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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

Gedanken an alte Freveltaten und Sünden, nicht damit sie diese wieder begehre, sondern damit sie große Klage erhebe, ihren früheren Abfall bedaure, dessen Früchte verabscheue und sich von ihnen abwende, dem aber folge, worin sie der Interpret Gottes, der Logos und Prophet unterweist. 139 Denn die Vorfahren bezeichneten die Propheten als Männer Gottes oder als Schauende (1 Sam. 9, 9), womit sie die Gotterfüllten und die Betrachtung der Dinge, die ihnen eignete, richtig und zutreffend bezeichneten.[1]

[30] 140 Mit Recht sagte also der hochheilige Moses, daß die Erde dann verderbt wurde, als die Tugenden des gerechten Noah erschienen waren; „sie wurde aber“, heißt es, „verderbt, weil alle Fleischeslust[2] seinen Weg auf der Erde verdarb“ (1 Mos. 6, 12). 141 Manche werden wohl meinen, der Ausdruck sei hier fehlerhaft und das Sinnentsprechende und keinen Anstoß Erregende hieße so: „als alle Fleischeslust [294 M.] ihren eigenen Weg vernichtete“; denn es ist ungebräuchlich, einem weiblichen Worte, der Fleischeslust, ein männliches Pronomen[3] „seinen“ hinzuzufügen. 142 Es ist aber wohl nicht von der Fleischeslust allein die Rede, die ihren eigenen Weg vernichtet, in welchem Falle man mit Recht annehmen müßte, daß hier ein Mißgriff in der Ausdrucksweise vorliege, sondern von zweien, der Fleischeslust, die verderbt wird, und einem andern, dessen Weg sie zu verderben und zu vernichten versucht, so daß man folgendermaßen zu interpretieren hat: Es vernichtet alle Fleischeslust den zu Gott führenden vollkommenen Weg des Ewigen und Unvergänglichen. 143 Dieser (Weg), wisse, ist die Weisheit; denn auf ihr, die breit und gangbar ist, dahinwandelnd gelangt der Geist bis zum Ziele; das Ziel des Weges aber ist das Erkennen und die Kenntnis Gottes. Diesen Weg haßt und verabscheut und sucht zu vernichten jeder Genösse der Fleischeslüste; denn nichts ist einander so zuwider wie die Erkenntnis der Fleischeslust. 144 Den Angehörigen des Sehergeschlechtes, Israel genannt[4] nun, die diese Königsstraße wandeln wollen,


  1. Vgl. Über die Wand. Abrah. § 38. Quis rer. div. her. § 78.
  2. Ich übersetze hier Fleischeslust für σάρξ, um wie im Griechischen ein weibliches Wort zu bekommen, da sonst Philos Unterscheidung zwischen τὴν ὁδὸν αὐτοῦ und τὴν ὁδὸν αὐτῆς im Deutschen nicht wiederzugeben ist. Im übrigen wird § 143 unter σάρξ eben gerade σαρκὸς ἡδονή verstanden.
  3. Wörtlich: einen männlichen Kasus, nämlich αὐτοῦ statt αὐτῆς. – Zu der Beziehung eines Pronomens auf ein vorher gar nicht genanntes Wort vgl. All. Erkl. II 81.
  4. Israel erklärt Philo als ὁ ὁρῶν θεόν, vgl. Über Abraham § 57 und Anm.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/32&oldid=- (Version vom 23.2.2022)