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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

die Leviten, die Fremdlinge, die Waisen und Witwen (ebd.), teils Bittflehende, teils Auswanderer und Flüchtlinge, teils Waisen und Witwen der Schöpfung, die sich aber Gott als den Gatten der ihm dienstbaren Seele und als ihren echten Vater zugeschrieben haben. [42] 274 Auf diese Art zu reden wie auch zu schweigen, ist durchaus angebracht. Der entgegengesetzten aber befleißigen sich die Toren; denn sie sind Eiferer für ein tadelnswertes Schweigen und ein verbrecherisches Reden geworden, und sie üben beides zu ihrem und anderer Leute Verderben. 275 Die größte Übung aber haben sie darin, das zu sagen, was sie nicht sollten; denn wenn sie den Mund öffnen und ihn ungezügelt, wie einen nicht zu bändigenden Strom, laufen lassen, senden sie, wie die Dichter sagen[1] ihre schwatzhafte Rede dahin, die tausenderlei unnützes Zeug mitschleppt. 276 Daher wandten sich denn die einen der Verteidigung der Lust und Begierde und jedes übermäßigen Triebes[2] zu, führten die unvernünftige Leidenschaft als Bollwerk gegen den leitenden Verstand auf und gerieten schließlich noch, nachdem sie sich zu streitbarem Wetteifer gerüstet hatten, in Kampf in der Hoffnung, das schauende Geschlecht blenden und über die Bergabhänge und in die Schluchten, aus denen es wohl nie wieder ein Erheben gäbe, hinabstürzen zu können. 277 Einige aber zeigten sich nicht nur als Gegner der menschlichen, sondern auch der göttlichen Tugend. Bis zu solchem Wahnsinn ließen sie sich hinreißen. Als Chorführer der die Leidenschaft liebenden Schar wird nun Pharao, der König des Ägyptenlandes, beschrieben. Es wird nämlich zu dem Propheten gesagt: „Siehe, er selbst zieht aus an das Wasser, und du stelle dich ihm entgegentretend ans Ufer des Flusses“ (2 Mos. 7, 15).[3] 278 Denn des einen Eigentümlichkeit ist es, immer zur Bewegung und Verbreitung der Flut der unvernünftigen Leidenschaft auszuziehen, Eigentümlichkeit des Weisen aber ist es, dem gewaltigen Fluß von Reden zugunsten der Lust und Begierde entgegenzutreten, nicht mit den Füßen, sondern mit seiner Meinung, fest und unbeweglich, bei dem zum Flusse gehörenden Ufer, das heißt: bei dem Munde und bei der Zunge, die die Werkzeuge der Rede waren; denn wenn er fest auf sie trat, wird er die für die Leidenschaft sprechenden Wahrscheinlichkeiten widerlegen


  1. Homer, Ilias II 246.
  2. Als ὁρμὴ πλεονάζουσα definierten die Stoiker Zenon und Chrysipp das πάθος; vgl. SVF I 150, 21. 26 III 92, 5; 95, 15; 99, 33; 113, 14; 130, 8.
  3. Vgl. Über die Verwirrung der Sprachen § 29.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/111&oldid=- (Version vom 7.1.2019)