Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
|
will nämlich, daß der Weise nicht nur ein Unterscheider der verschiedenen Dinge sei, scheidend und trennend das, woraus etwas entsteht, und das, was entstanden ist, sondern daß er seinen Glauben, er könne unterscheiden, selbst aufgebe, mähend die Ernte und abschneidend die eigene Absicht, weil er selbst überzeugt war und den Worten des Moses glaubte: „Die Scheidung kommt Gott allein zu“ (5 Mos. 1, 17), bei dem aller Dinge Vereinigungen und Scheidungen liegen. Zuzugeben, daß man von ihm besiegt wurde, ist schön und rühmlicher als der gepriesene Sieg. 25 Ähnlich gemeint wie die Worte „den Schnitt schneiden“ ist das zweimalige Beschneiden, von dem er ebenso wie von etwas Neuem spricht[1], als erfände er eine Beschneidung der Beschneidung (1 Mos. 17, 13), (und die Worte) „die Reinheit reinigen“ (4 Mos. 6, 2), d. h. die Reinigung der Seele selbst reinigen, indem man Gott das Reinwaschen überläßt und niemals glaubt, man sei selbst ohne göttlichen Rat imstande, das Leben voller Flecken abzuwaschen und rein zu baden. 26 Hiermit verwandt ist auch die „zwiefache Höhle“ (1 Mos. 23, 9), d. h. die zweifachen und des Streites werten Meinungen, die über das Geschöpf und die über den Schöpfer, in denen der Edle aufwächst, der die Dinge in der Welt betrachtet, aber auch forschend fragt nach dem Vater, der sie hervorbrachte. 27 Daher findet man auch, glaube ich, in der Musik die Konsonanz der Doppeloktave;[2] denn sowohl das Werk wie auch sein Schöpfer sollten durch zwei vollendetste Melodien gepriesen werden, nicht durch dieselben; 28 denn da ja die Gegenstände, die besungen werden, [663 M.] verschieden sind, müssen auch die Melodien und Symphonien unterschieden sein, wobei die verbindende Harmonie[3] dem verbundenen und aus Verschiedenem harmonisch gefügten Weltall zuzuteilen ist, die getrennte aber dem seinem Wesen nach von der ganzen Schöpfung getrennten Gott. 29 Eine tugendliebende Gesinnung aber offenbart wiederum der Hierophant[4], wenn er sagt: „Ihr sollt es nicht bis zum letzten Rest des Schnittes vollenden“ (3 Mos. 19, 9), eingedenk seines ursprünglichen Grundsatzes, demzufolge er zugestand: „Das Ende gehöre dem Herrn“ (4 Mos. 31, 28ff.), bei dem die Macht ist und die Bestätigung aller
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/67&oldid=- (Version vom 7.10.2018)