Ueber das Leben Mosis/Buch 2

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Buch 1 Philon
Ueber das Leben Mosis
[[Ueber das Leben Mosis/|]] »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
[298]
UEBER DAS LEBEN MOSIS
Zweites Buch

1 (1.) Das erste Buch handelte von Moses’ Geburt und [II p. 134 M.] seiner ersten Pflege, ferner von seiner Erziehung und von der Herrschaft, die er nicht bloss vorwurfsfrei, sondern auch sehr rühmlich geführt hat, sowie von seinen Taten in Aegypten, auf den Wanderungen am roten Meere und in der Wüste, Taten, die eigentlich für jede Fähigkeit der Darstellung zu gross sind, ausserdem von den Mühsalen, die er glücklich bestand, und von der teilweise durch ihn erfolgten Landanweisung an die Teilnehmer des Zuges; das vorliegende Buch handelt nun von dem, was damit in engem Zusammenhange steht. 2 Man sagt ganz zutreffend, dass die Staaten nur dann zu günstigeren Verhältnissen fortschreiten können, wenn entweder die Könige Philosophen werden oder die Philosophen Könige[1]. Es wird sich nun zeigen, dass Moses in hohem Masse nicht nur diese Fähigkeiten, die des Königs und des Philosophen, in einer Person aufwies, sondern noch drei andere, von denen die eine auf dem Gebiete der Gesetzgebung sich bewegt, die zweite auf dem des [p. 135 M.] Oberpriestertums und die letzte auf dem der Prophetie. 3 Ueber diese will ich jetzt sprechen in der unabweisbaren Voraussetzung, dass sie alle auf ihn Anwendung finden; denn dank der göttlichen Vorsehung wurde er König, Gesetzgeber, Oberpriester und Prophet und leistete in jedem dieser Aemter das Höchste. Weshalb aber auf den einen alles sich anwenden lässt, das ist jetzt zu zeigen. 4 Ein König muss befehlen, was man tun soll, und verbieten, was [299] nicht geschehen darf. Das Befehlen des Notwendigen und das Verbieten des Unstatthaften ist Sache des Gesetzes, sodass der König ohne weiteres das lebendig gewordene Gesetz und andrerseits das Gesetz ein gerechter König ist. 5 Ein König und Gesetzgeber soll aber nicht nur die menschlichen, sondern auch die gottesdienstlichen Dinge mit beaufsichtigen; denn ohne göttlichen Ratschluss haben weder die Unternehmungen von Königen noch die der Untertanen rechten Erfolg. Aus diesem Grunde bedurfte ein solcher Mann der höchsten Priesterwürde, damit er auf Grund tadelloser Opfer und vollkommenen Wissens vom Dienste der Gottheit Abwendung des Bösen und Anteil am Guten für sich und seine Untergebenen von dem gütigen Gotte erflehen konnte, der die Gebete erhört. Denn wie sollte der die Gebete nicht in Erfüllung gehen lassen, der sowohl seinem Wesen nach gütig ist als auch die, die ihn aufrichtig verehren, ganz besonders bevorzugt? 6 Da aber noch sehr viele von den menschlichen und göttlichen Dingen dem Könige sowohl als auch dem Gesetzgeber und dem Oberpriester unbekannt sind – denn er ist ja nichtsdestoweniger ein geschaffenes, sterbliches Wesen, wenn er auch zu so grossem und reichem Glückslos gelangt ist –, so musste ihm notwendigerweise auch die Prophetengabe zuteil werden, um das, was er nicht mit der Vernunft erfassen kann, durch die Fürsorge Gottes zu finden; denn zu den Dingen, für die der Verstand nicht ausreicht, dringt nur der prophetische Geist vor. 7 Herrlich und ganz harmonisch ist die Vereinigung dieser vier Fähigkeiten, die in inniger Verschlingung miteinander gleichsam im Reigen eine der andern Nutzen gewähren und vergelten, ein Bild der jungfräulichen Grazien, die nach dem unverrückbaren Naturgesetz nicht von einander zu trennen sind; von ihnen könnte man mit Recht sagen, was auch von den Tugenden gesagt zu werden pflegt, dass, wer eine besitzt, auch alle besitze [2].

[300] 8 (2.) Zuerst haben wir über seine Befähigung zur Gesetzgebung zu sprechen. Zwar weiss ich wohl, dass, wer ein vorzüglicher Gesetzgeber werden soll, alle Tugenden in vollem Umfange und ganz besitzen muss. Aber wie auch in den Familien die einen dem Geschlechte ganz nahe, die andern etwas ferner stehen, aber doch alle miteinander verwandt sind, so müssen wir auch inbetreff der Tugenden annehmen, dass mit einigen Berufen die einen enger verwachsen sind, die anderen weniger zu ihnen gehören. 9 Mit der Fähigkeit zum Gesetzgeber ganz besonders eng verschwistert [p. 136 M.] und verwandt sind nun folgende vier Eigenschaften: Liebe zu den Menschen, zur Gerechtigkeit und zum Guten und Hass gegen das Schlechte. Von jeder dieser vier Tugenden erhält jeder, den der Eifer für den gesetzgeberischen Beruf erfasst, ermunternde Anregung: von der Menschenfreundlichkeit, die ihn lehrt gemeinnützige Ansichten der Oeffentlichkeit mitzuteilen, von der Gerechtigkeit, Gleichheit hochzuhalten und jedem das Seinige nach Verdienst zu gewähren, von der Liebe zum Guten, nur das von Natur Edle gutzuheissen und es allen, die es verdienen, uneingeschränkt zu reichem Gebrauche darzubieten, endlich von dem Hass gegen das Schlechte, die Verächter der Tugend zu verachten und als gemeinsame Feinde des Menschengeschlechts zu verabscheuen. 10 Grossen Wert hat es nun schon, wenn einer das Glück hat, auch nur eine der genannten Eigenschaften zu erlangen, bewundernswert aber ist natürlich die Fähigkeit sie alle insgesamt zu umfassen, wie sie allein Moses erlangt zu haben scheint, der die genannten Tugenden in seiner Gesetzgebung mit voller Deutlichkeit gezeigt hat. 11 Das wissen die Leser der heiligen Bücher, die er, wenn er diese Eigenschaften nicht besessen hätte, nicht unter Anleitung Gottes hätte schreiben und denen überliefern können, die ihrer wert sind, von allen Besitztümern das schönste, getreue Abbilder der in der Seele lebenden Urbilder, wie es auch die offenbarten Gesetze sind, die mit grösster Deutlichkeit die erwähnten Tugenden erkennen lassen.

