf uns ruht alles; wer, wenn nicht wir, sind die Urheber des Guten und seines Gegenteils? Wem, wenn nicht uns, kommt es wahrhaftiglich zu, Gutes und Böses zu bewirken? Es schwatzen aber umsonst die Leute, die da sagen, alles sei abhängig von einer unsichtbaren Kraft, von der sie glauben, daß sie regiere über alle menschlichen und göttlichen Angelegenheiten in der Welt. 292 Wenn sie nach dergleichen Prahlereien wie von einem Rausche wieder nüchtern geworden und zu sich gekommen sind und ihnen der Zustand des Wahnsinns, in dem sie sich befanden, zum Bewußtsein gekommen ist, sie sich schämen und sich selber schelten über das, wozu sie durch ihre unüberlegte Meinung zu sündigen sich verführen ließen, dann werden sie, indem sie sich der durch keine Schmeichelei zu gewinnenden und unbestechlichen Beraterin, der Reue, bedienen, wenn sie sich die gnädige Macht des Seienden durch heilige Palinodien[154] statt der profanen geneigt gemacht haben, völlige Straffreiheit finden. 293 Wenn sie aber, gänzlich zügellos und unbändig geworden, dahinstürmen, als ob sie unabhängig, frei und die Führer anderer wären, werden sie mit unerbittlicher und unbarmherziger Notwendigkeit ihre eigene Nichtigkeit in allen kleinen und großen Dingen zu spüren bekommen. 294 Denn der Lenker, der wie einen geflügelten Wagen[155] diese unsere [698 M.] Welt bestiegen hat, wird, nachdem er den Zaum angelegt, den schlaffen Strang der Zügel mit Gewalt nach hinten gespannt und das Zaumzeug angezogen hat, durch Peitsche und Stachel sie an seine herrscherliche Macht erinnern, die sie vergaßen wegen der Güte und Milde des Herrschers wie die schlechten Sklaven. 295 Denn wenn sie die Nachsicht der Herren in Anarchie verwandeln, täuschen sie die Herrenlosigkeit vor, bis der Besitzer ihrer wilden und heftigen Krankheit, dadurch daß er statt Heilmittel Strafen anwendet, ein Halt gebietet. 296 Deshalb heißt es: „Eine Seele, die schwören will[156] und den Mund öffnet, mit ihren Lippen Böses zu tun oder Gutes zu tun, sie soll dann später ihre Sünde bekennen“ (3 Mos. 5, 4). [277] Was sagst du da, du Prahlerin?[157] Weißt du denn, was das wahre Gute oder Schöne oder Gerechte oder Fromme, oder was irgend wem angemessen ist? 297 Das Wissen hiervon und die Macht hierüber kommt allein Gott zu, und dem, der ihm lieb ist. Zeuge hierfür ist aber auch ein Spruch, in dem es heißt: „Ich werde töten und werde leben machen; ich werde verwunden, und ich werde heilen“ (5 Mos. 32, 39). 298 Aber freilich die sich weise dünkende Seele hatte nicht oberflächlich die Träumerei von ihren Überheblichkeiten, sondern die Unglückliche war so aufgeregt, daß sie sich sogar eidlich dazu verpflichtete, daß das sicher und fest stehe, was sie fälschlich annahm. 299 Wenn nun der heftige Pulsschlag und die Aufregung der Krankheit nachzulassen begannen, werden die allmählich angefachten Funken der Gesundheit sie dazu zwingen, zunächst die Sünde zu bekennen, das heißt: sich selbst zu schmähen, dann eine Bittflehende an den Altären zu werden, flehend mit Bitten, Gebeten und Opfern, durch die allein Befreiung von den Strafen zu erlangen ist. [45] 300 Ferner könnte man mit Recht weiterfragen, warum (die heilige Schrift) denn eigentlich dem Fluß in Ägypten allein zugeschrieben hat, daß er Ufer habe, dem Euphrat aber oder irgend einem anderen der heiligen Flüsse nicht mehr. An einer Stelle nämlich sagt sie: „Du stelle dich ihm entgegentretend, an das Ufer des Flusses“ (2 Mos. 7, 15) ***.[158] 301 Es werden jedoch vielleicht einige spottend sagen, derartiges brauche man nicht in die Forschungen einzubeziehen; denn dabei komme mehr Kleinigkeitskrämerei als irgendein Nutzen heraus. Ich aber glaube, dergleichen ist gleichsam wie Gewürze den heiligen Schriften zugesetzt um der Besserung der Leser willen; und man darf den Forschern nicht eine Wortklauberei, sondern vielmehr, wenn sie es nicht erforschten, Trägheit zum Vorwurf machen. 302 Es handelt sich nämlich bei der vorliegenden Studie gar nicht um eine Erzählung über Flüsse, sondern über Lebensläufe, [699 M.] die flußartigen Strömungen gleichen und einander entgegengesetzt sind. Das Leben des Weisen nämlich wird in Taten, das des Toren in Worten gesehen. Die Rede (wird) aber durch Zunge, Mund, Lippen und die ***.[159]


