Der Erbe des Göttlichen/Text

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[223] [p. 473 M.] [1] 1 In der vorhergehenden Schrift[1] haben wir möglichst genau erörtert, was über Lohn zu sagen ist; nun aber wollen wir untersuchen, wer der Erbe der göttlichen Dinge ist. 2 Nachdem nämlich der Weise (Abraham) das göttliche Wort „Dein Lohn wird sehr groß sein“ vernommen hat, fragt er: „O Gebieter,[2] was wirst du mir geben? Ich gehe doch kinderlos von hinnen. Aber der Sohn meiner hausgebornen (Sklavin) Masek,[3] das ist Damaskos Elieser –“ und ferner: „Da du mir keine Nachkommenschaft gegeben hast, wird mein hausgeborener (Sklave) mich beerben“ (1 Mos. 15, 2–3). 3 Jedoch, wer würde nicht, betroffen ob der Herrlichkeit und Größe des sich ihm Offenbarenden, wenn nicht aus Furcht, so doch vor Freude sprachlos werden und mit geschlossenem Munde dastehen? Verschließt doch außerordentliche Freude ebenso wie großes Leid den Mund! 4 Deshalb gesteht auch Moses, er sei ein Mann von schwacher Stimme und schwerer Zunge geworden, seitdem[4] Gott mit ihm zu reden begonnen habe (2 Mos. 4, 10). Und das Zeugnis des Propheten[5] ist sehr richtig. Denn dann muß das Stimmorgan schweigen, wohl aber der durch das Denken redende Logos[6] ungehemmt sich ergehen, der der Gedanken,[224] nicht der Worte Schönheitsfülle[7] mit der Fähigkeit zu gewandter und stolzer Rede erstrebt. 5 Bewunderungswürdige Tugenden sind aber auch der Wagemut und die Freimütigkeit, wo es nötig ist, gegenüber den Höherstehenden, wie mir auch das Wort des Lustspieldichters eher Wahrheit als Scherz zu enthalten scheint:

„Der Sklave, der zu allem zu schweigen angehalten wird, wird schlecht; gewähre ihm Redefreiheit.“

[2] 6 Wann spricht nun ein Sklave freimütig zu seinem Herrn? Nicht dann, wenn er sich dessen bewußt ist, daß er kein Unrecht beging, [p. 474 M.] sondern in allen Dingen zum Vorteil seines Eigentümers sprach und handelte? 7 Wann darf also auch der Diener Gottes sich freimütig äußern vor Ihm, der sein und des Weltalls Herrscher und Gebieter ist? Nicht dann, wenn er von Sünden rein ist, sich seiner Gottesliebe bewußt ist und sich mehr darüber freut, ein Diener Gottes zu sein, als wenn er König über das ganze Menschengeschlecht geworden wäre und mühelos die Herrschaft zu Wasser und zu Lande erlangt hätte? 8 Von Abrahams aus Gottesliebe vollbrachten Taten und Leistungen aber spricht deutlich der Schlußsatz des göttlichen Wortes, das an seinen Sohn ergangen ist: „Ich werde dir und deiner Nachkommenschaft dieses ganze Land[8] geben, und durch deine Nachkommenschaft werden alle Völker der Erde gesegnet werden, dafür, daß dein Vater Abraham auf meine Stimme gehört und meine Befehle und Gebote, meine Rechte und Gesetze beobachtet hat“ (1 Mos. 26, 3–5). 9 Es ist aber das höchste Lob für einen Diener, daß er nichts von dem außer acht läßt, was ihm sein Herr befohlen hat, sondern unverdrossen und arbeitsfreudig über seine Kraft hinaus sich bemüht, alles mit gehöriger Überlegung gut zu vollbringen. [3] 10 Nun gibt es aber welche, denen zu hören, aber nicht zu reden geziemt, für die gesagt ist: „Schweige und höre“ (5 Mos. 27, 9). Eine[225] treffliche Mahnung. Denn sehr keck und geschwätzig ist die Unwissenheit, und für sie ist Schweigen das erste Heilmittel, und das zweite: aufmerksames Hören auf die, die etwas Anhörenswertes vortragen. 11 Doch glaube niemand, daß nur dieses mit „schweige und höre“ gemeint ist; es kann (uns) vielmehr noch eine andere Lehre geben. Es ermahnt nämlich, nicht nur mit der Zunge zu schweigen und mit den Ohren zu hören, sondern beides auch mit der Seele zu tun. 12 Denn viele, die jemand zu hören gekommen sind, kamen nicht mit ihren Gedanken; sie schweifen vielmehr draußen[9] herum und denken bei sich an tausenderlei Dinge, an verwandtschaftliche und fremde Beziehungen, an private und öffentliche Angelegenheiten, an die sie jetzt nicht denken sollten, indem sie alles sozusagen der Reihe nach zusammenzählen, und wegen der in ihrem Innern herrschenden großen Unruhe sind sie außerstande, dem Redner zuzuhören; denn[10] dieser spricht dann gleichsam nicht vor Menschen sondern vor seelenlosen Bildsäulen, die Ohren haben, aber kein Gehör. 13 Nur wenn der Geist gewillt ist, sich mit keiner einzigen von den Sachen, die teils von außen herantreten, teils im Innern aufbewahrt sind, zu beschäftigen, und sich ruhig und gelassen dem Redner zuwendet, schweigend nach Moses' Mahnung, wird er imstande sein, mit ganzer Aufmerksamkeit zuzuhören; anders vermöchte er es wohl nicht. [4] 14 Den Unwissenden ist also Schweigen zuträglich, aber für die Wißbegierigen und zumal Gottliebenden ist die Freimütigkeit ein sehr notwendiger Besitz. So heißt es ja in der Erzählung vom Auszug (2 Mos. 14, 14): „Der Herr wird für euch kämpfen, und ihr sollt stille sein“ und darauf folgt der Vers: „Und der Herr sprach [p. 475 M.] zu Moses: Was schreist[11] du zu mir?“ (Das lehrt,) daß diejenigen, die nichts Anhörenswertes zu sagen haben, schweigen und die, die auf die göttliche Liebe zur Weisheit vertrauen, reden sollen, und nicht etwa leise reden, sondern laut schreien, nicht etwa mit Mund und Zunge, wodurch, wie man sagt, die Luft kreisförmig bewegt und dem Ohre wahrnehmbar wird, sondern mit dem melodischen und lauttönenden Seelenorgan, das kein Sterblicher, nur der Unerschaffene und Unvergängliche hört.[226] 15 Denn das wohlgefügte und wohlklingende Lied geistiger Harmonie vermag nur der „geistige Musiker“[12] zu erfassen, aber keiner von den mit Sinnlichkeit Befleckten. Sobald das ganze Organ des Geistes in vollkommenen Akkorden[13] ertönt, fragt der Zuhörer sozusagen – in Wirklichkeit fragt er nicht, denn alles ist ja Gott bekannt –: „Warum schreist du zu mir?“ Behufs einer Bitte um Abwendung von Übeln oder zur Danksagung für den Besitz von Gütern oder zu beiden Zwecken?[14] [5] 16 So beredt erweist sich der Mann, der von schwacher Stimme und schwerer Zunge ohne Rednergabe zu sein schien[15] , daß er hier nicht nur redend, sondern sogar schreiend und an anderer Stelle mit unaufhörlichem, ununterbrochenem Redefluß auftritt. 17 Denn so heißt es (2 Mos. 19, 19): „Moses redete und Gott antwortete ihm mit einer Stimme.“ Für „redete“ steht (im griechischen Bibeltext) nicht ἐλάλησεν, d. i. (die Zeitform, die) eine vollendete Handlung (bezeichnet), sondern ἐλάλει, womit eine längere Zeitdauer ausgedrückt wird, und ebenso heißt es nicht: Gott „lehrte“ (ἐδίδαξεν) in vollendeter Zeitform, sondern ἀπεκρίνετο „er antwortete“ immerfort und anhaltend[16]. 18 Wo aber eine Antwort ist, da ist sicherlich eine Frage. Es fragt jeder nach dem, was er nicht versteht, um es zu lernen, und in der Erkenntnis, daß das nützlichste Mittel zur Wissenschaft ist: suchen, fragen, forschen, nichts zu wissen meinen, nichts mit Sicherheit erfaßt zu haben glauben.[17] 19 Weise nehmen daher Gott zu ihrem Leiter und Lehrer, und die noch Unvollendeten den Weisen. Darum sagen sie[18] auch (2 Mos. 20, 19): „Rede du mit uns, und nicht möge Gott zu uns reden, damit wir nicht sterben.“ Es zeigt aber der Weise eine so große Freimütigkeit, daß[227] er sich erkühnt, nicht nur zu reden und zu schreien, sondern sogar auch aus aufrichtiger Überzeugung und infolge edler Erregung Vorwürfe zu machen. 20 Denn das Wort: „Wenn du ihnen die Sünde verzeihst, so tue es; wenn aber nicht, so streiche mich aus deinem Buche, das du geschrieben hast“ (2 Mos. 32, 32) und dieses: „Habe ich denn dieses ganze Volk empfangen oder es geboren, daß du zu mir sagst: nimm es an deinen Busen, wie der Wärter den Säugling trägt?“ (4 Mos. 11, 12). Und dieses: „Woher habe ich Fleisch diesem ganzen Volke zu geben, daß sie über mich weinen? Sollen Schafe und Rinder geschlachtet oder alle Fische des Meeres gesammelt werden und wird es genügen?“ (Das. 11, 13. 22). Und dieses: „O Herr, warum [p. 476 M.] hast du diesem Volke Böses getan, und warum hast du mich geschickt? Seitdem ich zu Pharao gekommen bin, um in deinem Namen zu reden, hat er dem Volke Böses getan, und dein Volk hast du nicht errettet“ (2 Mos. 5, 22. 23) – diese Worte und ähnliche würde man sich fürchten, einem Statthalter[19] zu sagen; er aber erkühnte sich sogar vor Gott seine Meinung zu äußern. 21 Damit aber erreichte er den Gipfel – nicht des Mutes schlechthin, sondern – edlen Mutes, weil alle Weisen Freunde Gottes sind, und zumal nach Ansicht des göttlichen Gesetzgebers. Freimütigkeit ist aber mit Freundschaft verwandt; denn zu wem anders als zu seinem Freunde wird man freimütig sprechen? Treffend wird daher Moses in der h. Schrift „Freund“ genannt (2 Mos. 33, 11), so daß alle seine kühnen Äußerungen offenbar mehr aus Freundschaft als Anmaßung getan wurden. Denn Frechheit eignet dem Anmaßenden, edler Mut dem Freunde.

[6] 22 Beachte[20] aber weiter, daß Kühnheit mit Ehrfurcht verbunden ist. Denn die Frage: „Was wirst du mir geben?“ beweist Kühnheit, die Anrede aber „o Gebieter“ Ehrfurcht. Während er meistens dem (göttlichen) Urheber gegenüber zwei Anreden anzuwenden pflegt, nämlich bald θεός bald κύριος (Gott oder Herr), gebraucht er hier keine von beiden, sondern die Anrede δεσπότης (Gebieter); höchst ehrfürchtig[21] und sehr richtig! Allerdings sagt man, daß diese Wörter[228] κύριος und δεσπότης gleichbedeutend sind. 23 Allein wenn auch der Gegenstand ein und derselbe ist, so sind doch die Benennungen dem Sinne nach verschieden. Denn κύριος ist von κῦρος abzuleiten, das „Feststehendes“ bedeutet im Gegensatz zu dem Unsichern, Haltlosen, δεσπότης aber von δεσμός (Band, Fessel), wovon meines Erachtens auch δέος (Furcht) kommt, – so daß der „Gebieter“ ein „Herr“ ist und dazu, wenn ich so sagen darf, ein furchtbarer Herr, der nicht nur das Verfügungsrecht {κῦρος) und die Macht über alle besitzt, sondern auch Furcht und Angst einzuflößen imstande ist – vielleicht aber auch deswegen, weil er das „Band“ (δεσμός) aller Dinge ist, das sie, die an sich unzusammenhängenden, unlöslich zusammenhält und zusammenzwängt.[22] 24 Mit den Worten „Gebieter, was wirst du mir geben“ will er etwa folgendes sagen: Ich kenne wohl deine überragende Macht, ich verstehe das Furchtbare deiner Herrschaft, furchtsam und bebend stehe ich da und doch bin ich wiederum kühn.[23] 25 Denn du hast mir gesagt, ich solle mich nicht fürchten (1 Mos. 15, 1); du hast „mir eine Zunge der Wohlerzogenheit gegeben, um zu wissen, wann ich reden muß“;[24] du hast mir den zugeschlossenen Mund gelöst, geöffnet und noch redegewandter gemacht; du hast ihn gelehrt, was zu sagen ist, und somit jene Verheißung erfüllt: „Ich werde deinen Mund öffnen[25] und dich[229] lehren, was du reden [p. 477 M.] sollst“ (2 Mos. 4, 12). Denn wer bin ich, daß du mich reden lehrtest,[26] daß du mir einen Lohn versprichst, ein Gut, köstlicher als Wohltat und Ehrengabe? 26 Bin ich nicht ein aus dem Vaterland Ausgewanderter? Nicht von der Verwandtschaft entfernt, dem Vaterhause entfremdet? Nennen nicht alle den Ausgestoßenen und Verbannten hilflos und ehrlos?[27] 27 Allein du, Gebieter, bist mein Vaterland, meine Verwandtschaft, mein väterlicher Herd, meine Ehre und Freiheit, mein großer gepriesener und unentreißbarer Reichtum. 28 Warum soll ich mich also nicht getrauen[28] zu sagen, was ich denke? Warum soll ich bei meinem Verlangen, etwas mehr zu erfahren, nicht fragen? Doch wenn ich auch sage, daß ich zuversichtlich bin, so muß ich andererseits gestehen, daß ich mich fürchte und betroffen bin; und Furcht und Zuversicht sind nicht in mir, wie man vielleicht vermuten wird, in einem unversöhnlichen Kampfe, sondern in harmonischem Einklang. 29 Unersättlich genieße ich diese innige Verbindung, die mich bestimmt, weder ohne Furcht kühn zu sein, noch ohne Kühnheit mich zu fürchten. Denn ich habe es gelernt, meine eigene Nichtigkeit zu ermessen und die Überfülle deiner Wohltaten zu überschauen; und wenn ich mich als „Staub und Asche“ oder als etwas noch Geringeres fühle, dann erkühne ich mich vor dich hinzutreten, demutsvoll im Staube liegend, beinahe wie in die Elemente aufgelöst, so daß ich nicht mehr zu leben scheine. [7] 30 Diese meine Seelenstimmung hat auch der Seher Moses zum Andenken an mich aufgezeichnet.[29] Denn er sagt: „Abraham trat hin und sprach: Nun[30] habe ich angefangen zu dem Herrn zu reden,[230] da ich Staub und Asche bin“ (1 Mos. 18, 28), denn dann ist die rechte Zeit für das Geschöpf zu seinem Schöpfer hinzutreten, wenn es seine eigene Nichtigkeit erkannt hat. 31 Aber das Wort: „Was wirst du mir geben?“ ist nicht sowohl die Sprache eines Fragenden[31] als vielmehr diejenige eines solchen, der für die große Menge der Wohltaten, die er genossen hat, seinen Dank abstattet. Was willst du mir geben? Bleibt mir denn noch mehr zu erwarten übrig? Überreich sind, ο Freigebiger, deine Gnadenbeweise und unbeschreiblich viel, ohne Grenze und Ende, nach Art der Quellen mehr hinaufsprudelnd als was abgeschöpft wird. 32 Aber wir müssen nicht nur den immer fließenden Strom deiner Wohltaten betrachten, sondern auch unsere (von ihm) bewässerten Felder; denn wenn die Feuchtigkeit übermäßig einströmt, wird das Land sumpfartig und morastig statt fruchttragend sein. Daher bedarf ich einer im Hinblick auf die Förderung des Ertrags abgemessenen, nicht einer maßlosen Befeuchtung. 33 Darum will ich fragen: „Was wirst du mir geben, nachdem du mir unsagbar viel gegeben hast und beinahe alles, was ein sterbliches Wesen aufzunehmen [p. 478 M.] imstande ist? Denn was ich sonst noch zu erfahren und zu erlangen[32] wünsche, ist folgendes: Wer soll deiner Wohltaten würdiger Erbe werden? 34 Oder werde ich kinderlos von hinnen scheiden,[33] nachdem ich ein kurzes, unbeständiges, schnelldahinschwindendes Gut empfangen habe, während ich im Gegenteil ein langdauerndes, unversehrtes und unsterbliches erflehe, um befähigt zu sein Samen auszustreuen, Wurzeln weithin zur Sicherung zu strecken und den emporstrebenden Stamm hinauf zum Himmel zu erheben? 35 Denn die menschliche Tugend muß wohl auf Erden einherschreiten, aber zum Himmel vordringen, um dort alle Zeit im Genusse der Unsterblichkeit, von keinem Leid berührt, zu verharren.[231] 36 Weiß ich doch, daß du, der du das „Nichtseiende“[34] hervorgebracht und das All geschaffen hast, die kinderlose und unfruchtbare Seele hassest, da du ja die besondere Gnade, niemals unfruchtbar und kinderlos zu sein, dem scharfsichtigen Geschlecht[35] verliehen hast, als dessen Angehöriger auch ich mit Recht mich nach einem Erben sehne. Denn da ich sehe, daß dieses (Geschlecht) selbst unvertilgbar ist, so wäre es, glaub' ich, höchst schimpflich, wenn mein Wesen untergehen und nicht mehr die Schönheit schauen würde. 37 Darum komme ich als Bittender und flehe inbrünstig, daß von den Saaten und glimmenden Feuerkohlen[36] das heilvolle Tugendlicht aufflammen und erstrahlen möge, das wie eine Fackel den aufeinanderfolgenden Geschlechtern voranleuchten soll, solange die Welt besteht. 38 Hast du doch den Frommen das eifrige Verlangen, Kinder der Seele zu zeugen, eingeflößt, und wenn sie deren teilhaftig wurden, riefen sie vor Freude aus: „Das sind die Kinder, mit denen Gott deinen Diener begnadigt hat“ (1 Mos. 33, 5), deren Wärterin und Amme die Unschuld ist, deren Seelen „unberührt, schlicht“[37] und wohlgeartet sind, empfänglich für die schönen und göttlichen Eindrücke der Tugend. 39 Belehre mich aber auch darüber, ob „der Sohn der Masek, meiner hausgeborenen Sklavin“ tauglich ist, deiner Gnadenbeweise Erbe zu werden. Denn ich habe bis jetzt den erhofften Erben nicht bekommen; auf den aber, den ich bekommen habe,[38] setze ich keine Hoffnung.“

[232] [8] 40 Wer aber die Masek und wer ihr Sohn ist, muß gründlich untersucht werden. Nun übersetzt man Masek: infolge[39] eines Kusses. „Küssen“ aber ist verschieden von „Lieben“. Dieses bedeutet offenbar eine Vereinigung von Seelen, die in der Zuneigung füreinander übereinstimmen, jenes dagegen anscheinend nur eine oberflächliche, kahle Begrüßung, wenn irgendein Bedürfnis dazu führt. 41 Denn wie in (dem zusammengesetzten Zeitwort) ἀνακύπτειν „emportauchen“ die Bedeutung des (einfachen) κύπτειν „sich bücken“ nicht enthalten ist; wie in καταπίνειν „verschlucken trockener Speisen“ durchaus kein πίνειν „trinken“ und in μάρσιππος „Sack“ kein ἵππος „Pferd“ steckt, so ist auch in καταφιλεῖν „küssen“ nicht die Bedeutung von φιλεῖν „lieben“ enthalten,[40] da manche, den harten Zwangslagen des Lebens nachgebend, auch sehr oft Feinde freundlich begrüßen. 42 Wer nun diejenige ist, die infolge eines Kusses, aber nicht aus aufrichtiger Liebe mit uns verbunden ist, will ich rückhaltslos sagen. Es ist das Leben mit der Sinnlichkeit, die allen fest anhaftet, [p. 479 M.] die jedermann liebt, die die meisten als Herrin, die Weisen aber als Dienerin betrachten, nicht als eine stammesfremde oder um Geld gekaufte, sondern als eine hausgeborene und gewissermaßen als Stammesgenossin.[41] Diese sind auch gewohnt sie zu küssen, doch nicht zu lieben; jene aber pflegen sie über alle Maßen zu lieben und höchst begehrenswert zu finden. 43 Laban aber, der Tugendfeind, wird auch die dem Frommen zuteil gewordenen Kräfte nicht küssen können: er sagt vielmehr, da er sein Leben an Heuchelei und falsche Vorstellungen hängt, scheinbar unwillig, doch ohne wirklich Schmerz zu empfinden: „Ich ward nicht gewürdigt,[42] meine Kinder und Töchter zu küssen“ (1 Mos. 31, 28). Mit Fug und Recht; denn uns wurde gelehrt, die Verstellung unversöhnlich zu hassen. 44 Liebe daher die Tugenden und verehre sie mit deiner Seele; liebe sie in Wahrheit, und du wirst keineswegs geneigt sein, dich der Karrikatur der Liebe zu bedienen, zu küssen. „Haben sie[43] etwa noch Anteil oder Erbe in deinem Hause? Wurden sie nicht von dir wie Fremde betrachtet?[233] Hast du sie nicht verkauft und das Geld aufgezehrt“ (1 Mos. 31, 14. 15) damit du sie – infolge der Aufzehrung des Lohnes und Lösegeldes – auch später nicht wiedererlangen kannst? Stelle dich nun, als ob du (sie) küssen wolltest, du, der du nach allgemeinem Urteil ein Feind bist. Dagegen wird Moses den Schwiegervater[44] nicht küssen, sondern mit aufrichtigem Herzen lieben, denn so heißt es: „Er ,liebte‘[45] ihn und sie begrüßten einander“ (2 Mos. 18, 7). – [9] 45 Es gibt aber eine dreifache[46] Lebensweise: die göttliche, die irdische und die dazwischenliegende, aus beiden gemischte. Die göttliche stieg nicht zu uns herab und kam nicht in die Bande des Körpers. Die irdische[47] stieg weder hierauf, noch versuchte sie aufzusteigen; wie eine Höhlenbewohnerin führt sie in den Kammern des Hades ein nicht lebenswertes Leben. 46 Die gemischte ist diejenige, die bald, von der besseren Seite getrieben, gotterfüllt und gottbegeistert ist, bald, von der schlechteren in entgegengesetzte Richtung gezogen, umschlägt. So oft also wie bei einer Wage der Teil des besseren Lebens ganz und gar überwiegt,[48] zeigt die Masse des entgegengesetzten Lebens emporschnellend ein ganz leichtes Gewicht. 47 Moses, der die göttliche Lebensweise kampflos mit dem Siegeskranze schmückt, läßt die übrigen in Gestalt zweier Frauen zur Beurteilung auftreten und gibt ihnen wohlpassende Namen: die eine nennt er die geliebte, die andere die gehaßte.[49] 48 Denn wer nimmt nicht gern die Genüsse und Vergnügungen[234] hin, die Augen und Ohren, der Geschmack-, Geruch- und Tastsinn vermitteln? Und wer haßt nicht das Gegenteil: Genügsamkeit, Enthaltsamkeit, ein ernstes und wissenschaftliches Leben, das an Lachen und Scherz nicht teilnimmt, das voll Kummer, [p. 480 M.] Sorgen und Mühen ist, das die Beschaulichkeit liebt und die Unwissenheit haßt, das (irdischen) Schätzen, Ruhm und Vergnügungen überlegen ist, aber von der Besonnenheit, dem guten Ruf und dem sehenden – nicht dem blinden[50] – Reichtum sich besiegen läßt? Älter[51] sind nun stets die Kinder der gehaßten Tugend. [10] 49 Moses aber erkennt ihnen, wenn sie auch dem Alter nach jünger sind (ihrem Wesen entsprechend),[52] den Vorrang zu und gibt ihnen das Doppelte, während er jenen die Hälfte nimmt. Denn er sagt: „Wenn ein Mann zwei Frauen hat, eine geliebte und eine gehaßte, und beide Kinder gebären, so[53] wird er, wenn er seine Habe verteilen will, nicht dem Sohn der geliebten Frau,“ der Sinnenlust, „das Erstgeburtsrecht zuerkennen können“ – denn dieser ist jung, selbst wenn er der Zeit nach altersgrau wäre[54] – „sondern dem der gehaßten“, der Vernunft, der ohne weiteres der ältere von Kindheit an ist, „so daß er ihm den doppelten Anteil zuerteilen wird“ (5 Mos. 21, 15–17). 50 Da wir[235] die übertragene Deutung dieser Schriftworte schon anderswo[55] gegeben haben, wollen wir uns wieder zu dem mit unserem Gegenstand[56] Zusammenhängenden wenden; nur möchten wir vorher noch darauf hinweisen, daß es in der Schrift heißt, Gott habe den Mutterschoß der Gehaßten geöffnet, (d. h.) die Geburt edler Sitten und schöner Taten[57] veranlaßt, während diejenige, die sich geliebt glaubte, alsbald unfruchtbar wurde. 51 Denn so heißt es: „Als der Herr sah, daß Lea gehaßt wird, öffnete er ihren Mutterschoß; Rachel aber war unfruchtbar“ (1 Mos. 29, 31). Ist denn nicht in dem Augenblick, wo die Seele schwanger geht und das, was der Seele wohl ansteht, zu gebären beginnt, alles Sinnliche – dem die Aufnahme „von einem Kusse“, nicht die mit echter Liebe zukommt – unfruchtbar und kinderlos? [11] 52 Ein Sohn dieses sinnlichen Lebens, das die Schrift Masek nennt, ist also ein jeder von uns, da (jeder) die Pflegemutter und Amme des sterblichen Geschlechts, die Sinnlichkeit, ehrt und bewundert,[58] sie, bei deren Anblick, als sie erschaffen war, auch der irdische Geist, Namens Adam, seinen Tod als ihr Leben bezeichnete. 53 Denn so heißt es: „Adam nannte den Namen seines Weibes Leben,[59] denn sie ist die Mutter aller Lebenden“ (1 Mos. 3, 20), derjenigen, die in Wahrheit tot sind, nämlich hinsichtlich des Lebens der Seele.[60] Die wirklich Lebenden haben zur Mutter die Weisheit, die Sinnlichkeit dagegen (betrachten sie) als eine von der Natur zur Bedienung der Erkenntnis geschaffene Sklavin. 54 Als Namen desjenigen, der von dem Leben geboren ward, das wir[61] „von dem Kusse“ erklärt haben, gibt die Schrift an: Damaskos – d. h. Blut des (groben) Kleides[62] –,[236] indem sie sehr bedeutsam und treffend mit „Kleid“ auf den Körper, mit „Blut“ auf das im Blut erscheinende Leben hindeutet. 55 Da nämlich Seele in doppeltem Sinn gebraucht wird, sowohl für die ganze Seele als auch für den führenden[63] Teil derselben, der eigentlich „die Seele der Seele“ ist, gleichwie „Auge“ sowohl das ganze kreisförmige Organ als auch den wichtigsten Teil, mit dem wir sehen, bezeichnet, so schien dem Gesetzgeber auch das Wesen der Seele ein zweifaches zu sein, Blut das Wesen der ganzen Seele [p. 481 M.] und ein göttlicher Hauch das ihres vorzüglichsten Teiles. 56 Sagt er doch geradezu: „Die Seele alles Fleisches ist Blut“[64] (3 Mos. 17, 11. 14). Treffend wird jedoch die Strömung des Blutes der Fleischmasse[65] als zueinander gehörig zugeteilt; aber das Wesen des Geistes knüpft er nicht an ein Geschaffenes, sondern läßt es von Gott eingehaucht sein. Er sagt nämlich: „Es blies der Schöpfer des Alls in sein Angesicht einen Hauch des Lebens, und es ward der Mensch zu einer lebenden Seele“ (1 Mos. 2, 7), wobei auch berichtet wird, daß er nach dem Ebenbilde des Schöpfers gebildet wurde.[66] [12] 57 Daher gibt es zwei besondere Arten von Menschen: die eine bilden diejenigen, die durch den göttlichen Hauch, die Vernunft, (wahrhaft) leben, die andere die, die durch das Blut und in Fleischeslust vegetieren.[67] Diese Art ist ein Gebilde der Erde, jene ein getreues Abbild des göttlichen Urbildes.[68] 58 Allein gar sehr bedarf unser Erdenstaub, der kunstvoll gestaltete und mit Blut vermengte, der göttlichen Hilfe. Darum heißt es: „Dieser[237] Damaskos Elieser“ – die Übersetzung von Elieser ist: „mein Gott ist Helfer“[69] –; denn die blutdurchtränkte Körpermasse, die ja an sich auflöslich und tot ist, besteht und lebt durch die Fürsorge Gottes; der seine Hand über sie hält und sie beschirmt, da unser Geschlecht von selbst auch nicht einen Tag bestehen könnte. 59 Siehst du nicht, daß auch Moses' zweiter Sohn den gleichen Namen hat? Denn so heißt es: „Der Name des zweiten war Elieser“ und als Grund wird hinzugefügt: „Denn der Gott meines Vaters war mein Helfer und rettete mich aus der Hand[70] Pharaos“ (2 Mos. 18, 4). 60 Die Genossen des blutdurchtränkten und sinnlichen Lebens ergreift außerdem der die Frömmigkeit zerstreuende Sinn, genannt Pharao,[71] dessen Machtbereich voller Ruchlosigkeit und Roheit man nicht entfliehen kann, wenn nicht in der Seele „der Elieser“ erzeugt und die Hilfe Gottes, des einzigen Retters, erhofft wird. 61 Sehr fein läßt die Schrift aber den Damaskos nicht von einem Vater kommen, sondern von einer Mutter, der Masek, um zu lehren, daß die blutdurchtränkte Seele, durch die auch das Vernunftlose (die Tierwelt)[72] lebt, zum mütterlichen Geschlecht der Frauen gehört und männlicher Abstammung nicht teilhaftig ist.[73] 62 Aber nicht (also) die Tugend Sarra; sie erhebt Anspruch nur auf männliche Abstammung, da sie – das mutterlose Prinzip[74] – von Gott, dem Vater aller allein, gezeugt worden ist. Denn so heißt es von ihr: „Wahrlich, meine Schwester ist sie von einem Vater, nicht von einer Mutter“ (1 Mos. 20, 12).