12 (3.) Dass er selbst aber der beste von allen Gesetzgebern war, soviele es ihrer in allen Landen bei Hellenen oder Barbaren [301] gegeben, und dass seine Gesetze vortrefflich, ja wahrhaft göttlich sind, denen nichts von dem, was erforderlich ist, mangelt, dafür ist das folgende der deutlichste Beweis. 13 Wenn man die Gesetze der anderen einer Betrachtung unterzieht, so wird man finden, dass sie aus sehr vielen Anlässen geändert worden sind, infolge von Kriegen oder auf Befehl von Alleinherrschern oder aus anderen unerwünschten Ursachen, die durch plötzliche Aenderungen des Geschickes hereinbrachen. Oft aber veranlasste auch übertriebenes Wohlleben infolge von Wohlhabenheit und reichem Ueberfluss Aufhebung der Gesetze, da die Menge ein „Zuviel des Guten“[3] nicht ertragen konnte, sondern aus Uebersättigung übermütig wurde; Uebermut aber ist der Feind des Gesetzes. 14 Dagegen ist Moses der einzige, dessen Gesetze von Dauer waren und unverändert und unerschüttert blieben, wie von der Natur selbst mit ihrem Siegel gezeichnet, und seit dem Tage, da sie aufgeschrieben worden sind, bis heute fortbestehen und, wie wir hoffen dürfen, auch für alle künftige Zeit bestehen und gewissermassen unsterblich sein werden, solange Sonne und Mond und der gesamte Himmel und das Weltall besteht[4]. 15 Trotz so vieler Wechselfälle des Volkes in Glück und Unglück wurde nichts, auch nicht [p. 137 M.] das geringste, an seinen Gesetzen geändert, denn alle hielten offenbar ihre Erhabenheit und Göttlichkeit in hohen Ehren[5]. 16 Was aber nicht Hunger oder Pest oder Krieg oder ein König oder ein Tyrann oder seelische oder körperliche Einwirkung durch Leid oder Bosheit oder sonst irgend ein von Gott gesandtes [302] oder von Menschenhand herrührendes Unglück aufgelöst hat, wie sollte das nicht schätzenswert und über alle Massen herrlich sein? 17 (4.) Aber das ist noch nicht das Wunderbare daran, obwohl man es an und für sich mit Recht für etwas Grosses halten kann, dass die Gesetze zu aller Zeit streng beobachtet worden sind, sondern noch wunderbarer scheint es zu sein, dass nicht nur Juden, sondern auch fast alle übrigen und vor allem die, die besonderes Gewicht auf Tugend legen, sich für ihre Hochschätzung und Verehrung geheiligt haben; darin haben sie eine ganz besondere Auszeichnung erfahren, die keiner andern Einrichtung zuteil geworden ist. 18 Ein Beweis dafür ist folgendes: in Hellas und im Barbarenlande gibt es, möcht’ ich sagen, keine Stadt, die die Gesetze einer andern Stadt ehrt, ja kaum die eigenen für immer beibehält, sondern sie treffen Aenderungen nach dem Wandel von Zeit und Umständen. 19 Die Athener verwerfen die Sitten und Bräuche der Lakedämonier und die Lakedämonier die der Athener; auch im Barbarenlande beobachten die Aegypter nicht die Gesetze der Skythen oder die Skythen die der Aegypter, kurz, die Bewohner Asiens nicht die der Völker Europas und die Bewohner Europas nicht die der Asiatischen Völker, sondern fast vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang steht jedes Land und Volk und Staatswesen den fremden Bräuchen mit Abneigung gegenüber und vermeint die Schätzung der eigenen Einrichtungen durch Missachtung der anderen zu erhöhen. 20 Nicht so verhält es sich mit unseren Gesetzen. Sie locken alle an sich und wissen sie zu gewinnen, Barbaren, Hellenen, Bewohner des Festlands, Inselbewohner, Völker des Orients und des Occidents, Europa, Asien, die ganze bewohnte Welt von einem Ende bis zum andern. 21 Wer z. B. hielte nicht den bekannten heiligen Sabbat in hohen Ehren, Rast von Mühen und Erholung sich selbst und seiner Umgebung, nicht Freien nur, sondern auch Sklaven, ja noch mehr, auch den Lasttieren gönnend. 22 Denn die Ruhe von der Arbeit naht sowohl jeder Herde als auch allen den Wesen, die für den Dienst des Menschen wie Sklaven für den Dienst ihres natürlichen Herrn geschaffen sind, ja sie naht auch Bäumen und Gewächsen [303] jeder Art; denn nicht ein Reis, nicht einen Zweig, ja nicht einmal ein Blatt abzuschneiden oder irgend eine Frucht zu pflücken ist erlaubt, sondern alles ist an jenem Tage aus [p. 138 M.] dem Dienst entlassen und geniesst gewissermassen Freiheit, denn wie auf staatliche Anordnung rührt sie niemand an[6]. 23 Wer ferner betrachtet nicht mit Bewunderung und Ehrfurcht das sogenannte „Fasten“, das alljährlich mit grösserer Strenge und Feierlichkeit abgehalten wird als die „heilige Festzeit“ (der Griechen)[7]? Denn während es bei dieser viel ungemischten Wein und reich besetzte Tafeln und alles andere, was Essen und Trinken betrifft, in reicher Fülle gibt, wodurch die unersättlichen Gelüste des Bauches geweckt werden, die noch dazu auch die sinnlichen Begierden entfesseln, 24 darf bei jenem weder Speise noch Trank genossen werden, damit man mit reinen Gedanken, ohne das Hindernis und Hemmnis irgend einer körperlichen Regung, wie sie infolge der Uebersättigung einzutreten pflegen, das Fest feiere, den Vater des Alls durch angemessene Gebete versöhnend, durch die man Vergebung [304] für alte Schuld und Erlangung und Genuss neuen Guts zu erbitten pflegt.