  1. Nach Wendlands Konjektur: ἂν ἐπὶ τὸ ἔργον σύμμαχον.
  2. ἀναπολοῦσα nach Wendland.
  3. Vgl. den Anfang des ersten Buches und die Einleitung.
  4. Nach Wendland: κατὰ τὸ πρῶτον εἶδος γινομένας.
  5. Ich lese τίνες statt τίνος nach Wendland.
  6. Zu dieser Dreiteilung der Güter vgl. Über die Nachstellungen § 7 Anm. 2.
  7. Nach Colsons Konjektur.
  8. ὡσαύτως nach Wendl. statt ὡς ὅτε.
  9. Siehe Über die Weltschöpfung, Anmerkung zu § 48.
  10. Über verbindende und getrennte Harmonien vgl. Gleditsch, Metrik und Musik der Griechen, 3. Aufl. 312f.
  11. D. i. Moses.
  12. Mit Wendland ist wohl πάντων statt τούτων zu lesen.
  13. Vgl. Über die Geburt Abels § 120.
  14. Über die Trunkenheit § 94.
  15. Vgl. Über die Geburt Abels § 120.
  16. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 134.
  17. Vgl. Alleg. Erklär. I § 80; Über die Pflanzung Noahs § 134.
  18. Vgl. Über die Flucht § 73.
  19. Vgl. Alleg. Erklär. II § 96ff. und die Anmerkungen dazu.
  20. Philo deutet den Namen offenbar nach 1 Mos. 49, 19: „Gad wird gedrängt werden von Kriegshaufen, er aber drängt sie auf der Ferse“, wobei er Gad mit גדוד‎ „Kriegshaufen“ zusammenbringt.
  21. Vgl. Über die Wanderung Abrahams § 95.
  22. Vgl. Über die Namensänderung § 92.
  23. Dadurch will Philo den Ausdruck der LXX δεσμεύειν allegorisch erklären.
  24. Da nach Philos Lehre (Über die Geburt Abels § 65 und Anm. dazu) „die Zeit nicht mitwirkte, als Gott das All erzeugte, da sie selbst erst mit dem werdenden Kosmos zusammen entstand“, ist sie keine Ursache, sondern eine Begleiterscheinung der Bewegungen im All.
  25. Gemeint ist Pharao, dessen Land Ägypten bei Philo das Symbol des Körpers ist; vgl. z. B. Alleg. Erklär. II § 59.
  26. Das Bild vom Rad oder vom Kreis des Schicksals und der Weltentwicklung stammt aus der Orphik; vgl. die von Leisegang gesammelten Stellen: Denkformen, 1928, 83 und R. Eisler, Orphisch-dionysische Mysteriengedanken in der christlichen Antike, 1925, 85ff. „Endlos“ ist die Notwendigkeit, weil sie als Kreis vorgestellt wird, der keinen Anfang und kein Ende hat.
  27. Vgl. Über die Namensänderung § 134f. Über die Flucht § 149f.
  28. Über den Logos als Gottes Siegel, das er bei der Schöpfung der Welt und der des Menschen verwendet, vgl. Über die Weltschöpfung § 25. Über die Wanderung Abrahams § 103. Über die Pflanzung Noahs § 18ff. Über die Flucht § 12ff.