[13] 63 Somit haben wir erklärt, was vorher zu hören nötig war; enthielt doch der Satz eine rätselhafte Undeutlichkeit. Was aber der Wißbegierige (Abraham) fragt, muß genauer erläutert werden. Vielleicht ist es dies: ob [p. 482 M.] einer, der nach dem blutdurchtränkten Leben trachtet[238] und noch sinnliche Genüsse erstrebt, der Erbe der unkörperlichen und göttlichen Dinge werden kann. 64 Deren wird nur gewürdigt der von oben eingehauchte, eines himmlischen und göttlichen Anteils teilhaftige ganz lautere Geist, der nicht nur des Körpers nicht achtet, sondern auch des andern Seelenteils, der ja vernunftlos und mit Blut zusammengeknetet ist und siedende Leidenschaften, feurige Begierden entflammt.[75] 65 Er fragt mithin folgendermaßen: Nachdem „du mir nicht jenen“ geistigen, sich selbst belehrenden,[76] gottähnlichen „Sprößling gegeben hast, soll nun etwa mein Hausgeborner mich beerben“, der Sohn des blutdurchtränkten Lebens? 66 In diesem Augenblick kam Gott eiligst dem Redenden zuvor, indem er ihm sozusagen die Antwort auf die Frage vor ihrem Abschluß gab. Denn so heißt es: „Sogleich[77] erging an ihn die Stimme Gottes mit den Worten: Nicht dieser wird dich beerben“ (1 Mos. 15, 4), (d. h.) keiner von denen, die sinnlich aufzuzeigen sind; denn Erben geistiger Dinge sind unkörperliche Wesen. 67 Man beachte aber wohl, das hier nicht steht: er „sprach“ oder „redete“, sondern „die Stimme Gottes erging an ihn“, gleichsam als hätte er kräftig [auf ihn] eingeschrien, laut hineinschallen lassen, damit die Stimme in die ganze Seele eindringe, keinen Teil leer, ohne richtige Unterweisung lasse, sondern alle (Teile) mit heilsamer Lehre erfüllt seien. [14] 68 Wer wird also Erbe werden? Nicht der Geist, der freiwillig im Verschluß des Körpers bleibt, sondern der von dessen Banden gelöste und befreite, der aus den Mauern hinausgegangen ist und, wenn man so sagen darf, sich selbst verlassen hat. Denn so sagt er: „Der aus dir herausgehen wird, dieser wird dich beerben[78] (1 Mos. 15, 4). 69 Wenn also, ο Seele,[239] das Verlangen über dich kommt, der göttlichen Güter Erbe zu werden, so verlasse nicht nur „Land“, den Körper, „Verwandtschaft“, die Sinnlichkeit und „Vaterhaus“ (1 Mos. 12, 1), die (durch die Sprache sich äußernde) Vernunft,[79] sondern entfliehe auch dir selbst, gehe aus dir hinaus, gleich den Besessenen und nach Korybantenart[80] Rasenden verzückt und gotterfüllt mit prophetischer Begeisterung. 70 Denn dies ist das Erbe der Seele, die gottbegeistert nicht mehr in sich ist, sondern von himmlischer Liebe getrieben und entflammt, von dem wahrhaft Seienden geführt und zu ihm emporgetragen wird, während die Wahrheit ihr voranschreitet und was im Wege ist, hinwegräumt, damit sie auf gebahnter Straße wandele. 71 Wie du dich nun von den oben genannten Dingen entfernt hast, das sage uns freimütig, ο Seele, die du das dem Geiste Erfaßbare in alle, die es zu hören verstehen, hineintönen läßt, indem du immer sprichst:[81] „Ich wanderte aus dem Körper hinaus, als ich bereits das Fleisch verachtete, und aus der Sinnlichkeit, als ich alles sinnlich Wahrnehmbare als nicht wirklich existierend verwarf, weil ich einsah, daß ihre [p. 483 M.] Prüfungsmittel[82] unecht, verfälscht, voll trügerischen Wahns sind, und das Geprüfte[83] verwarf, da es dazu angetan ist zu täuschen und zu betören und die Wahrheit aus der Natur zu rauben.[240] Ich verließ auch die (durch die Sprache sich äußernde) Vernunft, da ich viel Unvernünftiges an ihr zu verwerfen fand, wie sehr sie sich auch überhebt und aufbläht. 72 Denn mit großer Kühnheit wagte sie mir Körper mittels Schattenbilder,[84] Gegenstände durch Wörter zu zeigen, was ja unmöglich ist; und trügerisch umschwätzt und umspült sie mich, da sie mit mehrdeutigen Worten die Sonderart der Gegenstände nicht mit klarem Ausdruck darstellen kann. 73 Nachdem ich wie ein unverständiges, unmündiges Kind solche Erfahrungen machte, sah ich ein, daß es somit besser wäre, von all diesen Dingen abzugehen und die Kraftäußerungen eines jeden Gott anheimzustellen, der den Körper gestaltet und aufbaut, die Sinne befähigt wahrzunehmen und der Vernunft die Sprache verleiht!“ 74 In derselben Weise, wie du dich von den andern entfernt hast, entferne dich und ziehe hinweg von dir selbst. Wie aber geschieht das? Verwalte nicht für dich das Denken, Verstehen und Begreifen, sondern bringe und weihe es[85] dem, der der Urheber des gründlichen Denkens und des untrüglichen Begreifens ist!

[15] 75 Dieses Weihegeschenk wird er wohlgefällig aufnehmen wie eine Opferspende, die heiliger ist als die allheiligen. Zwei Sachen stehen sich offensichtlich gegenüber, das Geistige und das Sinnliche. Das Pantheon[86] der sinnlich wahrnehmbaren Wesen ist diese Welt, das der unsichtbaren ohne Zweifel die geistige. 76 Daß derjenige, der sich von (dem Reich) der sichtbaren[87] abwendet und sich eifrig bemüht, ein Gottesdiener zu sein, der Erbe des hochgepriesenen Reichtums der Natur ist, das bezeugt die Schrift mit den Worten: „Hinaus führte er ihn nach außen und sprach: Blicke empor zum Himmel“ (das. 15, 5), da doch dieser die Schatzkammer der göttlichen Güter ist, wie es[241] heißt: „Öffnen möge[88] dir der Herr seine Schatzkammer, den Himmel“ (5 Mos. 28, 12), aus dem der Weltenlenker unaufhörlich die vollkommensten Freuden regnen läßt. „Blicke empor“ – zur Beschämung des blinden Geschlechts der gewöhnlichen Menschen, das zu sehen glaubt, aber verblendet ist. 77 Denn wie ist es nicht verblendet, da es doch Böses statt des Guten, Häßliches statt des Schönen, Ungerechtes statt des Gerechten, die Trübungen der Seele statt der Hochgefühle,[89] Vergängliches statt des Unvergänglichen sich erwählt, Warner und Ermahner, Tadel und Belehrung flieht, dagegen Schmeichler und die Worte, die sie ihm zu Gefallen sprechen und zu Trägheit, Torheit und Schwelgerei verleiten, wohlgefällig annimmt! 78 Nur der Weise sieht, weshalb auch die Alten die Propheten „Seher“ nannten (1 Sam. 9, 9). Der „Hinausgegangene“ aber wird nicht nur sehend, sondern Gott sehend[90] genannt, Israel [d. i. Gott sehend]. Wenn dagegen jene einmal [p. 484 M.] die Augen öffnen, so richten sie sie abwärts zur Erde, da sie dem Irdischen nachgehen und mit den Bewohnern des Hades[91] zusammenleben. 79 Dieser aber hebt seine Blicke zum Äther und zu den Himmelskreisen empor, ist aber auch gewohnt, auf das Manna,[92] die göttliche Vernunft, die himmlische, unvergängliche Nahrung der schaulustigen Seele, zu blicken; jene dagegen sehen auf die Zwiebeln, den Knoblauch, die den Augen Schmerzen und Schaden zufügen und sie sich zu schließen nötigen, und auf andere übelriechende Nahrungsmittel von Lauch und toten Fischen, die in Ägypten zuhause sind. 80 „Wir gedachten“, sagen sie, „der Fische, die wir in Ägypten umsonst gegessen haben, und der Kürbisse, der Melonen, des Schnittlauchs, der Zwiebeln und des Knoblauchs; nun aber ist unsere Seele vertrocknet, nur auf das Manna (schauen) unsere Augen“ (4 Mos. 11, 5. 6). [16] 81 Auf unsere Erziehung zielt auch das Folgende hin: „Hinaus führte er ihn nach außen,“[242] das manche aus Mangel an sittlicher Bildung zu verspotten pflegen, indem sie sagen: Wird man denn einwärts hinausgeführt oder geht man auswärts hinein? Ja, behaupte ich, ihr Spötter Und Voreiligen: denn die Sinnesarten der Seele versteht ihr nicht aufzuspüren, nur die der Körper, die wechselnden Bewegungen in ihnen, untersucht ihr. Darum scheint es euch auch widersinnig, wenn jemand einwärts hinaus- und auswärts hineingeht; doch uns Schülern Moses' ist nicht dergleichen vernunftwidrig. 82 Werdet ihr etwa nicht zugeben, daß der nicht vollkommene Hohepriester, wenn er im Allerheiligsten den altväterlichen heiligen Dienst verrichtet, sowohl drinnen als draußen ist, drinnen mit seinem sichtbaren Körper, draußen mit seiner herumschweifenden und irrenden Seele, und daß dagegen irgendein Gottliebender und Gottgeliebter, wenn er auch nicht zu dem gottgeweihten Priestergeschlecht gehört und sich außerhalb der Waschbecken[93] befindet, dennoch im Innersten verweilt, da er das ganze mit dem Körper verbundene Leben als einen Aufenthalt in der Fremde betrachtet und dann im Vaterlande zu leben glaubt, wenn er seiner Seele allein zu leben imstande ist? 83 Außerhalb des Türpfostens ist doch jeder Tor, auch wenn er den ganzen Tag zu Hause zubrächte und keinen Augenblick ausginge, drinnen aber jeder Weise, auch wenn er nicht nur durch Länder, sondern sogar durch weite Erdzonen getrennt wäre. Nach Moses aber steht der Freund so nahe, daß er sich nicht von der Seele unterscheidet; sagt er doch: „Der Freund, der deiner Seele gleich ist“ (5 Mos. 13, 6).[94] 84 Auch der Priester – „nicht ein Mensch soll an ihm sein,[95] wenn er in das Allerheiligste hineingeht, bis er wieder hinausgeht“ (3 Mos. 16, 17), nicht körperlicher Art, sondern mit den Regungen der Seele. Denn der Geist ist, wenn er Gott in Reinheit dient, nicht menschlich, sondern[243] göttlich; in dem Augenblick aber, da er irgendeinem menschlichen Anliegen dient, ist er verwandelt, vom Himmel herabgestiegen, oder vielmehr zur Erde gefallen, „geht er hinaus,“ [p. 485 M.] auch wenn der Körper noch drinnen bliebe. 85 Sehr richtig also heißt es: „Hinaus führte er ihn auswärts“ – außerhalb der Fesseln des Körpers, der Schlupfwinkel der Sinnlichkeit, der Klügeleien der trügerischen Beredsamkeit[96] und schließlich aus sich selbst und aus dem Wahne, nach eigenem freien und selbstherrlichen Willen zu denken und zu begreifen.

[17] 86 Er führte ihn aber hinaus und sprach: „Blick empor zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst. So wird deine Nachkommenschaft sein“ (1 Mos. 15, 5). Sehr schön sagt er: So wird sie sein und nicht soviel, den Sternen gleich an Zahl. Denn nicht die Menge allein, sondern noch viel anderes, was zur vollkommenen Glückseligkeit gehört, will er damit zum Ausdruck bringen. 87 „So wird sie sein,“ sagt er, wie das sichtbare Ätherische,[97] ebenso himmlisch, ebenso voll schattenlosen reinen Glanzes – denn verbannt ist aus dem Himmel die Nacht und aus dem Äther die Finsternis[98] –, vollends den Sternen gleichend, schön verteilt, in unverrückbarer, sich stets gleich bleibender Ordnung. 88 Denn er will, daß die Seele des Weisen ein Ebenbild des Himmels, ja, wenn ich es übertreibend aussprechen darf, einen irdischen Himmel darstellen soll, daß sie gleichwie im Äther in sich habe: reine Wesen, geordnete Bewegungen, harmonische Reigentänze, göttliche Kreisläufe, sternengleiche, leuchtende Strahlen von Tugenden.[99] Wenn es aber unmöglich ist, die Zahl der sinnlich wahrnehmbaren Sterne zu finden, wird das nicht um so mehr der Fall sein bei den geistigen? 89 Denn ich meine, in demselben Maße wie das eine urteilende (Subjekt) besser oder schlechter als das andere ist, unterscheiden sich auch die beurteilten (Objekte). Nun ist der Geist besser als die Sinne, und diese sind stumpfer als die Vernunft; folglich übertrifft das vom Geist Erfaßte an Menge bedeutend das von den Sinnen Wahrgenommene. Denn die leiblichen Augen sind nur ein winziger Bruchteil von der Sehkraft[244] der Seele; diese gleicht der Sonne und jene den Kerzen, die angezündet und ausgelöscht zu werden pflegen.

[18] 90 Angemessen heißt es zum Schluß: „Abraham vertraute auf Gott“ (das. 15, 6) zum Lobe des Vertrauenden. Jedoch wird vielleicht mancher sagen: Dies haltet ihr für lobenswert? Wer wird denn nicht, und wäre er der Allerschlechteste und Gottloseste, Gott Glauben schenken, wenn dieser zu ihm spricht und ihm Verheißungen macht? 91 Diesem wollen wir antworten: Ο mein Lieber, ohne Prüfung entziehe weder dem Weisen das ihm gebührende Lob, noch bezeuge den Unwürdigen, daß sie die vollendetste Tugend, Gott vertrauen, haben, noch verurteile unsere Meinung hierüber. 92 Wenn du eine tiefere, nicht ganz oberflächliche Untersuchung anstellen wolltest, würdest du klar erkennen, daß es nicht leicht ist, auf Gott allein, ohne daneben etwas anderes hinzuzunehmen, zu vertrauen, und zwar wegen unserer engen Beziehung zu dem Vergänglichen, mit dem wir verknüpft sind und das uns ja verleitet, auf Geld, Ruhm, Herrschaft, Freunde, Gesundheit und Körperkraft und viele andere Dinge zu vertrauen. 93 Von [p. 486 M.] all diesem sich reinzuhalten und dem Erschaffenen, dem durchaus unzuverlässigen, zu mißtrauen, dagegen auf Gott allein, der ja in Wahrheit allein vertrauenswürdig ist, zu vertrauen, das ist das Werk einer großen, erhabenen Gesinnung, die sich nicht mehr durch etwas Irdisches betören läßt.[100] [19] 94 Schön ist das Wort: „daß ihm das Vertrauen als Gerechtigkeit angerechnet ward“ (a. a. O.). Denn nichts ist so gerecht, wie das reine, ungetrübte Vertrauen auf Gott allein. 95 Aber obwohl dieses gerecht und folgerichtig ist, hält man es für unglaublich, weil die meisten von uns mißtrauisch sind. Sie tadelt die heilige Schrift, indem sie sagt: Sich fest und unverrückbar einzig und allein an „dem Seienden“ verankern, das scheint den Menschen sonderbar, die keine untrüglichen Güter besitzen; aber nach Ansicht der entscheidenden Wahrheit ist es nicht sonderbar, sondern eben nur das Werk der Gerechtigkeit.

[20] 96 „Er sprach aber,“ heißt es weiter, „zu ihm: ich bin der Gott, der dich aus dem Lande[101] der Chaldäer herausgeführt hat, um dir dieses[245] Land zu geben, es zu ererben“ (1 Mos. 15, 7). Das bedeutet nicht nur eine Verheißung, sondern auch die Erfüllung einer früheren Verheißung. 97 Das ihm früher geschenkte Gut war demnach der „Auszug“ aus der chaldäischen Himmelskunde,[102] die glauben lehrte, die Welt sei nicht Gottes Werk, sondern Gott, und das Wohl- und Übelergehen aller Wesen werde den Bewegungen und festbestimmten Umkreisungen der Gestirne zugeschrieben und davon hänge auch die Entstehung des Guten und Bösen ab. (Zu diesen wunderlichen Behauptungen hat die gleichmäßige[103] und geordnete Bewegung der Himmelskörper die Leichtfertigen verleitet; der Name der Chaldäer wird nämlich von einem Worte abgeleitet, das „Gleichmäßigkeit“ bedeutet.) 98 Das neue Gut aber war (die Verheißung), „Weisheit zu ererben“, diejenige, die nicht durch die Sinne aufgenommen werden kann, sondern von dem reinsten Geist[104] erfaßt wird und durch die die beste Auswanderung gesichert ist, indem die Seele von der Sternkunde weg zur Naturbetrachtung, von unsicherer Mutmaßung zu sicherer Erkenntnis und, um es gründlich zu sagen, von dem Erschaffenen zum Unerschaffenen, von der Welt zu ihrem Meister und Vater übersiedelt.[105] 99 Daß jene, die der Lehrmeinung der Chaldäer folgten, auf den Himmel, dieser dagegen, nachdem er sich von ihr losgemacht hatte, auf Gott, den Beherrscher des Himmels und den Lenker der ganzen Welt, alles Vertrauen setzte, das sagt die heilige Schrift. Schön war fürwahr das Erbe, zu groß vielleicht für die Kraft des Empfängers, aber würdig der Größe des Gebers.

[21] 100 Allein dem Freunde der Weisheit genügt es nicht, auf Grund der göttlichen Worte Köstliches zu erhoffen, wunder wie viel zu erwarten; bei seinem [p. 487 M.] Durst und Hunger nach Erkenntnis glaubt er,[246] daß es (für ihn) schwer erträglich sein würde, wenn er nicht auch erführe, auf welche Weise er zur Übernahme des Erbes gelangen könnte. Darum fragt er: „O Gebieter, in welcher Weise[106] werde ich erkennen, daß ich es erben werde“ (1 Mos. 15, 8)? 101 Man wird vielleicht sagen: das widerstreitet ja seinem Vertrauen! Des Zweiflers Art ist es zu fragen, doch der Vertrauensvolle fragt nicht weiter. Man muß daher sagen, daß er sowohl verlegen fragt als auch Vertrauen hat, allerdings nicht in bezug auf ein und dasselbe; weit gefehlt! Er vertraut nämlich fest darauf, daß er der Erbe der Weisheit sein werde; nur das fragt er, auf welche Art und Weise er es werden könnte; daß er es werden würde, das hat er auf Grund der göttlichen Verheißung als durchaus sicher angenommen. 102 Daher lobt der (göttliche) Lehrmeister seine Wißbegierde und beginnt seinen Unterricht mit einer elementaren Einleitung, in der als das Erste und Notwendigste geschrieben steht: „Nimm mir“ (1 Mos. 15, 9). Kurz ist der Ausdruck, aber groß seine Bedeutung, denn er besagt nicht wenig. 103 Zuerst sagt er: Kein Gut ist dein eigen; was du zu besitzen glaubst, hat vielmehr ein anderer gewährt. Daraus folgt, daß alle Besitztümer Gott, dem Geber, gehören, nicht dem bittenden und die Hände zum Nehmen ausstreckenden Geschöpfe.[107] 104 Zweitens: Wenn du nimmst, so nimm nicht für dich; betrachte das Gegebene als ein Darlehen oder anvertrautes Gut und gib es dem, der es anvertraut und geliehen hat, wieder zurück; so vergiltst du in richtiger und gebührender Weise einen früheren Liebesdienst[108] mit einem späteren, die vorausgegangene göttliche Wohltat mit deiner Dankbarkeit. [22] 105 Viele nämlich pflegen die ihnen anvertrauten heiligen Güter abzuleugnen, da sie fremdes Eigentum aus maßloser Habsucht wie ihr eignes gebrauchen. Du aber, mein Lieber, versuche mit aller Kraft, was du empfangen hast, nicht nur unversehrt und unverfälscht aufzubewahren, sondern auch jeglicher Sorgfalt zu würdigen, damit der, der es dir anvertraut hat, keinerlei Ursache habe, sich wegen der Aufbewahrung bei dir zu beklagen. 106 Anvertraut aber hat dir der Bildner alles Lebenden die Seele, die Sprache, die[247] Sinne, die in der heiligen Schrift sinnbildlich Kalb, Widder und Ziege[109] genannt sind (1 Mos. 15, 9). Diese unterschlagen manche sofort (nach Empfang) aus Selbstliebe, andere verwalten sie zu pünktlichster Ablieferung. 107 Die Zahl jener, die unterschlagen, ist unmöglich festzustellen; denn wer von uns behauptet nicht, daß Seele, Sinne und Sprache – dies alles insgesamt sein Eigentum sei, da es seiner Meinung nach nur von ihm allein abhänge, mit den Sinnen wahrzunehmen, zu reden und zu verstehen? 108 Gering ist dagegen die Zahl derer, die das Anvertraute als heilig und unverletzlich in Wahrheit hüten. Diese haben die drei Dinge: Seele, Sinne und Sprache Gott geweiht,[110] denn sie „nahmen“ sie insgesamt nicht „für sich“ sondern „für ihn“ in Empfang, so daß sie ohne weiteres zugestehen, daß deren Wirkungen: die Gedanken des Geistes, die Äußerungen der Sprache und die Vorstellungen der Sinne nach seinem Willen erfolgen. 109 Jene aber, die sie sich selbst zuschreiben, empfingen sie in der Gestalt, wie es ihr Mißgeschick verdient: [p. 488 M.] die Seele hinterlistig, durch unvernünftige Affekte[111] getrübt und von vielen Schlechtigkeiten eingenommen, bald von Gier und Geilheit wie in einem Bordell vergewaltigt, bald von vielen Ungerechtigkeiten wie in einem Gefängnis mit Ruchlosen zusammen eingesperrt, worunter nicht Menschen sondern Taten zu verstehen sind, die nach allgemeinem Urteil strafbar sind; die Sprache frech, geschärft wider die Wahrheit, schädlich für die Zuhörer und schmachbringend für ihre Besitzer, und endlich die Sinne unersättlich – zwar nehmen sie immerwährend das Wahrnehmbare in sich auf, trotzdem können sie wegen ihres unmäßigen Begehrens nicht gesättigt werden – und voll Mißachtung gegen die zur Besonnenheit Mahnenden, so daß sie vorbei sehen und hören und alles, was jene zu ihrem Besten sagen, verschmähen. 110 Diejenigen aber, die nicht für sich, sondern für Gott genommen haben, weihen ihm jedes von diesen Dingen und hüten es als hehr und wahrhaft heilig für den Eigentümer: die Seele, damit sie nur über Gott und seine trefflichen Eigenschaften nachdenke; die Sprache, damit sie mit ungehemmtem[248] Munde durch Loblieder, Preisgesänge und Segenssprüche den Allvater ehre und nur zu dieser Tätigkeit allein ihre ganze Ausdrucksfähigkeit anstrenge und zeige; die Sinne, damit sie die ganze wahrnehmbare Welt, den Himmel und die Erde und die in der Mitte liegenden Wesen, die Lebewesen und die Pflanzen, deren Tätigkeiten und Fähigkeiten, alle Bewegungen und Zustände sich vorstellen und untrüglich und rein der Seele übermitteln. 111 Denn dem Geiste hat es Gott gegeben, die geistige Welt aus eigner Kraft, die sichtbare mittels der Sinne zu erfassen. Könnte man wirklich in allen Stücken mehr für Gott als für sich leben, dermaßen, daß man mit den Sinnen in das Wahrnehmbare eindränge behufs Auffindung der Wahrheit, mittels der Seele das Geistige und wirklich Seiende gründlich überdächte, mittels des Sprachorgans sowohl die Welt als deren Schöpfer priese: so würde man ein glückliches und seliges Leben führen. [23] 112 Das ist meines Erachtens mit den Worten „nimm mir“ angedeutet. – Da er aus Mitleid mit unserem Geschlecht, auf daß es eines bessern Geschickes teilhaftig werde, das Bild der göttlichen Tugend vom Himmel zur Erde herniedersenden wollte, läßt er sinnbildlich das heilige Zelt mit den darin befindlichen Geräten als Abbild und sichtbare Darstellung der Weisheit anfertigen. 113 „Inmitten unserer Unreinheit“, sagt die Schrift (3 Mos. 16, 16), soll das Zelt errichtet werden, damit wir eine Stätte haben, wo wir nach Abspülung und Abwaschung dessen, was unser elendes und [p. 489 M.] schmachvolles Leben besudelt, entsühnt werden sollen. Betrachten wir also, in welcher Weise sie das, was zur Anfertigung gehörte, herbeizuschaffen befohlen hat. „Gott sprach,“ sagt sie, „zu Moses folgendermaßen: Sprich zu den Kindern Israels, und nehmet mir Erstlinge;[112] von allen, denen es wohlgefällt, sollt ihr meine Erstlingsopfer nehmen“ (2 Mos. 25, 1. 2). 114 Also haben wir auch hier die Lehre, daß man nicht für sich sondern für Gott nimmt, indem man erwägt, wer der Geber ist, und indem man das Gegebene nicht beschädigt, sondern unbeschädigt und tadellos, vollkommen und lauter aufbewahrt. Sehr lehrreich läßt die Schrift ihm die „Anfänge“ weihen; denn tatsächlich erscheinen die Anfänge der Körper und Dinge als Gottes Werk allein. 115 Prüfe, wenn du es erkennen willst, ein jedes: Pflanzen, Lebewesen, Künste,[249] Wissenschaften. Sind die ersten Aussaaten der Pflanzen eine Ackerbautätigkeit oder die unsichtbaren Werke der unsichtbaren Natur?[113] Und wie ist die Entstehung der Menschen und der übrigen Lebewesen? Haben sie nicht die Eltern gleichsam als Miturheber, dagegen die Natur als oberste, allererste und wirkliche Ursache?[114] 116 Liegt nicht auch den Künsten und Wissenschaften als Quelle, Wurzel, Fundament oder eine andere Bezeichnung für das frühere Prinzip – die Natur zugrunde, auf der sich die Lehrsätze einer jeden aufbauen? Alles ist unvollkommen, wenn ihm nicht vorerst die Natur zugrunde liegt.[115] Wie mich dünkt, hat demnach jemand sehr treffend gesagt: „Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen“,[116] wobei er mit „Anfang“ auf die Natur hindeutet, die gleichsam wie eine Wurzel in den Boden gelegt ist, um jegliches Wachstum mitzufördern, und der er die Hälfte des Ganzen zuschreibt. [24] 117 Mit Recht hat also das Schriftwort die Anfänge Gott dem Herrn geweiht. Auch anderswo (2 Mos. 13, 1. 2) sagt die Schrift: „Es sprach der Herr zu Mose folgendermaßen: Heilige mir jedes Erstgeborene, jedes Erste der Gattung[117] , das jeden Mutterschoß eröffnet unter den Kindern Israels vom Menschen bis zum Vieh; mir gehört es.“ 118 Somit wird auch in diesen Worten übereinstimmend gelehrt, daß das Erste hinsichtlich der Zeit und Bedeutung und besonders das Erstgewordene Gottes Eigentum ist. Da jede Gattung[118] unvergänglich ist, so wird sie füglich dem Unvergänglichen zugeteilt und[250] überhaupt[119] jedes, was den Mutterschoß eröffnet vom Menschen – dem Denken und der Sprache – bis zum Vieh – der Sinneskraft und dem Körper. 119 Denn was den Mutterschoß der genannten Dinge eröffnet, den des Geistes für die geistigen Begriffe, den des Sprachvermögens für die Äußerungen mittels der Stimme, den der Sinne für die ihnen von den Objekten zukommenden Vorstellungen und den des Körpers für die ihm eigentümlichen Zustände und Bewegungen: das ist die unsichtbare, schaffende, gestaltende göttliche Weisheit,[120] die gebührenderweise dem „Vater“ zugehört. 120 Und wie die Anfänge, so sind auch die Enden Gottes Werk. Zeuge dessen ist Moses, der (4 Mos. 31, 28ff.) das „Ende“[121] abzusondern und Gott zu bewilligen befiehlt. Das bezeugen aber auch die Dinge in der Welt. Wieso? 121 Der Anfang einer Pflanze ist der Same, das Ende die Frucht; beides ist nicht das Werk des Landbaues sondern das der Natur. Ferner ist die Natur der Anfang der Wissenschaft, [p. 490 M.] wie gezeigt wurde;[122] aber auch das Endziel liegt nicht im Bereich des Menschen. Denn vollendet[123] ist niemand in irgendeiner Sache; in Wahrheit kommen die Vollendungen und äußersten Endpunkte nur dem Einen allein zu. Somit bewegen wir uns in der Mitte zwischen dem Endziel und dem Anfang, lernend und lehrend, Ackerbau und jedes andere Handwerk betreibend, wie wenn wir uns anstrengten, damit es scheine, als ob auch ein Geschöpf etwas schaffen könnte. 122 Deutlicher bringt die Schrift Anfang und Ende mit Gott in Beziehung bei der Schöpfung der Welt: „Im Anfang schuf Gott (1 Mos. 1, 1) und weiter: „Er vollendete den Himmel und die Erde“ (1 Mos. 2, 1). 123  – Hier sagt er also: „Nehmet mir“ (2 Mos. 25, 2), indem er das, was ihm gebührt, hingibt und das Gegebene nicht zu verfälschen, sondern auf eine des Gebers würdige Weise zu hüten mahnt; dagegen wird er an anderen Stellen, obwohl er nichts nötig hat und deshalb nichts nimmt, desungeachtet, um zur Frömmigkeit anzueifern,[251] das Streben nach Heiligkeit einzuflößen und zu seinem Dienste anzuspornen, doch zugeben, daß er nimmt, als ob er die freiwilligen Huldigungen der Seele und die aufrichtigen Dienstleistungen wohlgefällig annähme.[124] 124 So sagt er (4 Mos. 3, 12): „Siehe, genommen habe ich die Lewiten statt jedes Erstgeborenen, das den Mutterschoß eröffnet, von den Kindern Israels; deren Lösegeld sollen sie sein.“[125] Also wir nehmen und geben; aber eigentlich nehmen wir, und nur in uneigentlichem Sinne wird aus den erwähnten Gründen gesagt, daß wir geben. Treffend nannte er die Lewiten „Lösegeld“; denn nichts verhilft der Seele dermaßen zur Freiheit, wie die Zuflucht zu Gott und das Gebet. Das bekennt aber der priesterliche Lewitenstamm als seinen Beruf.