25 (5.) Dass aber dem heiligen Charakter seiner Gesetzgebung nicht bei den Juden allein, sondern auch bei allen anderen volle Bewunderung gezollt wird, das ist nicht nur aus dem schon Angeführten ersichtlich, sondern auch aus der folgenden Tatsache. 26 Ursprünglich waren die Gesetze in chaldäischer[8] Sprache abgefasst worden, und sie erhielten sich lange Zeit in derselben Fassung, ohne die Sprache zu ändern, solange sie nämlich ihre Schönheit den anderen Menschen noch nicht enthüllt hatten. 27 Als aber infolge der unausgesetzten täglichen Uebung und Betätigung durch ihre Beobachter auch andere auf sie aufmerksam wurden und ihr Ruhm überallhin drang – denn das Schöne wird zwar durch Missgunst bisweilen auf kurze Zeit in den Schatten gestellt, erstrahlt aber bald zu geeigneter Zeit dank dem Wohlwollen der Natur[9] wieder –, hielten es manche für einen Uebelstand, dass die Gesetze bei der Hälfte des Menschengeschlechts[10], bei der nichtgriechischen, allein sich finden, der hellenische Teil dagegen ihrer für immer unteilhaftig sein sollte, und gingen deshalb daran sie zu übersetzen. 28 Diese Aufgabe war aber, da sie eine hohe und gemeinnützige war, nicht Privatleuten oder Beamten, deren es eine grosse Zahl gibt, sondern Königen und zwar dem angesehensten Könige vorbehalten[11]. 29 Ptolemäus mit dem Beinamen Philadelphus war der dritte Herrscher seit Alexander, dem Eroberer Aegyptens, an Herrschertugenden der tüchtigste nicht nur seiner Zeitgenossen, sondern aller, die seit alter [p. 139 M.] Zeit gelebt haben, so dass noch jetzt, so viele Generationen nach ihm, sein Lob gesungen wird; hat er ja viele Beweise [305] und Denkmäler seines hohen Sinnes in Städten und Ländern hinterlassen, so dass man seither sogar sprichwörtlich Taten ungewöhnlichen Wohlwollens und grosse Werke nach ihm Philadelphische nennt. 30 Wie überhaupt das Haus der Ptolemäer in hervorragender Weise vor den andern Herrscherhäusern sich auszeichnete, so unter den Ptolemäern besonders Philadelphus; denn was dieser eine Rühmenswertes geleistet, haben kaum alle jene zusammen vollbracht, und so wurde er, wie im Tiere das leitende Organ der Kopf ist, gewissermassen das Haupt der Könige. 31 (6.) Dieser König also bekam Interesse und Verlangen nach unserer Gesetzgebung und beschloss den chaldäischen Text in die hellenische Sprache zu übertragen. Sofort schickte er Gesandte an den Hohenpriester und König des jüdischen Landes – er war beides in einer Person –, teilte ihm seine Absicht mit und forderte ihn auf, die tüchtigsten Männer auszuwählen, die das Gesetz übersetzen könnten. 32 Dieser, begreiflicherweise erfreut und überzeugt, dass nicht ohne den göttlichen Willen der König sich für ein solches Werk interessiere, sucht die angesehensten seiner Hebräer aus, die neben der einheimischen auch hellenische Bildung besassen, und sendet sie mit Vergnügen dahin. 33 Als sie dort ankamen, wurden sie zum Gastmahl geladen, bei dem sie den Gastgeber zum Entgelt seiner Gastlichkeit mit feinen und weisen Reden bewirteten. Während er nämlich jedes einzelnen Weisheit durch Aufwerfung von neuen und ungewöhnlichen Fragen zu erforschen suchte, lösten sie die vorgelegten Fragen zielbewusst und treffend, da die Zeit ihnen ausführliche Reden nicht gestattete, gleichsam in kurzen Sinnsprüchen. 34 Nach dieser Prüfung gingen sie sofort daran, die Aufgabe ihrer ehrenvollen Gesandtschaft zu erfüllen. In Erwägung der Grösse der Aufgabe, durch göttliche Verkündigung offenbarte Gesetze zu übertragen, wobei man weder etwas hinwegnehmen noch hinzufügen oder ändern kann, sondern ihren ursprünglichen Gedanken und ihren Charakter beibehalten muss, spähten sie ausserhalb der Stadt nach dem reinsten Ort in ihrer Umgebung aus. Denn der Raum innerhalb der Mauer war ihnen, da er ja mit lebenden Wesen aller Art angefüllt [306] war, mit Rücksicht auf Krankheiten und Todesfälle und auch wegen der nicht sehr reinlichen Handlungen von Gesunden für ihren Zweck bedenklich. 35 Vor Alexandria liegt die Insel Pharus, von der eine Landzunge sich bis zur Stadt erstreckt, die von dem dort nicht sehr tiefen, sondern zumeist seichten [p. 140 M.] Meere umschlossen ist, sodass auch das viele Rauschen und Tosen der Wellenströmung durch die Weite der Entfernung geschwächt wird. 36 Diesen Ort erachteten sie von allen im ganzen Umkreise als den geeignetsten für ruhige und stille Arbeit, in der die Seele sich ungestört dem Verkehr mit den Gesetzen ganz hingeben könnte, und blieben dort. Sie nehmen die heiligen Bücher und erheben zugleich mit ihnen die Hände zum Himmel empor und bitten Gott, dass sie in ihrem Vorhaben nicht fehlgehen mögen. Und Gott erhört ihre Gebete, damit der grösste Teil der Menschen oder vielmehr die gesamte Menschheit davon Nutzen habe, indem sie zum Zwecke guter Lebensführung die weisen und herrlichen Gebote beobachte. 37 (7.) In Abgeschiedenheit, ohne jeden Zeugen mit Ausnahme der Elemente der Natur, der Erde, des Wassers, der Luft und des Himmels, über deren Schöpfung sie zunächst heilige Offenbarung künden sollten – denn die Erschaffung der Welt bildet den Anfang der Gesetze –, verdolmetschten sie wie unter göttlicher Eingebung nicht jeder in anderen, sondern alle in den gleichen Ausdrücken für Begriffe und Handlungen, als ob jedem von ihnen unsichtbar ein Lehrer diktierte. 38 Und doch weiss jeder, dass jede Sprache, ganz besonders aber die hellenische, an Ausdrucksformen reich ist, und dass man denselben Gedanken verschieden wiederzugeben und zu umschreiben und mannigfach zu gestalten vermag, indem man jedesmal andere Ausdrücke passend anwendet. Dies soll bei dieser Gesetzgebung nicht geschehen sein, es soll vielmehr der hellenische Text mit dem chaldäischen derart in Einklang gebracht worden sein, dass alles in den zutreffenden Ausdrücken wiedergegeben wurde und die Worte den bezeichneten Dingen vollständig entsprachen. 39 Wie nämlich meiner Meinung nach in der Geometrie und in der Logik die einmal gewählte Bezeichnung eine Verschiedenheit der [307] Uebertragung nicht zulässt, sondern die von Anfang an für sie gebrauchte unverändert bleiben muss, so haben wahrscheinlich auch diese Uebersetzer die mit den Dingen sich deckenden Ausdrücke aufgefunden, die allein oder am deutlichsten die dargelegten Gedanken wiedergeben konnten. 40 Der klarste Beweis dafür ist folgender Umstand. Wenn Chaldäer die hellenische Sprache oder Hellenen die chaldäische erlernt haben und beide Schriften, die chaldäische und ihre Uebersetzung, lesen, so erkennen sie mit Bewunderung und Ehrfurcht, dass sie wie Schwesterschriften oder vielmehr gleichsam eine und dieselbe sind in den Dingen und den Ausdrücken dafür, so dass sie jene Männer nicht Uebersetzer, sondern Oberpriester und Propheten nennen, denen es gelungen sei, durch sonnenklares Denken mit Moses’ reinem Geisteshauche gleichen Schritt zu halten. 41 Daher wird auch noch bis auf den heutigen Tag alljährlich ein Fest und eine Festversammlung auf der Insel Pharus abgehalten, zu der nicht bloss Juden, sondern auch andere in sehr grosser [p. 141 M.] Menge hinüberfahren, um den Ort zu verherrlichen, an dem zum ersten Male das Licht dieser Uebersetzung erstrahlte, und um der Gottheit den Dank für die alte, stets jung bleibende Wohltat darzubringen. 42 Nach den Gebeten und den Danksagungen veranstalten die einen in Zelten, die sie am Gestade aufgeschlagen haben, die anderen, in dem Sand am Strande sich lagernd, unter freiem Himmel mit Angehörigen und Freunden ein Festmahl und halten zu dieser Zeit das Gestade für prächtiger als die prächtigste Ausstattung in Palästen. 43 So erweisen sich die Gesetze als eifrig begehrt und geschätzt bei allen Gemeinen und Vornehmen, und dies trotzdem seit langer Zeit das Volk nicht glücklich ist; gewöhnlich pflegen ja die Vorzüge derer, die sich nicht im Glücke befinden, irgendwie in den Schatten zu treten. 44 Wenn aber erst für dies Volk der Beginn eines glänzenderen Loses einträte, wie gross würde da wohl erst der Zuwachs sein? Die andern würden wohl alle, meine ich, ihre eigenen Sitten aufgeben und den väterlichen Gebräuchen von Herzen absagen und sich ausschliesslich zur Wertschätzung dieser Gesetze bekehren. Denn mit dem Glücke des Volkes werden gleichzeitig [308] seine Gesetze durch ihren Glanz die andern, wie die Sonne bei ihrem, Aufgange die Sterne, verdunkeln.