  29. Vgl. Über Joseph § 28 und die Anmerkung dazu.
  30. Das sind die Helden des Epos; bei Homer bereitet z. B. Patroklos (Ilias XI 205ff.) ein solches Mahl.
  31. Homer, Od. XIV, 529.
  32. So hießen bei den Griechen die Brahmanen, vgl. Über Abraham § 182.
  33. „geschmückt“ hinzugefügt nach Wendland.
  34. Nach Wendland, der ἔτι liest.
  35. Nach der von Diogenes erzählten Anekdote (Diog. Laert. VI 37), vgl. Gnomol. Vatic. ed. Sternbach Nr. 161; Seneca, Epist. 119, 3. Daß Philo an diesem Radikalismus nicht immer festhält, zeigt Heinemann, Philons Bildung 437.
  36. Über diese einer kynischen Diatribe nachgebildete Verurteilung des Luxus in allen seinen Formen vgl. die Parallelen bei P. Wendland, Philo und die kynisch-stoische Diatribe 1895, S. 8ff.
  37. Gemeint ist Joseph, vgl. über seine Deutung als „Zugabe“ Über Joseph § 28.
  38. Die Übersetzung des Satzes folgt dem von M. Adler gemachten Vorschlag zu lesen: τοιγαροῦν εἰδότες oἱ φρονήσεως ἀσκηταί <τὸν> τὸ κατάπλαστον τοῦτ` αἰσθήσει πρῶτον, <εἶτα καὶ> διανοίᾳ μεταδιώκοντα. Unter dem von Wendland erschlossenen, allerdings von Philo sonst nicht gebrauchten κατάπλαστον, das aber im folgenden durch τυφοπλαστηθεὶς βίος gestützt wird, hat man das zu verstehen, was sich nach dem vorausgehenden Bilde von den überflüssigen Zweigen auf dem gesunden Stamm des Lebens noch dazu gebildet hat. Es ist ein Synonym zu προσθήκη oder ἐπίφυσις, etwas, das sich auf dem Organismus noch dazu gebildet hat, eine Mißbildung.
  39. Die περὶ Ναδὰβ ἱεροὶ λόγοι sind wohl nach Über Abrahams Wanderung §§ 168–170 Aron, Abihu und die siebenzig Ältesten Israels, die dort als die νοῦ δορυφόροι δυνάμεις bezeichnet werden.
  40. Die Hand ist bei Philo das Symbol der Kraft.
  41. Hier ist eine größere, unausfüllbare Lücke im Text.
  42. Vgl. Über die Einzelgesetze III § 175.
  43. δίδυμον ξύλον wohl deshalb, weil ein Doppeltes, nämlich die Erkenntnis des Guten und die des Bösen, mit dem Essen der Frucht dieses Baumes verbunden war. Durch das Attribut δίδυμον stellt Philo eine im Deutschen nicht wiederzugebende Beziehung zu den „Hoden“ her, die im Griechischen δίδυμοι heißen.
  44. Nach der pythagoreischen Zahlensymbolik ist die Zweiheit das Symbol des Kosmos, die Einheit das des höchsten Gottes.
  45. Anklang an Homer, Odyssee 12, 219.
  46. Anklang an Homer, Odyssee 12, 219.
  47. Nach Wendland muß es natürlich ἑαυτούς heißen.
  48. Philo betrachtet die Träume als Mysterienoffenbarung und Joseph als Mysten, der in diese Mysterien eingeweiht ist und selbst Traumoffenbarungen hat, zugleich aber auch als Mystagogen, d. h. als Mysterienpriester, der andern das Mysterium durch die Deutung der Träume verständlich macht.
  49. Philo nimmt Bezug darauf, daß sich Abraham vor den Söhnen Heths verbeugt, da er die „Doppelhöhle“ (das bedeutet מכפלה‎) erwerben will. Er bringt חמ‎ mit חתת‎ zusammen, das wörtlich „zerbrochen werden“, metaphorisch „entmutigt werden, in Schrecken geraten“ bedeutet. Die Bezeichnung ἐξιστάντες beruht auf der letzteren, § 90 auf der ersteren Bedeutung.