[25] 125 Nachdem wir nun hierüber das Erforderliche gesagt haben, wollen wir zu dem anfangs behandelten Gegenstande zurückeilen; denn wir haben vieles vorläufig beiseite gelassen, was gründlicher Untersuchung bedarf. „Nimm mir,“ sagt er, „ein weibliches Kalb“, das noch nicht eingejocht[126] und geplagt wurde, das noch zart, jung und frisch ist, – eine Seele, die mit Leichtigkeit Leitung und Zucht und Unterricht in sich aufnehmen kann; „nimm mir einen Widder“ – die streitbare und vollkommene Vernunft,[127] die befähigt ist einerseits, die Trugschlüsse der Gegner aufzuschneiden und zu lösen, andererseits dem Lernbegierigen Sicherheit gegen[252] Irrtum und edle Bildung beizubringen; 126 „nimm mir auch eine Ziege“ – die auf die wahrnehmbare Welt losstürmende[128] Sinneskraft; alle „dreijährig“, einer vollkommenen Zahl gemäß geschaffen, die Anfang, Mitte und Ende hat; und außer diesen „eine Turteltaube und eine (gewöhnliche) Taube“, die göttliche und die menschliche Weisheit, beide beflügelt und emporzuhüpfen bestrebt, aber voneinander derart verschieden wie das Allgemeine von dem Besonderen oder das Abbild vom Urbild.[129] 127 Einsamkeit liebend ist nämlich die göttliche Weisheit; wegen des einzigen Gottes, [p. 491 M.] dessen Eigentum sie ist, liebt sie das Alleinsein – sie wird sinnbildlich Turteltaube genannt. Hingegen die andere ist zahm und sanft und gesellig, sie umkreist[130] die Wohnstätten der Menschen und liebt den Aufenthalt bei den Sterblichen; diese stellt (die Schrift) unter dem Bilde einer gemeinen Taube dar. [26] 128 Hindeutend auf diese Eigenschaften, scheint mir Moses die Hebeammen der Hebräer Sepphora[131] und Phua zu nennen (2 Mos. 1, 15). Der erste Name bedeutet nämlich „Vögelchen“, Phua aber „rot“. Es ist ja die Eigentümlichkeit der göttlichen Weisheit, nach Vogelart stets hochzufliegen, während es die der menschlichen ist, Schamhaftigkeit und Bescheidenheit einzuflößen, und deren deutliches Kennzeichen ist das Erröten, wo es angebracht ist.[132] 129 Weiter heißt es (1 Mos. 15, 10): „Er nahm (holte) ihm alles dieses.“ Dies ist das Lob für den Tugendeifrigen, daß er das ihm anvertraute und von ihm übernommene heilige Gut der Seele, der Sinneskraft, der Sprache, der göttlichen Weisheit, der menschlichen Erkenntnis rein und untrüglich nicht für sich selbst, sondern für den, der es ihm anvertraute,[253] gehütet hat. 130 Hierauf sagt er zum Schluß: „teilte sie mitten durch“, ohne das „Wer“ hinzuzusetzen,[133] damit man an den unzeigbaren Gott denke, der nacheinander sämtliche scheinbar harmonisch zusammengesetzten und vereinten Wesenheiten der Körper und Sachen mit dem Teiler aller Dinge, mit seinem Logos,[134] zerlegt, der, zur schärfsten Schärfe gewetzt, niemals zu zerteilen aufhört. 131 Denn sobald dieser Teiler alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge bis zu den Atomen, den sogenannten unteilbaren Teilchen, geteilt hat, wendet er sich von diesen weg und beginnt das mit dem Geiste Geschaute in unsagbar und unbeschreiblich viele Teile zu zerlegen, und „die dünnen Goldplatten zerschneidet er zu Härchen“ (2 Mos. 39, 3), wie Moses sagt,[135] der Länge nach ohne Breite, ähnlich den unkörperlichen Linien. 132 Jedes der drei genannten teilte er mitten durch: die Seele in den vernünftigen und unvernünftigen Teil, die Sprache in Wahrheit und Lüge, die Sinneskraft in die Vorstellung, die das Objekt erfaßt und in diejenige, die nicht faßbar ist[136]. Diese Teile „stellt er einander gegenüber“ (1 Mos. 15, 10), das Vernünftige dem Unvernünftigen, das Wahre dem Falschen, das (richtig und klar) Erfaßte dem nicht Erfaßten, während er das „Beflügelte ungeteilt ließ“ (das.); denn die unkörperliche, göttliche Erkenntnis kann nicht in sich bekämpfende Gegensätze geteilt werden.[137]

[254] [27] 133 Da die Erörterung über die Zerlegung in gleiche Teile und über Gegensätze wichtig und notwendig ist, so werden wir sie weder übergehen noch zu weit ausdehnen, sondern uns möglichst kurz fassen und uns nur mit den Hauptpunkten begnügen. Gleichwie [p. 492 M.] nämlich der Künstler[138] unsere Seele und Gliedmaßen[139] mitten durch geteilt hat, so machte er es auch mit der Substanz des Ganzen, als er die Welt erschuf. 134 Er fing an, sie folgendermaßen zu teilen. Zuerst machte er zwei Stücke, das Schwere und das Leichte, indem er das Grobe von dem Feinen schied. Hierauf teilte er wieder jedes von beiden, das Feine in Luft und Feuer und das Grobe in Wasser und Erde, die er auch als sinnlich wahrnehmbare Elemente der sinnlich wahrnehmbaren Welt, gleichsam als Grundsteine, niederlegte. 135 Wiederum teilte er das Schwere und das Leichte auf andere Art: das Leichte in Kaltes und Warmes – er nannte das Kalte Luft und das von Natur Warme Feuer – und das Schwere in Nasses und Trockenes und nannte das Trockene Erde und das Nasse Wasser. 136 Jedes von diesen erhielt noch andere Teilungen; die Erde wurde in Festlande und Inseln geteilt, das Wasser in Meer und Flüsse und alles Trinkbare, die Luft in die Wandlungen des Sommers und des Winters, das Feuer in das zum Gebrauch notwendige – es ist dieses unersättlich und verzehrend – und im Gegensatz dazu in das heilsame, das zur Bildung des Himmels bestimmt wurde.[140] 137 Gleichwie aber die ganzen [Elemente], so teilte er auch die einzelnen Dinge, die teils unbeseelt, teils beseelt waren. Zu den unbeseelten gehören einerseits diejenigen, die in demselben Zustand verharren und deren Band der (bloße) Zusammenhalt ist, andererseits diejenigen, die nicht durch Ortsveränderung sondern durch Wachstum sich bewegen[141][255] und die die vorstellungslose Naturkraft belebt.[142] Von den letzteren haben die einen wilden Stoff und tragen wilde Früchte, die den Tieren zur Nahrung dienen; die anderen, deren Wartung und Pflege der Landbau übernommen hat, haben veredelten Stoff und bringen Früchte hervor zum Genusse für den Menschen, das zahmste aller Lebewesen. 138 Und ebenso wie die unbeseelten Wesen teilte er die einer Seele teilhaftigen; von diesen sonderte er eine Gattung vernunftloser und eine Gattung vernunftbegabter ab und teilte wiederum jede der beiden Gattungen, die vernunftlose in eine ungezähmte und eine zahme, die vernunftbegabte in eine unvergängliche und eine sterbliche Gattung. 139 Von der sterblichen machte er zwei Abteilungen, deren eine er die der Männer, deren andere er die der Frauen nannte. Auf andere Weise teilte er auch das Tierreich in das männliche und das weibliche Geschlecht; es erhielt aber noch andere notwendige Teilungen, die die Vögel von den Landtieren, die Landtiere von den im Wasser lebenden und diese von den beiden anderen schieden. 140 So teilte Gott, nachdem er seinen Logos, den Teiler aller Dinge, geschärft hatte, die form- und eigenschaftslose Substanz des Weltganzen und die aus ihr abgesonderten vier Elemente der Welt und die vermittelst derselben geschaffenen Lebewesen und Pflanzen.

[28] 141 Da es aber nicht nur heißt „er teilte“ sondern auch „er teilte mittendurch“, so dürfte es wohl angemessen sein, einiges über die gleichen Teile zu bemerken. Wenn etwas haarscharf in der Mitte [p. 493 M.] zerlegt wird, so erhalten wir gleiche Teile. 142 Ein Mensch freilich dürfte wohl nie imstande sein, etwas in gleiche Teile zu zerlegen; notwendigerweise wird vielmehr der eine Teil zu klein oder zu groß sein, und wenn nicht um ein größeres Stück, so doch jedenfalls um ein geringes, das leicht der sinnlichen Wahrnehmung entgeht, da diese ihrer Natur und Gewohnheit gemäß auf die gröberen Körper fällt und die unteilbaren Atome nicht erfassen kann. 143 Nach dem unbestechlichen Urteil der Wahrheit gibt es kein Geschöpf, das Gleichheit bewirken könnte. Also ist es offenbar Gott allein, der streng gerecht[143] verfährt und die Körper und Sachen[256] in der Mitte teilen kann, so daß kein Teil auch nicht um ein winziges Atom zu groß oder zu klein wird, sondern der höchsten und äußersten Gleichheit teilhaftig ist. 144 Wenn das Gleiche nur eine einzige Art hätte, so würde das Gesagte ausreichen; da es aber mehrere Arten gibt, so dürfen wir nicht unterlassen, das Erforderliche hinzuzufügen. „Gleich“ wird einerseits bei Zahlen gebraucht, wie z. B. 2 = 2, 3 = 3 usw., andererseits bei Größen, deren Ausdehnungen Länge, Breite und Tiefe sind; denn eine Handbreite ist der andern, eine Elle der andern gleich an Größe, verschieden aber sind sie an Wert, wie z. B. das, was gewogen und gemessen wird. 145 Eine angemessene Gleichheitsform ist auch die proportionale, dergemäß auch Weniges Vielem und Kleines Größerem gleich geachtet wird. Dieser pflegen sich auch Staaten zuweilen zu bedienen,[144] indem sie jedem Bürger befehlen, das Gleiche von seinem Vermögen zu zahlen, natürlich nicht der Zahl nach, sondern nach Verhältnis der dem Besitz auferlegten Steuerquote, so daß anscheinend derjenige, der 100 Drachmen an Steuern zahlte, das Gleiche gegeben hat, wie der, der ein Talent zahlte.[145] [29] 146 Dies vorausgeschickt, sieh, wie er bei der Erschaffung des ganzen Himmels, gleichmäßig in der Mitte teilend, nach allen Formen der Gleichheit geteilt hat. So machte er die schweren (Elemente) an Zahl gleich den leichten, 2 = 2, Erde und Wasser, denen Schwere eignet, gleich der Luft und dem Feuer, den von Natur leichten; ferner 1 = 1, das trockenste (Element) gleich dem feuchtesten, die Erde gleich dem Wasser, und das kälteste dem wärmsten, die Luft dem Feuer gleich, und ebenso die Finsternis dem Lichte, den Tag der Nacht, den Sommer dem Winter, den Herbst dem Frühling gleich und alles was mit diesen verwandt ist. 147 An Größe gleich machte er zunächst im Himmel die Parallelkreise der Tag- und Nachtgleichen des Frühlings und des Herbstes, der Sommer- und Wintersonnenwenden; dann auf der Erde zwei einander gleiche Zonen, die an den Polen gelegen, kalt und deshalb unbewohnt sind, und zwei, die sich zwischen diesen und der heißen Zone befinden und wegen der „guten Temperatur“, wie man sagt, bewohnt werden, die eine südlich, die andere nördlich gelegen. 148 An Länge gleich sind auch die Zeitbestimmungen; der größte Tag ist der größten[257] Nacht, [p. 494 M.] der kürzeste der kürzesten, der mittlere der mittleren gleich. Auf die gleichen Größen der anderen Tage weisen offenbar ganz besonders die Tag- und Nachtgleichen hin. 149 Denn von der Tag- und Nachtgleiche des Frühlings bis zur Sommersonnenwende erhält der Tag eine Vermehrung und die Nacht eine Verminderung, bis der längste Tag und die kürzeste Nacht ihr Endziel erreicht haben; von der Sommersonnenwende an geht die Sonne umbiegend denselben Weg, weder schneller noch langsamer, sondern in demselben Zeitraum mit der gleichen Geschwindigkeit bis zur herbstlichen Tag- und Nachtgleiche, und nach Vollendung des der Nacht gleichen Tages beginnt sie die Nacht zu verlängern und den Tag zu vermindern bis zur Wintersonnenwende; 150 und sobald sie die längste Nacht und den kürzesten Tag vollendet hat, biegt sie wieder um und gelangt in demselben Zeitraum zu der Tag- und Nachtgleiche des Frühlings. So dürfen die scheinbar ungleichen Zeiträume[146] auf Gleichheit hinsichtlich der Größe Anspruch erheben, nicht in denselben, sondern in verschiedenen Jahreszeiten. [30] 151 Ähnliches sieht man auch bei den Gliedern der Lebewesen und ganz besonders bei denen der Menschen. Denn ein Fuß ist dem andern und eine Hand der andern an Größe gleich und so bei fast allen andern Gliedern die rechtsseitigen den linksseitigen. An Wert sind sehr viele trockene und flüssige Gegenstände einander gleich, worüber man sich durch Maß und Gewicht und dergleichen überzeugen kann. 152 Aber nach proportionalem Verhältnis sind fast alle Dinge gleich, die kleinen sowohl als auch die großen in der ganzen Welt. Denn die gründlich über die Gesetze der Natur geforscht haben, behaupten, daß die vier Elemente nach proportionalem Verhältnis[147] gleich sind, daß aber auch die ganze Welt – weil sie nach der Proportion, die jedem Teile das Gleiche zuerteilt, gemischt ist – zusammenhält und, zu einem Ganzen verbunden, in dem Zustand dauernd bleibt. 153 Auch in uns habe die proportionale Gleichheit die vier (Elemente): das Trockne, Feuchte, Kalte und Warme harmonisch vereinigt, und wir seien nichts anderes als eine Verbindung aus den nach proportionaler Gleichheit gemischten Kräften. [31] 154 Wer auf jegliches eingeht,[258] könnte diesem Gegenstande eine unendliche Ausdehnung geben; prüfend[148] würde er finden, daß gemäß der Proportion die kleinsten Tiere den größten gleich sind, wie z. B. die Schwalbe dem Adler, die Seebarbe dem Walfisch, die Ameise dem Elefanten. Ja sogar Körper und Seele und Affekte, Schmerz und Freude, außerdem auch Zuneigung und Abneigung, und alles was die Natur der Lebewesen enthält, fast alles ist gleichartig, wenn es nach der Proportionsregel gleichgesetzt wird. 155 Ebenso erkühnten sich einige, das so unbedeutende Lebewesen, den Menschen, der ganzen Welt gleichzustellen im Hinblick darauf, daß beide aus einem Körper und einer denkenden Seele bestehen, so daß sie wechselweise erklärten, der Mensch sei eine kleine Welt und die Welt ein großer Mensch.[149] 156 Das lehren sie aber nicht unüberlegt; vielmehr erkannten sie, daß Gottes Meisterschaft, mit der er [p. 495 M.] alles schuf und die, keiner Überspannung oder Erschlaffung[150] fähig, stets sich gleich bleibt, alles Existierende vollkommen mit höchster Genauigkeit geschaffen hat, wobei der Schöpfer sich aller Zahlen und aller zur Vollendung erforderlichen Ideen bediente. [32] 157 Denn „mit Rücksicht auf den Geringen und mit Rücksicht auf den Großen“, wie Moses sagt (5 Mos. 1, 17), entschied er, als er jegliches schuf und gestaltete; weder verminderte er seine Kunstfertigkeit wegen der Unscheinbarkeit des Stoffes, noch erhöhte er sie wegen dessen Vorzüglichkeit. 158 Wollen doch alle tüchtigen Künstler die übernommenen Stoffe, mögen sie kostbar oder von geringem Werte sein, in löblicher Weise bearbeiten! Ja manche pflegen sogar aus Liebe zum Schönen die minderwertigen Sachen kunstvoller als die kostbaren anzufertigen, um durch die Zugabe ihres Kunstverständnisses die Mangelhaftigkeit des Stoffes abzugleichen.[151] 159 Aber vor Gott ist keines der materiellen Dinge[259] wertvoll; deshalb ließ er alle in gleicher Weise an derselben Meisterschaft teilhaben. Darum heißt es auch in der heiligen Schrift: „Gott sah alles was er gemacht hatte, und siehe, (es war) sehr schön“ (1 Mos. 1, 31); die Dinge aber, die ebendasselbe Lob bekommen, sind in den Augen des Lobenden durchaus gleichgeschätzt. 160 Gott lobte aber nicht die bearbeitete Materie, die unbeseelt, mangelhaft, auflöslich, außerdem an sich vergänglich, uneben und ungleichmäßig ist, sondern seine eigenen, gemäß einer einheitlichen, gleichmäßigen Kraft und Weisheit vollendeten Kunstwerke. Deshalb hat man gemeint, daß alle Dinge sowohl nach den Regeln der Proportion, als auch auf Grund der (göttlichen) Meisterschaft und Weisheit einander ganz gleich sind.

