Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/95

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

geradezu befohlen, daß kein Eunuch und kein Verschnittener hineinkomme (5 Mos. 23, 1). [28] 185 Der Hohepriester aber ist ohne Fehl, unversehrt, der Mann einer Jungfrau (3 Mos. 21, 17 und 13), merkwürdigerweise einer solchen, die niemals zum Weibe wird, sondern im Gegenteil die Eigenschaften des Weibes während des Umgangs mit dem Manne aufgegeben hat (1 Mos. 18, 11),[1] und er ist nicht nur ein Mann, fähig dazu, fleckenlose und jungfräuliche Lehren auszusäen, sondern er ist auch der Vater heiliger Logoi. 186 Von ihnen sind die einen Aufseher und Leiter der Vorgänge in der Natur, nämlich Eleasar und Ithamar (2 Mos. 28, 1), die andern Diener Gottes, die sich beeilen, die himmlische Flamme zu entzünden und anzufachen;[2] denn dadurch daß sie immer die Reden über die Frömmigkeit pflegen,[3] bringen sie es dahin, daß wie aus einem Feuerzeug die gottähnlichste Art der Gottesfurcht herausleuchtet. 187 Ihr Führer zugleich und Vater ist aber nicht jedes beliebige Glied der heiligen Gemeinde, sondern der, ohne den die Versammlung der Seelenteile überhaupt niemals zusammenberufen wäre und sich versammelt hätte, der Vorsitzende, der Obmann, der Verwalter, der allein für sich selbst, auch ohne andere, das einzelne zu erwägen und auszuführen imstande ist. 188 Dieser ist zwar, mit den andern zusammen betrachtet, nur wenig, viel aber wird er, wenn er allein da ist, (er wird nämlich) der ganze Gerichtshof, der ganze Rat, das ganze Volk, die große Masse, das gesamte Menschengeschlecht, ja mehr noch, wenn man die Wahrheit sagen soll, eine Art Mittelwesen zwischen Gott und Mensch, geringer als jener, aber mächtiger als ein Mensch. 189 Es heißt nämlich: „Wenn der Hohepriester in [684 M.] das Allerheiligste hineingeht, wird er kein Mensch sein“ (3 Mos. 16, 17).[4] Was wird er nun sein, wenn er kein Mensch ist? Etwa gar ein Gott? Das möchte ich nicht behaupten – denn diese Bezeichnung hat der Erzprophet Moses als sein Los erhalten, als er noch in Ägypten


  1. Über diese Ansicht Philos vgl. Über die Cherubim § 50 und die Deutung dieser und anderer Stellen bei Leisegang, Pneuma hagion 1922, S. 44ff.
  2. Nadab und Abihu, die schon § 67 erwähnt sind unter der allgemeinen Bezeichnung τοὺς περὶ Ναδάβ.
  3. Philo spielt hier mit dem Worte τρίβειν. Im eigentlichen Sinne: „reiben, aneinander reiben“ ist es von den πυρεῖα gebraucht; denn durch das Aneinanderreiben von Hölzern machte man früher Feuer; der Grieche sagt aber auch λόγους τρίβειν und meint damit: „oft Reden halten“. Im Deutschen ist das Wortspiel unübersetzbar.
  4. Vgl. hierzu Der Erbe des Göttlichen § 84 und die Anmerkung dazu.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/95&oldid=- (Version vom 7.1.2019)