  50. Zu dem kynischen Bilde von der Münze vgl. Über die Nachkommen Kains § 89 und 98. Leisegang, Index s. v.
  51. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 71 und Anm.; Thukyd. I 22.
  52. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 62.
  53. „Vorsteher der körperlichen Bedürfnisse“ wird Joseph Ü. d. Namensänd. 89 genannt. Philo greift also auf § 7 zurück.
  54. Das hat Philo Ü. d. Wanderung Abr. § 16–25 ausführlich erklärt.
  55. Oder mit Ergänzung von γῆς <ληφθεῖσα> (Wendland) nach § 6: das er von der Erde empfing.
  56. Die sieben Himmelskreise sind: der nördliche und der südliche Polarkreis, der Frühjahrs- und Herbstwendekreis, der Äquator, der Tierkreis und die Milchstraße. Vgl. Über die Weltschöpfung § 112.
  57. Diese Vorstellung findet sich auch im rabbinischen Judentum.
  58. So faßte die Tat des Xerxes, die Herodot VII 22–24. 33–37 erzählt, schon Isokrates in seinem Panegyrikos 89 auf.
  59. ἀφ` ἱερᾶς ἤρχετο eine sprichwörtliche Redensart, die Philo auch Leg. ad Gaium § 22 und 108 gebraucht. Sie heißt vollständig: τὸν ἀφ` ἱερᾶς γραμμῆς λίθον oder πεττὸν κινεῖν. Vgl. Aristoph. Eccl. 987. Diogenianus 5, 41 nach den Paroemiographi ed. Leutsch und Schneidewin.
  60. Von den Kimbern berichtet dies Strabo VII 2, 1. Schon Aristoteles scheint etwas Ähnliches von den „Kelten“ gekannt zu haben, Eth. Nicom III 1 S. 1229 b 27, wie es später Aelian Hist. II 23 von den „Kelten“ erzählt.
  61. Daß das der Statthalter A. Avillius Flaccus war, wie Mangey meinte und Ewald in seiner Geschichte des Volkes Israel VI 253, 1 bestritt, ist deshalb wenig wahrscheinlich, weil Philo in seiner Schrift „Gegen Flaccus“ nichts von einem Versuche dieses Judenfeindes, die Feier des Sabbats zu verbieten, berichtet.
  62. Dieselbe Haltung nehmen bei Philo die Therapeuten beim Gottesdienst an. Über das der Betrachtung geweihte Leben § 30: „Die Hände einwärts haltend, und zwar die rechte zwischen Brust und Kinn, die linke nach unten gestreckt an der Hüfte.“
  63. Im Text stehen die wörtlich unübersetzbaren Worte: ὑπερωκεάνιον ἢ μετακόσμιόν; ich lese weiter mit Wendland: τι <και> καινὸν κακόν.
  64. Die Übersetzung folgt der Konjektur ἆρ` οὐκ statt ἀλλ` οὐκ.
  65. Hier erst begründet Philo den markanten Zusatz τιθασῶς in § 135, den wir deshalb oben übersetzten: „aber nur milde“.
  66. Homer, Odyssee IV, 535.
  67. γλῶττα ἄθυρος, wörtlich: eine Zunge ohne Türe, ist eine Reminiszenz an Theognis 421: πολλoῖσ` ἀνθρώπων γλώσσῃ θύραι οὐκ ἐπίκεινται. Philo verwendet das gleiche Bild § 165 von den Sinnesorganen.
  68. Homer, Ilias XXII, 60 u. ö.
  69. Nach Wendlands Konjektur: <λόγον> ἐκτέτμηται ψυχῆς τὸ ἄλογον στῖφος.
  70. Nach Wendlands Konjektur ἡττημένος δὲ <ὕπνου>; der überlieferte Wortlaut gibt aber ohne diese schiefe Ergänzung einen guten Sinn: „Als ein Besiegter“, „niedergebeugt“.