[33] 161 Wenn irgendeiner, so ist Moses der Lobredner der Gleichheit, da er doch zuerst immer und überall die Gerechtigkeit preist, deren Eigentümlichkeit es ist – wie es doch auch der Name selbst besagt[152] – die Körper und die Sachen in zwei gleiche Teile zu zerlegen, und dann die Ungerechtigkeit, die Schöpferin der verhaßtesten Ungleichheit, tadelt. 162 Ungleichheit erzeugt die beiden Kriege, den äußeren und den inneren, die Gleichheit dagegen den Frieden.[153] Am klarsten hat er das Lob der Gerechtigkeit und den Tadel der Ungerechtigkeit ausgesprochen in den Worten: „Ihr sollt nicht unrecht tun im Gerichte, mit Maß, Gewicht und Wage; richtige Wage, richtiges Gewicht, richtiges Längen- und Hohlmaß sollte ihr haben“ (3 Mos. 19, 35. 36), und im Nachtrag[154] zu den Gesetzen: „Nicht soll in deinem Beutel sein zweierlei Gewicht, ein großes und ein kleines; nicht soll in deinem Hause sein zweierlei Maß, ein großes und ein kleines; volles und richtiges Gewicht sollst du haben, damit du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr dein Gott zum Erbbesitz gibt; denn ein Greuel ist dem Herrn jeder, der solches tut, jeder, der unrecht tut“ (5 Mos. 25, 13–16). 163 Der Gerechtigkeit liebende Gott verabscheut und haßt also die Ungerechtigkeit, die Veranlassung zu Aufruhr und Schlechtigkeiten. Wo aber lobt der Gesetzgeber nicht die Gleichheit, die Nährmutter der Gerechtigkeit?[155][260] Schon im Anfang [p. 496 M.] bei der Schöpfung des gesamten Himmels sagt er: „Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht“ (1 Mos. 1, 4. 5). Denn auch Tag und Nacht, Licht und Finsternis ordnete die Gleichheit in der Welt an.[156] 164 Die Gleichheit teilte auch den Menschen in Mann und Weib, in zwei Teile, die zwar ungleich sind an Stärke, aber völlig gleich hinsichtlich dessen, was die Natur erstrebt, der Erzeugung eines ähnlichen dritten Wesens. Denn so heißt es: „Gott machte den Menschen, nach dem Ebenbilde Gottes machte er ihn, männlich und weiblich machte er“ – nicht ihn, sondern „sie“, setzt die Schrift in der Mehrzahl hinzu (1 Mos. 1, 27), indem sie die, wie gesagt, durch Gleichheit geteilten (besonderen) Arten der (allgemeinen) Gattung passend hinzufügt. [34] 165 Ferner beschreibt sie Kälte und Wärme, Sommer und Frühling als die mit demselben Teiler geteilten Jahreszeiten (1 Mos. 8, 22).[157] Ebenso sind die drei (Schöpfungs-)Tage vor (Entstehung) der Sonne gleich an Zahl denen nach der Sonne, indem die Sechs in zwei gleiche Teile zerlegt ist zur Angabe der „Urzeit“ und der „Zeit“; die Tage vor der Sonne rechnet sie zur Urzeit und die nach der Sonne zu der Zeit, die das Abbild der Urzeit[158] ist. 166 Die ersten Kräfte des Seienden, die wohltätige, mit der er die Welt geschaffen[159] und die „Gott“ genannt wird, und die strafende, vermöge deren er über das Geschaffene herrscht und waltet und die „Herr“[160] genannt ist, wurden von ihm, dem oberhalb in der Mitte stehenden, wie es (2 Mos. 25, 11) heißt, geschieden: „Ich werde zu dir sprechen von oberhalb des Sühnedeckels mitten zwischen den beiden Cherubim,“ um zu sagen, daß die frühesten Kräfte des Seienden, die freigebige und die strafende, weil von ihm selbst geteilt, einander gleich sind. [35] 167 Und ferner[261] sind nicht die beiden Denksäulen[161] der allgemeinen[162] zehn Gesetze, die die Schrift „Tafeln“ nennt, den Teilen der Seele, dem vernünftigen und dem unvernünftigen, die erzogen, und unterrichtet[163] werden müssen, gleich an Zahl, ebenfalls geteilt von dem Gesetzgeber allein? „Denn die Tafeln waren ein Werk Gottes und die Schrift eine Schrift Gottes, eingegraben[164] in die Tafeln“ (2 Mos. 32, 16). 168 Auch sind die auf ihnen befindlichen zehn Worte, die in Wahrheit göttliche Gesetze sind, in gleiche Teile zu je fünf geteilt, von denen der erste die Pflichten gegen Gott, der andere die gegen die Menschen enthält. 169 Von den auf Gott bezüglichen Geboten tritt das erste (1 Mos. 20, 3)[165] dem Glauben an Vielgötterei entgegen und lehrt, daß die Welt nur einen Herrscher hat. Das zweite Gotteswort verbietet, diejenigen Wesen, die nicht bewirkende Ursachen sind,[166] als Götter darzustellen durch die hinterlistigen Künste der Maler und Bildhauer, Künste, die Moses aus seinem Staate ausgewiesen und zu ewiger Verbannung verurteilt hat,[167] damit der einzige und [p. 497 M.] wahre Gott verehrt werde. 170 Das dritte betrifft den Namen des Herrn, [aber nicht denjenigen], der nicht an das Geschöpf gelangte – denn unaussprechlich ist das Seiende[168] – sondern den seinen Kräften[169] beigelegten; diesen nämlich, so wird erklärt, soll man nicht zum Falschen aussprechen. Das vierte betrifft die stets jungfräuliche und mutterlose Siebenzahl, damit das Geschöpf, sich der Sabbathruhe hingebend, des unsichtbar alles Schaffenden gedenke. 171 Das[262] fünfte handelt von der Verehrung der Eltern; denn auch dieses Gebot ist heilig, da es sich nicht auf Menschen bezieht, sondern auf den Urheber des Erzeugens und Erschaffens aller Dinge, im Vergleich zu dem Mutter und Vater nur scheinbar zeugen, da sie [in Wahrheit] nicht zeugen sondern Werkzeuge des Zeugens sind. 172 Dieser göttliche Ausspruch bildet die Grenze zwischen den fünf, die auf Gottesfurcht hinzielen, und den andern, die jedes Unrecht gegen Unseresgleichen verbieten. Denn die sterblichen Eltern sind das „Ende“ unsterblicher Kräfte, die alles naturgemäß erzeugen und zuletzt auch dem sterblichen Geschlecht mit Nachahmung ihrer Schöpferkraft zu zeugen vergönnten; „Anfang“[170] des Erschaffens ist nämlich Gott, das letzte an Wert geringste Ende die sterbliche (Menschen)gattung. 173 Die andern fünf verbieten Ehebruch, Mord, Diebstahl,[171] falsches Zeugnis und Lüsternheit. Das sind die allgemeinen Gesetze über fast alle Verfehlungen, auf die jede einzelne zurückgeführt werden kann. [36] 174 Bekanntlich sind auch die beständigen Opfer in gleiche Teile geteilt, sowohl das Mahlopfer, das die Priester[172] für sich darbringen, als auch das aus zwei Lämmern bestehende Opfer, die für das Volk darzubringen vorgeschrieben ist. Denn das Gesetz befiehlt, die eine Hälfte der genannten Opfer in der Frühe und die andere des Abends darzubringen (2 Mos. 29, 38. 39; 4 Mos. 28, 3f.), um Gott für die allen bei Tag und Nacht zufließenden Wohltaten zu danken.[173] 175 Man beachte auch die auf dem heiligen Tisch liegenden Brote, wie sie alle zwölf in gleiche Teile geteilt (in zwei Reihen), zu je sechs hingelegt werden (3 Mos. 24, 6), zur Erinnerung an die gleiche Anzahl der Stämme, deren eine Hälfte die Tugend Lea, die Mutter von sechs Stammvätern, bekam, deren andere die Söhne der Rachel und die unebenbürtigen[174] der Nebenfrauen. 176 Man achte ferner auf die auf dem Priestermantel[263] befindlichen, rechts und links in Gleichheit geteilten zwei Smaragdsteine, auf denen die Namen der zwölf Stammväter zu je sechs eingegraben sind mit göttlichen Schriftzeichen zur Erinnerung an göttliche Wesen[175] (2 Mos. 28, 9–12). 177 Und ferner, hat nicht die Schrift zwei Berge – symbolisch für zwei Arten – durch entsprechende Gleichheit gesondert und den einen den Segnenden, den andern den Fluchenden zugeteilt und auf jeden der beiden sechs [p. 498 M.] Stammfürsten[176] gestellt (5 Mos. 27, 11–13), um den Ermahnungsbedürftigen zu sagen, daß die Flüche den Segnungen gleich an Zahl und beinahe, wenn man so sagen darf, gleich an Wert sind? 178 Denn das den Guten gespendete Lob fördert ebenso wie der über die Schlechten ausgesprochene Tadel, da das Böse meiden und das Gute wählen für die Verständigen als ein und dasselbe gilt. [37] 179 Ich bewundere auch die Beurteilung und Zuteilung der zur Sühne dargebrachten, durch einen unsicheren und unberechenbaren Teiler, das Los, geteilten zwei Böcke; von den zwei Denkarten[177] wird nämlich die eine, die die Geschäfte der göttlichen Tugend betreibt, Gott zum Opfer dargebracht,[178] die andere, die sich eifrig um die Bedürfnisse der menschlichen Unseligkeit[179] bemüht, der flüchtigen[180] Kreatur; denn das Los, das dieser zuteil ward, nennt die heilige Schrift „Absender“,[181] da sie den Wohnsitz wechselt, zerstreut und[264] weit weg von der Weisheit verbannt ist. 180 Glaubst du nicht, daß, da viele Dinge in der Welt gleichwie Münzen mit und ohne Prägezeichen sind, der unsichtbare Teiler alles in gleiche Teile zerlegt und das Bezeichnete und Vollgültige dem Freunde der Bildung, das Ungeprägte und Unbezeichnete dem Unwissenden zugewiesen hat? „Es ward“, heißt es ja, „das Unbezeichnete Labans und das Bezeichnete Jakobs Eigentum“ (1 Mos. 30, 42). 181 Denn die Seele – die wächserne Prägemasse,[182] wie einer der Alten sagt, – stößt und schüttelt, wenn sie hart und spröde ist, die ihr zugeführten Prägezeichen von sich ab und bleibt notwendigerweise ungeformt; ist sie aber fügsam und einigermaßen nachgiebig, nimmt sie die tiefen Eindrücke an, läßt die Siegelzeichen sich aufprägen und bewahrt die aufgeprägten Bilder vorzüglich in unvertilgbarer Gestalt. [38] 182 Bewundernswert ist auch die gleiche Teilung des Blutes der Opfertiere, die der Hohepriester[183] Moses, der Natur als Lehrmeisterin folgend, vorgenommen hat. Denn so heißt es: „Er nahm die Hälfte des Blutes und goß es in Gefäße, die andere Hälfte goß er an den Altar“ (2 Mos. 24, 6), um zu lehren, daß es von der Weisheit zwei heilige Arten gibt, eine göttliche und eine menschliche, und daß die göttliche ungemischt, nicht zusammengesetzt ist, 183 weshalb sie Gott gespendet wird, der rein und ungemischt, seiner Einzigkeit gemäß eine Einheit ist, während die menschliche, die gemischte und vermengte, über unser gemischtes, zusammengesetztes und vermengtes Geschlecht sich zerstreut, um Gesinnungsgleichheit und Gemeinsamkeit, also eine Verbindung aus (einzelnen) Teilen und (verschiedenen) Seelenstimmungen zu erzielen.[184] 184 Indessen ist ja auch der ungemischte und unvermengte Teil der Seele der lautere Geist, der von oben, vom Himmel herabgehaucht wurde und, falls er gesund und unversehrt geblieben ist, wieder vollständig[265] bei seiner Auflösung, wie es sich gebührt, zu heiliger Opferspende dem zurückgegeben wird, der ihn herabgehaucht und frei von jedem Übel bewahrt hat; [p. 499 M.] der gemischte Teil dagegen ist der der Sinne, für den die Natur geeignete Gefäße bereitet hat.[185] 185 Die Gefäße des Gesichtssinnes sind die Augen, die des Gehörs die Ohren, die Nase ist das des Geruches, und ebenso haben die anderen Sinne entsprechende Behälter. In diese Gefäße gießt der heilige Geist[186] von dem Blute; denn er will, daß unser vernunftloser (Seelen-)Teil beseelt und gewissermaßen vernünftig werde, dadurch, daß er zu bestimmter Zeit den Mahnungen Folge leistet und sich von den sinnlichen Dingen, die eine lockende, verführerische Macht ausüben, rein erhält. – 186 Ward nicht auch die heilige Doppeldrachme[187] derartig geteilt, daß wir die eine Hälfte von ihr, die Drachme, opfern, als Sühne für unsere Seele entrichten, die der allein wahrhaft freie und freimachende Gott auf unser Bitten und oftmals auch ungebeten von der rohen und bittern Herrschaft der Leidenschaften und Ungerechtigkeiten machtvoll erlöst,[188] den anderen Teil aber demjenigen Geschlecht überlassen, das unfrei und von sklavischer Gesinnung ist, zu welchem jener gehört, der sagt: „Ich liebe meinen Herrn“ – den herrschenden Geist in mir, „und meine Frau“ – die Sinnlichkeit, die Geliebte und die Pflegerin meiner Leidenschaften, „und die Kinder – die bösen Folgen derselben,[189] „ich mag nicht frei ausgehen“ (2 Mos. 21,5)? 187 Denn auch diesem Geschlecht muß ein kläglicher,[190] Unheil abwendender[191] Anteil von der Doppeldrachme gegeben werden im Gegensatz zu der gottgeweihten Drachme und Einheit; Einheit aber[266] nimmt als Ebenbild des einzigen vollkommenen Gottes natürlich weder Vermehrung noch Verminderung an. 188 Denn alles andere hängt an und für sich nur lose zusammen, wenn es auch fest und dicht wäre, und wird durch göttlichen Geist[192] zusammengehalten. Dieser ist Kitt und Band, der alles Existierende erfüllt; er aber, der alles zusammengefügt und -gewoben hat, ist selbst tatsächlich nur von sich erfüllt und hat durchaus nichts anderes nötig. [39] 189 Daher sagt Moses passend: „Der Reiche soll nicht mehr und der Arme nicht weniger als die Hälfte der Doppeldrachme geben“ (2 Mos. 30, 15), was ja, wie gesagt, eine Drachme und eine Einheit ist; zu ihr könnte jede Zahl das Dichterwort[193] sprechen: „Mit dir werde ich aufhören, mit dir werde ich anfangen“. 190 Denn die ihrer unendlich vielfachen Zusammensetzung nach unendliche Zahl hört, wenn sie aufgelöst wird, mit der Eins auf und fängt wieder mit der Eins an, wenn sie zu einer unzähligen Menge zusammengesetzt wird. Deshalb nennen die Pfleger der Forschung[194] die Eins nicht eine Zahl, sondern das Element und Prinzip der Zahl. – 191 Ferner verteilt der göttliche Logos mit besonderer Berücksichtigung der Gleichheit das sogenannte Manna, die himmlische Speise der Seele, – gemeint ist die Weisheit – gleichmäßig unter alle, die sie gebrauchen wollen. [p. 500 M.] Das bezeugt Moses mit den Worten: „Nicht hatte zu viel, wer viel, und nicht zu wenig, wer wenig (gesammelt hatte)“ (2 Mos. 16, 18), wenn sie sich des erstaunlichen und herrlichen Maßstabes der Proportion bedienten. Hieraus konnte man entnehmen, daß jeder, für die bei ihm weilenden“ – nicht sowohl Menschen, als vielmehr Gedanken und Gesinnungen – gesammelt hatte;[195] denn was jedem zukam, das wurde seitens der Vorsehung so verteilt, daß weder Mangel noch Überfluß vorhanden war. [40] 192 Etwas der proportionalen Gleichheit Ähnliches kann man auch bei dem sogenannten Pas-cha finden. Pas-cha aber ist dann, wenn die Seele sich Mühe gibt das unvernünftige Empfinden[196] zu verlernen, und die vernünftige[267] Freude[197] bereitwillig empfindet. 193 Denn so wird erklärt: „Wenn der Hausgenossen so wenige sind, daß sie für das Lamm nicht hinreichen, so soll man den nächsten Nachbar hinzunehmen nach Anzahl der Seelen, damit jeder hinsichtlich dessen, was für ihn genügt, mitgezählt werde“ (2 Mos. 12, 4) und den Anteil erlange, dessen er würdig und bedürftig ist. – 194 Auch da, wo Gott die Tugend nach Art eines Landes an seine Bewohner zuteilen will, befiehlt er, der Mehrheit ein größeres Besitztum, der Minderheit ein kleineres zu geben (4 Mos. 35, 8), da er es nicht für recht und billig erachtet, den Größeren zu wenig – denn sie würden ohne Einsicht bleiben – und den Geringeren zu viel zu geben, denn sie würden die Menge nicht fassen können. [41] 195 Ein klares Beispiel für die zahlenmäßige Gleichheit sind die heiligen Geschenke der 12 Stammfürsten (4 Mos. 7, 3. 10ff.) und die Anteile der Priester von den Opfergaben; „jedem von den Söhnen Aarons“, heißt es (3 Mos. 6, 40), „soll das Gleiche zuteil werden“. – 196 Schön ist aber auch die Gleichheit bei der Zusammensetzung des Räucherwerks. Denn so heißt es: „Nimm dir Spezereien: Myrrhenöl, Seenagel und Galban von Wohlgeruch und klaren Weihrauch, eins dem andern gleich,[198] und sie sollen daraus ein wohlriechendes Räucherwerk machen, das Werk eines Gewürzmischers, von reiner Zusammensetzung, ein heiliges Werk“ (2 Mos. 30, 34. 35). Alle einander gleichen Bestandteile, sagt die Schrift, müssen sich zur Bildung des Ganzen vereinigen. 197 Wie ich glaube, sind diese vier, aus denen das Räucherwerk hergestellt wird, Symbole der Elemente, aus denen die ganze Welt geschaffen wurde. Myrrhenöl stellt die Schrift dem Wasser, Seenagel der Erde, Galban der Luft und klaren Weihrauch dem Feuer gleich; denn Myrrhenöl ist wegen der Tropfen wasserähnlich, Seenagel trocken und erdähnlich; Galban hat die Beifügung „von Wohlgeruch“, um auf Luft hinzudeuten – denn Duft ist in der Luft –, und Weihrauch die Beifügung „durchsichtig, klar“, um auf das Licht hinzuweisen. 198 Deshalb hat[268] sie auch die schweren (Spezereien) von den leichten getrennt; diese vereinigt sie mit verbindendem Bindewort und jene hält sie lose auseinander. [p. 501 M.] Sie sagt nämlich: „Nimm dir Spezereien, Myrrhenöl, Seenagel“, diese ohne Verbindung[199] als die Symbole der schweren Elemente Wasser und Erde; sodann andererseits mit Bindewort: „und Galban von Wohlgeruch und klaren Weihrauch“; diese wiederum für sich als Hinweise auf die leichten Elemente Luft und Feuer. 199 Die harmonische Zusammensetzung[200] und Verbindung dieser Elemente ist natürlich das erste, vollkommenste, in Wahrheit heilige Schöpfungswerk, die Welt, die nach der Schrift mittels des Symbols des Räucherwerks dem Schöpfer Dank abstatten soll, so daß scheinbar die durch Gewürzmischkunst hergestellte Zusammensetzung geräuchert wird, tatsächlich aber die durch göttliche Weisheit geschaffene Welt sich früh und abends vollständig zum Brandopfer darbringt. 200 Denn die Welt hat die geziemende Lebensaufgabe, ihren Vater und Schöpfer fortwährend und unaufhörlich Dank abzustatten, indem sie sich beinahe räuchert und in ihre Elemente auflöst, um zu zeigen, daß sie nichts für sich aufspeichert, sondern sich völlig Gott, der sie geschaffen, zum Opfer darbringt. – [42] 201 Ich bewundere auch den heiligen Logos,[201] der eifrig, atemlos, angestrengt herbei eilte, um in der Mitte[202] zwischen den Toten und Lebenden zu stehen; sofort, sagt nämlich Moses, „ließ das Zerbrechen nach“ (4 Mos. 17, 13f.). Aber mußte das nicht, was unsere Seele zermürbt, niederbricht und aufreibt, nachlassen und schlaff werden, wenn der Gottgeliebte die heiligen Gedanken, die unzweifelhaft leben, von den unheiligen, die in Wahrheit tot sind, scheidet und wie eine Mauer trennt? 202 Denn auch die ganz Gesunden werden sich durch häufige Berührung mit den Kranken deren Krankheit zuziehen und sterben. Das ist aber zu verhüten, wenn sie voneinander geschieden würden durch eine in der Mitte errichtete mächtige[269] Schranke, die die Anstürme und Angriffe des schlechtem Teiles von dem besssern abwehren wird. 203 Noch mehr aber staune ich, wenn ich, das Gotteswort vernehmend, darüber belehrt werde, wie sich die Wolke mitten[203] zwischen das ägyptische und das israelitische Heer stellte (2 Mos. 14, 20). Die Wolke nämlich, die die Freunde schützende und rettende, die Feinde abwehrende und züchtigende Waffe, ließ es nicht länger zu, daß das sich beherrschende gottgeliebte Geschlecht von dem seinen Begierden frönenden gottlosen verfolgt würde. 204 Auf die tugendhaften Seelen träufelt sie mild Weisheit hinab, die Weisheit, die naturgemäß frei von allem Bösen ist, aber auf die elenden und einsichtslosen läßt sie Strafen haufenweis niederströmen, bringt Überflutung, jämmerlichen Untergang über sie. 205 Dem Erzengel[204] aber, dem allerersten Logos, gab der Vater, der das Weltall geschaffen hat, ein auserlesenes Geschenk, daß er, auf der Grenzscheide stehend, das Geschöpf von dem Schöpfer absondere. Er ist einerseits der Fürsprecher des stets hilfsbedürftigen Sterblichen bei dem Unvergänglichen, andererseits der Abgesandte des Herrschers an den Untertan. 206 Dieser Ehrenstellung freut er sich, und stolz darauf [p. 502 M.] erklärt er ausdrücklich: „Und ich stand zwischen Gott und euch“ (5 Mos. 5, 5), weder als ein Unerschaffener wie Gott noch wie ihr geschaffen, sondern in der Mitte zwischen den zwei Extremen, beiden als Unterpfand dienend, bei dem Schöpfer zur Bürgschaft, daß das Geschöpf niemals vollends die Zügel abstreifen und abtrünnig werden, unschönes Verhalten der Wohlanständigkeit vorziehen würde, und bei dem Geschöpf zur frohen Zuversicht, daß der gnädige Gott niemals sein eigenes Werk außer acht läßt. Denn wie ein Herold bringe ich den Geschöpfen die Friedensbotschaft dessen, der beschlossen hat, Kriege aufzuheben, des beständig über den Frieden wachenden Gottes.

[43] 207 Nachdem uns die heilige Schrift über die Teilung in gleiche Teile belehrt hat, führt sie uns auch zur Erkenntnis der Gegensätze[270] durch die Mitteilung, daß „Er[205] die Stücke einander gegenüberlegte“ (1 Mos. 15, 10). Denn in der Tat ist fast alles in der Welt gegensätzlich. 208 Anzufangen[206] aber wäre mit den Elementen. Das Warme ist dem Kalten entgegengesetzt, das Trockene dem Feuchten, das Leichte dem Schweren, die Finsternis dem Licht, die Nacht dem Tage, und am Himmel die Bewegung der Fixsterne der der Planeten, in der Luft Heiterkeit der Bewölkung, Windstille den Winden, Winter dem Sommer, Herbst dem Frühling – in diesem blühen ja die Erdgewächse, in jenem verwelken sie – und ferner vom Wasser das süße dem bittern und vom Lande das unfruchtbare dem fruchtbaren. 209 Und im übrigen sind offensichtliche Gegensätze: Körper- und Unkörperliches, Beseeltes und Unbeseeltes, Vernünftiges und Unvernünftiges, Sterbliches und Unsterbliches, sinnlich Wahrgenommenes und Gedachtes, klare, richtige Vorstellungen und undeutliche, Elemente und Vollendetes,[207] Anfang und Ende, Werden und Vergehen, Leben und Tod, Krankheit und Gesundheit, weiß und schwarz, rechts und links, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Einsicht und Unverstand, Tapferkeit und Feigheit, Mäßigung und Zuchtlosigkeit, Tugend und Laster und alle besonderen Arten der erstern gegenüber denen des letzteren. 210 Ferner Gelehrt- und Ungelehrtsein, Schönheitssinn und Mangel daran, Bildung und Unbildung, überhaupt Kunst[208] und Kunstlosigkeit. Ebenso[209] die in den (einzelnen) Künsten (anerkannten Gegensätze): Vokale und Konsonanten[210], hohe und tiefe Töne, gerade und kreisrunde Linien. 211 Und bei den Tieren und Pflanzen unfruchtbare und fruchtbare, viel- und weniggebärende, Eier legende und lebendige Junge hervorbringende, Mollusken und Schaltiere, wilde und zahme, einzeln und herdenweis lebende. 212 Und ferner: Armut und Reichtum, Ruhm und Ruhmlosigkeit, niedrige und edle Abstammung, Not und Überfluß, Krieg und Frieden, Gesetz und Gesetzlosigkeit, Wohlgestalt[271] und Mißgestalt, Bequemlichkeit und Anstrengung, Jugend und Alter, Unvermögen und Vermögen, Kraftlosigkeit und Stärke. Und wozu alle Gegensätze aufzählen, da deren Menge doch unbeschreiblich groß, unergründlich ist? 213 Sehr schön lehrt also der Erklärer aller Naturdinge[211] aus Mitleid mit unserer Trägheit und Nachlässigkeit ausführlich bei jeder Gelegenheit, wie auch hier, die gegensätzliche Stellung aller existierenden Dinge, nicht der vollkommen ganzen, sondern ihrer Teile. [p. 503 M.] Denn aus zwei Gegensätzen besteht eine Einheit; wird diese geteilt, so werden die Gegensätze erkennbar. 214 Ist das nicht der Lehrsatz, welchen, wie die Hellenen sagen, der große und bei ihnen gefeierte Heraklit[212] an die Spitze seiner Philosophie gestellt hat und dessen er sich wie wegen einer neuen Erfindung rühmte? Es ist doch eine alte Entdeckung von Moses, daß die Gegensätze aus einem und demselben Ding entstehen und als dessen Teile zu betrachten sind, wie deutlich gezeigt wurde.

[44] 215 Doch das werden wir noch in anderen Schriften gründlich erörtern. Aber auch das Folgende dürfen wir nicht mit Stillschweigen übergehen. Nämlich, die erwähnten Halbierungen ergaben sechs, da drei Tiere in je zwei Stücke zerlegt wurden, so daß der siebente der teilende Logos ist, der die Dreiheiten auseinander rückt und selbst in der Mitte steht. 216 Auf etwas Ähnliches wird, wie ich glaube, auch bei dem heiligen Leuchter ganz deutlich hingewiesen; angefertigt nämlich wurde er mit sechs Röhren, drei an jeder der beiden Seiten, als siebenter steht er selbst in der Mitte, die beiden Dreiheiten voneinander scheidend. Denn „von getriebener Arbeit ist er, ein kunst- und prachtvolles göttliches Werk, aus einem Stück reinen Goldes“ (2 Mos. 25, 36. 38, 13f., 4 Mos. 8, 4). Dann die Eins, die in Wahrheit einzige und unzusammengesetzte, hat aus sich allein und durchaus[272] ohne Hinzunahme eines Stoffes die mutterlose Sieben erzeugt.[213] 217 Die das Gold rühmen, sagen zu dessen Lobe vielerlei, insbesondere daß es erstens keinen Rost und Grünspan ansetzt, und zweitens, daß es in dünne Blättchen getrieben und gegossen unzerreißbar bleibt. Füglich ist es also das Sinnbild für das höhere Wesen,[214] das überallhin sich ausdehnt, ergießt und eindringt, das alles erfüllt und auch das übrige (nicht göttliche) in harmonischer Weise verbindet. 218 Über den genannten Leuchter sagt der Meister ferner: „Aus den Röhren treten die Stiele hervor, drei auf jeder der beiden Seiten, einander gleichgemacht; aus ihnen auch ihre nußförmigen Kelche, die sich an den äußersten Enden befinden, und die Blumenverzierungen an ihnen, damit darauf die Lampen seien, und die siebente Blumenverzierung am äußersten Ende des Kelches oben am Gipfel, massiv gearbeitet, ganz von Gold; und sieben Lampen darauf von Gold (2 Mos. 38, 15–17).[215] 219 Somit ist durch vielerlei begründet, daß die Sechs in zwei Dreiheiten von dem in der Mitte stehenden siebenten, dem Logos, geteilt wird, wie es sich an unserer Stelle[216] zeigt. Denn der ganze Leuchter mit seinen sechs wichtigsten Teilen bestand[217] aus sieben Kelchen, sieben Blumen und sieben Lampen. 220 Geschieden aber sind die sechs Lampen durch die siebente, ebenso die Blumen durch die mittlere und desgleichen die Kelche von dem siebenten und mittleren und die sechs Röhren mit den hervortretenden gleichen Stielen von dem [p. 504 M.] Stamm (des Leuchters als) des siebenten. [45] 221 Wiewohl über jedes viel zu sagen wäre, muß es auf ein andermal verschoben werden. Das allein mag erwähnt werden, daß der heilige Leuchter und die sieben Lampen auf ihm ein Abbild des himmlischen Reigens der sieben Planeten[273] sind.[218] 222 Wieso, wird man vielleicht fragen. Darauf antworten wir: Wie der Leuchter ist auch jeder der Planeten ein Lichtträger; da sie hellstrahlend sind, so senden sie leuchtende Strahlen zur Erde nieder, besonders der mittlere von ihnen, die Sonne. 223 Den mittleren nenne ich sie nicht nur, weil sie den Platz in der Mitte einnimmt, wie manche behauptet haben, sondern weil sie ohnehin wegen ihrer Würde und Größe und der Vorteile, die sie allen Erdbewohnern darbietet, es verdient, auf beiden Seiten von Trabanten begleitet und bedient zu werden.[219] 224 Da die Menschen die Stellung der Planeten nicht mit Sicherheit wahrnehmen – aber was können sie sonst von den himmlischen Dingen mit Bestimmtheit erkennen? – so ergehen sie sich in (bloßen) Vermutungen; doch scheint mir die Vermutung derer am besten zu sein, die der Sonne die Stellung in der Mitte zuerteilen und meinen, daß drei (Planeten) vor ihr und ebenso viele sich hinter ihr befinden, vor ihr der leuchtende (Saturn), der strahlende (Jupiter) und der feurige (Mars), hinter ihr der glänzende (Merkur), der lichtbringende (Morgenstern) und der dem Luftkreis benachbarte Mond.[220] 225 Da nun der Meister wünschte, daß bei uns ein irdisches Abbild von dem Urbild der siebenflammigen himmlischen Sphäre vorhanden sei, so befahl er ein sehr schönes Kunstwerk, den Leuchter, anzufertigen. Aber auch auf dessen Ähnlichkeit mit der Seele ist hingewiesen worden; denn die Seele ist dreiteilig,[221] jeder Teil wird, wie gezeigt wurde, in zwei Teile zerlegt und der Teiler aller so entstandenen sechs Teile ist offenbar der heilige und göttliche Logos. [46] 226 Auch folgendes darf nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Von den drei im Heiligtum befindlichen Geräten: Leuchter, Tisch und Räucheraltar, ist der letztere zunächst, wie oben[222] gezeigt wurde, zur Danksagung namens der Elemente bestimmt, da er erstens selbst von allen vieren Anteile erhält, von der Erde das Holz, vom Wasser das, was geräuchert wird – denn[274] erst geschmolzen, löst es sich dann in Tropfen auf –, von der Luft den Duft, vom Feuer die Glut, und zweitens die Zusammensetzung aus Weihrauch, Galban, Seenagel und Myrrhe ein Symbol der Elemente ist; dann der Tisch zur Dankabstattung namens der vergänglichen Schöpfungswerke,[223] denn Brote und Gußopfergefäße werden auf ihn gelegt (4 Mos. 4, 7), die alles Nahrungsbedürftige notwendig braucht; schließlich der Leuchter zur Danksagung im Namen aller Himmelsbewohner, damit sich kein Stück von der Welt [p. 505 M.] der Undankbarkeit schuldig mache, damit wir vielmehr einsehen, daß jedes Einzelne in ihr Dank abstattet, die Elemente und die Schöpfungswerke, nicht nur die auf der Erde, sondern auch die im Himmel vorhandenen.[224] [47] 227 Es verdient aber erwogen zu werden, warum die Schrift wohl die Maße des Tisches und des Räucheraltars bekannt gegeben, doch kein Maß für den Leuchter verzeichnet hat; sicherlich deswegen, weil die Elemente und die vergänglichen Schöpfungswerke, deren Symbole der Tisch und der Räucheraltar sind, meßbar sind, da sie von dem Himmel begrenzt werden – denn stets ist das Umfassende das Maß für das Umfaßte –, während der Himmel, dessen Symbol der Leuchter ist, von unendlicher Größe ist. 228 Denn er wird von keinem Körper umfaßt, weder von einem gleich großen, noch von einem unendlichen, auch nicht – nach Moses' Ansicht – von etwas Leerem[225] wegen der bei der Weltverbrennung[226] gefabelten Wunderdinge. Seine Grenze ist vielmehr Gott, sein Lenker und Steuermann. 229 Wie Er, das „Seiende“, unumfaßbar ist, so ist auch das von ihm Begrenzte nicht mit den zu unserer Erkenntnis gelangten Maßen zu bestimmen; und vielleicht hat er – der Himmel –, da er kreisförmig und vollends zu einer Kugel abgerundet ist, keinen Anteil an Länge und Breite.