45 (8.) Genügt nun schon das Gesagte als grosses Lob für den Gesetzgeber, so ist ein anderes noch grösser, das die heiligen Schriften[12] selbst enthalten, denen wir uns nunmehr zuzuwenden haben, um die Vortrefflichkeit ihres Verfassers zu erweisen. 46 Von diesen Schriften ist ein Teil geschichtlichen Inhalts, der andere enthält Gebote und Verbote, über den wir in zweiter Reihe sprechen wollen, nachdem wir den ersten der Anordnung nach auch zuerst ausführlich behandelt haben. 47 Von dem geschichtlichen Teil handelt ein Abschnitt von der Schöpfung der Welt, der andere von der Geschichte der einzelnen Geschlechter, und zwar einerseits von der Züchtigung der Gottlosen, andrerseits von den Ehren der Gerechten. Weshalb er nun damit seine Gesetzgebung begann und die Gebote und Verbote in zweite Reihe stellte, davon müssen wir jetzt sprechen. 48 Nicht wie sonst, ein Geschichtschreiber befasste er sich damit, die Aufzeichnung von Ereignissen alter Zeiten der Nachwelt nutzlos nur zur Unterhaltung zu überliefern, sondern er ging auf die allerälteste Zeit zurück und begann mit der Schöpfung des Alls, um zwei sehr wichtige Lehren zu geben: erstens dass der Vater und Schöpfer der Welt und der wahrhafte Gesetzgeber ein und dasselbe Wesen ist, und zweitens dass, wer nach diesen Gesetzen leben will, freudig nach Uebereinstimmung mit der Natur streben und dem Gesetze des Alls gemäss in vollem Einklang seiner Worte mit seinen Handlungen und der Handlungen mit seinen Worten leben wird[13]. 49 (9.) Von den andern Gesetzgebern haben die einen sofort angeordnet, was man tun und was man lassen soll, und Strafen für die Uebertreter festgesetzt, die anderen, die sich für die besseren hielten, haben nicht damit [p. 142 M.] den Anfang gemacht, sondern zuvor in ihrer Darstellung ein fest begründetes Staatsgebäude entworfen, dem sie dann die ihrer Meinung nach am meisten für diese Gründung [309] passende und geziemende Verfassung durch ihre Gesetzgebung verliehen[14]. 50 Moses dagegen, der die zuerst erwähnte Art für tyrannisch und despotisch hielt (wie sie es auch wirklich ist), die ohne ermunternden Zuspruch befiehlt, als wären die Menschen nicht Freie, sondern Sklaven, die zweite Art zwar für geschickt, aber doch anscheinend nicht völlig tadellos für alle Beurteiler, befolgte einen nach beiden Richtungen von den erwähnten Arten abweichenden Plan. 51 In den Geboten und Verboten gibt er eher Ratschläge und Ermahnungen als Befehle, indem er es versucht, unter Anwendung von Einleitungs- und Schlussworten die meisten und dringendsten Gebote darzulegen, mehr um anzuleiten als um zu zwingen. Mit der Gründung eines Staatswesens durch Menschenhand seine Darstellung zu beginnen, erachtete er als der Würde der Gesetze zu wenig entsprechend, denn mit dem klar schauenden Blicke seines Geistes sah er es auf die Grösse und Schönheit der gesamten Aufgabe des Gesetzgebers ab, die seiner Ansicht nach zu edel und zu göttlich sei, um in dem Kreise der irdischen Dinge ihre Schranken zu finden. Daher leitete er sein Werk mit der Schöpfung des grossen Staatswesens (des Weltalls) ein in der Ueberzeugung, dass seine Gesetze das ähnlichste Abbild der Verfassung des Weltalls seien. 52 (10.) Wer das Wesen seiner Spezialgesetzgebung genau prüfen will, wird finden, dass sie die Harmonie des Alls anstreben und mit dem Gedanken der ewigen Natur übereinstimmen[15]. 53 Daher mussten nach seiner Darstellung die mit reichen Gaben, mit leiblicher Gesundheit, mit Reichtum, Ruhm und den anderen äusseren Glücksgütern Gesegneten, die aber die Zügel der Tugend abgeschüttelt und nicht unter einem Zwange, sondern aus freier Wahl Tücke, Ungerechtigkeit und andere Laster verübt haben, womit sie als vermeintlich grossen Nutzen den grössten Schaden stifteten, wie Feinde nicht der Menschen allein, sondern des gesamten Himmels und Weltalls nicht die gewöhnlichen Strafen erleiden, sondern ganz neue und ungewöhnliche, [310] die das Recht, die neben der Gottheit thronende[16], das Böse hassende Macht, mit gewaltiger Hand an ihnen vollzog: die wirkungskräftigsten Elemente des Alls, Wasser und Feuer, kamen über sie, sodass im Gange der Zeiten die einen durch Ueberschwemmungen[17] umkamen, die anderen durch Verbrennung[18] zu Grunde gingen. 54 Hochgehende Meereswogen und hoch angeschwollene Quellflüsse und Giessbäche überschwemmten alle Städte in der Ebene und rissen sie mit sich fort, und die Tag und Nacht unaufhörlich anhaltenden Regengüsse die auf den Bergen liegenden. 55 Später, als aus den Ueberbleibseln das Menschengeschlecht sich wieder vermehrt hatte und zahlreich geworden war und die Abkömmlinge das Leid der Ahnen sich nicht zur Belehrung [p. 143 M.] für besseren Lebenswandel nahmen, sondern sich Ausschweifungen ergaben und noch schlimmerem Wandel als jene huldigten, beschloss er diese durch Feuer zu vernichten. 56 Da fuhren, wie die heilige Schrift berichtet (1 Mos. 19,24 ff.), Blitze vom Himmel und verbrannten die Gottlosen und ihre Städte. Noch bis heute zeigt man Denkzeichen des über sie gekommenen unsagbaren Unglücks in Syrien, Trümmer und Asche und Schwefel und Rauch und noch immer emporsteigende trübe Flammen wie von schwelendem Feuer. 57 Hierbei wurden die Gottlosen durch die erwähnten Strafen gezüchtigt, und die Menschen, die durch edle Gesinnung sich auszeichneten, blieben verschont und erhielten den ihrer Tugend würdigen Preis. 58 Während nämlich durch das Herniederfahren der feurigen Blitzstrahlen das ganze Land mitsamt seinen Bewohnern verbrannt wurde, wird ein einziger Mann, ein Eingewanderter, durch göttliche Fürsorge gerettet, weil er sich an keinem der Frevel der Einheimischen beteiligt hatte, obwohl sonst Eingewanderte ihrer Sicherheit halber den fremden Sitten Achtung erweisen, weil die Verweigerung dieser Achtung mit Gefahr von Seiten der Eingeborenen verbunden ist. Und dabei hatte er nicht etwa den höchsten Grad der Weisheit erreicht, sodass er wegen der Vollkommenheit seines Wesens eines [311] solchen Vorzugs gewürdigt worden wäre, sondern nur weil er allein keine Gemeinschaft mit der Menge hatte, die der Ueppigkeit sich hingegeben hatte und alle Genüsse und Lüste durch ihre reichen Mittel noch anfachte wie eine Flamme, in die man Oel als Brennstoff giesst[19]. 