  71. Nach Mangeys Konjektur.
  72. Die Schilderung eines solchen Gastmahls, bei dem die Gäste, die vom Weine den Verstand verloren haben, schreien und rasen wie wilde Hunde und einander Nasen, Ohren und Finger abbeißen, gibt Philo im Anschluß an kynische Motive in: Über das der Betrachtung geweihte Leben § 40ff.; vgl. dazu P. Wendland, Philo und die kynisch-stoische Diatribe (Beiträge zur Gesch. der griech. Philosophie und Religion 1895), S. 21ff. und Über die Pflanzung Noahs § 160 mit Anmerkung.
  73. Nach Wendlands Konjektur εἰς ὄρος statt ἔμπορος
  74. Vgl. hierzu auch Philos eigene Schilderung Leben Mosis I § 224ff.
  75. Vgl. Ü. d. Namensänderung § 224.
  76. Vgl. Über Abraham § 57, Anmerkung.
  77. Über die Seele als Haus vgl. All. Erkl. III § 239.
  78. Mit ἔτυμον ἐτύμως meint Philo die Übereinstimmung eines Begriffsinhaltes mit dem Worte oder seiner sprachlichen Ableitung vgl. z. B. Leben Mosis I 17, Ü. d. Sprachenverwirrung 137.
  79. Nach Wendlands Vorschlag: γενομένων übersetzt.
  80. Die Übersetzung legt Mangeys Konjektur: συμπληρούμενον zugrunde.
  81. Vgl. I § 90 und die Anmerkung dazu.
  82. Die Gleichsetzung des Pharao der Josefsgeschichte mit dem der Auszugserzählung findet sich auch im Midrasch.
  83. Über diese Ansicht Philos vgl. Über die Cherubim § 50 und die Deutung dieser und anderer Stellen bei Leisegang, Pneuma hagion 1922, S. 44ff.
  84. Nadab und Abihu, die schon § 67 erwähnt sind unter der allgemeinen Bezeichnung τοὺς περὶ Ναδάβ.
  85. Philo spielt hier mit dem Worte τρίβειν. Im eigentlichen Sinne: „reiben, aneinander reiben“ ist es von den πυρεῖα gebraucht; denn durch das Aneinanderreiben von Hölzern machte man früher Feuer; der Grieche sagt aber auch λόγους τρίβειν und meint damit: „oft Reden halten“. Im Deutschen ist das Wortspiel unübersetzbar.
  86. Vgl. hierzu Der Erbe des Göttlichen § 84 und die Anmerkung dazu.
  87. Vgl. hierzu Über die Geburt Abels § 9 und die Anmerkung dazu.
  88. Nach Wendlands Vorschlag: οὔτε <οὖν θεὸς oὔτε> ἄνθρωπος.
  89. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag Wendlands: εἶδος παροινίας ἰδιοτρόπῳ τινὶ τύπῳ διερμηνεύεται διὰ...
  90. Das ist bei Philo die Bezeichnung für Deuter. 32, im Gegensatz zu Exod. 15.
  91. Vgl. Über die Trunkenheit § 222.
  92. Vgl. ebenda die Anmerkung zu § 222.
  93. Zu diesem Motiv, dem der sophistische Satz des Protagoras zugrunde liegt, vgl. Über die Nachkommen Kains § 35 und die Anmerkung dazu.
  94. Vgl. Über die Geburt Abels § 59 und die Anmerkung dazu.
  95. So die handschriftliche Lesart.
  96. Vgl. hierzu Der Erbe des Göttlichen § 162.
  97. Auf die „drei Zeiten“ (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) kommt Philo, weil es dann 40, 12 heißt: „Drei Wurzeln (Reben) sind drei Tage“.
  98. Statt des korrupten εἴθε möchte ich ἔδει lesen, was immer noch einen besseren Sinn gibt als die andern Konjekturen.
  99. Das alberne Schwatzen im Rausch wird von strafbarer Zuchtlosigkeit verursacht (vgl. Ü. d. Trunkenheit § 4 und 6); λήρησις und ληρεῖν zählten die Stoiker zu den ἁμαρτήματα s. ebenda S. 9, Anm. 6, 7 zu § 6.