[275] [48] 230 Nachdem die Schrift hierüber das Geeignete gesagt, fügt sie schließlich hinzu: „Die Vögel aber teilte er nicht“ (1 Mos. 15, 10). Vögel nennt sie die gefiederten zum Hochfliegen geschaffenen zwei Geister, den einen über uns waltenden – das Urbild – und den andern in uns – das Abbild. 231 Moses nennt den über uns waltenden „das Ebenbild[227] Gottes,“ den in uns befindlichen „Abglanz jenes Ebenbildes“. Denn er sagt: „Gott schuf den Menschen“ nicht als Ebenbild Gottes, sondern „nach dem Ebenbilde“ (1 Mos. 1, 27). Somit ist der in jedem von uns waltende Geist, der im eigentlichen Sinne und in Wahrheit Mensch ist, der dritte Abdruck, vom Schöpfer ab gerechnet; der mittlere[228] ist das Musterbild für den Menschen und ein Abbild von Gott. 232 Naturgemäß ist unser Geist unteilbar. Denn den vernunftlosen Seelenteil[229] teilte der Schöpfer sechsmal und machte daraus sieben Teile: Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch, Tastsinn, Sprachvermögen und Zeugungskraft, aber den vernünftigen, der eben Geist genannt ist, ließ er ungeteilt, ähnlich wie im Welthimmel. 233 Denn auch in diesem, so wird behauptet, ist die äußerste feststehende Sphäre[230] ungeteilt gelassen, dagegen ist die innere sechsmal geteilt und bildet die sieben sogenannten Kreise der Planeten. Denn ich meine, was in Menschen die Seele, ist in der Welt der Himmel. Somit sind die zwei denkenden und vernünftigen Wesen, das im Menschen und das im Weltganzen, völlig ganz und ungeteilt. Darum heißt es: „Die Vögel teilte er nicht“. [p. 506 M.] 234 Unser Geist wird mit der gemeinen Taube verglichen, da dieses Lebewesen zahm ist und bei uns lebt; die Turteltaube aber mit dem Musterbilde unseres Geistes. Denn Gottes Logos[231] ist Einsamkeit-liebend[276] und alleinstehend, unter die Masse der geschaffenen und der Vernichtung anheimfallenden Wesen mischt er sich nicht, sondern ist gewohnt, immer hochzusteigen, und darauf bedacht, nur eines Einzigen Diener zu sein. Unteilbar sind also diese beiden Wesen, das der Denkkraft in uns und das des göttlichen Logos über uns, aber während sie selbst unteilbar sind, teilen sie unzählig vieles. 235 Denn der göttliche Logos hat alle Dinge in der Natur geteilt und zerlegt, und unser Verstand teilt alle Sachen und Körper, die er denkend erfaßt, in unendlich viele Teile und hört nicht auf zu zerlegen. 236 Das geschieht (bei beiden) wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem Schöpfer und Vater des Alls. Denn die Gottheit, die unzusammengesetzt und ungemischt, völlig unteilbar ist,[232] ist für die ganze Welt die bewirkende Ursache der Mischung, Vereinigung, Trennung und Teilbarkeit, und daraus folgt, daß auch die ihr ähnlichen Wesen, der Geist in uns und der über uns, obwohl sie ohne Teile und unteilbar sind, jedes einzelne der existierenden Dinge zu teilen und zu zerlegen imstande sein werden.

[49] 237 Nach den Worten über die nicht geteilten und zerlegten Vögel sagt die Schrift weiter: „Es kamen aber Vögel herab auf die Körper, die entzweigeschnittenen“ (1 Mos. 15, 11); sie bedient sich hier desselben Ausdrucks,[233] erklärt aber ganz deutlich denen, die sehen können, den sachlichen Unterschied. Denn wider die Natur ist es, daß Vögel herabsteigen, da sie beflügelt wurden, um hochzufliegen. 238 Gleichwie die Erde der geeignetste Aufenthaltsort ist für die Landtiere und ganz besonders für die Kriechtiere, die sich fortwinden und nicht einmal über sie emporheben können, auch wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Niederen die Erdoberfläche meiden und Höhlen und Schlupflöcher aufsuchen, ebenso ist die ihrem Wesen nach leichte Luft der geeignete Wohnort für die ihres Gefieders wegen leichten Vögel. Wenn also die Luftbewohner,[234] die durch den Äther ziehen sollen, herabsteigen, so können sie, auf das Land gekommen, kein naturgemäßes Leben[235] führen. 239 Dagegen[277] schätzt[236] Moses alle Kriechtiere, die hochspringen können, gar sehr; sagt er doch: „Diese dürft ihr essen von den beflügelten Kriechtieren, die auf vieren gehen, die oberhalb der Füße Schenkel haben, so daß sie mit ihnen von der Erde emporhüpfen“ (3 Mos. 11, 21). Sie sind die Symbole für alle Seelen, die nach Art der Kriechtiere in dem irdischen Körper wurzeln, aber geläutert[237] in die Höhen emporsteigen können und für die Erde den Himmel eintauschen und Unsterblichkeit für Vernichtung. 240 Von höchster Unseligkeit[238] betroffen müssen uns demnach diejenigen (Seelen) erscheinen, die, obwohl in der Luft und im reinsten Äther ernährt, zur Erde, der Stätte der Sterblichen und Schlechten, hinabwanderten, weil sie nicht imstande waren, die Überfülle göttlicher Güter [p. 507 M.] zu ertragen. – Es kommen aber über unzählige Dinge teils absichtlich, teils aus Unwissenheit unzählig viele Gedanken hinzu, die sich in nichts von den Gefiederten unterscheiden und denen die Schrift die herabsteigenden Vögel gleichstellt. 241 Aber die aufwärts strebende Schar der Gedanken bekommt den besseren Rang, da die Tugend sie begleitet und zum göttlichen und himmlischen Chor führt, dagegen die abwärts strebende den schlechtern, da die Schlechtigkeit sie führt und mit Gewalt nach entgegengesetzter Richtung zerrt. Es deuten aber schon die Namen nicht übel auf den örtlichen Gegensatz hin. Denn „Tugend“ heißt ἀρετή, und dies Wort ist nicht nur von αἵρεσις (Wählen) abzuleiten, sondern auch von ἄρσις (Hebung) – denn sie hebt sich, schwingt sich empor wegen ihres beständigen Verlangens nach den Erhabenen – die Schlechtigkeit aber heißt κακία, weil diejenigen, die sie besitzen, gezwungen werden abwärts (κάτω) zu gehen und niederzufallen. 242 Die herbeifliegenden, hinzustürmenden feindlichen Gedanken der Seele gehen selbst nieder, drücken aber auch die Vernunft jammervoll nieder, da die Körper und Sachen, auf die sie sich stürzen, sinnliche und nicht geistige, unvollkommene und nicht vollkommene, tote und nicht die lebendigen sind. Ja, nicht nur über Körper, sondern auch über Stücke entzweigeschnittener Körper fallen sie her; für die so geteilten ist es aber eine Unmöglichkeit,[278] Harmonie und Einheit zu erlangen, nachdem die geistigen Sehnen, die ihr festes, mit ihnen verwachsenes Band bildeten, zerschnitten sind.[239] [50] 243 Eine sehr richtige Ansicht verkündet die Schrift, indem sie lehrt, daß die Gerechtigkeit und jede Tugend die Seele, dagegen die Ungerechtigkeit und jede Untugend den Körper lieben und daß die Freunde des einen durchaus Feinde des andern sind, wie es auch hier der Fall ist. Denn die Feinde der Seele stellt sie unter dem Bilde von Vögeln dar, die danach gelüsten, sich mit den Körpern zu verflechten und zusammenzuwachsen und sich an den Fleischstücken zu sättigen; und in der Absicht, deren Ansturm und Angriffe abzuwehren, heißt es, habe der Weise sich zu ihnen gesetzt (1 Mos. 15, 11),[240] als ob er ein Vorsitzender oder Ratsvorsteher wäre. 244 Denn da die einheimischen Kriegsscharen sich infolge eines inneren Aufruhrs entzweit hatten und auch die auswärtigen miteinander uneinig waren, so berief dieser alle zu einer beratenden Versammlung und prüfte ihre Streitpunkte, um womöglich durch Überredung sowohl den auswärtigen Kampf zu beendigen, als auch die innere Unruhe zu beschwichtigen. Denn nützlich erschien es, jene, die wie eine Wolke hereinbrachen und unversöhnlich blieben, zu verjagen, unter den andern dagegen die alte Freundschaft wiederherzustellen. 245 Als unverträgliche, unversöhnliche Feinde der Seele werden verzeichnet: Unverstand und Zuchtlosigkeit, Feigheit und Ungerechtigkeit[241] und viele andere unvernünftige Gelüste, die aus „übermäßigem Begehrungstrieb“[242] hervorzugehen pflegen, die unbändig und halsstarrig sind und den geraden Lauf des Denkens hemmen, oft [p. 508 M.] aber auch seine ganze Haltung erschüttern und umstürzen. 246 Die Mißhelligkeiten derjenigen[279] aber, die befreundet sein könnten, sind eben solcher Art, wie die Lehrstreitigkeiten der Sophisten. Denn insofern sie auf ein Ziel, die Betrachtung der Naturdinge, hinstreben, könnte man von ihnen sagen, daß sie Freunde sind; insofern sie aber bei einzelnen Untersuchungen verschiedener Meinung sind, muß man annehmen, daß sie wie bei einem Bürgerkrieg miteinander in Zwietracht leben, wie z. B. diejenigen, die das Unerschaffensein des Weltalls behaupten, mit denen, die dessen Erschaffensein lehren; ferner diejenigen, die da sagen, daß es untergehen wird, mit denen, die da meinen, daß es wohl seiner Natur gemäß vergänglich ist, aber niemals untergehen wird, weil es durch ein zu starkes Band, den Willen des Schöpfers, zusammengehalten wird;[243] denn diejenigen, die behaupten, daß nichts ist, sondern daß alles wird, mit denen, die das Gegenteil annehmen;[244] ferner diejenigen, die den Menschen als das Maß aller Dinge[245] erklären, mit denen, die die Prüfungsmittel der sinnlichen Wahrnehmung und die des Denkens[246] verwerfen, und überhaupt diejenigen, die alles als unbegreiflich erklären, mit denen, die behaupten, daß man sehr vieles erkennen könne.[247] 247 Und so haben Sonne und Mond und der Himmel im ganzen, Erde, Luft und Wasser und fast alles aus ihnen Entstandene den Skeptikern Anlaß zu Streit und Zank gegeben bei der Untersuchung ihrer Wesenheiten und Eigenschaften, ihrer Veränderungen und Wandlungen, ihres Werdens und Vergehens; trotz gründlicher Forschung über die Größe und Bewegung der Himmelskörper sind sie verschiedener Meinung, ohne sich einigen zu können, bis der Mann, der zumal Geburtshelfer[248] und Schiedsrichter ist, „sich zu ihnen setzt“ und die Kinder[280] der Seele eines jeden betrachtet, die nicht auferziehungswürdigen verwirft,[249] dagegen die tauglichen behält und der geeigneten Fürsorge würdigt. 248 Die Philosophenschulen sind voller Mißklang geworden, da die Wahrheit den leichtgläubigen und vorschnell urteilenden Geist flieht. Denn die Schwierigkeit, die Wahrheit zu finden und zu fassen, hat meines Erachtens die wissenschaftlichen Zänkereien erzeugt.

[51] 249 „Gegen Sonnenuntergang“, heißt es weiter, „fiel eine Ekstase (Außersichsein) auf Abraham, und siehe, Furcht, finstere, große fällt über ihn“ (1 Mos. 15, 12). Ekstase[250] ist erstens eine unsinnige Wut, die zur Narrheit führt, sei es infolge des Alters oder aus Trübsinn oder aus einem anderen ähnlichen Grunde; zweitens heftige Bestürzung über plötzliche und unerwartete [p. 509 M.] Ereignisse; drittens Stille des Geistes, wenn er sich eben der Ruhe hingibt; die vierte und allerbeste aber ist die gottvolle Ergriffenheit und Begeisterung, die den Propheten eignet. 250 Der ersten Art geschieht Erwähnung bei den im Gesetzesanhang[251] verzeichneten Flüchen – Lähmung, heißt es da, und Blindheit und „Ekstase“ des Geistes werden die Gottlosen treffen, so daß sie sich nicht von den Blinden unterscheiden werden, die am Mittag herumtappen wie in tiefer Finsternis (5 Mos. 28, 28. 29); – 251 der zweiten Art häufig, z. B. (1 Mos. 27, 33): „Isaak geriet in eine große Ekstase[252] und sprach: Wer ist es denn, der mir ein Wildbret erjagte und es mir brachte? Und ich aß von allem, bevor du kamst, und segnete ihn, und gesegnet soll er sein“. Ferner heißt es (1 Mos. 45, 26) bei Jakob, als er der Nachricht, „Joseph lebt und herrscht über das ganze Land Ägypten“ nicht traute: „Er geriet außer sich[253] in seinem Geiste, denn er glaubte ihnen nicht.“ Und im Buche von dem Auszug (2 Mos. 19, 18) wird von der Volksversammlung berichtet: „Denn der ganze[281] Berg Sina war in Rauch gehüllt, weil Gott auf ihn im Feuer herabgestiegen war, und der Rauch stieg auf, wie der Rauch eines Ofens; und es war das ganze Volk sehr außer sich.“[254] Und im Levitischen Buche (3 Mos. 9, 24) bei der Priesterweihe am achten Tage, als „Feuer vom Himmel kam und was auf dem Altar war, die Ganzopfer und die Fettstücke, verzehrte“ heißt es sogleich: „Und das ganze Volk sah es und war außer sich[255] und sie fielen aufs Angesicht“. Eine solche Ekstase schließt Furcht und starke Bestürzung ein.

252 Aber[256] soll man sich nicht wundern sowohl über Esau, daß er, der „Jagdkundige“, stets erjagt und an der Ferse gehalten[257] wird, indem er seine Kunst zu seinem Schaden, nicht zum Nutzen, erworben hat, aber niemals sich beeilte zu erjagen, als auch über Jakob, daß er – nicht weil er es erlernt hat, sondern von der Natur dazu getrieben wird – die Leidenschaft erjagt und zum Schiedsrichter[258] hinbringt, daß er prüfe, ob sie echt ist, und deshalb „von allem esse“ (1 Mos. 27, 33)? 253 Denn alles, was zur Tugendübung gehört, ist genießbar: Die Untersuchung, die Betrachtung, die Prüfung, das Hören, die Aufmerksamkeit, die Selbstbeherrschung, die Gleichgültigkeit gegen das Gleichgültige. Von allem aber aß er ohne Zweifel nur den Opferteil,[259] denn er mußte auch für den sich Übenden[260] etwas zu passender Nahrung übriglassen als Siegespreis. 254 Naturgemäß „bevor du kamst“ (1 Mos. 27, 33); denn wenn die Leidenschaft[261] in die Seele eingedrungen ist, werden wir von der Selbstbeherrschung keinen Genuß haben. Aber er tadelt auch den Schlechten als langsam, saumselig, als Zauderer bei den Werken der Selbsterziehung, aber nicht bei denen der Zuchtlosigkeit. 255 Daher hat Ägypten „Treiber“, die zum Genießen der Leidenschaften hindrängen (2 Mos. 5, 13), Moses dagegen ermahnt, „mit Eile“ (2 Mos. 12, 11) das Pascha zu verzehren, durch ein Festmahl die „Abkehr“[262] von diesen zu feiern.[282] Auch Juda sagt (1 Mos. 43, 10): „Wenn wir nicht gezögert [p. 510 M.] hätten, wären wir schon zweimal zurückgekehrt“; er sagt nicht: „wären wir nach Ägypten hinabgegangen“, sondern: „wären wir von dort wieder glücklich heimgekehrt“. 256 Mit Recht wundert sich auch Jakob, daß der im Körper befindliche Geist, Joseph, noch tugendhaft „lebt“ und über den Körper „herrscht“,[263] nicht aber von ihm beherrscht wird. Man könnte noch durch Betrachtung anderer Beispiele die Wahrheit aufspüren; aber nicht hierüber wollen wir jetzt gründliche Untersuchungen anstellen, wir müssen uns daher wieder unserem Gegenstande zuwenden. – 257 Die dritte Art (erwähnt die Schrift), wo sie sich über die Schöpfung des Weibes ausspricht: „Gott ließ nämlich“, sagt sie, „auf Adam eine Ekstase fallen, und er entschlief“ (1 Mos. 2, 21), wo sie die Ruhe und Stille des Geistes als Ekstase erklärt. Denn der Schlaf des Geistes ist das Wachsein der Sinne, und das Wachsein des Geistes ist die Untätigkeit der Sinne.[264] [52] 258 Von der vierten Art ist diejenige, die wir hier betrachten. „Gegen Sonnenuntergang fiel eine Ekstase über Abraham“. Es ist die Seelenstimmung des Gotterfüllten, Gottgetragenen. Aber nicht dieser Satz allein bezeichnet ihn als Propheten, sondern auch ein ausdrückliches Wort in der heiligen Schrift, als man versuchte, die ihrer Natur gemäß herrschende Tugend – Sarra – von ihm zu trennen, als ob sie nicht das eigentümliche Besitztum des Weisen allein wäre, sondern das eines jeden, der Einsicht heuchelt. „Gib zurück“, sagt sie nämlich, „das Weib dem Manne, denn er ist ein Prophet und er wird für dich beten und du wirst leben“ (1 Mos. 20, 7). 259 Jedem Weisen aber bezeugt die heilige Schrift prophetische Kraft; ein Prophet kündet ja nichts Eigenes, sondern nur Fremdes, da ein anderer in ihm spricht. Ein Schlechter kann nicht Gottes Dolmetsch werden, weshalb kein Unsittlicher in Gottesbegeisterung gerät und diese nur dem Weisen zukommt, weil er allein ein tönendes Instrument Gottes ist, das von ihm unsichtbar berührt und angeschlagen wird.[265] 260 Alle wenigstens, die die Schrift als „Gerechte“ schildert, läßt sie als Propheten auftreten. Noah ist gerecht, und ist er nicht zugleich ein Prophet? Hat er nicht die Segnungen und Flüche, die er über die nachfolgenden Geschlechter aussprach und die durch die Wahrheit der Tatsachen bestätigt wurden, in Gottesbegeisterung[283] verkündet? (1 Mos. 9, 25–27). 261 Und wie ist es mit Isaak? Wie mit Jakob? Denn daß auch diese durch vieles und besonders durch ihre Ansprachen an ihre Kinder sich als Propheten erwiesen haben, darin stimmen alle überein. Das Wort: „Versammelt euch, damit ich verkünde, was euch begegnen wird am Ende der Tage“ (1 Mos. 49, 1) war ja das eines Gottbegeisterten; denn die Kenntnis der Zukunft ist nicht Sache des Menschen. 262 Wie ist es [p. 511 M.] aber mit Moses? Wird er nicht allgemein als Prophet gepriesen? Denn so sagt die Schrift: „Wenn (einer) von euch Prophet des Herrn wäre, so würde ich mich ihm in einer Erscheinung zu erkennen geben, dem Moses aber in Gestalt und nicht durch Rätsel“ (4 Mos. 12, 6. 8) und ferner: „Nicht stand fürder ein Prophet auf wie Moses, den der Herr erkannte, Angesicht zu Angesicht“ (5 Mos. 34, 10). 263 Treffend weist also die Schrift auf den Gottbegeisterten hin mit den Worten: „Gegen Sonnenuntergang überfiel eine Ekstase“ , [53] indem sie unseren Geist symbolisch „Sonne“ nennt.[266] Denn was in uns die Vernunft ist, das ist in der Welt die Sonne; beide sind Lichtträger, diese sendet in das All ein wahrnehmbares Licht hinaus und jene gibt uns selbst geistige Lichtstrahlen durch die begriffliche Erfassung. 264 Solange noch unser Geist nach allen Seiten hin leuchtet und eindringt, gleichsam Mittagshelle in unsere ganze Seele ergießt, sind wir in uns und nicht (von einem andern) eingenommen; sobald er aber „untergeht“, überfällt uns natürlich[267] eine Ekstase (Außersichsein), ein gottbegeistertes Eingenommensein und eine Verzückung. Sobald nämlich das göttliche Licht aufstrahlt, geht das menschliche unter; sobald jenes untergeht, erhebt sich dieses und geht auf. 265 Das aber ist bei den Propheten gewöhnlich der Fall. Es entfernt sich der Geist in uns bei der Ankunft des göttlichen Geistes[268] und kommt wieder bei dessen Entfernung; denn Sterbliches kann füglich nicht mit Unsterblichem zusammenwohnen. Deshalb führte der „Untergang“ der Vernunft und die sie umgebende Dunkelheit eine Ekstase und gottgetragene Verzückung herbei. 266 Zu dem Bericht wird aber noch folgendes hinzugefügt: „Es wurde zu Abraham gesprochen“ (1 Mos. 15, 13),[269] denn fürwahr, tatsächlich schweigt der Prophet, auch wenn[284] er zu reden scheint, da sich seiner Sprachwerkzeuge, seines Mundes und seiner Zunge, ein anderer bedient, um zu offenbaren, was er wünscht; indem er jene mit unsichtbarer feinster Kunst anschlägt, bringt er eine wohlklingende, harmonische, symphonievolle Musik zustande.

[54] 267 Aber es ziemt sich nun zu hören, was gesprochen und verheißen wurde. Zuerst, daß Gott dem Freunde der Tugend nicht gestattet in dem Körper wie im Heimatlande zu wohnen, sondern daß er von ihm verlangt, darin wie ein Fremdling im fremden Lande zu weilen.[270] „Wissen sollst du“, sagt er, „daß ein Fremdling dein Same sein wird in einem nicht ihm gehörigen Lande“. Zu jedem Schlechten dagegen paßt die Örtlichkeit des Körpers, in dem er zu wohnen trachtet, nicht zu verweilen wie ein Fremdling. 268 Das ist die eine Lehre, die andere ist die, daß die irdische Behausung es ist, die der Seele Knechtschaft, Mühsal und – wie er selbst sagte – schreckliche Erniedrigung bringt; denn unedel und ohne Vernunft sind fürwahr die Affekte[271] des Körpers, Sprößlinge des Fleisches, in dem sie wurzeln. 269 „Vierhundert Jahre“ dauert die Knechtschaft entsprechend den vier Haupt-Affekten.[272] Wenn nämlich die Lust die Oberhand hat, so erhebt sich das Herz und bläht sich auf, hochfahrend mit windiger Leichtigkeit; [p. 512 M.] sobald die Begierde obsiegt, kommt die Sehnsucht nach dem Fehlenden und hängt die Seele, wie an einen Strick, an unerfüllbare Hoffnungen, denn sie dürstet fortwährend, kann aber nicht trinken und erduldet Tantalusqual. 270 Bei der Herrschaft des Schmerzes zieht sie sich und schrumpft nach Art hinwelkender, vertrocknender Bäume zusammen, denn ihre Blüte und ihr Saft sind geschwächt. Wo aber die Furcht regiert, will niemand fürder bleiben; in der Erwartung, nur dadurch sich zu retten, wendet man sich zu eiliger Flucht. Die Begierde besitzt nämlich eine Anziehungskraft, sie nötigt, dem Begehrten, wenn es flieht, nachzujagen; die Furcht aber tut das Gegenteil, sie scheidet und entfernt weit von dem Wahrgenommenen. [55] 271 Die Herrschaft der genannten Affekte verursacht den von ihnen Beherrschten eine harte Knechtschaft, bis Gott, der entscheidende und strafende[285] Richter, das unterdrückte (Geschlecht) von dem unterdrückenden scheidet und jenes zu vollständiger Freiheit hinausführt, diesem die Strafe für seine Sünden heimzahlt. 272 Denn so heißt es: „Das Volk aber, dem sie dienen werden, werde ich richten; hierauf werden sie hierher ausziehen mit viel Gepäck“ (1 Mos. 15, 14). Denn wer sterblich ist, muß von der Schar der Affekte bedrückt werden und die dem Geschöpf eigentümlichen Leiden auf sich nehmen, aber Gottes Wille ist, die angeborenen Übel unseres Geschlechts zu erleichtern. 273 Demnach werden wir einerseits zunächst als Sklaven roher Herren die unserer Natur entsprechenden Übel erdulden, andererseits wird Gott das ihm Entsprechende tun, da er im voraus den ihn um Hilfe anflehenden Seelen Erlösung und Befreiung verkündet hat,[273] und ihnen nicht nur Lösung der Fesseln und Ausgang aus dem ringsum bewachten Gefängnis gewährte, sondern auch Reisezehrung gab, die er „Gepäck“ nannte. 274 Was ist aber damit gemeint? Wenn der von oben, vom Himmel herabgestiegene Geist an die leiblichen Bedürfnisse gekettet wurde, sodann aber sich nicht zwitterhaft von einem derselben ködern läßt, noch die angenehmen Übel hochschätzt, sondern wirklich mannhaft in seiner Natur verharrt und imstande ist, eher zu überwältigen als sich überwältigen zu lassen, da er herangebildet wurde in allen (Wissenschaften), durch welche er die Liebe zum Schauen erworben und die starken Tugenden, die Selbstbeherrschung und Standhaftigkeit, gewonnen hat, so wandert er wieder hinaus, findet den Rückweg in die Heimat und führt alle die Bildung mit, die eben „Reisegepäck“ genannt wird.