59 (11.) Zur Zeit der grossen Flut aber, als das Menschengeschlecht – ich könnte fast sagen ganz – umkam, soll, so wird erzählt, ein einziges Haus von allem Uebel unberührt geblieben sein, weil das ehrwürdigste Mitglied und Haupt des Hauses an keinem Unrecht freiwillig teilgenommen hatte. Die Art seiner Rettung, wie sie die heiligen Bücher schildern, verdient sowohl wegen ihrer Wunderbarkeit als auch zugleich zum Zweck der Besserung des Charakters (der Leser) erzählt zu werden. 60 Da Noah für geeignet befunden wurde, nicht nur von dem gemeinsamen Unheil unberührt zu bleiben, sondern auch selbst den Anfang einer neuen Schöpfung der Menschen zu bilden, führte er auf göttlichen Befehl, den ihm die Gottessprüche mitteilten, einen sehr grossen Bau aus Holz auf, gegen dreihundert Ellen lang, fünfzig Ellen breit und dreissig Ellen hoch, richtete darin miteinander in Verbindung stehende Wohnungen zu ebener Erde, im Oberstock, im dritten und vierten Stock ein[20], versah sich mit Nahrung und führte von [312] jeder Art der Landtiere und Vögel ein Männchen und ein Weibchen hinein und rettete so Samen zur Fortpflanzung für die künftigen Geschlechter[21]. 61 Denn er wusste, dass Gott gnädig ist und dass, auch wenn die Einzelwesen umkämen, doch die den Arten innewohnende Unvertilgbarkeit Bestand habe schon wegen der Aehnlichkeit mit ihm[22] und weil [p. 144 M.] nichts von dem nach seinem Ratschluss Entstandenen jemals völlig vernichtet werden würde. (12.) Deshalb gehorchte ihm auch alles, und die bisher noch so wilden Tiere folgten ihm zahm und kirre wie ihrem Hirten und Hüter. 62 Wer nach dem Einzuge aller dieser Geschöpfe die Ladung (der Arche) gesehen hätte, hätte von ihr treffend sagen können, sie sei ein Abbild der ganzen Erde, das die Arten der Geschöpfe in sich berge, deren zahllose Gattungen auch die gesamte Erde bisher getragen hatte und vielleicht künftig wieder tragen werde. 63 Was er vermutet hatte, trat später in nicht langer Zeit wirklich ein; das Unheil liess nach und die Gewalt der Ueberschwemmung wurde mit jedem Tage geringer, die Regengüsse hielten inne, und das über die ganze Erde sich ergiessende Wasser schwand teils unter der Glut der Sonne, teils zog es sich in Klüfte und Schluchten und die anderen Vertiefungen der Erde zurück. Denn wie auf Befehl Gottes nahm jeder Teil der Natur wieder, was er wie ein Zwangslehen ausgeliehen hatte: Meer, Quellen und Flüsse; jedes Wasser kehrte an seinen gewohnten Ort zurück. 64 Nach dieser Läuterung der Welt unter dem Monde, als die Erde gereinigt war und verjüngt emportauchte und in solcher Gestalt, wie sie vermutlich damals war, als sie im Anfang mit der gesamten Welt geschaffen wurde, ging er aus dem hölzernen Bau heraus, er und sein Weib und seine Söhne und deren Weiber und mit seiner Familie die Scharen der bei ihm versammelten Gattungen von Tieren, um sich nunmehr fortzupflanzen und ihresgleichen fortzuzeugen. 65 Dies sind die [313] Siegespreise und die Belohnungen edler Männer; durch sie wurden nicht nur sie selbst und ihre Familien gerettet und entrannen den grössten Gefahren, die sich bei der Empörung der Elemente allen überall entgegengetürmt hatten, sondern sie wurden dadurch auch Häupter einer Wiedergeburt und die Urväter einer zweiten Weltperiode, gleichsam als Ueberreste der edelsten Gattung von Lebewesen, der Menschen, zurückgeblieben, der ein für alle Mal die Herrschaft über alle irdischen Wesen bestimmt ist, und die so ein Abbild der Macht Gottes darstellt, ein sichtbares Bild der unsichtbaren Natur, ein geschaffenes der ewigen.

* * *


[p. 145 M.] 66 (1.) Zwei Teile vom Leben des Moses haben wir bereits geschildert[23], seine Tätigkeit als Herrscher und als Gesetzgeber; einen dritten über seine Tätigkeit als Priester haben wir jetzt zu schildern. Die für einen Oberpriester wichtigste und unentbehrlichste Tugend, die Gottesfurcht, übte er in hohem Grade, zugleich von einer glücklichen natürlichen Begabung unterstützt, die von der Philosophie, die sie gleichsam als gutes Ackerfeld zur Pflege übernahm, durch die Erkenntnis herrlicher Lehren veredelt und nicht eher aus ihrer Schule entlassen wurde, als bis die Früchte der Tugend in Reden und Handlungen zu völliger Reife gelangt waren. 67 So wurde er denn wie nur wenige andere von Liebe zu Gott erfüllt und zugleich ein Liebling Gottes, begeistert von [314] himmlischer Liebe, von hoher Ehrfurcht für den Herrn des Alls durchdrungen und selbst hinwiederum von Gott geehrt. Die dem Weisen angemessene Ehre aber ist der Dienst des wahrhaft Seienden, und der Dienst Gottes ist das Amt des Priesters. Dieses Ehrenamtes nun, des grössten Glückes, das es in der Welt geben kann, wurde er gewürdigt, indem er durch göttliche Offenbarungen über jegliche heilige Verrichtung und jeden heiligen Dienst belehrt wurde. 68 (2.) Zuvor musste wie seine Seele auch sein Körper rein sein, indem er keine Leidenschaft an sich haften liess und von allem, was zur sterblichen Natur gehört, von Speise und Trank und dem Verkehr mit Frauen, sich unbefleckt erhielt. 69 Von diesem nun hatte er schon seit langer Zeit sich mit Nichtachtung ferngehalten, fast seitdem er seine Wirksamkeit als Prophet [p. 146 M.] und gotterfüllter Seher begonnen hatte, da er es für seine Pflicht hielt, sich stets für die Offenbarungen bereit zu halten. Um Speise und Trank aber kümmerte er sich 40 Tage lang hintereinander gar nicht (2 Mos. 34,28. 5 Mos. 9,9.18); fand er ja offenbar bessere Speise in dem Schauen (Gottes), durch das er von oben vom Himmel herab begeistert und zuerst geistig, dann aber unter der Einwirkung der Seele auch körperlich veredelt wurde, nach beiden Richtungen, an Kraft und Adel der Erscheinung, wachsend, so dass die, die ihn später sahen, ihren Augen nicht trauten. 70 Als er nämlich auf göttlichen Befehl auf den höchsten und heiligsten Berg der Umgebung hinaufstieg, der sonst ganz und gar unzugänglich war, soll er bis zu der erwähnten Zahl von Tagen dort geblieben sein, ohne irgend etwas von notwendigster Nahrung zu sich zu nehmen. 40 Tage später, wie erwähnt, stieg er hinab, viel schöner anzuschauen als da er emporgestiegen war, so dass, die ihn sahen, ihn voller Verwunderung anstaunten und ihre Augen den Anblick des sonnenartigen Glanzes, den er ausstrahlte, nicht längere Zeit auszuhalten vermochten (2 Mos. 34,29 ff.).