  100. Philo denkt dabei an den weiter unten stehenden Vers: „Drei Körbe sind drei Tage“ (1 Mos. 40, 18).
  101. Gemeint sind die Epikureer und ihre von Philo hier angeführte Lehre vgl. Usener, Epicurea fr. 435ff., 429. Cicero, Tusc. disput. V 33, 96.
  102. Für das sinnlose σπορὰν ist mit Hoeschel διασπορὰν zu lesen.
  103. Vgl. Über die Geburt Abels § 48 und die Anmerkung dazu.
  104. Philo denkt dabei an die im Bibeltext weiter unten stehenden Worte 1 Mos. 40, 19: „Und nach drei Tagen wird dir Pharao dein Haupt erheben und dich an den Galgen hängen, und die Vögel werden dein Fleisch von dir essen“, und 22: „Aber den Oberbäcker ließ er henken.“
  105. Statt ἐν τῷ ἄχει dürfte ἐν τῷ ὄχθῳ zu lesen sein, vgl. Über Joseph § 101, wo dieselbe Stelle in freier Paraphrase mit παρὰ ταῖς ὄχθαις νέμεσθαι wiedergegeben wird.
  106. Der hier gegebene Text ist nach der Septuaginta ergänzt und verbessert.
  107. Vgl. Über die Unveränderlichkeit Gottes § 22ff.
  108. Vgl. Über die Wanderung Abrahams § 183 Anm.
  109. Vgl. Ü. d. Opfer Ab. u. K. § 67.
  110. Vgl. All. Erkl. II § 84.
  111. Siehe oben I § 62 und vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 96 mit Anmerkung.
  112. Διαθήκη gibt in der LXX בְּרִית‎ wieder, das etwa „Bund“ entspricht (doch vgl. G. Kittels Theol. Wörterbuch zum N. T. II 109). Demgemäß ist an der im folgenden angeführten Bibelstelle gemeint „ich werde meinen Bund mit dir errichten“. Philo faßt aber diesen überaus wichtigen Begriff nie richtig im Sinne des A. T.: Heinemann Philons Bildung 483; Theol. Wörterbuch II 131. Die ihm hier vorschwebende Auffassung ist durch den Gebrauch von διάθεσις bestimmt, das nach stoischer Terminologie die geistige Verfassung bezeichnet (Bonhöffer, Epiktet und das N. T. 239; Adlers Index zu SVFr.); zu § 224 ist zu beachten, daß nach SVFr. II 393; III 104 auch die Tugenden als διαθέσεις gelten.
  113. Über den Ausdruck „ältester Logos“ s. oben I § 230. Über die Nachstellungen § 82. All. Erkl. III 175, dazu H. Leisegangs Artikel Logos in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie des klass. Altertums XIII 1073.
  114. In den Ausgaben ist 9, 11 angegeben; dort steht aber πρὸς ὑμᾶς, nicht πρὸς σέ.
  115. Vgl. Über die Cherubim § 18.
  116. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 27 und die dort verzeichneten Parallelen.
  117. Nach Wendlands Konjektur: αὐτῷ τῷ ἑστῶτι, statt: αὐτοστατοῦν
  118. Vgl. Der Erbe des Göttlichen § 206 und die Anmerkung dazu.
  119. Vgl. oben § 189.
  120. Ich folge der Verbesserung Wendlands: δῆλον δ` ὅτι οὐδὲ θεός, τί ἄλλο ἢ λειτουργὸς θεοῦ.
  121. Vgl. hierzu Der Erbe des Göttlichen § 201 und die Anmerkungen dazu.
  122. Nach dem M.T. ist zu übersetzen „es wurde Einhalt getan“.
  123. Die Worte: διὰ τοῦ νεκροφορουμένου σώματος werden hier so wiedergegeben im Hinblick auf die Stelle Über Abrahams Wanderung § 21, vgl. All. Erkl. III § 69 und 74, Über die Landwirtschaft § 25.
  124. Nach Wendlands Konjektur οὕτως für οὗτος mit Hinzufügung von λόγος nach Mangeys Vorschlag.
  125. Vgl. hierzu und zum folgenden All. Erkl. I § 63ff., Über die Nachkommen Kains § 128ff.
  126. Vgl. All. Erkl. I § 45 und Anm. 2.
  127. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 38.