[56] 275 Nachdem hierüber soviel gesagt ist, heißt es zum Schluß: „Du aber wirst zu deinen Vätern gehen, mit Frieden herangewachsen,[274] im schönem Greisenalter“ (1 Mos. 15, 15). Also wir, die [p. 513 M.] Unvollkommenen, wir werden bekämpft und geknechtet, wir erlangen mit Mühe Erlösung aus drohenden Schrecknissen, die Vollkommenen aber werden nicht geknechtet und bekämpft sondern wachsen in Frieden und gänzlich gesicherter Freiheit heran. 276 Zu unserer Belehrung führt die heilige Schrift den Vollkommenen uns nicht als[286] sterbend, sondern „weggehend“ vor, um das Wesen der völlig geläuterten Seele als unvertilgbar und unsterblich zu erklären, da es einer Versetzung von hier zum Himmel teilhaftig wird, nicht einer Auflösung und Vernichtung, die der Tod anscheinend herbeiführt. 277 Nach dem Worte „du wirst weggehen“ steht geschrieben: „zu deinen Vätern“. Was für Väter? müssen wir uns fragen. Denn die im Lande der Chaldäer gelebt haben, die allein seine Angehörigen waren, kann wohl die Schrift nicht meinen, da er ja auf göttlichen Befehl von allen Blutsverwandten weggezogen ist. Denn so heißt es: „Es sprach der Herr zu Abraham: Gehe hinweg aus diesem Lande, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhause in ein Land, das ich dir zeigen werde; und ich werde dich zu einem großen Volke machen“ (1 Mos. 12, 1. 2). 278 Wie ist es denkbar, daß derjenige, der sich auf göttlichen Rat den Seinen entfremdet hatte, sich wieder mit ebendenselben vereinigen sollte? Daß derjenige, der der Ahnherr eines anderen Volkes und Geschlechts werden sollte, dem frühern zugeteilt wird? Gott hätte ihm doch nicht ein gewissermaßen neues, junges Volk und Geschlecht gegeben, wenn er ihn nicht vollständig von dem alten hätte trennen wollen. 279 Denn ein Volks- und Stammesfürst ist wirklich dieser Mann, aus dem wie aus einer Wurzel jenes die Naturdinge betrachtende und schauende Reis, Israel genannt, hervorsproßte. So wird ja (3 Mos. 26, 10) befohlen, daß man das Alte vor dem Neuen hinaustragen soll. Denn was nützen Altertumskunde und alte, abgedroschene Sitten denen, auf die wider Erwarten plötzlich viele neue Güter herabströmten? [57] 280 Väter nennt also die Schrift nicht die in den chaldäischen Gräbern Begrabenen, von denen seine Seele weggewandert war,[275] sondern, wie einige sagen, Sonne und Mond und die übrigen Gestirne – wird doch behauptet, daß durch sie das Werden alles Irdischen erfolgt –, wie aber manche glauben, die Urideen, jene gedachten und unsichtbaren Vorbilder alles sinnlich Wahrnehmbaren und Sichtbaren, zu denen die denkende Seele des Weisen übersiedelt. 281 Aber manche haben vermutet, daß als Väter bezeichnet sind die vier Urkräfte, aus denen die Welt besteht: Erde, Wasser, Luft und Feuer, denn[287] in diese, sagt man, muß sich alles Erschaffene auflösen. 282 Gleichwie nämlich Haupt- und Zeitwörter und alle andere Redeteile aus den „Elementen“[276] des Alphabets zusammengesetzt sind und sich wieder in diese einfachsten Formen auflösen, ebenso ist jeder von uns aus den vier Elementen zusammengesetzt, hat von jeder Substanz Bruchstücke entlehnt[277] [p. 514 M.] und zahlt in bestimmten Zeitläuften das Darlehen zurück, indem er Trockenes der Erde, Feuchtes dem Wasser, Kaltes der Luft, Warmes dem Feuer wiedergibt. 283 Allein dies gilt nur von dem Körperlichen; dagegen wird das geistige und himmlische Wesen der Seele zum reinsten Äther als dem Vater gelangen. Denn es soll, wie die Alten[278] sagen, noch einen fünften Stoff geben, einen sich kreisförmig bewegenden, der sich von den vieren vorteilhaft unterscheidet, aus dem, wie es scheint, die Gestirne und der ganze Himmel geschaffen wurden und von dem folgerichtig auch die menschliche Seele[279] als Teil zu betrachten ist.[280] [58] 284 Das Wort „mit Frieden herangewachsen“ ist nicht ohne Grund hinzugesetzt, sondern deswegen, weil der größte Teil der Menschen unter Krieg und allen Leiden des Krieges heranwächst. Der eine Krieg ist der von äußeren (Feinden), den Ruhmlosigkeit oder Armut oder unedle Geburt und dergleichen herbeiführen; den anderen, der andere der von inneren (Feinden: zu ihnen zählen) hinsichtlich des Körpers: Krankheiten, Mißhandlungen, vollständige Verstümmelungen und eine Menge anderer unzähliger Leiden, und hinsichtlich der Seele: Leidenschaften,[288] Geisteskrankheiten, Schwachsinn, ferner infolge von Torheit, Ungerechtigkeit und ähnlicher Tyrannenwillkür schwerer, arger Umsturz und nicht zu stürzende Gewaltherrschaft.[281] 285 „Mit Frieden genährt“ ist also einer, der ein ruhiges, friedliches, wahrhaft glückseliges Leben erlangt hat. Wann aber wird ein solches vorhanden sein? Wenn unser äußeres (Befinden) in Wohlstand und Ruhm, das körperliche in Gesundheit und Stärke, das seelische in dem Genuß der Tugenden guten Fortgang hat.[282] 286 Denn ein jegliches bedarf einer ihm entsprechenden Leibwache. Die Leibwache des Körpers ist: Ansehen, Überfluß, großer Reichtum; die der Seele: Unversehrtheit und vollständiges Wohlbefinden des Körpers; die des Geistes: die Grundsätze der Wissenschaften. Denn daß nicht an den Frieden gedacht ist, den die Staaten haben, das ist den Lesern der heiligen Schriften klar. Hat doch Abraham große und schwere Kämpfe unternommen, aus denen er siegreich hervorgeht (1 Mos. 14, 14–16). 287 Und sicherlich wäre das Verlassen des Vaterlandes für einen, der auswandert und sich nicht wieder häuslich niederlassen kann, der bald hierhin bald dorthin verschlagen wird und auf öden, noch unbetretenen Wegen herumirrt, wenn er nicht auf göttliche Befehle und Offenbarungen vertraute, ein schwerer Kampf. Aber er mußte ja zum Überfluß noch ein drittes fürchterliches Übel erdulden, die Hungersnot (1 Mos. 12, 10), ein Übel, schlimmer als Auswanderung und Kampf. 288 Was für einen Frieden hatte er also? Denn auswandern, unstät sein, unwiderstehlichen Heereskräften von Königen sich entgegenstellen und von Hungersnot geplagt werden, scheint meines Erachtens nicht auf einen, sondern auf viele und mannigfaltige Kämpfe hinzuweisen. 289 Aber bei allegorischer Erklärung wird jeder Kampf ein Beweis ungetrübten Friedens.[283] Denn Mangel an Leidenschaften [p. 515 M.] und ihre Entbehrung, die Bewältigung feindseliger Bedrückungen und die Auswanderung von dem chaldäischen Glauben zu dem Gott[289] liebenden, d. h. von der mit den Sinnen wahrnehmbaren Schöpfung zu der vom Geiste erfaßbaren schöpferischen Ursache, – sie erzeugen Seelenruhe und Festigkeit. 290 Diesem, der solchen Frieden hatte, verspricht Gott ein schönes Greisenalter, nicht etwa ein zeitlich langes, sondern ein einsichtsvolles Leben. Denn gleichwie selbst ein kürzeres Licht besser ist als ewige Finsternis, so ist ein Leben glücklicher Tage besser als das vieler Jahre. Hat doch ein Prophet gesagt, er wolle lieber einen Tag in Tugendhaftigkeit leben als unzählige viele im Schatten des Todes (Ps. 84, 11), wo er mit „Tod“ auf das Leben der Bösen hindeutet.[284] 291 Dasselbe erklärt Moses hier mehr durch Tatsachen als durch Worte; denn den, der nach seiner Darstellung ein schönes Alter haben soll, schildert er doch als den Kurzlebigsten von fast allen seinen Vorfahren, um uns überzeugend zu lehren, wer wirklich ein schönes Greisenalter hat, damit wir nicht etwa den großen, schmachvollen, tadelnswerten Stolz auf äußere Vorzüge des Körpers loben, sondern im Hinblick auf die Einsicht und Charakterfestigkeit der Seele das schöne Greisenalter als den Bruder und Namensvetter der Ehrenhaftigkeit[285] bezeichnen und rühmen. 292 Zu deiner Belehrung vernimm also, daß nach unserem Gesetzgeber der Weise allein ein schönes Greisenalter und langes Leben hat, ein kurzes dagegen der Schlechte, da er sich fortwährend im Sterben übt, oder vielmehr dem tugendhaften Leben bereits abgestorben ist.[286]

[59] 293 Weiter heißt es (1 Mos. 15, 16): „Aber im vierten Zeitalter werden sie hierher zurückkehren“, nicht nur um die Zeit anzugeben, wo sie das heilige Land besiedeln würden, sondern um auch auf die vollständige Wiederherstellung der Seele hinzuweisen. Diese erfolgt ungefähr im vierten Zeitalter; in welcher Weise – das lohnt sich zu untersuchen. 294 Ein neugeborenes Kind hat bis zum vollendeten siebenten Jahre – also im Kindesalter – eine reine, weichem Wachs[287] ähnliche Seele, der noch nicht die Eindrücke des Guten[290] und Bösen aufgeprägt wurden, und was darauf anscheinend geschrieben wird, das wird, da es auf Feuchtigkeit gesetzt ward, wieder verwischt.[288] 295 Das ist sozusagen das erste Zeitalter der Seele. Das zweite ist dasjenige, das nach dem Kindesalter mit dem Bösen zusammenzuleben beginnt, das die Seele teils aus sich selbst zu erzeugen pflegt, teils von anderen bereitwillig annimmt. Denn der Lehrer von Verfehlungen gibt es viele: Ammen, Erzieher und Eltern und die geschriebenen und ungeschriebenen Staatsgesetze, die hochschätzen, was man verspotten muß; aber auch ohne Lehrer lernt sie von selbst das Tadelnswerte, so daß sie stets im Überfluß mit Bösem belastet ist. 296 Denn, sagt Moses, „es legt sich eifrig des Menschen Herz [p. 516 M.] auf das Böse von Jugend auf“ (1 Mos. 8, 21). Dieses ist das schlimmste „Zeitalter“, symbolisch gesprochen; im wörtlichen Sinne ist es das Jünglingsalter, in dem der Körper mannbar wird und die Seele sich aufbläht, wenn die glimmenden Leidenschaften angefacht werden, „Getreide, Saaten und Felder“ (2 Mos. 22, 6) und alles, worauf sie stoßen, niederbrennen. 297 Dieses krankhafte Zeit- oder Lebensalter muß von einem dritten, wie von einer heilkundigen Philosophie, in ärztliche Behandlung genommen und mit kräftigen und heilsamen Worten besänftigt werden, durch die es eine Entleerung der maßlosen Sündenfülle und eine Anfüllung der hungrigen Leerheit an guten sittlichen Grundsätzen und der schrecklichen Öde erhalten wird. 298 Nach dieser Behandlung erwachsen der Seele im vierten Zeitalter Kraft und Stärke durch sichere Aufnahme der Einsicht und unerschütterlich festes Beharren in allen Tugenden.[289] Das meint das Bibelwort: „Im vierten Zeitalter werden[291] sie hierher zurückkehren“. Denn in dem genannten vierten Zeitraum[290] erweist sich die Seele, nachdem sie sich von der Sünde abgewendet hat, als die Erbin der Weisheit. 299 Der erste ist derjenige, in dem man keinen Begriff von dem Guten oder Bösen haben kann, da die Seele noch unausgeprägt ist; der zweite ist der, in dem wir dem Ansturm der Sünden ausgesetzt sind; der dritte ist der, in dem wir ärztliche Pflege genießen, das Krankhafte abstoßen und die Schärfe der Affekte schwächen; der vierte (Zeitraum) aber ist der, in dem wir vollkommener Gesundheit und Stärke teilhaft werden, sobald wir dem sittlich Schlechten den Rücken zukehren und uns mit dem sittlich Guten befassen; vorher ist es nicht möglich. [60] 300 Wie lange dies dauert, wird uns Moses selbst kundtun mit dem Satze: „Denn noch nicht sind die Sünden der Amorräer vollzählig“(1 Mos. 15, 16). Dieser Satz gibt den weniger Gefestigten[291] Veranlassung anzunehmen, daß Moses das „Schicksal“ und die „Notwendigkeit“ als die Ursachen aller Geschehnisse hinstellt. 301 Aber man muß wissen, daß er als Philosoph[292] und Prophet die Reihenfolge, die Verkettung und Verflechtung der Ursachen kennt, aber nicht jenen die Ursachen für alle Geschenisse zuschreibt. Er hat sich vielmehr ein anderes früheres Wesen vorgestellt, das über dem Weltall thront nach Art eines Wagenlenkers oder Steuermanns;[293] denn dieses steuert das gemeinsame Weltenschiff, in dem alles fährt, und lenkt den beflügelten Wagen, den ganzen Himmel, kraft seiner unabhängigen, unbeschränkten Herrschergewalt. 302 Wie sind aber nun jene Worte zu verstehen? Amorräer[294] bedeutet „Sprechende“; die Sprache aber, das wertvollste Gut, das dem Menschen von der Natur geschenkt wurde, verderben viele Empfänger, indem sie sich der Geberin gegenüber undankbar und treulos benehmen. Solche sind die Gaukler, die Schmeichler, die Erfinder geschickter Trugschlüsse,[295] [p. 517 M.] die es nur zu gut verstehen zu täuschen und zu betrügen, ohne sich um Wahrhaftigkeit[292] zu kümmern. Natürlich befleißigen sie sich auch der Undeutlichkeit; Undeutlichkeit aber ist tiefe Finsternis in der Rede, und Finsternis ist den Dieben eine Helferin. 303 Deshalb hat Moses den Hohenpriester mit „Klarheit und Wahrheit“ geschmückt, denn er verlangt, daß die Sprache des Weisen ganz klar und wahr sei.[296] Aber die meisten jagen der unklaren und falschen nach, und die breite Masse der gewöhnlichen und armseligen Menschen läßt sich täuschen und schließt sich ihnen an. 304 Solange nun „die Sünden der Amorräer nicht vollzählig“ sind, d. h. die (Irrtümer) der trügerischen Reden, weil sie nicht widerlegt sind, sondern noch Anziehungskraft haben und uns durch ihre scheinbare Richtigkeit für sich einnehmen, sind wir nicht imstande, von ihnen abzurücken und sie zu verlassen, und verharren in der Täuschung. 305 Werden aber alle falschen, glaubhaft scheinenden Meinungen[297] durch richtige Gründe vollständig widerlegt und ihre Irrtümer vollzählig aufgedeckt, so werden wir, ohne uns umzudrehen, fliehen, sozusagen die Schiffstaue lösen, aus dem Lande der Lügen und Trugschlüsse hinwegeilen, uns sehnen, in die sicheren Zufluchtsstätten und Häfen der Wahrheit einzufahren. 306 Das ist es, was uns durch jenen Satz kundgetan wird; denn unmöglich ist es, die glaubhaft gemachte Lüge zu fliehen, zu hassen und zu verlassen, wenn nicht der Irrtum in ihr vollzählig und vollständig aufgedeckt wurde; aufgedeckt aber wird er durch gründliche Widerlegung mit Gegenüberstellung und Erweis der Wahrheit.

[61] 307 Weiter sagt (Moses): „Als die Sonne im Untergehen war, entstand eine Flamme“ (1 Mos. 15, 17),[298] womit er dartun will, daß die Tugend eine spätgeborene Sache ist, ja daß sie erst beim „Untergehen“ des Lebens, wie manche sagen, Festigkeit gewinnt. Die Tugend schildert er als Flamme; denn wie die Flamme den hingeworfenen Brennstoff verzehrt und den benachbarten Luftraum erleuchtet,[293] so verzehrt auch die Tugend die Irrtümer und erfüllt die Seele mit hellem Schein. 308 Aber freilich, solange noch die ungesonderten, verworrenen[299] Behauptungen, die er Amorräer nennt, durch ihre Scheingründe die Oberhand haben, können wir den hellen schattenlosen Glanz nicht sehen; gleichsam wie ein Ofen, der kein reines Feuer hat, sondern, wie er ausdrücklich sagt (1 Mos. 15, 17), in Rauch gehüllt ist, sind wir von den Funken der Wissenschaft wohl angefacht, aber noch nicht imstande, im reinen Feuer die Prüfung zu bestehen und zu erstarken. 309 Viel Dank gebührt jedoch demjenigen, der die Funken in uns sprühte, damit nicht der Geist nach Art toter Körper von den Affekten abgekühlt, sondern warm bleibend und angefacht von den Zündmitteln der Tugend solange angefeuert würde, bis er, wie Nadab und Abihu (3 Mos. 10, 2), für den Übergang in heiliges Feuer empfänglich wird.[300] 310 Rauch aber entsteht vor dem Feuer [p. 518 M.] und zwingt die Herannahenden, Tränen zu vergießen. Beides pflegt einzutreffen. Herantretend an die strahlende Tugend, hoffen wir auf Vollkommenheit, und wenn wir sie nicht erlangen können, so leben wir in Betrübnis, nicht ohne Tränen. Denn starke, glühende Sehnsucht drängt zur Jagd nach dem Ersehnten und verursacht Traurigkeit bis zu dessen Erlangung. 311 Hier vergleicht er aber die Seele des Wißbegierigen und auf Vollkommenheit Hoffenden mit einem Ofen, da beide kochende Nahrung enthaltende Gefäße sind, dieser mit vergänglichen Speisen, jener mit unvergänglichen Tugenden. Die Feuerfackeln aber, die leuchtenden, sind die Entscheidungen Gottes, des Fackelträgers, die klaren und durchsichtigen, deren Bestimmung es ist, mitten durch die Entzweigeschnittenen, ich meine die Gegensätze, aus denen das Weltall besteht, hindurchzudringen. 312 Denn es heißt (1 Mos. 15, 17): „Feuerfackeln, die mitten durch die Entzweigeschnittenen hindurchgingen“, damit du erkennest, daß die göttlichen Kräfte mitten durch Gegenstände und Körper gehen, aber keinen zerstören – denn die Entzweigeschnittenen bleiben unversehrt –; daß sie aber auch sehr schön die Naturen der einzelnen voneinander trennen und sondern.

[62] 313 Als Erbe der Erkenntnis der genannten Dinge wird also mit Recht der Weise dargestellt; „denn an diesem Tage“, sagt die Schrift,[294] „schloß der Herr mit Abraham einen Bund, indem er sprach: Deinem Samen werde ich dieses Land geben.“ (1 Mos. 15, 18.) 314 Welches Land kündet er, wenn nicht das vorhergenannte,[301] auf das er sich bezieht? (das Land), dessen Frucht ist das sichere und bestimmte Erfassen der Weisheit Gottes, derzufolge Er seinen getreuen Verwaltern[302] unversehrt (vom Bösen) alle Güter aufbewahrt, die denen entsprechen, die den Unsterblichen zuteil werden. – 315 Zum Schluß heißt es daselbst: „Von dem Fluß Ägyptens bis zu dem großen Fluß Euphrat“, womit uns kundgetan wird, daß die Vollkommenen von dem Körper, den Sinnen und den organischen Teilen, ohne die man nicht leben kann, die Anfänge (die elementaren Kenntnisse) haben, denn sie sind in dem mit dem Körper verknüpften Leben zur Ausbildung nötig; daß aber ihre Endziele zur Weisheit Gottes gehen, dem wahrhaft großen Strome, der mit Freude und Wonne[303] und anderen Gütern angefüllt ist. 316 Nicht mit den Worten: „von dem Strome Euphrat bis zum Fluß Ägyptens“ gibt die Schrift die Lage des Landes an, denn sie läßt nicht die Tugend zu den körperlichen Affekten hinabsteigen; sondern umgekehrt: „von Ägypten bis zum großen Euphrat“, denn von den sterblichen Dingen aus geht die Veredlung zu den unvergänglichen.