71 (3.) Als er noch oben verweilte, wurde er in die geheimen Weihen des Priesteramtes eingeführt und über alles belehrt und zwar zuerst über das, was ja auch im Range das erste ist, über die Einrichtung des Heiligtums und seines [315] Inhalts. 72 Hätten sie das Land, in das sie einwandern wollten, damals schon in Besitz gehabt, so wäre es erforderlich gewesen, einen prächtigen Tempel an geweihter Stätte aus kostbarem Steinmaterial zu erbauen, hohe Mauern und zahlreiche Wohnhäuser für die Tempelwärter um ihn aufzuführen und dem Orte den Namen „heilige Stadt“ zu geben. 73 Da sie aber noch in der Wüste umherzogen und noch nicht fest angesiedelt waren, so war es für sie angemessener, ein tragbares Heiligtum zu haben, um auf ihren Wanderungen und Lagerungen Opfer darzubringen und alle anderen heiligen Handlungen zu verrichten, ohne etwas von dem zu missen, was die Bewohner von Städten zu diesem Zwecke haben müssen. 74 Es schien also gut, ein hochheiliges Werk zu bauen, ein Zelt, über dessen Errichtung Moses durch göttliche Wahrsprüche auf dem Berge unterwiesen wurde, wo er für die künftige Herstellung der körperlichen Gegenstände körperlose Bilder im Geiste schaute, nach denen wie von einer urbildlichen Zeichnung und von rein geistigen Mustern sinnlich wahrnehmbare Nachbildungen angefertigt werden sollten. 75 Denn es ziemte sich, dass dem wahrhaften Oberpriester auch die Errichtung des Heiligtums übertragen wurde, damit er die heiligen Handlungen des Priesteramtes in höchster Uebereinstimmung und in Einklang mit dem Bau vollziehe. 76 (4.) Die Form des Urbildes prägte sich dem Geiste des Propheten ein, unsichtbar stofflos in unsichtbaren Ideen sich in ihm nachgestaltend und abformend, und dieser Form entsprechend wurde der Bau ausgeführt, indem der Künstler diese Eindrücke in den für jeden Gegenstand passenden Stoffen getreu abbildete. 77 Die Einrichtung des Zeltes war aber folgende [p. 147 M.] (2 Mos. 26,15ff.): achtundvierzig Säulen aus dem der Fäulnis am wenigsten ausgesetzten Zedernholz, von den bestgewachsenen Stämmen geschnitten, wurden mit einer dicken Lage von Gold überzogen; dann erhielt jede als Stütze zwei silberne Füsse, und auf dem Säulenkopf wurde ein goldenes Kapitälchen angebracht. 78 In die Länge stellte der Künstler nun eine Ordnung von vierzig Säulen, auf jede Seite die Hälfte, nämlich zwanzig, doch so, dass er zwischen ihnen keinen Raum liess, sondern sie in einer Reihe dicht aneinander [316] fügte und miteinander verband, damit das Ganze wie eine Mauer erscheine. In die Breitseite stellte er die übrigen acht, nämlich sechs in den Mittelraum und zwei in die Ecken auf jeder Seite des Mittelraums, eine rechts und die andere links. Am Eingange errichtete er weitere vier sonst jenen gleiche Säulen, nur dass sie einen Fuss hatten statt zwei wie die gegenüberstehenden, und nach diesen, ganz nach aussen, fünf nur durch ihre Füsse verschiedene, die aus Erz waren. 79 So hatte das Zelt, ohne die beiden nicht sichtbaren in den Ecken, insgesamt fünfundfünfzig sichtbare Säulen d. i. die Summe der Zahlen von eins bis zur Zahl der höchsten Vollkommenheit, der Zehn[24]. 80 Will man aber die fünf Säulen der Vorhalle, die an den offenen Raum grenzen, den er Hof nennt, besonders zählen, so bleibt die hochheilige Zahl fünfzig übrig, die Kraft[25] des rechtwinkligen Dreiecks, das der Ursprung der Schöpfung des Alls ist; diese Zahl ergibt sich aus der Summierung der inneren Säulen, nämlich der 40 und zwar je 20 auf den beiden Seiten, der sechs Säulen in dem Innenraum, die an den beiden Ecken verborgenen nicht hinzugerechnet, und der 4 Säulen gegenüber, wo der Vorhang war. 81 Den Grund [317] aber, weshalb ich die fünf mit den fünfzig zusammenstelle und auch getrennt von ihnen zähle, will ich nun angeben: fünf ist die Zahl der Sinneswahrnehmungen, die sinnliche Wahrnehmung im Menschen weist aber einerseits nach aussen und lenkt andrerseits dem Geiste zu, dessen Dienerin sie nach den Gesetzen der Natur ist. 82 Deshalb wies er das Grenzgebiet den fünf Säulen zu; denn ihre Innenseite ist dem Allerheiligsten des Zeltes zugewendet, das sinnbildlich die Geisteswelt darstellt, ihre Aussenseite aber dem unbedachten Raum und dem Hof, die das Sinnbild der sinnlichen Welt sind. Demgemäss waren sie auch in ihren Fussgestellen verschieden, die aus Erz waren. Da aber für unser Wahrnehmungsvermögen Haupt und Führer der Geist, das äusserste Ende und gleichsam der Fuss die Sinnenwelt ist, so stellte er eben den Geist durch Gold, durch Erz die Sinnenwelt dar. 83 Die Masse der Säulen (2 Mos. 26,16) waren folgende: zehn Ellen die Länge, eine und eine halbe die Breite, damit das Zelt in allen Teilen den gleichen Anblick böte.