  128. Philo benutzt hier den im Deutschen nicht nachahmbaren Doppelsinn von ἀρχαί (Anfänge und Herrschaften) wie auch All. Erkl. I § 65.
  129. Vgl. Über die Namensänderung § 152, Über Abraham § 261.
  130. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag Mangeys: ὡς ἂν εἴποι τις.
  131. Der Übersetzung ist Wendlands Ausfüllung der Textlücke zugrunde gelegt.
  132. Über den Kosmos als πόλις siehe Leisegangs Index S. 468, Nr. 11. Zum Motiv des Mischkrugs siehe Plato, Tim. 41 D ff.
  133. Vgl. Über die Namensänderung § 264.
  134. Über die Stadt Gottes bei Philo vgl. H. Leisegang, Der Ursprung der Lehre Augustins von der Civitas Dei (Archiv für Kulturgeschichte XVI, 2, 1926. Der Aufsatz wurde zum Teil aufgenommen in sein Buch „Denkformen“ 1928, S. 377ff.). Philo erklärt ירושלם‎ = יראה‎ „er wird sehen“ + שלום‎ „Friede“.
  135. Zu Philos vom Pneuma bewirkten Prophetismus vgl. H. Leisegang, Der heilige Geist 1919, S. 159f. und W. Bousset, Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter 1903, S. 423.
  136. Nach Wendlands Verbesserung: οὐ θιασῶτις μόνον ἀλλὰ καὶ ἔξαρχός ἐστιν εἰρήνη.
  137. Vgl. Der Erbe des Göttlichen § 315.
  138. Homer, Il. II 212.
  139. Im Griechischen bezeichnet das gleiche Wort χεῖλος sowohl die Lippe wie, übertragen, den Rand oder Saum einer Öffnung und Vertiefung, hier den Rand des Flusses; dieser Bedeutungsübergang läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben.
  140. Nach Wendlands Ergänzung der Lücke.
  141. Über das stoische Motiv des Geistes als des wahren Menschen in uns vgl. das von H. Leisegang gesammelte Material in: Der heilige Geist 1919, S. 107ff.
  142. Vgl. Über die Landwirtschaft § 82; All. Erkl. II § 102f.
  143. Homer, Ilias II 246.
  144. Als ὁρμὴ πλεονάζουσα definierten die Stoiker Zenon und Chrysipp das πάθος; vgl. SVF I 150, 21. 26 III 92, 5; 95, 15; 99, 33; 113, 14; 130, 8.
  145. Vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 29.
  146. Vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 36ff.
  147. Die Lücken im griechischen Text wurden nach den Konjekturen Wendlands und Cohns ausgefüllt.
  148. Vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 1ff.
  149. Vgl. ebd. § 15ff.
  150. Nämlich Babel nach 1 Mos. 11, 9: Darum nannte man ihren (der Stadt) Namen „Verwirrung“.
  151. Nach Wendlands Konjektur.
  152. Nach Wendlands Konjektur: οἷς διετίθεσαν.
  153. Nach Mangeys Verbesserung: ἱερόν <δόγμα> παρὰ ἀναρχίας φυρόμενοι.
  154. Die Palinodie ist ein Gesang, in dem etwas, was früher getadelt wurde, jetzt auf Grund einer Sinnesänderung widerrufen und gelobt wird; vgl. Plato, Phädrus 243 Bff., und 257 A und Philo Über die Nachkommen § 179.
  155. Vgl. Plato, Phädrus 246 Aff.
  156. Nach Nestles Korrektur des Textes Philologus 61 (1902), S. 211f.: ψυχὴ ἣ ἂν ὀμόσῃ.
  157. Philo wendet sich mit diesen Worten an die Seele, die im Texte als sprechend eingeführt wird und sich nach seiner Ansicht anmaßt, ein Wissen über Gut und Böse zu haben.
  158. Hier ist im griechischen Text eine unausfüllbare Lücke.
  159. Hier bricht der Text ab; das Übrige ist verloren.
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