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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

[38] 250 Die Stadt Gottes aber wird von den Hebräern Jerusalem genannt, ein Name, der übersetzt „Gesicht des Friedens“[1] heißt. Daher suche die Stadt des [692 M.] Seienden nicht in den Landstrichen der Erde – denn sie ist nicht von Holz oder Stein gebaut –, sondern in der kampflosen und klarsichtigen Seele, die sich das beschauliche und friedfertige Leben zum Ziele gesetzt hat. 251 Denn welche ehrwürdigere und heiligere Wohnung könnte man für Gott in dieser Welt finden als einen schaulustigen Geist, der alles zu sehen sich beeilt und nicht einmal im Traume nach Aufstand und Aufruhr trachtet? 252 Es raunt mir aber wieder einmal der unsichtbare Geisthauch zu, der unbemerkt in mir umzugehen pflegt[2] und spricht: „Du da, du scheinst mir unkundig zu sein einer wichtigen und wünschenswerten Sache, über die ich dich – denn schon zu vielem anderen habe ich dich zur rechten Zeit angeleitet – neidlos belehren werde. 253 Wisse denn, mein Lieber, daß Gott allein der untrüglichste und wahre Friede ist, die ganze gewordene und vergängliche Substanz aber ein fortgesetzter Krieg. Ist doch Gott etwas, das freien Willen hat, die Substanz aber eine Notwendigkeit. Wer es nun vermöchte, den Krieg, die Notwendigkeit, das Werden und Vergehen zu verlassen, zu dem Unerschaffenen, zum Unvergänglichen, zu dem, was freien Willen hat, zum Frieden überzugehen, von dem möchte man mit Recht sagen, daß er ein Aufenthalt und eine Stadt Gottes sei. 254 Es darf also für dich kein Unterschied sein, ob du dieselbe zugrundeliegende Sache Gesicht des Friedens oder Gesicht Gottes nennst, weil nämlich der Friede nicht nur ein Mitglied im Chore der vielnamigen Kräfte des Seienden ist, sondern der Chorführer.[3] [39] 255 Auch dem weisen Abraham, heißt es ja, werde er geben einen Anteil am Lande „von dem Fluß Ägyptens bis zu dem großen Fluß Euphrat“ (1 Mos. 15, 18),[4] womit er weniger einen Landabschnitt


  1. Über die Stadt Gottes bei Philo vgl. H. Leisegang, Der Ursprung der Lehre Augustins von der Civitas Dei (Archiv für Kulturgeschichte XVI, 2, 1926. Der Aufsatz wurde zum Teil aufgenommen in sein Buch „Denkformen“ 1928, S. 377ff.). Philo erklärt ירושלם‎ = יראה‎ „er wird sehen“ + שלום‎ „Friede“.
  2. Zu Philos vom Pneuma bewirkten Prophetismus vgl. H. Leisegang, Der heilige Geist 1919, S. 159f. und W. Bousset, Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter 1903, S. 423.
  3. Nach Wendlands Verbesserung: οὐ θιασῶτις μόνον ἀλλὰ καὶ ἔξαρχός ἐστιν εἰρήνη.
  4. Vgl. Der Erbe des Göttlichen § 315.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/107&oldid=- (Version vom 7.1.2019)