[p. 148 M.] 84 (5.) Mit Hüllen von herrlichen, buntfarbigen Geweben umkleidete er das Zelt (2 Mos. 26,1ff.) und verwandte hyacinthfarbigen Stoff, Purpur, scharlachrote Wolle und Byssus zum Gewebe. Zehn solche, die er in der heiligen Schrift Teppiche nennt, liess er aus den eben genannten Stoffen verfertigen, jeden achtundzwanzig Ellen lang und vier Ellen breit, damit sie die Zehnzahl, die Zahl der höchsten Vollkommenheit[26], in sich enthalten, die Vier, das Grundwesen der Zehn[27], die vollkommene Zahl achtundzwanzig, die der Summe ihrer Teile gleich ist[28], und die Zahl vierzig, die schöpfungskräftigste, in der, wie es heisst, der Mensch in der Werkstatt der Natur gebildet wird[29]. 85 Die achtundzwanzig Ellen der Teppiche sind auf folgende Weise verteilt: zehn werden an der Decke – soviel beträgt nämlich die Breite des Zeltes –, die übrigen an den Seiten, an jeder neun, als [318] Hülle der Säulen ausgespannt, so dass sie eine Elle über dem Boden aufhören, damit das herrliche, hochheilige Gewebe nicht am Boden schleppe. 86 Von den vierzig Ellen, die die Breite der zehn Teppiche insgesamt ergibt, nimmt die Länge dreissig ein – so viel beträgt auch die Länge des Zeltes –, neun der hintere Raum, und den Rest der Raum in der Vorhalle, damit eine Verbindung durch die ganze Umhüllung hergestellt werde. An der Vorhalle aber befand sich der Vorhang. 87 Eigentlich sind auch die Teppiche Vorhänge, nicht bloss weil sie die Decke und die Wände verdecken, sondern auch weil sie aus den gleichen Stoffen, aus hyacinthfarbigem, purpurfarbigem, scharlachrotem Stoff und Byssus gewebt waren. Aus denselben Stoffen wurden der Vorhang und die sogenannte „Hülle“ verfertigt, jener im Innern bei den 4 Säulen, damit er das Allerheiligste verdecke, die „Hülle“ aussen bei den fünf Säulen, damit keiner von den Nichtpriestern aus der Ferne das Heilige schauen könne. 88 (6.) Als Stoffe der Gewebe wählte er die edelsten aus unzählig vielen in gleicher Zahl mit den Elementen, aus denen das Weltall geschaffen wurde und auf die sie hindeuteten: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Denn Byssus stammt aus der Erde, Purpur aus dem Wasser, das hyacinthfarbige Gewebe gleicht der Luft – diese ist von Natur dunkel[30] –, das scharlachrote Gewebe dem Feuer, weil beide rötlich sind[31]. Es war natürlich, dass man bei der Errichtung eines Heiligtums von Menschenhand für den Vater und Lenker des Alls die gleichen Substanzen nahm, mit denen er das [p. 149 M.] All gebildet.

89 Das Zelt wurde also wie ein heiliger Tempel auf die angegebene Weise errichtet. Ringsherum aber zog sich ein heiliger Bezirk in einer Länge von 100 und in einer Breite von 50 Ellen (2 Mos. 27,9ff.): er hatte Säulen, die in dem gleichen Abstande von je fünf Ellen von einander sich befanden, sodass im ganzen sechzig Säulen waren, die sich in vierzig auf die Länge und zwanzig auf die Breite verteilten, [319] und zwar je die Hälfte der Säulen auf jeder Seite. 90 Das Material der Säulen war innen Zedernholz, auf der Oberfläche Silber, und die Sockel bei allen aus Erz. Die Höhe war überall die gleiche von fünf Ellen; denn es schien dem Künstler angemessen, die Höhe des sogenannten Hofes um die volle Hälfte niedriger zu machen, damit das Zelt bis zur doppelten Höhe weithin sichtbar sich erhebe, Dünner Linnenstoff war auf der Lang- und Breitseite, Segeln ähnlich den Säulen sich anschmiegend, damit kein Unreiner eintrete. 91 (7.) Die Anordnung war folgende: in der Mitte war das Zelt errichtet, dreissig Ellen lang und zehn Ellen breit, die Dicke der Säulen inbegriffen. Es war auf drei Seiten, den beiden Langseiten und der Rückseite, in gleichem Abstande vom Hofe entfernt; dieser Abstand mass zwanzig Ellen. Nach der Vorhalle zu wurde natürlich mit Rücksicht auf die Menge der Besucher ein grösserer Abstand von fünfzig Ellen gelassen. So nämlich sollten die hundert Ellen des Hofes sich zusammensetzen: aus den zwanzig an der Hinterseite, den dreissig, die das Zelt einnahm, und den fünfzig an den Eingängen. 92 Die Vorhalle des Zeltes wurde gewissermassen als mittlere Abgrenzung der beiden Räume von je 50 Ellen errichtet, des östlichen, wo die Eingänge sich befanden, und des westlichen, wohin die ganze Länge des Zeltes sich erstreckte und wo die hintere Seite der Umfriedigung war. 93 Eine andere sehr schöne und grosse Vorhalle wurde am Beginn des Einganges in den Hof durch vier Säulen gebildet, von denen herab ein buntes Gewebe gespannt wurde, das auf dieselbe Weise und aus denselben Stoffen wie die drinnen beim Zelte verwandten angefertigt war (2 Mos. 27,16).

