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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

wie sie, abweisen und hassen. Und kein vernünftig denkender Mensch dürfte mich deshalb schelten, weil die Meinungen und Stimmen der Mehrheit immer siegen. 105 Wenn er sich aber zum besseren Leben hinwenden wird und nicht mehr träumt, nicht mehr, in die leeren Traumvorstellungen der Eitlen gehüllt, Unglück erleidet, nicht mehr von Nacht und Finsternis und den Zufälligkeiten unklarer und unbeweisbarer Dinge träumt, 106 sondern sich aus dem tiefen Schlafe erhebt und wach bleibt, wenn er Klarheit statt Verworrenheit, statt trügerischen Glaubens Wahrheit, statt Nacht Tag, Licht statt Finsternis annimmt und sich von dem Weib des Ägypters, das heißt: von der Leibeslust, die ihn dazu verleitet, zu ihr hereinzukommen und ihres Umgangs zu genießen (1 Mos. 39, 7), abwendet, aus Verlangen nach Mäßigung [673 M.] und unsagbarem Drang nach Frömmigkeit, 107 wenn er sich wieder um die Familien- und Erbgüter kümmert, denen er entfremdet zu sein schien, willens, den ihm zufallenden Anteil an der Tugend wieder in Besitz zu nehmen, und wenn er bei der allmählichen Rückkehr zur Besserung, als ob er schon auf dem Gipfel und am Ziele seines Lebens fest stünde, das verkündet, was er durch sein Leiden genau begriffen hat, daß er nämlich „Gott“ gehört (1 Mos. 50, 19), aber gar keinem mit den Sinnen erkennbarem Geschöpf mehr, 108 da werden seine Brüder versöhnliche Verträge mit ihm abschließen, den Haß in Liebe und das Übelwollen in Wohlwollen verwandeln, und ich, ihr Gefolgsmann – lernte ich es doch, ihnen zu gehorchen wie der Diener seinen Herrn – werde nicht aufhören, ihn um seiner Sinnesänderung willen zu preisen. 109 Wie ja auch der Hierophant Moses seine Sinnesänderung als der Verehrung und des Gedächtnisses wert vor dem Untergang bewahrt sinnbildlich dargestellt dadurch, daß er von seinen Gebeinen[1] nicht glaubte zulassen zu dürfen, daß sie für immer in Ägypten begraben blieben (2 Mos. 13, 19), da er es für bedenklich hielt, wenn etwas Gutes der Seele entsproßte, dies verdorren und verschwinden zu lassen, überschwemmt von den Fluten, die der ägyptische Strom der Leidenschaften, das heißt: der Körper, der durch alle Sinne fließt, dauernd ergießt.

[16] 110 Das Traumgesicht von den Garben, das von der Erde aus gesehen wurde[2]und seine Deutung sind nunmehr besprochen; jetzt


  1. Das hat Philo Ü. d. Wanderung Abr. § 16–25 ausführlich erklärt.
  2. Oder mit Ergänzung von γῆς <ληφθεῖσα> (Wendland) nach § 6: das er von der Erde empfing.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/81&oldid=- (Version vom 7.1.2019)