  1. Diese Schrift, die sich offenbar an das Bibelwort: „Dein Lohn wird sehr groß sein“ anlehnte, ist verloren gegangen.
  2. Die Sept. hat entsprechend dem Urtext zwei Anreden δέσποτα κύριε. Philo läßt die zweite fort.
  3. Die Sept. hält das schwierige משק‎ in V. 2 für einen Frauennamen und erklärt בן משק ביתי‎ als בן משק ילידת ביתי‎. Zu οὗτος „das ist“ vgl. 2 Mos. 6, 26: οὗτος Ἀ. καὶ Μ. Demnach ist der Satz unvollständig, es fehlt das Prädikat: „will mich beerben“. Abraham bricht mitten im Satze ab und beginnt einen neuen, um nochmals den Mangel eines Leibeserben zu betonen, mit Wiederholung des verkürzten Subjekts des vorigen. In V. 3 übersetzt die Sept. בן ביתי‎, als ob יליד ביתי‎ stünde.
  4. Vgl. Leben Mosis I § 83 Anm.
  5. Es versteht sich für Philo von selbst, daß Moses keine individuelle, sondern eine allgemein für jedermann gültige Aussage macht.
  6. Λόγος bedeutet sowohl das Denk- als auch das Sprachvermögen; ὁ κατὰ διάνοιαν λόγος ist das „Sprachvermögen der Vernunft“, die innere Sprache der Seele, das reine wortlose Denken, wofür auch λόγος ἐνδιάθετος gesagt wird. In der Parallelstelle Über die Nachstellungen § 38 sagt Philo WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt für φωνητήριον ὄργανον philosophisch korrekter ὁ διὰ φωνητηρίου ὀργάνου γεγωνὼς λόγος das mittels des Sprechorgans vernehmlich werdende Sprachvermögen. „Denn der Mund spricht eigentlich nicht, sondern das Sprachvermögen mittels der Stimme und des Mundes“. Dieser in Worten sich äußernde λόγος heißt auch λόγος προφορικός oder λόγος ὁ κατὰ προφοράν. Vgl. außer der genannten Stelle noch Über die Geburt Abels § 12, wo Philo Moses' Verstummen gegen die Sophistik verwertet. Vgl. auch De migratione Abr. § 12.
  7. ἐπάλληλα κάλλη eig. dicht gedrängt hintereinanderfolgende gehäufte Schönheiten.
  8. Vgl. Quaest. in Gen. IV § 182, wo Philo πᾶσαν τὴν γῆν allegorisch als „die ganze Erde“ erklärt.
  9. Vgl. § 82f.
  10. Begründung des § 11 ausgesprochenen Tadels solcher Zuhörer.
  11. Philo erblickt in der Frage: Was schreist du zu mir? keinen Tadel für Moses. Nach seiner Auffassung ist alles, was die Bibel von ihm, dem „Allweisen“, erzählt gut und nachahmenswert. Vgl. Targum Onkelos z. St., wo die Frage mit קבלית צלותך‎ „ich habe dein Gebet erhört“ umschrieben ist.
  12. D. i. Gott als Schöpfer der Weltharmonie. Vgl. Über die Cherubim § 110 u. Anm.; Heinemann, Poseidonios' met. Schr. I 138, 9.
  13. Eigentlich: in der Konsonanz der Oktave oder Doppeloktave; s. Über d. Weltschöpfung § 48 Anm.
  14. Über diese drei Motive des Kultus vgl. Über die Einzelges. I § 195· u. Anm.
  15. S. § 4.
  16. Diese von Philo bezeugte Übersetzung entspricht vollkommen dem hebräischen Urtext, der hier ידבר‎ und יעננו‎ darbietet, also die Zeitform, mit der auch eine öfters oder gewohnheitsmäßig wiederholte Handlung ausgedrückt wird. Der Aorist ἀπεκρίνατο in unseren Septuaginta-Hss. und die L. Α. ἐλάλησεν im Vat. sind demnach spätere Verschlimmbesserungen.
  17. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 80 u. Anm.
  18. Die Israeliten zu Moses.
  19. Wörtlich: einem von denen, die an Stelle oder im Range von Königen sind. Gemeint sind wohl die fast ganz unabhängigen römischen Statthalter. [Über das Recht des „Freimuts vor Gott“ vgl. auch T. Sanh. 105 a u. ö. I. H.]
  20. Damit nimmt Philo wieder die Erklärung des Textverses auf.
  21. Εὐλαβής (das, wie das vorhergehende εὐλάβεια im späteren Griechisch besonders gern von Gottesfurcht gebraucht wird) kann hier neben κυρίως zugleich auf die Sorgfalt (des Schriftstellers) in der Wahl des Ausdrucks gehen.
  22. Hier nennt Philo (mit Anspielung auf Plato Tim. 41A) Gott selbst das Band aller Dinge, dagegen § 188 den göttl. Logos, ebenso in De fuga § 112. Vgl. Bréhier, Les idées philos. et rel. de Philon S. 85.
  23. θαρρῶ heißt ich bin kühn (vgl. § 22 Anf.), aber auch ich bin guten Mutes, zuversichtlich. Dieser Sinn überwiegt hier. Die Antinomie der religiösen Stimmung, die (nach Rudolf Ottos bekannten Darlegungen) das Göttliche als tremendum wie als fascinosum empfindet, kommt in der folgenden Ausführung (Parallelen bei Windisch, Frömmigkeit Philos 52ff.) besonders schön zum Ausdruck. I. H.
  24. Philo zitiert (was die Herausgeber nicht bemerkt haben) Jes. 50, 4, wo die LXX übersetzt: Κύριος δίδωσίν μοι γλῶσσαν παιδείας τοῦ γνῶναι, ἡνίκα δεῖ εἰπεῖν λόγον.
  25. So auch Sept., abweichend vom hebr. Urtext: „Ich werde mit deinem Munde sein.“ Daß hier Abraham eine an Moses ergangene Verheißung (und zuvor ein Selbstzeugnis Jesajas) auf sich bezieht, läßt sich vielleicht damit erklären, daß er nach Philo ein „Prophet“ ist (siehe § 258) und als solcher die Kenntnis der Zukunft besitzt (§ 261). Für ihn, der kein Hebräisch versteht, liegt ja das Wesen des „Propheten“ vor allem in der eigentlichen Bedeutung dieses griechischen Wortes, in dem „Vorhersagen“ der Zukunft. Vgl. auch § 30, wo Abr. sagt, das Bekenntnis seiner Nichtigkeit sei von Moses verewigt worden, und § 36, wo er Israel kennt und sich als diesem Volke WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt zugeteilt bezeichnet. Vgl. auch Über d. Nachstellungen § 62 u. Anm. [Überdies neigt Philo dazu, jeden auf bestimmte Personen bezüglichen Ausspruch allgemeingültig zu fassen (s. zu § 4!), oder vielmehr: das Individuelle verblaßt vor seinem – ausschließlich dem Unbegrenzten zugewandten – Blick. I. H.]
  26. Wörtlich: daß Du mich an der Redefähigkeit teilnehmen läßt.
  27. Philo hält sich (ohne an den Anlaß der Auswanderung Abrahams zu denken!) an den Klang des griechischen Wortes φυγάς, das vor allem den strafweise Verbannten bezeichnet.
  28. Θαρρῶ in gleichem Doppelsinn wie § 24 Ende.
  29. Über die Bibelkenntnis der Patriarchen vgl. Über die Nachst. § 62 u. Anm.
  30. Philo urgiert νῦν und faßt den Satz: „ich bin doch Staub und Asche“ nicht, wie er richtig zu verstehen ist, als konzessiv, sondern temporal mit kausaler Färbung: „Jetzt, nachdem ich meine Nichtigkeit erkannt habe, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt da ich weiß, daß ich Staub und Asche bin, darf ich wagen, vor dich hinzutreten“. Darum wird der Priester mit Asche und Wasser (מי אפר פרה‎) besprengt, um ihn an seinen Ursprung, die Entstehung des ersten Menschen aus Wasser und Staub, zu erinnern, bevor er ins Heiligtum zur Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten schreitet: Über die Träume I § 210–214. Vgl. auch das. § 60, Über d. Geburt Abels § 55, Über die Einzelges. I § 264ff. Anderes bei Windisch, Frömmigkeit Philos 21.
  31. Philo meint, es ist nur eine rhetorische Frage.
  32. Der verheißene Lohn kann nach Philos Auffassung nur die geistige Gabe der Belehrung sein.
  33. Philo macht aus dem Bibelvers eine Frage, da für ihn die Kinderlosigkeit als gottverhaßt (§ 36), als Mangel an Tugenden gilt.
  34. τὰ μὴ ὄντα, gewöhnlich im Sing. τὸ μὴ ὄν ist Platos formloser Urstoff, aus dem die Welt entstanden ist, der aber nach Philo nicht von Ewigkeit her existierte, sondern auch von Gott geschaffen wurde. Ausdrücklich sagt er auch All. Erkl. II § 2, daß neben Gott vor der Schöpfung Nichts war. Mit Unrecht bestreiten manche (Soulier, la doctrine du Logos chez Philon S. 22; Aall, der Logos I, 191) daß Philo eine Schöpfung ex nihilo annimmt. Vgl. Festschrift Guttmann S. 24. [Das Verbum φέρων ist nicht befriedigend zu erklären; nach den Parallelstellen braucht Philo für die Schöpfung entweder τὰ μὴ ὄντα ἄγειν (oder παράγειν oder καλεῖν) εἰς (oder πρὸς) τὸ εἶναι oder τὸν κόσμον ἐκ τοῦ μὴ ὄντος εἰς τὸ εἶναι ἀναφαίνειν (V. Mos. II 267); es dürfte also eine schwerere Verderbnis vorliegen. I. H.]
  35. Israel, s. weiter § 78, Über Abraham § 56f. und Anm. 2 das., Über die Unveränderlichkeit G. § 144, Über die Geburt Abels § 120.
  36. Ἐμπύρευμα braucht Philo gern von der Glut, die das Feuer erzeugt; so Über die Opfer Abels § 123 (neben σπέρμα, wie hier); Leben Mosis II 65 (Mitteilung Leisegangs).
  37. Nach Plato, Phädrus 245 a.
  38. Nämlich als Erben, nicht als Sohn. Vgl. dagegen Siegfried, Philo von Alexandria S. 146, der Elieser für einen Sohn Abrahams hält. Das sagt Philo nirgends; es wäre auch unvereinbar mit § 2 u. 61.
  39. משק‎ = מנשיקה‎ wörtl. „aus einem Kusse“; s. aber § 42.
  40. Das stimmt nicht ganz, denn φιλεῖν (sc. τῷ στόματι) bedeutet auch: küssen (s. § 44) und φίλημα (Kuß) kommt ja von φιλεῖν.
  41. Vgl. Alleg. Erkl. II § 5.
  42. Ebenso Sept. statt der aktiven Form des Urtextes: „du hast mich nicht küssen lassen.“
  43. Nämlich die Töchter Labans, d. h. nach Philos. allegorischer Deutung die Tugenden.
  44. Meist urteilt Philo in den allegorischen Schriften über Jithro ungünstig : s. die Anm. zu Über die Landwirtschaft § 43.
  45. ἐφίλησεν αὐτὸν, die Übersetzung von וישק לו‎, bedeutet natürlich: er küßte ihn.
  46. Vgl. Über die Riesen § 13 u. Anm. Die göttliche Lebensweise ist die der reinen Geister und Engel, die im Luftraum wohnen. Die irdische haben die, die nur für den Körper leben und mit ihm untergehen oder in der Unterwelt ein Schattendasein führen. Mit dieser Einteilung ist freilich das folgende schwer vereinbar. Wenn Moses die göttliche Lebensweise lobt und krönt, so will er sie doch empfehlen, also wird auch sie auf Erden möglich sein. Außerdem können nicht „die übrigen zwei“, die gemischte und die irdische, der Vernunft und Sinnenlust entsprechen, sondern die göttliche und die irdische.
  47. Die göttliche, wörtlich: die auf Gott gerichtete (τὸ πρὸς θεόν) und die irdische, die auf die Kreatur (τὸ πρὸς γένεσιν) gerichtete, nach dem Vergänglichen strebende Lebensweise.
  48. Die Stelle ist textkritisch unsicher.
  49. Die Lehre, daß die Tugend wegen ihrer Strenge verhaßt sei, findet sich bei Philo häufig, und zwar mit ähnlicher exegetischer Anknüpfung; vgl. Über die Nachkommen Kains § 135 und Anm. Das hier gegebene Bild von WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt der Strenge des Weisen entspricht im allgemeinen dem älteren stoischen Ideal (Stoic. Vet. Fragm. III 637ff.), an dem die jüngere Richtung nicht ohne Einschränkung festhielt; indem Philo dem Weisen auch das Lachen (γέλως) abspricht, setzt er sich freilich mit seiner Deutung des Isaak als des berechtigten „Lachens“ in Widerspruch. Die tief pessimistische Auffassung des Zuges des Menschen zur Sünde widerspricht dagegen der stoischen Lehre, daß das Sittliche das uns Anziehende sei (Stob. II 100, 21 Wachsm. καλόν = καλοῦν; danach Sen. Ep. 118, 8 bonum est quod invitat animos, quod ad se vocat); aber auch sie konnte in der stoischen Lehre von der Unerreichbarkeit des Ideals des Weisen eine Stütze finden; Optimismus und Pessimismus sind in dem stoischen Bilde vom Menschen ebensowenig zu vollem Ausgleich gekommen wie in dem Weltbild der Schule (Caird, Die Theologie in der griechischen Philosophie S. 358 der deutschen Ausgabe). I. H.
  50. Vgl. Über Abraham § 25.
  51. πρεσβύτερα bedeutet älter, aber auch dem Range nach höher stehend, vgl. All. Erkl. III § 191.
  52. Die eingeklammerten Worte sind wohl mit L. Cohn als unecht zu betrachten.
  53. Philo nimmt offenbar den Bedingungssatz והיה הבן הבכר לשניאה‎ als Hauptsatz. Ähnliche (wohl nicht unabsichtliche) Mißverständnisse sind im Midrasch häufig, z. B. zu 3 Mos. 12, 2.
  54. Joseph, der Sohn der Rahel (§ 51!), bleibt immer „jung“, d. h. unreif: Über die Unveränderlichkeit Gottes § 120 und Anm.
  55. All. Erkl. II § 48, Über d. Geburt Abels § 19, Über die Nüchternheit § 18 u. ö.
  56. Dem Unterschied von „Kuß“ und „Liebe“.
  57. S. All. Erkl. III § 180.
  58. Hier macht sich eine ähnliche Inkonsequenz geltend wie § 45 (s. die Anm.): zuerst wird festgestellt, daß jeder von uns die Sinnlichkeit ehrt (jeder, der ehrt hieße πᾶς ὁ τιμῶν), dann wird dies sinnliche Leben § 52 und 57 nur auf die begrenzte Zahl der „seelisch Toten“ beschränkt. Philos Quelle deutete Eva, die Sinnlichkeit, offenbar als Mutter aller Menschen, woraus die pessimistische Auffassung der §§ 45 und 47 sich ergab. Zu der pessimistischen Auffassung der Menschen vgl. auch § 107.
  59. Vgl. Über die Landwirtschaft § 95 u. 97.
  60. Vgl. de somniis II § 234, de fuga § 55, ferner § 290 und 292 in dieser Schrift, All. Erkl. I § 107 nebst Anm.
  61. Oben § 40.
  62. דמשק‎ = דַּם שַׂק‎. Auch das griechische Wort bedeutet wie ein grobes härenes Gewand.
  63. Der führende oder herrschende d. i. der vernünftige Seelenteil, ἡ διάνοια s. § 232.
  64. Sept. liest V. 11 דמו‎ statt בדם‎ und läßt in V. 14 בנפשו‎ unübersetzt. Vgl. auch 5 Mos. 23, 12. [Die biblische Lehre, daß die Seele im Blute ist, steht mit der stoischen Anschauung, daß das Prinzip alles Lebens (und Zusammenhalte) im Pneuma, einem warmen, ausdehnungsfähigen Lufthauch, zu suchen sei, in unlöslichem Widerspruch. Über Philos Lösung vgl. Leisegang, Der heil. Geist I 94ff. Sie beruht darauf, daß er den Unterschied zwischen dem „führenden“ (vernunftbegabten) Teil der Seele und der Gesamtseele, den auch die Stoa anerkennt, in Anlehnung an Aristoteles' Unterscheidung der „Seele“ als Lebensprinzips und des „Geistes“ als Denkorgans weiterführt. I. H.]
  65. Da ὄχλος αἰσθήσεων von Philo oft gesagt wird (Leisegang brieflich), hat der von Mangey beanstandete Ausdruck nichts Auffälliges.
  66. Vgl. § 231.
  67. Wir versuchen, wenn auch vielleicht etwas zu scharf, den von Philo beabsichtigten Unterschied zwischen βιοῦν (das gern mit Bezug auf den Lebensinhalt gebraucht wird) und ζῆν wiederzugeben.
  68. Auch zu dieser Lieblingsvorstellung Philos vgl. Leisegang a. a. O.
  69. Elieser = אלי עזר‎.
  70. Nach dem Μ. T. „von dem Schwerte.“
  71. Über Pharao vgl. Über die Geburt Abels § 48 u. Anm.
  72. Siehe die Anm. zu § 56.
  73. „Vater“ ist für Philo der Geist, „Mutter“ die Sinneskraft, vgl. Über die Einzelges. I § 333f. und Über die Cherubim § 57 zur Vereinigung Adams, des νοῦς, mit Eva, der αἴσθησις.
  74. Mangey übersetzt ἀρχή dominatus (die Herrschaft) mit Bezug auf De mutatione nominum § 77. Dort wird Sara (ihr erster Name), als „meine Herrschaft“, der zweite, Sarra als „Herrscherin“ erklärt. In Wahrheit meint Philo das mutterlose Prinzip der Pythagoreer (Über die Weltschöpfung § 100, All. Erkl. I § 15), wenn auch der Anklang an ἀρχή und ἄρχουσα beabsichtigt ist.
  75. Während die § 55 verwertete Scheidung zwischen Lebenskraft und Denkseele an Aristoteles anknüpft, hat Philo hier die platonische Dreiteilung (νοῦς, θυμός und ἐπιθυμητικόν) im Auge; sie wurde auch von Panätius und Posidonius grundsätzlich anerkannt, doch ist die Scheidung bei Philo schroffer. Die Verquickung dieser Theorien miteinander (§ 65!) und mit der Lehre von der Blutseele ist für Philos unkritsche Art bezeichnend. I. H.
  76. Mit αὐτοδίδακτος und αὐτομαθής wird von Philo stets Isaak charakterisiert, s. z. B. Über Joseph § 1.
  77. Die Sept. hat καὶ εὐθύς. Ähnlich wie Philo erklärt auch Nachmanides das Wort והנה‎.
  78. In diesen Bibelvers sieht Philo einen Hinweis auf die prophetische Ekstase (s. weiter unten § 249 und 258), die nach ihm die höchste Erkenntnis vermittelt. Da der Ekstatiker sich nicht nur von den Fesseln des Körpers losgelöst glaubt, sondern sich auch seiner Sinnes- und Denktätigkeit entäußert, so muß Philo diese beiden Erkenntnisquellen als trüglich erklären, WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt insbesondere die von der Stoa hochgeschätzten „Kriterien“ der Wahrheit verwerfen. Solche Anleihen bei der Skepsis zur Empfehlung der reinen Intuition sind bei ihm nicht selten.
  79. So übersetze ich hier und § 71 (ebenso Über Abr. § 29) das vieldeutige λόγος, wofür Philo De migr. Abr. § 2 und 12 genauer λόγος ὁ κατὰ προφοράν sagt, das dem stoischen λόγος προφορικός entspricht. Gemeint ist das zu den sieben vernunftlosen Seelenteilen (s. § 232) gezählte Sprachvermögen. Denn was von diesen § 71/72, 85 u. 109 ausgesagt ist, geht über die bloße Redefähigkeit hinaus; es ist schon mehr Redefertigkeit, Beredsamkeit, kunstvolle oder sophistische Dialektik, also der λόγος, in den der νοῦς „aus sich heraus Kräfte und Tätigkeiten streut“ oder sie erzeugt: De migr. Abr. § 3. Trotzdem will Philo diesen λόγος scharf geschieden wissen von der eigentlichen Vernunft, dem reinen sprachlosen Denken, dem λόγος ἐνδιάθετος. A. a. Ο., wo er den Bibelvers in gleicher Weise allegorisch erklärt, sieht er in dem Haus des Vaters den λόγος κατὰ προφοράν und in dem Vater den νοῦς, der in dem λόγος wohnt und wirkt, wie Gott in seinem λόγος, der in der Welt wirkenden göttlichen Weisheit.
  80. S. Über die Weltschöpfung S. 51 Anm. 4.
  81. Mit der geistigen Redekraft, dem λόγος κατὰ διάνοιαν s. oben § 4.
  82. S. die Anm. 4 zu § 246 über die Kriterien der Sinnlichkeit.
  83. Die auf ihre Richtigkeit geprüften Vorstellungen s. § 132 u. die Anm. daselbst.
  84. Dies bezieht sich wohl auf Platos berühmtes Höhlengleichnis im Anfang des 7. Buches vom Staat.
  85. Ἀνατιθέναι doppelsinnig wie ἀναφέρειν: Über die Unveränd. G. § 4 und Anm.
  86. Auch dieser Kosmos, nämlich der Himmel, ist das Pantheon oder die „hochheilige Wohnung“ sichtbarer „Götter“ oder „göttlicher Wesen“, wie Philo die Gestirne bezeichnet (s. Über d. Weltsch. § 27 u. Anm. und hier weiter unten § 176), wenn er auch als Monotheist deren Anbetung, da sie Werke Gottes sind, verpönt, Über die Einzelges. I § 15.
  87. Das Wort νοητῶν, das sich nur in der vorzüglichen Papyrushandschrift von Koptos findet, während es in allen übrigen fehlt, ist offensichtlich ein Schreibfehler für ὁρατῶν, vgl. § 98 und 289. ἐξ ἡμῶν = ἐκ τοῦ ἡμῶν κόσμου.
  88. Die Sept. sieht in den 3 Zeitwörtern ונתנך־ולברך־יפתח‎ nicht Verheißungen sondern Segenswünsche. Vgl. Über d. Unveränderl. Gs. § 156 εὔχεται Μωυσῆς.
  89. Den vier Hauptaffekten (s. weiter § 269) stellen die Stoiker drei gute Seelenstimmungen (εὐπάθειαι, constantiae) gegenüber: das vernünftige Wollen, die vernünftige Freude und die Vorsicht. Vgl. v. Arnim StVFr. III S. 105ff.
  90. S. Über Abraham S. 108 Anm. 2.
  91. Wohl eher neutral „sich an das Niedere, Unterirdische gewöhnt haben“; gegen Mangey, der ὕλῃ oder ὕλαις schreiben will; vgl. § 45. I. H.
  92. S. weiter § 191 und Alleg. Erkl. III, 175. Ferner vgl. Zur Lehre vom Logos bei Philo von L. Cohn (in der Festschrift Cohen) S. 327.
  93. D. i. außerhalb des Tempels. Diese Redewendung beruht darauf, daß Weihekessel mit Sprengwasser an den Eingängen der griech. Tempel standen. Vgl. Über die Unveränderlichkeit G. § 3: außerhalb des Tempels der Seele. S. auch Stephanus Thes. s. v. – Auch dem Waschbecken (כיור‎) weist Ph. seine Stellung an „außerhalb der Vorhalle an den Eingängen“ im Widerspruch mit 2 Mos. 30, 18f. Leben Mosis II § 136.
  94. Verwandte Anschauungen über die Freundschaft sind bereits vor Philo aus pythagoreischem Denken in die Stoa eingedrungen: Heinemann. Poseid. met. Schr. II 165ff., 236. I. H.
  95. So deutet Philo den Bibelvers, obwohl der einfache Sinn, daß kein anderer Mensch während der Sühnung im Heiligtum sein soll, ihm nicht entgangen sein kann.
  96. Des λόγος προφορικός, s. Anm. zu § 69.
  97. S. weiter unten § 283.
  98. Vgl. Über die Einzelges. I § 85 und Anm.
  99. Vgl. Über die Weltsch. § 82 Anm. 2. Nach Plato (Tim. 90Aff.) ist es unsere Aufgabe, unser Denken den rhythmischen Bewegungen des All anzugleichen.
  100. Die religionsgeschichtliche Bedeutung dieser Stelle, an welcher Philo „das stoische Ideal der unerschütterlichen Überzeugung ins Religiöse überträgt“, würdigt Bousset, Kyrios Christos 175f. Es klingt aber nicht nur, wie er hervorhebt, die biblische Idee des Glaubens als Vertrauens auf Erfüllung der göttlichen Weissagung nach, sondern auch das Ideal des Gottvertrauens (בטחון‎). I. H.
  101. So auch Sept. statt „Ur“.
  102. Vgl. Über Abrah. § 77ff.
  103. Eine gleichmäßige Bewegung (κίνησις ὁμαλής), eine in jedem Zeitmoment mit derselben Geschwindigkeit verlaufende Kreisbewegung hat nach Aristoteles der erste Himmel, die Fixsternsphäre, s. Kappes, Die aristotelische Lehre über Begriff u. Ursache der κίνησις. Bonn 1887 S. 22. – Der Name Chaldäer soll Gleichmäßigkeit bedeuten; vielleicht erklärte man כשדיה‎ = כְּשָֺדֶה‎ „wie ein ebenes Feld“ und שדה‎ als Gegensatz zu הר‎?
  104. Stellen, wie die vorliegende, beruhen auf der platonischen (ganz unstoischen) Voraussetzung, daß es eine wahre Erkenntnis nur vom Geistigen gibt, und außerdem auf der weitverbreiteten Voraussetzung, daß der Geist bei den Objekten seiner Forschung weilt. I. H.
  105. Vgl. Über Abraham § 72ff. und hier § 289. Die Bezeichnung Gottes als „Meister und Vater“ entlehnt Philo aus Platons Tim. 28c.
  106. Philo versteht, wie τρόπον καθ' ὃv und das folgende beweist, den Bibelvers: „auf welche Weise werde ich (wie ich erkennen werde) es erben“. Der folgende Einwand zeigt, daß er den wahren Sinn natürlich kennt.
  107. Vgl. Über die Unveränderlichkeit G. § 5f. Der Gedanke in 1 Chron. 29, 14.
  108. Das griechische χάρις bedeutet Gnade und Dank; ein passendes Wort, das beide Begriffe ausdrückt, haben wir im Deutschen nicht.
  109. S. weiter § 125ff.
  110. Das hier angewandte ἀνατιθέναι bedeutet nicht nur weihen sondern auch, wie ἀναφέρειν, zuschreiben. So erklärt es sich, daß Philo hier verlangt, Gott als Urheber der Tätigkeiten anzuerkennen und § 110, sie ihm zu widmen (vgl. zu § 74).
  111. Vgl. weiter § 268f. Die stoische Definition von πάθος (Affekt) gibt Philo Über d. Einzelges. IV § 79.
  112. Die Sept. übersetzt תרומה‎ mit ἀπαρχαί, das eig. Erstlinge bedeutet, hier aber im Sinne von „Opferspenden jeder Art“ zu nehmen ist. Gewöhnlich bedeutet ἀπαρχαί den für den Altar bestimmten Opferteil, wie § 253.
  113. Hier wie öfters bei Philo gleichbedeutend mit „Gott“. In dem folgenden Paragraphen wird sogar „die Natur“ (ohne das Attribut der Unsichtbarkeit) in Anlehnung an den stoischen Pantheismus im Sinne von „Gott“ gebraucht.
  114. Zu ganz ähnlicher Beurteilung der physiologischen Ursachen gelangt Jehuda Halevi (Kusari I § 77) nach anderen philosophischen Quellen, eben aus dem gleichen religiösen Motiv.
  115. Philo umschreibt in überschwenglicher und daher unklarer Weise den Gedanken, der aus Aristoteles (= Jambl. Protr. IX ) in die Stoa (Sen. Ep. 90, 23 nach Posidonius) eindrang: daß die menschliche „τέχνη“ (griechisch = Wissenschaft und Technik) nur auf Nachahmung der Natur beruht. Vgl. Jaeger. Aristoteles (1923) S. 75ff.; Heinemann, Pos. met. Schr. II 203, 3. I. H.
  116. Über dieses Zitat vgl. Über die Nachst. § 64 u. Anm.
  117. S. zu § 118.
  118. Philo leitet πρωτογενής von γένος Gattung ab und verwendet den aristotelischen Gedanken, daß die Gattung im Gegensatz zum Individuum unvergänglich ist.
  119. Ich übersetze nach der Lesart des Venetus H.: καὶ εἴ τι συνόλως μ. διοιγνύει. Die Lesart des Papyrus: καὶ εἴ τις καὶ συνόλως μ. διοιγνύειν gibt nur dann einen Sinn, wenn man mit L. Cohn das zweite καὶ in ἱκανὸς oder mit Wendland ὃς οἶός τε für καὶ εἴ τις liest.
  120. Der Logos; vgl. die Einleitung zum I. Bd. S. 16.
  121. Das Wort τέλος, das an dieser Stelle „Zollabgabe“ bedeutet, faßt Philo im eigentlichen Sinne.
  122. § 116.
  123. τέλειος (vollkommen, vollendet) ist der, der das Endziel (τέλος) erreicht hat.
  124. Der sehr wichtige Gedanke, daß der Opferdienst nicht Gottes wegen, sondern des Menschen wegen da ist, findet seine Parallele: Über die Einzelges. I § 67. Danach ist der Tempel eingerichtet zur Betätigung des frommen Dranges der Menschen. Wenn auch der Gedanke, daß Gott selbst keinen Kultus braucht, der Bibel (z. B. Jes. 66, 1; Ps. 50, 8ff.) und dem Midrasch (Guttmann, MGWJ. 1879, 266) nicht fremd ist, so weist doch die Begründung auf dieselbe philosophische Quelle, aus der Dion von Prusa 12, 60 die Errichtung von Tempeln herleitet: aus dem Drang (ὁρμή) nach dem Göttlichen entstand das Sehnen, es in der Nähe zu ehren. Diese Quelle war höchstwahrscheinlich Posidonius; vgl. Heinemann ebd. II 131. I. H.
  125. Diese Worte „deren Lösegeld sollen sie sein“ hat auch die Sept., doch nicht der Urtext. τὰ λύτρα bedeutet Sühnemittel und Lösegeld; Philo verwertet hier die zweite Bedeutung. „Die L. sind deren Lösegeld“, d. h. sie haben die Aufgabe, durch ihre Fürbitte die anderen Volksgenossen, aus Druck und Knechtschaft zu erlösen.
  126. Die folgenden Attribute sind wohl eher auf die Seele zu beziehen (eine noch nicht eingejochte Seele); anders Mangey; vergleiche aber die Deutung der anderen Tiere. I. H.
  127. Wie oben § 69 u. 71 die durch die Sprache sich äußernde Vernunft, der λόγος προφορικός.
  128. Philo bringt αἴξ Ziege mit ᾄττω losstürmen zusammen; ebenso Quaest. in Gen. II S. 171A.
  129. Vgl. § 230ff.
  130. Philo deutet wohl περιστερά Taube = περὶ στερρά um das Feste; aus gleichem Grunde ist sie ihm Quaest. in Gen. II S. 175A. Symbol der die Himmelskörper „umschweifenden“ Seele, während die Turteltaube das Unkörperliche sucht. I. H.
  131. Da Philo den hebr. Urtext der Bibel nicht kennt, so setzt er den Namen Σεπφώρα, der hier für שִׁפְרָה‎ (das die Sept. שִׁפֹּרָה‎ las) steht, mit צפרה‎, dessen richtige Etymologie er kennt (Über die Cherubim § 41), gleich. Die Deutung des zweiten Namens Phua als „rot“ beruht auf der Identifikation von פועה‎ mit פואה‎ (M. Sabb. IX 5), der zur Familie der Krappflanzen gehörigen Färberröte, deren Wurzel gelbroten Farbstoff enthält. Vgl. Sachs, Beiträge I S. 149.
  132. Ich verbinde δεῖγμα ἐναργέστατον mit dem vorhergehenden Satze, nicht mit dem folgenden. Der Punkt nach ἄξιον ist zu streichen.
  133. Ohne zu sagen, wer geteilt hat. Daß Gott Subjekt ist, folgt aus dem vorangehenden Dativ: er brachte ihm alle diese und er teilte sie.
  134. Über den Logos als Teiler vgl. Bréhier S. 86ff. und Heinze, die Lehre vom Logos S. 226ff.
  135. Die Sept. sagt nur, daß die Platten zerschnitten wurden; keinesfalls ist der Logos Subjekt.
  136. Unter Vorstellung (φαντασία) verstehen die Stoiker den Abdruck eines Gegenstandes in der Seele (τύπωσις ἐν ψυχῇ), d. h. das Bild, das die sinnliche Wahrnehmung in der Seele erzeugt und das in ihr zurückbleibt, auch wenn ihr der Gegenstand entrückt ist, s. Über d. Unveränderl. Gottes § 43 und Anm. Entspricht nun dieses Bild vollkommen dem Objekt, so heißt die Vorstellung καταληπτική, und wenn nicht, ἀκατάληπτος. Da die erste Bezeichnung, wie alle Adjektive auf -ικός, aktiven Sinn hat: „zum Greifen geeignet“, die zweite unzweifelhaft passiv ist: „nicht faßbar“, so schwanken die Ausleger in der Erklärung dieser Ausdrücke, ob sie sich auf das Objekt der Vorstellung oder auf die Vorstellung selbst beziehen. Ausführlich handeln darüber Bonhöffer, Epiktet u. die Stoa S. 161 ff. und Paul Barth, die Stoa S. 66, Anm. 2.
