Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
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Teiles willen ein Ganzes, sondern um des Ganzen willen einen Teil verfertigt. Ein Teil aber des Alls ist der Mensch, so daß er, geschaffen zur Vervollkommnung der Welt, mit Recht auch selbst ihr Tribut entrichte. [17] 117 Manche aber strotzen nun dermaßen von Dummheit, daß sie sich ärgern, wenn die Welt nicht ihren Wünschen folgt. Aus diesem Grunde gab Xerxes, der Perserkönig, als er seine Feinde niederwerfen wollte, ein Muster an Großtuerei, indem er die natürliche Ordnung umstürzen wollte.[1] 118 Erde nämlich wollte er in ein anderes Element verwandeln und Meer; Land wollte er gegen Meer und Meer gegen Land vertauschen, dadurch daß er den Hellespont überbrückte, das Athosgebirge aber in tiefe Buchten zerriß, die, alsbald von Seewasser erfüllt, zum neuen, von Menschenhand geschaffenen Meere wurden, wodurch er den alten Zustand der Natur völlig veränderte. 119 Nachdem er aber das Irdische scheinbar verzaubert hatte, stieg der Unglückselige mit seinen waghalsigen Plänen sogar bis zum Himmel hinauf und trug seine Gottlosigkeit mit empor, um das Unbewegliche zu bewegen und das göttliche Heer herabzustürzen, und unternahm – wie das Sprichwort sagt – das Äußerste.[2] 120 Er ließ nämlich gegen das vornehmste der dortigen Wesen, gegen die Sonne, die Beherrscherin des Tages, mit Pfeilen schießen, als ob er nicht selbst vom unsichtbaren Pfeil des Wahnsinns verwundet wäre, weil er nicht nur nach unausführbaren, sondern auch nach den unheiligsten Taten strebte, von denen ihm auch schon das Unterfangen einer der beiden zu einer großen Schande werden mußte. 121 Einer der menschenreichsten Stämme der Germanen aber soll – bei ihnen hat das Meer Flut und Ebbe – gegen den Ansturm der dort wieder zurückströmenden Fluten in allem Ernst vorgedrungen sein, die bloßen Schwerter gegen sie drohend vorgestreckt haben, gelaufen und dem schäumenden Meere wie einer Schar von Feinden entgegengetreten sein.[3] 122 Solche Leute muß man verabscheuen, weil sie zu Angriffswaffen zu greifen sich
- ↑ So faßte die Tat des Xerxes, die Herodot VII 22–24. 33–37 erzählt, schon Isokrates in seinem Panegyrikos 89 auf.
- ↑ ἀφ` ἱερᾶς ἤρχετο eine sprichwörtliche Redensart, die Philo auch Leg. ad Gaium § 22 und 108 gebraucht. Sie heißt vollständig: τὸν ἀφ` ἱερᾶς γραμμῆς λίθον oder πεττὸν κινεῖν. Vgl. Aristoph. Eccl. 987. Diogenianus 5, 41 nach den Paroemiographi ed. Leutsch und Schneidewin.
- ↑ Von den Kimbern berichtet dies Strabo VII 2, 1. Schon Aristoteles scheint etwas Ähnliches von den „Kelten“ gekannt zu haben, Eth. Nicom III 1 S. 1229 b 27, wie es später Aelian Hist. II 23 von den „Kelten“ erzählt.
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/83&oldid=- (Version vom 7.1.2019)