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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

göttlich; in dem Augenblick aber, da er irgendeinem menschlichen Anliegen dient, ist er verwandelt, vom Himmel herabgestiegen, oder vielmehr zur Erde gefallen, „geht er hinaus,“ [p. 485 M.] auch wenn der Körper noch drinnen bliebe. 85 Sehr richtig also heißt es: „Hinaus führte er ihn auswärts“ – außerhalb der Fesseln des Körpers, der Schlupfwinkel der Sinnlichkeit, der Klügeleien der trügerischen Beredsamkeit[1] und schließlich aus sich selbst und aus dem Wahne, nach eigenem freien und selbstherrlichen Willen zu denken und zu begreifen.

[17] 86 Er führte ihn aber hinaus und sprach: „Blick empor zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst. So wird deine Nachkommenschaft sein“ (1 Mos. 15, 5). Sehr schön sagt er: So wird sie sein und nicht soviel, den Sternen gleich an Zahl. Denn nicht die Menge allein, sondern noch viel anderes, was zur vollkommenen Glückseligkeit gehört, will er damit zum Ausdruck bringen. 87 „So wird sie sein,“ sagt er, wie das sichtbare Ätherische,[2] ebenso himmlisch, ebenso voll schattenlosen reinen Glanzes – denn verbannt ist aus dem Himmel die Nacht und aus dem Äther die Finsternis[3] –, vollends den Sternen gleichend, schön verteilt, in unverrückbarer, sich stets gleich bleibender Ordnung. 88 Denn er will, daß die Seele des Weisen ein Ebenbild des Himmels, ja, wenn ich es übertreibend aussprechen darf, einen irdischen Himmel darstellen soll, daß sie gleichwie im Äther in sich habe: reine Wesen, geordnete Bewegungen, harmonische Reigentänze, göttliche Kreisläufe, sternengleiche, leuchtende Strahlen von Tugenden.[4] Wenn es aber unmöglich ist, die Zahl der sinnlich wahrnehmbaren Sterne zu finden, wird das nicht um so mehr der Fall sein bei den geistigen? 89 Denn ich meine, in demselben Maße wie das eine urteilende (Subjekt) besser oder schlechter als das andere ist, unterscheiden sich auch die beurteilten (Objekte). Nun ist der Geist besser als die Sinne, und diese sind stumpfer als die Vernunft; folglich übertrifft das vom Geist Erfaßte an Menge bedeutend das von den Sinnen Wahrgenommene. Denn die leiblichen Augen sind nur ein winziger Bruchteil von der Sehkraft

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/30&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Des λόγος προφορικός, s. Anm. zu § 69.
  2. S. weiter unten § 283.
  3. Vgl. Über die Einzelges. I § 85 und Anm.
  4. Vgl. Über die Weltsch. § 82 Anm. 2. Nach Plato (Tim. 90Aff.) ist es unsere Aufgabe, unser Denken den rhythmischen Bewegungen des All anzugleichen.