  137. Im Text steht ἐπιστήμη im Plural, denn die göttliche und die menschliche, die auch immateriell ist, sind gemeint. Für ἐπιστήμη gebraucht Philo sonst σοφία und λόγος. S. weiter § 230ff.
  138. Gemeint ist der „Schöpfer“; für Schöpfer, Schöpfung, erschaffen (aus nichts) hat die griechische Sprache keinen Ausdruck.
  139. S. § 151 und Quaest. in Gen. ΙII § 5.
  140. Die Lehre von dem doppelten Feuer wird auf Zeno, den Begründer der Stoa, zurückgeführt. Er nannte das eine τὸ τεχνικόν, das schöpferische, Wachstum fördernde und erhaltende (αὐξητικὸν καὶ τηρητικόν), wie es in den Pflanzen und Lebewesen wirkt und deren Seele und Natur bildet, und das auch die Substanz von Sonne, Mond und Sternen ist. Das andere, das in sich (d. h. wieder in Feuer) die (ihm gereichte) Nahrung umwandelt, nannte er ἄτεχνον, das nicht schöpferische. Vgl. St. V. Fr. I 120, Diels, Dox. 467, Cicero De nat. deor. II 41. Bemerkenswert ist, daß Philo nicht im geringsten den biblischen Schöpfungsbericht heranzieht.
  141. Bewegung ist (nach Aristoteles) in sehr weitem, jede Veränderung einschließendem Sinne verstanden.
  142. Vgl. Alleg. Erkl. II 22 u. Anm., Über die Unveränderl. G. § 35. ἕξις ist hier Konstitution, innere Festigkeit, „Halt“.
  143. Philo verwertet den Doppelsinn von ἰσότης, das wie das lat. aequitas Gleichheit und Billigkeit bedeutet, vgl. weiter § 163 und Über d. Einzelges. IV § 231: „Die Gleichheit ist die Mutter der Gerechtigkeit“.
  144. Der Ausführung des § 144f. liegt die Untersuchung des Aristoteles über die „Gleichheit“ im Staate (Pol. V 1 g. E.) zugrunde.
  145. Ein Talent hatte 6000 Drachmen, 100 Drachmen waren also 1/60 von einem Talent.
  146. Der Tage und Nächte.
  147. D. h. Feuer verhält sich zur Luft wie Luft zum Wasser, und Luft zum Wasser wie Wasser zur Erde, Platon Tim. 32 B. Daselbst heißt es vorher, daß die „Analogie“ (d. i. die Proportion) das schönste „Band“ ist, das das Verbundene eint.
  148. Wendlands Ergänzung γάρ ist wenig wahrscheinlich; zum Asyndeton vgl. etwa § 164 Anfang.
  149. Vgl. Über d. Weltschöpfung § 82 u. Anm. und weiter unten § 263. Über Nachwirkungen in der Gnosis vgl. Leisegang, Die Gnosis 118.
  150. Ein musikalisches Bild; der Vergleich der Welt mit einer harmonisch gestimmten Leier drang in die hellenistische Philosophie (Heinemann, Poseid. met. Schr. I 138, 9) aus der Lehre der Pythagoreer, denen die akustische Bedeutung der Zahlenverhältnisse bekannt war.
  151. Wendland, der (statt ἐπανισώσαι) ἐπανορθώσαι schreiben möchte, übersieht, daß Philo in den (der Bibelzitate wegen) von ihm dem Gedankengang der Quelle zugesetzten §§ 157ff. offenbar mit dem ethischen Nebensinn des Wortes ἴσος arbeitet (zu § 143).
  152. Philo meint, daß δικαιοσύνη mit δίχα zusammenhängt. Zur Sache vgl. die Anm. zu § 143 u. 159.
  153. Vgl. d. Einzelges. II § 190.
  154. S. Anm. zu § 250.
  155. Das Fragezeichen ist vielleicht – trotz der nachträglichen Stellung von γάρ – nach ἀποδέχεται zu setzen.
  156. Über die Gleichheit von Tag und Nacht vgl. oben § 148ff. und Über die Einzelges. IV § 232f.
  157. חרף‎ übersetzt die Sept. hier und Ps. 74, 17; Sech. 14, 8 mit ἔαρ, während gemeiniglich der Winter darunter verstanden wird. Nur Jer. 36, 22 hat sie auch „Winterhaus“, Job 29, 4 wäre Frühling sinngemäß, aber hier bietet die Sept. etwas ganz Unsinniges.
  158. Plato, Tim. 37D.
  159. Vgl. Über d. Weltsch. § 21 u. Anm.
  160. Über die beiden Kräfte s. Einleitung zum 1. Bd. S. 19. Beachtungswert ist, daß hier „der Seiende“ selbst als Teiler erscheint und nicht der Logos; ebenso ist Über Abr. § 121 der Seiende der mittlere zwischen beiden. Dagegen ist es Über d. Cherubim § 27 der Logos, der beide zusammenführt und zwischen ihnen vermittelt.
  161. Säulen nennt Philo die Tafeln nach der griech. Gewohnheit, Gesetze auf Säulen aufzuzeichnen.
  162. Allgemeine Gesetze enthält der Dekalog, da sie die Grundlage bilden zu den übrigen, den sogenannten besonderen (τῶν ἐν εἴδει) oder Einzelgesetzen (τῶν ἐν μέρει). Vgl. Über d. Dekalog § 175.
  163. Die Doppelheit der Tafeln erklärt Philo mit der Doppelheit der Seele im Hinblick auf die von Posidonius im Anschluß an Plato vertretene Lehre, daß Vernünftiges und Unvernünftiges auf verschiedene Art erzieherisch zu beeinflussen ist (Galen Plac. Hipp. 472f.). I. H.
  164. Philo verwendet den (nicht wiederzugebenden) Anklang von κεκολαμμένη = eingegraben an κολάζειν züchtigen (§ 166) . I. H.
  165. Siehe Bd. II S. 8 Anm. 1 dieses Übers.-Werkes.
  166. Vgl. Über die Einzelges. I § 13ff.
  167. Vgl. Über die Riesen § 59; Über d. Trunkenheit § 109; Über die Einzelges. I § 28ff.
  168. Siehe Einleitung zum 1. Band S. 15, Leben Moses II, 114, Leg. ad Gaium § 6. Festschrift Cohen S. 309.
  169. Vgl. Über die Einzelges. I § 45, Über die Unveränderl. Gottes § 109 u. Anm. – Zur Siebenzahl vgl. § 216 und Über die Weltschöpfung § 100.
  170. Die erste Ursache.
  171. Ebenso in der Abh. Über den Dekalog. In der Sept. zum 2. Β. M. ist die Reihenfolge: Ehebruch, Diebstahl, Mord, zum 5. B, wie im Urtext.
  172. Vgl. 3 Mos. 6, 13ff.; Über die Einzelges. I § 255f. Nach der Tradition brachte nur der Hohepriester täglich dieses Opfer, חביתי כ״ג‎ genannt; der gewöhnliche Priester brachte dieses Opfer nur, wenn er sich zum erstenmal am Opferdienst beteiligte.
  173. Vgl. über die Einzelges. I § 169. Nach Ansicht des Agadisten R. Juda b. Simon ist das tägliche Morgenopfer ein Sühneopfer für die in der Nacht, das Abendopfer eine Sühne für die am Tage begangenen Sünden, Pesikta 55 b u. ö.
  174. Vgl. Über die Unveränd. Gottes § 121 Anm. 3.
  175. Die zwölf Tierkreisbilder, vgl. Über die Einzelges. I § 87. Zum Glauben an die Göttlichkeit der Sterne vgl. das. § 13 u. Anm. Über d. Weltsch. § 27 und oben § 75 u. Anm.
  176. In der Bibel steht nichts von Stammfürsten; das ganze Volk sollte dabei sein. Philo sieht in den dort angeführten Namen nicht die Stämme, sondern deren Ahnen und überträgt sie auf ihre Epigonen, die jeweiligen Stammfürsten.
  177. Ob auch hier von dem göttlichen Logos und dem menschlichen Geist (s. § 182ff., 230 und 236), die Rede ist, ist zweifelhaft. Wahrscheinlich denkt hier Philo an die zweifache Art, wie sich der Menschengeist betätigt; der sich rein erhaltende, tugendhafte wird Gott dargebracht, d. h. kehrt zu Gott zurück, ist unsterblich und der nur für den Körper lebende geht mit diesem unter.
  178. Zu ἀνατιθέναι vgl. die Anm. zu § 108; zur Sache Über die Pflanzung Noahs § 61.
  179. κακοδαιμονία (Unseligkeit) im Gegensatz zu εὐδαιμονία im ethisch vorwurfsvollen Sinne z. B. bei Posidonius (Galen Plac. 470).
  180. Φυγάς heißt auch verbannt; auf diesen Doppelsinn bezieht sich die Deutung.
  181. Mit diesem Worte gibt die Sept. 3 Mos. 16, 8 u. 10 עזאזל‎ wieder. Da ἀποπομπαῖος aktive Bedeutung hat, so verstand der Übersetzer wohl WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt darunter den V. 26 erwähnten משלח‎, aber hier übersetzt er לעזאזל‎ „den zur Freilassung bestimmten“, was der uns aus dem rabbinischen Schrifttum geläufigen Bezeichnung: שעיר המשתלח‎ entspräche. Ob der griech. Übersetzer das schwierige Asasel sich wie אֹזֵל‎ oder מַאֲזִיל‎ erklärt hat, ist zweifelhaft.
  182. Vgl. § 294.
  183. In dem von Philo angeführten Kapitel fungiert Moses als Hoherpriester; eine Änderung des Wortes in ἱεροφάντης oder dgl., wie Mangey will, ist nicht nötig.
  184. Gemäß dem hellenistischen Kosmopolitismus ist Harmonie der Menschen das Endziel der Weisheit: Über die Einzelges. III, 28, Cic. Off. I, 44. I. H.
  185. Vgl. weiterhin § 232 „Gefäße“ κρατῆρες sagt Philo statt „Organe“, um sich des Bibelwortes zu bedienen.
  186. Mangey übersetzt: Sacra scriptura iubet infundi. Aber ὁ ἱερὸς λόγος ist hier wohl nicht, wie sonst, die h. Schrift, sondern der kurz vorher § 184 erwähnte „ganz lautere Geist“, der als ἡγεμονικόν sich bewähren, den andern Seelenteil beherrschen und leiten soll. Vgl. oben § 54ff. und Über die Nachkommen Kains § 126 [Λόγος ist der Hohepriester; vgl. § 182 und die Belege bei Siegfried, Philo 228. I. H.].
  187. Der Schekel (2 Mos. 30, 13).
  188. Vgl. oben § 60 u. weiter § 273.
  189. Derselben, nämlich des Geistes und der Sinnlichkeit.
  190. κλῆρον ἄκληρον eig. ein Anteil, der kein rechter Anteil ist.
  191. Im Texte ἀποπομπαῖον, dasselbe Wort, das oben § 179 für Asasel steht und mit „Absender“ übersetzt ist. Die Deutung ist hier auch fast dieselbe. In der Bibel steht nichts über die Verwendung der andern Hälfte, die doch auch eine „Einheit“, eine Drachme, ist!
  192. Den Logos, siehe oben § 23, auch Über die Pflanzung Noahs § 9 u. Anm.
  193. Ilias 9, 97.
  194. Die Pythagoreer. Vgl. All. Erkl. II § 3 u. Anm.
  195. Die Sept. übersetzt 2 Mos. 16, 16 לפי אכלוεἰς τοὺς καθήκοντας, womit offenbar „die Angehörigen“ gemeint sind (vielleicht las sie לפי אוכליו‎. Die Worte לאשר באהלו‎ gibt sie zur Vermeidung einer Tautologie mit σὺν τοῖς συσκηνίοις wieder). Philo scheint unter καθήκοντες die „sittlich Berechtigten“ zu verstehen.
  196. Siehe oben Anm. zu § 77.
  197. Philo bringt hier Pas-cha, den aram. Ausdruck für פסח‎ mit πάσχειν = affici zusammen, wie wenn es ein griechisches Wort wäre; sonst übersetzt er es mit διάβασις und διαβατήρια aus dem Hebr. S. weiter § 255, Über d. Einzelges. II § 145 Anm. All. Erkl. III § 94 u. Anm. Über die Geb. Abels § 63.
  198. Die vier in der Schrift ausdrücklich genannten Bestandteile mußten gleiches Gewicht haben. So gibt auch T. Onk. das schwierige בד בבד יהיו‎ durch מתקל במתקל יהא‎ wieder. Nach der Tradition waren 11 Spezereien im Räucherwerk.
  199. Auch in der Sept. fehlt das „Und“; im Urtext steht „und Seenagel“.
  200. Über den Unterschied von μῖξις und κρᾶσις s. Über die Verwirrung der Sprachen § 184; v. Arnim, StVFr. II 471.
  201. Den Hohenpriester Aaron. De somniis II § 234ff. urgiert Philo „das Sterben ließ nach“, hörte aber noch nicht auf; durch das Dazwischentreten Aarons, des noch nicht Vollkommenen, zum Ziel Hinstrebenden (ὁ προκόπτων) ließ es nach; es würde aber aufhören, wenn der Vollkommene (ὁ τέλειος) dazwischenträte. Über Aaron vgl. Siegfried, Philo von Alex. S. 192.
  202. ביןzwischen gibt die LXX durch ἀνὰ μέσον wieder, was in der Mitte bedeuten kann.
  203. Auch hier konnte das doppelte ἀνὰ μέσον (für doppeltes בין‎) Philo bedeutungsvoll erscheinen.
  204. Moses ist hier der Philonische Logos, aber De somniis II, 228 das Symbol des vollkommenen Weisen im stoischen Sinne. S. Einleit. zum 1. Bande S. 16.
    [Vielleicht war Philo die Lehre vom Menschen als Mittelglied zwischen Gott und der Schöpfung bekannt, die sich bei dem Bischof Nemesius findet und von W. W. Jaeger, Nemesios von Emesa 102, auf Posidonius zurückgeführt worden ist. I. H.]
  205. S. § 130.
  206. Die Interpunktion der kritischen Ausgabe vor ἀρκτέον ist zu schwach.
  207. ἀποτελέσματα sind die aus den vier Elementen στοιχεῖα geschaffenen Dinge, die vollendeten Schöpfungswerke.
  208. Τέχνη schließt auch die Wissenschaft ein, ebenso im folgenden.
  209. Nach ἀτεχνία ist Semikolon zu setzen; im folgenden werden die von den einzelnen Wissenschaften (Sprachwissenschaft, Mathematik, Biologie) Aufgestellten Gegensatzpaare aufgezählt. I. H.
  210. Vgl. Über die Landwirtsch. § 136, Über die Pflanzung Noahs § 10 u. Anm.
  211. Der Weise ist nach der – wahrscheinlich aus Posidonius geschöpften – Erklärung des Dion von Prusa (12, 47) der wahre Erklärer und Künder der Natur mit Hilfe der Vernunft. I. H.
  212. Schon aus der Erwähnung dieses Philosophen ergibt sich, daß Philo hier in diesem Kapitel (§ 207–213) eine Vorlage exzerpiert, die das heraklitische System und besonders die heraklitische Lehre von den Gegensätzen und ihrer welterfüllenden Harmonie behandelte. Aus derselben Quelle stammt auch Quaest. in Gen. III § 5, wo ebenfalls Heraklit erwähnt ist. Vgl. A. Patin, Heraklitische Beispiele I S. 1ff., ferner Heinze, d. Lehre vom Logos S. 11 u. 226ff. Die Annahme, daß Philo eine jüdische Vorlage benutzt habe (Bousset, Schulbetrieb S. 24), weist Heinemann (MGWJ. 1923, 285) gebührend zurück.
  213. Vgl. § 170 und Über die Weltschöpfung § 99f.
  214. Den göttlichen Geist oder Logos, siehe oben § 188, entsprechend dem stoischen πνεῦμα.
  215. Über die Anfertigung der Stiftshütte hat der hebr. Urtext zwei übereinstimmende Berichte, dagegen gibt die Sept. den zweiten in verkürzter Form und anderer Reihenfolge. Für die Teile und Verzierungen des Leuchters hat sie auch im ersten Bericht andere Bezeichnungen als in der hier angeführten Stelle des zweiten. Es ist beachtenswert, daß Philo schon die verkürzte Form vorlag.
  216. D. h. der § 215 angeführten. Νυνί geht bei Philo gern auf die Textstelle; z. B. § 123 und 249, Über die Nachkommen Kains § 1. Mangey übersetzt unrichtig und beanstandet die Lesung ohne Grund. I. H.
  217. Falls der Text in Ordnung ist, so ist οὖσα (= bestehend aus) zu ergänzen.
  218. Vgl. Leben Moses II § 103.
  219. Über den Vorrang der Sonne vgl. De somn. I § 77, Cumont, Memoires de l'acad. des inscr. 1913, 453, Reinhardt, Kosmos und Sympathie 327ff.
  220. Über diese Reihenfolge der Planeten vgl. Bousset, Schulbetrieb S. 31ff., Reinhardt a. a. O. 131ff.
  221. Philo folgt hier der platonischen Dreiteilung der Seele, dagegen § 232 der stoischen Achtteilung. Ebenso verfährt er in anderen Schriften. Vgl. z. B. All. Erkl. I, 70 und III, 115 mit I, 11 und die Anmerkungen a. a. O. Zur Untergliederung vgl. die Anm. zu All. Erkl. III § 115.
  222. § 199.
  223. Über ἀποτελέσματα s. § 209.
  224. Vgl. Leben Moses' II, 101ff.
  225. Nach der stoischen Lehrmeinung ist jenseits der Welt das unbegrenzte Leere (κενόν). Vgl. Über d. Pflanzung § 7 Anm. 3.
  226. Nach derselben ist das Feuer das Urelement, aus dem die anderen Elemente und die Welt entstanden ist. Diese bleibt nicht ewig, sondern geht wieder, wenn es der Gottheit gefällt, in Feuer auf, worauf wieder aus diesem eine neue bessere Welt geschaffen wird. Gegen diese Weltverbrennung oder Feuerwerdung wendet sich Philo besonders in der Schrift „Über die Ewigkeit der Welt“. Über diese „Feuerwerdung“ und die Art und Weise, wie die Verwandlung erfolgen soll s. Diels, Doxographi Graeci S. 284, Arnim Stoic. Vet. frgm. II 596ff.
  227. Über εἰκών, das Philo als philosophischen Terminus im platonischen Sinne auffaßt, vgl. Horovitz, Untersuchungen zu Philons und Platons Lehre v. d. Weltsch. S. 64; über den Geist als Mensch im Menschen s. Über die Landw. § 9 und Anm.
  228. Der Logos.
  229. Vgl. oben § 184, Über d. Weltschöpfung § 117, All. Erkl. I, 11, Über die Nachst. § 168, Über d. Landw. § 30, Arnim StVFr. II 827ff. Sieben Seelenkräfte zählt Philo Über Abr. § 29.
  230. Der Fixsternkreis. Über den Himmel als ἡγεμονικὸν τοῦ κόσμου vgl. Arnim II 644, Über die Cherubim § 21ff. u. Anm.
  231. Siehe oben § 126ff., wo für den menschlichen Geist (νοῦς) und Gottes Logos Weisheit (σοφία) gesagt ist. Der Wechsel der Ausdrücke λόγος (§ 230, 234), νοῦς (§ 231) und σοφία ist für Philos unexakte Redeweise lehrreich; er ist erklärlich durch seine Neigung, beide mit dem Logos gleichzusetzen (Leisegang, Der heilige Geist 67f.). I. H.
  232. Philo entfernt sich hier sehr weit von dem durchaus materialistischen Gottesbegriff der Stoa und nähert sich der Lehre des Aristoteles von dem „unbeweglichen, von allem Sinnlichen gesonderten Gotte“ (Met. XII 7, 1073 a 4). I. H.
  233. Im hebr. Urtext, den Philo nicht kennt, steht ein anderer Ausdruck, nämlich העיט‎ die Raubvögel, vgl. oben § 128 Anm.
  234. Die Seelen oder Engel, vgl. Über die Riesen § 12ff. und Anm.
  235. Das Gebot „naturgemäßer Lebensführung“ gilt auch für die Tiere: Sto. Vet. Fgm. III 494.
  236. Das Lob gründet sich darauf, daß diese Tiere als rein bezeichnet und zum Genusse erlaubt werden. Vgl. Über d. Einzelges. IV § 100ff.
  237. Vgl. § 184, 274, 276. Aus dem folgenden § 240 ergibt sich, daß auch manche Seelen zur Strafe und Läuterung in menschliche Körper hinabgesandt werden.
  238. Für βαρυδαιμονία gilt das (zu § 179) über κακοδαιμονία Bemerkte.
  239. Die letzten Worte sind ziemlich dunkel und scheinen auch im Widerspruch zu sein mit § 311f. Vielleicht lassen sie sich erklären mit dem Gedanken der Weisheit Salomos I, 3–5: Die lasterhaften, gottverleugnenden Gedanken verjagen den heiligen Geist (πνεῦμα) der Weisheit. [Das πνεῦμα ist für die Stoa zugleich Träger der höchsten, geistig sittlichen, wie der physiologischen und Kohäsionskräfte. Daher kann die κακία als Gegnerin des Pneumatischen im höheren Sinne zugleich den Zusammenhalt der Einheiten (πνευματικὸς τόνος bei Philo) bedrohen. I. H.]
  240. Statt וַיַּשֵּׁב אֹתָם‎ „und er jagte sie weg“ liest die Sept. וָיֵּשֶׁב אִתָּם‎ „er setzte sich zu ihnen“ und Philo ergänzt sinngemäß: um sie fortzujagen.
  241. Das Gegenteil der vier Kardinaltugenden: Einsicht, Selbstbeherrschung, Tapferkeit und Gerechtigkeit.
  242. Die Definition des Triebes (ὁρμή) gibt Philo All. Erkl. I § 30.
  243. Ausführlich handelt Ph. über diese Fragen, in De aeternitate mundi.
  244. Heraklit mit den Eleaten.
  245. S. Über die Nachk. Kains § 35 Anm. 3 das.
  246. Als Prüfungsmittel der sinnlichen Wahrnehmung gelten der Stoa 1. κατάληψις, das Erfassen des Objekts, 2. ἐνάργεια, die Klarheit der Vorstellung und 3. συγκατάθεσις, die Zustimmung. Die Prüfungsmittel des Denkens sind der gesunde Menschenverstand, das richtige Denken (ὀρθὸς λόγος) und die Übereinstimmung bei allen oder den meisten Menschen (consensus gentium).
  247. Die skeptische Schule der Pyrrhoneer mit der sog. mittleren Akademie, die weniger radikal war.
  248. Hier denkt Philo an Sokrates, der sich selbst „Geburtshelfer“ und seine Methode „Geburtshilfe“ nannte, womit er sagen wollte, daß er es versteht, die Gedanken – die Kinder des Geistes – aus der Seele seiner Schüler und Hörer ans Tageslicht zu ziehen. Plato Theaet. 140.
  249. Mit beachtenswerter Naivität setzt hier Philo die griechische Sitte, schwächliche Kinder umkommen zu lassen, voraus, während er sie Über die Einzelges. III 110ff. scharf verurteilt.
  250. Über Ekstase vgl. Bréhier S. 196ff., Leisegang, d. h. Geist. I, 209ff., Heinemann, MGWJ. 64, 16ff.
  251. Das 5. B. Mos. nennt Philo nicht Δευτερονόμιον sondern Ἐπινομίς nach dem Vorgang Platos, der eine so betitelte Schrift als Nachtrag zu seinen Νόμοι, schrieb.
  252. Im Urtext: Jsaak „erschrak“.
  253. Auch hier steht im Urtext ein anderer Ausdruck, nämlich: Sein Herz blieb starr, eig. es hörte auf (zu schlagen).
  254. Hier steht im Μ. T.: das Volk erschrak.
  255. Hier lautet der Urtext „sie schrieen laut.“
  256. In den §§ 252–256 gibt Philo beiläufig eine allegorische Erklärung zu den § 251 angeführten Worten Isaaks (Wendland z. St. in der ed. maior).
  257. D. i. eingefangen und hintergangen; für ויעקבני‎ hat die Sept. dieses hier von Philo angewandte Zeitwort. Vgl. zur Sache All. Erkl. III 190.
  258. Nach dem folgenden: Isaak.
  259. S. die Anm. zu § 113.
  260. Jakob; s. Über Abraham § 52.
  261. Ihr Symbol ist Esau.
  262. Eig. das „Hinübergehen“, die Übersetzung von פסח‎, s. oben § 192.
  263. Vgl. Über die Wanderung Abrahams § 21ff.
  264. Vgl. All. Erkl. II § 25–30.
  265. Vgl. Arnim, StVFr. III 605ff., MGWJ. 64, 25f.
  266. Hier bedeutet „Sonne“ den menschlichen Geist, weiterhin § 307 das Leben. Vgl. auch § 224 und Anm.
  267. D. h. es ist begreiflich, daß erst dann die Ekstase eintritt.
  268. Im Text steht hier πνεῦμα.
  269. Im Urtext aktiv: „Er sprach zu Abr.“ Zur Sache vgl. Über d. Einzelges. I § 65 Anm.
  270. Vgl. Über d. Landwirtschaft § 65 und Anm. Andere Parallelen aus Philo bei M. Apelt, Commentationes philol. Jenenses VIII 101.
  271. Vgl. oben § 109 und Anm.
  272. Lust und Schmerz, Begierde und Furcht gelten bei Plato und der Stoa als die 4 Hauptaffekte. Vgl. Alleg. Erkl. III, 113; P. Barth S. 89.
  273. So auch Mangey. Aber προκηρύξας steht mit παρασχόμενος und δούς parallel; man würde auch «ὁ» ἄφεσιν προκηρύξας erwarten. Προκηρύττειν bedeutet also wohl, „feierlich (öffentlich) verkünden“, also freisprechen. I. H.
  274. τραφείς (eig. genährt) für תקבר‎ hat auch die Sept.; es ist offenbar ein alter Schreibfehler für ταφείς oder ταφήσῃ, der also schon Philo vorlag. Akylas und Symmachus haben ταφείς.
  275. Ich verstehe unter ἡ ψυχή die Seele Abrahams. Nicht nur körperlich hat er sich von ihnen getrennt, sondern auch geistig, mit seiner ganzen Seele, mit seiner neuen Glaubensanschauung. Mangey übersetzt: „deren Seele abgeschieden war“. Aber wenn Ph. mit μετανάστατος ἐγένετο das Hinscheiden meinte, so hätte er wohl den Plural αἱ ψυχαί gesetzt. Zum Genetiv ὧν vgl. § 74 und De congressu § 22.
  276. στοιχεῖα bedeutet nicht nur die vier Elemente, sondern auch die einfachsten Bestandteile der Sprache, die 24 Buchstaben des griech. Alphabets.
  277. Vgl. Über d. Weltsch. § 146 u. Anm.
  278. D. h. die Pythagoreer. Von diesen übernahmen Plato und Aristoteles den Äther als fünftes Element. Nach der stoischen Ansicht (s. oben § 136) ist der Äther ein Teil des Feuerelements (πῦρ σωτήριον oder τεχνικόν).
  279. Gewöhnlich (s. § 56 und 64) nennt Ph. die menschliche Seele nach 1 Mos. 2, 7 einen von oben herabgesandten Hauch (πνεῦμα) und hier einen Teil des Äthers. Vgl. Sextus Emp. adv. phys. I § 71 πυρώδεις ἤ πνευματώδεις, desgleichen Cicero, Tuscul. I 40 spirabiles sive ignei (beide Stellen sind freie Auszüge aus Posidonius). Daß die Seele materiell, wenn auch vom feinsten ätherischen Stoffe sei, scheint Philo selbst abzulehnen, siehe Bousset, Jüd.-christl. Schulbetrieb 11ff. Dafür spricht der Ausdruck ἀσώματος § 66 u. 132. Auch De somniis I § 34 nennt Ph. die Seele ἀπόσπασμα θεῖον (ein göttlich Teil), nicht einen Teil vom Äther. Vgl. auch Über d. Weltsch. § 146, Über d. Pfl. Noahs § 18f. u. Anm.
  280. S. die Einleitung zu dieser Schrift.
  281. Natürlich bildlich. Denn Philo unterscheidet, wie sehr oft (z. B. § 244) äußere und innere Kriege und redet hier von letzteren.
  282. Philo teilt die Glücksgüter und ihre Gegensätze in äußere und innere, die letzteren in körperliche und seelische, vgl. Über Abraham § 219 u. Anm., Über Joseph § 130, Über d. Nachk. Kains § 112 u. Anm. Mit der ausschließlichen Wertung der geistig-sittlichen Güter, die die Stoa lehrte, ist sein Gedanke nicht vereinbar.
  283. Bezeichnenderweise merkt Philo nicht, daß die Allegorisierung dem Schlusse des § 286, Abrahams „Friede“ könne nur ein innerer gewesen sein, den Boden entzieht.
  284. Dieser Vers scheint gemeint zu sein, aber im Texte steht nichts von „Todesschatten“, wohl aber vom „Wohnen in den Zelten der Ruchlosigkeit“.
  285. Anspielung auf den Gleichklang von γῆρας (Greisenalter) und γέρας (Ehrenhaftigkeit).
  286. Vgl. oben § 53, Über d. Riesen § 14 und das bekannte Wort des Talmud רשעים בחייהם קרויים מתים‎ b. Berach. 18b und Jerus. das. 4d.
  287. Vgl. Über die Weltsch. § 166, Über die Einzelges. § 106, Über die Unveränderlichkeit Gottes § 43.
  288. Nach Philo ist also der Mensch von Geburt an nicht sündhaft und schlecht; er wird es erst später durch seine Umgebung, durch die Verführung und das Beispiel seiner Lebensgenossen. Dasselbe sagt er Über d. Geburt Abels § 15. Vgl. auch All. Erkl. I § 61. [Es ist jedoch zu beachten, daß nach dem folgenden die Seele die κακά zum Teil „aus sich erzeugt“. Diese unklare Angabe ist mit der altstoischen Lehre, daß die διαστροφή nur aus Sinnenschein und bösem Beispiel stamme (VStFg. III 228), kaum vereinbar und scheint unter Posidonius' Einfluß zu stehen, der eine angeborene Neigung zur ἡδονή annahm. Vgl. die Fragmente bei Galen Plac. 424, 463 und den m. E. aus ihm stammenden Auszug bei Cicero De leg. I 47; dazu Poseid. met. Schr. II 245. I. H.]
  289. Diese durchaus ungünstige Auffassung des Kindesalters steht zu derjenigen der Bibel (Psalm 8,3) und des rabbinischen Judentums im Gegensatz; sie ist kennzeichnend für alle Weltanschauungen, die sich die sittliche Bildung nur auf gelehrter Grundlage denken können; vgl. Jonas Cohn, Befreien und Binden, 1926, 21. I. H.
  290. Wörtlich: der vierten Zahl, nach pythagoreischer Voraussetzung wirken die Zahlen auf die Dinge.
  291. So ist wohl ἀσθενέστεροι gemeint; vgl. Über die Trunkenheit § 55.
  292. Die Stoiker teilten nicht den griechischen Volksglauben, nach dem selbst die Götter dem blinden Fatum unterworfen sind. Sie sahen im Fatum eine strenge kausale Fügung, s. v. Arnim, Die stoische Lehre von Fatum und Willensfreiheit, und Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa S. 244ff.
  293. Vgl. oben § 228, Über d. Einzelges. I 14 u. ö.
  294. Von אמר‎ sprechen.
  295. Gemeint sind die sog. Sophisten.
  296. Die Urim und Tummim (2 Mos. 28, 30) werden in der Sept. mit δήλωσις und ἀλήθεια übersetzt. Unter δήλωσις versteht Philo hier und All. Erkl. III § 120 Klarheit, dagegen Leben Mosis II § 127f. und Über d. Einzelges. I § 88ff. Offenbarung.
  297. Die hier von Philo angewandten Ausdrücke ἄδηλον = incertum, πιθανόν das Glaubhafte, Glaubwürdige, aber nicht absolut Wahre usw. sind termini aus der stoischen Erkenntnistheorie, siehe Schmekel S. 344ff.; Windelband, Gesch. der alten Philosophie S. 199.
  298. Für עלטה‎ (Finsternis) hat auch Sept. hier φλόξ (Flamme), während sie בעלטה‎ Ez. 12, 6. 7. 12 mit κεκρυμμένος (verhüllt) wiedergibt, also = בלט‎ oder בלאט‎.
  299. ἀμέριστος ist als (zweiter) Versuch der Deutung von Ἀμορραῖος gemeint. I. H.
  300. Zur günstigen Auffassung von N. und A. vgl. All. Erkl. II § 57 u. Anm.
  301. Vgl. oben § 98 u. 99.
  302. Für das unverständliche τομεῦσιν liest Mang. nach Marklands Konjektur τιμῶσιν. Ich denke, passender wäre ταμίαις. Seinen treuen Dienern, die die ihnen von G. anvertrauten Güter sorgfältig bewahren und verwalten (oben § 74 u. 102ff.), wird auch herrliches Gut und Glückseligkeit aufbewahrt. Vielleicht denkt Philo an Ps. 31, 20. Schwierig bleibt immerhin am Ende des Satzes τὴν γένεσιν.
  303. Philo leitet vielleicht Euphrat von εὐφραίνειν ab (Mangey). Andere Deutungen des Wortes s. All. Erkl. I 72 und Anm.
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