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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

daß allein der Weise Herrscher und König und die Tugend unumschränkte Herrschaft und Königsgewalt ist. [37] 245 Diesen Logos verglich einer der Anhänger des Moses mit einem Flusse und sprach in den Psalmen: „Der Fluß Gottes wurde erfüllt mit Wasser“ (Psalm 65, 10). Nun ist es doch unsinnig, dies von einem auf unserer Erde fließenden Flusse in buchstäblichem Sinne zu sagen, sondern, wie es scheint, spricht er deutlich von dem göttlichen Logos voll vom Naß der Weisheit, der keinen Teil frei und leer von sich läßt, ja mehr noch, der, wie man sagen könnte,[1] ganz und gar sich ergießt und zur Höhe gehoben wird durch den dauernden und ununterbrochenen Zustrom jener ewig fließenden Quelle. 246 Es gibt aber auch noch folgenden anderen Psalmenvers: „Das Strömen des Flusses erfreut die Stadt Gottes“ (Psalm 46, 5). Was für eine Stadt? Denn was jetzt die heilige Stadt ist, in der sich auch der heilige Tempel befindet, ist fern vom Meer ebenso wie von Flüssen gegründet worden, so daß es klar ist, daß er etwas anderes als das offen zutage Liegende durch eine Allegorie darlegen will. 247 Tatsächlich überströmt und erfreut der Strom des göttlichen Logos, der ununterbrochen[2] und dauernd mit Wucht in Ordnung dahingetragen wird, alles durch und durch. 248 Stadt Gottes nämlich nennt er einerseits die Welt, die den ganzen Mischkrug göttlichen Trankes in sich aufnahm,[3] ihn unvermischt aufsog und, damit gelabt, den in alle Ewigkeit unentreißbaren und unauslöschlichen Frohsinn gewann, andererseits aber die Seele des Weisen, von der es heißt, daß Gott in ihr auch umherwandle wie in einer Stadt. „Ich werde in euch wandeln“, heißt es nämlich, „und ich werde euer Gott sein“ (3 Mos. 26, 12).[4] 249 Und wer soll einer glückseligen Seele, die als den heiligsten Becher ihren eigenen Geist hinhält, die heiligen Gefäße des wahrhaften Frohsinns vollgießen, wenn nicht Gottes Mundschenk und Zechmeister, sein Logos, der sich von dem Tranke nicht unterscheidet, sondern selbst ungemischt ist, das Labsal, die Würze, die Ausgelassenheit, die Heiterkeit, das – um auch selbst poetische Ausdrücke zu gebrauchen – ambrosische Freuden- und Frohsinnsmittel?


  1. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag Mangeys: ὡς ἂν εἴποι τις.
  2. Der Übersetzung ist Wendlands Ausfüllung der Textlücke zugrunde gelegt.
  3. Über den Kosmos als πόλις siehe Leisegangs Index S. 468, Nr. 11. Zum Motiv des Mischkrugs siehe Plato, Tim. 41 D ff.
  4. Vgl. Über die Namensänderung § 264.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/106&oldid=- (Version vom 7.1.2019)