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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

gehütet hat. 130 Hierauf sagt er zum Schluß: „teilte sie mitten durch“, ohne das „Wer“ hinzuzusetzen,[1] damit man an den unzeigbaren Gott denke, der nacheinander sämtliche scheinbar harmonisch zusammengesetzten und vereinten Wesenheiten der Körper und Sachen mit dem Teiler aller Dinge, mit seinem Logos,[2] zerlegt, der, zur schärfsten Schärfe gewetzt, niemals zu zerteilen aufhört. 131 Denn sobald dieser Teiler alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge bis zu den Atomen, den sogenannten unteilbaren Teilchen, geteilt hat, wendet er sich von diesen weg und beginnt das mit dem Geiste Geschaute in unsagbar und unbeschreiblich viele Teile zu zerlegen, und „die dünnen Goldplatten zerschneidet er zu Härchen“ (2 Mos. 39, 3), wie Moses sagt,[3] der Länge nach ohne Breite, ähnlich den unkörperlichen Linien. 132 Jedes der drei genannten teilte er mitten durch: die Seele in den vernünftigen und unvernünftigen Teil, die Sprache in Wahrheit und Lüge, die Sinneskraft in die Vorstellung, die das Objekt erfaßt und in diejenige, die nicht faßbar ist[4]. Diese Teile „stellt er einander gegenüber“ (1 Mos. 15, 10), das Vernünftige dem Unvernünftigen, das Wahre dem Falschen, das (richtig und klar) Erfaßte dem nicht Erfaßten, während er das „Beflügelte ungeteilt ließ“ (das.); denn die unkörperliche, göttliche Erkenntnis kann nicht in sich bekämpfende Gegensätze geteilt werden.[5]

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/40&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Ohne zu sagen, wer geteilt hat. Daß Gott Subjekt ist, folgt aus dem vorangehenden Dativ: er brachte ihm alle diese und er teilte sie.
  2. Über den Logos als Teiler vgl. Bréhier S. 86ff. und Heinze, die Lehre vom Logos S. 226ff.
  3. Die Sept. sagt nur, daß die Platten zerschnitten wurden; keinesfalls ist der Logos Subjekt.
  4. Unter Vorstellung (φαντασία) verstehen die Stoiker den Abdruck eines Gegenstandes in der Seele (τύπωσις ἐν ψυχῇ), d. h. das Bild, das die sinnliche Wahrnehmung in der Seele erzeugt und das in ihr zurückbleibt, auch wenn ihr der Gegenstand entrückt ist, s. Über d. Unveränderl. Gottes § 43 und Anm. Entspricht nun dieses Bild vollkommen dem Objekt, so heißt die Vorstellung καταληπτική, und wenn nicht, ἀκατάληπτος. Da die erste Bezeichnung, wie alle Adjektive auf -ικός, aktiven Sinn hat: „zum Greifen geeignet“, die zweite unzweifelhaft passiv ist: „nicht faßbar“, so schwanken die Ausleger in der Erklärung dieser Ausdrücke, ob sie sich auf das Objekt der Vorstellung oder auf die Vorstellung selbst beziehen. Ausführlich handeln darüber Bonhöffer, Epiktet u. die Stoa S. 161 ff. und Paul Barth, die Stoa S. 66, Anm. 2.
  5. Im Text steht ἐπιστήμη im Plural, denn die göttliche und die menschliche, die auch immateriell ist, sind gemeint. Für ἐπιστήμη gebraucht Philo sonst σοφία und λόγος. S. weiter § 230ff.