Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
|
in Ehrerbietung, vor den Zugtieren aber aus Furcht davor, daß uns von ihnen ein Schade geschehe. 92 Und wenn es die Gelegenheit erlaubt, so ist es schön, zum Angriff überzugehen und die Macht der Feinde zu brechen; läßt sie es aber nicht zu, so ist es sicher, sich ruhig zu verhalten; wer sich aber von ihnen einen Vorteil verschaffen will, der muß sie (die Feinde) zahm machen.
[14] 93 Daher verdienen nun auch diejenigen Lob, die dem Vorstand des leeren Wahns[1] nicht ausweichen, sondern sich ihm entgegenstellen und sprechen: „Du willst doch wohl nicht König werden und über uns König sein?“ (1 Mos. 37, 8). Denn sie sehen, daß er dazu noch nicht stark genug ist, daß er nicht ist wie eine lodernde und leuchtende Flamme, die in reichlichem Holz Nahrung findet, sondern noch wie ein glimmender Funke, daß er von Ruhm nur träumt, aber ihn noch nicht klar verfolgt. 94 Sie machen sich nämlich selbst damit gute Hoffnungen, wie wenn sie niemals unterworfen werden könnten. Deshalb sagen sie: „Du willst doch wohl nicht über uns König sein?“ Das heißt dasselbe wie: Glaubst du, daß du herrschen wirst, solange wir leben, bei Kräften sind und atmen? Wenn wir schwach werden, wirst du vielleicht zur Herrschaft kommen; solange wir aber stark sind, wird dir das Los eines Untergebenen bestimmt sein. 95 Und so ist es natürlich auch. Solange nämlich in unserem Geiste die rechte Vernunft stark ist, löst sich der leere Wahn auf; er erstarkt aber, wenn jene schwach wird. Solange also die Seele ihre eigene Kraft noch unversehrt erhält und keiner ihrer Teile verstümmelt ist, soll sie getrost nach dem ihr entgegentretenden Dünkel werfen und schießen und freien Mutes sprechen: Du wirst weder König noch Herr sein, weder über uns noch, solange wir da sind, über andere. 96 Vielmehr werden wir deine Drohungen und Prahlereien mit einem einzigen Ansturm überrennen mit Hilfe unserer Speer- und Schildträger, der Söhne der Klugheit, von denen es heißt: „Sie haßten ihn noch mehr um seiner Träume und um seiner Worte willen“ (ebd.). 97 Und sind nicht alle die Trugbilder, die der Dünkel hervorbringt, Worte und Träume, alles dagegen, was sich auf das rechte Leben und die rechte Vernunft bezieht, Taten und deutliche Klarheiten? Und jene sind hassenswert, weil sie erlogen, diese aber liebenswert, weil sie voller liebenswürdiger Wahrheit sind. 98 Daher soll keiner es wagen, so tugendreiche
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/79&oldid=- (Version vom 7.10.2018)