94 Zugleich damit wurden auch die heiligen Geräte angefertigt: die Lade, der Leuchter, der Tisch, der Räucheraltar, der Opferaltar. Der Opferaltar (2 Mos. 27,1 ff.) wurde in dem offenen unbedachten Raum errichtet, gegenüber den Eingängen zum Zelte, in einem Abstande, der hinreichend Raum für die diensttuenden Priester bot, um die täglichen Opfer darzubringen. 95 (8.) Die Lade befand sich in dem unbetretbaren Allerheiligsten hinter den Vorhängen [320] (2 Mos. 25,10ff.), kostbar mit Gold innen und aussen belegt, [p. 150 M.] und darauf lag als Deckel die in der heiligen Schrift so genannte Sühnplatte[32]. 96 Von dieser wird wohl die Länge und Breite angegeben, aber nicht die Dicke, ähnlich wie bei einer geometrischen Fläche; sie scheint allegorisch gedeutet ein Sinnbild der Gnade Gottes[33] und ethisch aufgefasst ein Sinnbild der Gesinnung zu sein, die an sich selbst das Gnadenwerk vollzieht, indem sie sich die Aufgabe stellt, den zu unvernünftiger Höhe sich überhebenden und aufblähenden Dünkel durch Liebe zur Demut in Verbindung mit Wissen zu zügeln und zu vernichten. 97 Die Lade ist das Behältnis der Gesetze, denn in ihr werden die offenbarten Gottessprüche aufbewahrt. Ihr Deckel aber, die sogenannte Sühnplatte, bildet das Fussgestell für zwei geflügelte Wesen, die in der einheimischen Sprache Cherubim heissen, wie die Hellenen sie nennen würden, Erkenntnis und tiefes Wissen. 98 Diese erklären manche nach ihrer Stellung mit einander zugewandten Gesichtern: als Sinnbilder der beiden Welthalbkugeln[34], der unter der Erde und der über der Erde; das gesamte Weltall[35] nämlich sei schwebend. 99 Ich aber möchte meinen, dass sinnbildlich die zwei vornehmsten und obersten Kräfte des Seienden, die schöpferische und die herrschende, dadurch bezeichnet werden. Seine Schöpferkraft, vermöge deren er unser All ins Dasein rief, schuf und ordnete, wird „Gott“ genannt, den Namen „Herr“ hat seine Herrscherkraft, vermöge deren er über die Schöpfung herrscht und mit Gerechtigkeit unwandelbar regiert[36]. 100 Denn er ist das einzige wahrhaft seiende und untrüglich schaffende Wesen, insofern er das Nichtseiende ins Dasein rief, und der natürliche König, weil niemand mit mehr Recht über die geschaffenen [321] Wesen herrschen kann als ihr Schöpfer. 101 (9.) In dem Mittelraum zwischen den vier und den fünf Säulen, der im eigentlichen Sinne die Tempelvorhalle ist, die durch zwei Decken aus gewebtem Zeug abgeschlossen ist, nach innen durch den sogenannten „Vorhang“, nach aussen durch die sogenannte „Hülle“, stellte er die übrigen drei der erwähnten Geräte auf: in der Mitte den Räucheraltar (2 Mos. 30,1.6), das Sinnbild des Dankes für Erde und Wasser, der geziemenderweise für die Erzeugnisse dieser beiden Elemente gezollt wird, denn sie haben den mittleren Raum der Welt als ihr Eigentum erhalten. 102 An der Südseite stellte er den Leuchter auf (2 Mos. 25,31ff), durch den er auf die Bewegungen der lichtspendenden Sterne hindeuten will. Die Sonne nämlich und der Mond und die anderen Gestirne vollziehen in weitem Abstande vom Norden ihren Umlauf nach Süden. Deshalb wachsen aus der Mitte des Leuchters gleich Aesten sechs Arme heraus, drei auf jeder Seite, und stellen so eine Siebenzahl her. 103 Auf allen zusammen aber befinden sich sieben Lichter in Lampen, Sinnbilder der von den Physikern so genannten (sieben) Planeten[37]. [p. 151 M.] Denn wie der Leuchterstock, so hat die Sonne ihren Platz in der Mitte von sechs Himmelskörpern an vierter Stelle, von wo sie den drei über ihr und der gleichen Zahl unter ihr das Licht spendet und so die Stimmung des harmonischen, wahrhaft göttlichen Werkes schafft. 104 (10.) Der Tisch, auf dem Brote und das Salz[38] liegen, erhält seinen Platz an der Nordseite, weil von den Winden die nördlichen die Nahrungsmittel am meisten fördern[39]. Und weil vom Himmel und von der Erde die Nahrungsmittel kommen, von jenem durch seinen Regen, von dieser, indem sie durch Befeuchtung mit ihrem Wasser die Samen zur Entwicklung [322] bringt, 105 so sind die Sinnbilder für Himmel und Erde, wie unsere Darstellung gezeigt hat, nebeneinander gestellt, für den Himmel der Leuchter und für die irdischen Dinge, aus denen die Dünste aufsteigen, der zutreffend so genannte Räucheraltar. 106 Den Altar unter freiem Himmel aber nennt er gewöhnlich Opferaltar, da er, obwohl ihm die Verzehrung der Opfer obliegt, zugleich gewissermassen Hüter und Bewahrer der Opfer ist[40]. Mit diesem Namen deutet er nicht auf die zerstückelten Teile der geopferten Tiere hin, die ja durch Feuer verzehrt zu werden bestimmt sind, sondern auf die Gesinnung des Opfernden. 107 Opfert nämlich ein Verstockter und Ungerechter, so sind seine Opfer unwirksam und seine heiligen Handlungen unheilig, und seine Gebete sind missfällig und schliessen völliges Verderben nicht aus; denn auch wenn sie günstig auszufallen scheinen, bewirken sie nicht Erlösung von Sünden, sondern nur Erinnerung daran. 108 Opfert aber ein Frommer und Gerechter, so bleibt die Wirkung des Opfers unvertilgbar, auch wenn das Fleisch verzehrt ist, ja noch mehr, selbst wenn überhaupt kein Opfertier dargebracht wird. Denn gibt es ein wahrhaft heiliges Opfer ausser dem frommen Sinn einer gottgefälligen Seele? Ihre Dankbarkeit erlangt Unsterblichkeit und bleibt bei Gott wie auf einem Denkmal aufgezeichnet, zugleich mit Sonne und Mond und dem ganzen Weltall ewig bestehend.

109 (11.) Hierauf verfertigte der Künstler die heilige Kleidung für den künftigen Hohenpriester (2 Mos. cap. 28), die in ihrem Gewebe ein herrliches, wunderbares Gespinnst aufwies. Die gewebten Kleidungsstücke waren zweifacher Art, das Unterkleid und das sogenannte Schulterkleid. 110 Das Unterkleid war von einfacherer Art; es war nämlich ganz aus hyacinthfarbigem Stoff, ausser den untersten, den äussersten Saum bildenden Teilen, denn diese waren mit goldenen Granatäpfeln, Glöckchen und gestickten Blumen bunt verziert. 111 Dagegen das Schultergewand, eine sehr prächtige und [323] kunstvolle Arbeit, wurde mit vollendetem Verständnis aus den oben erwähnten Arten hergestellt, aus hyacinthfarbigem Stoff, aus Purpur, Byssus und scharlachrotem Stoff, mit Gold durchwirkt; Goldplatten nämlich, in dünne Härchen zerschnitten, wurden allen Geweben eingewirkt. 112 Auf den Schulterblättern wurden zwei kostbare Steine von prächtigem Smaragd [p. 152 M.] eingefügt, in die die Namen der Stammväter, je sechs in einen Stein, zwölf im ganzen, eingegraben wurden. Und auf der Brust befanden sich zwölf andere prächtige Steine, an Farbe verschieden, Siegeln ähnlich, je drei in vier Reihen; diese wurden dem sogenannten Logeion („Brustschild“) eingefügt. 113 Das Logeion wurde in quadratischer Form gleichsam als Unterlage (für die zwölf Steine) aus zwei Lagen gemacht, um zwei Vorzüge bildlich darzustellen, die Offenbarung und die Wahrheit[41]. Das ganze hing vermittels goldener Schnüre an dem Schulterkleid, daran festgebunden, damit es nicht lose werde. 114 Ferner wurde ein Goldblatt (Stirnblech) gleichsam als Krone verfertigt, das die vier Buchstaben des (Gottes-)Namens trug, den nur solche, deren Ohr und Zunge durch Weisheit geläutert sind, im Heiligtum hören und aussprechen dürfen, sonst überhaupt kein anderer an keinem Orte[42]. 115 Vierbuchstabig ist, so sagt der Gottesforscher (Moses), [324] der Name; er meint damit vielleicht sinnbildlich die ersten Zahlen, eins, zwei, drei und vier, denn alles ist in der Vierheit enthalten: Punkt, Linie, Fläche und fester Körper, die Massformen für das ganze All[43], und auch die besten Akkorde in der Musik[44]: die Quarte in dem Tonverhältnis 4: 3, die Quinte in dem von 3 : 2, die Octave in dem von 2 :1 und die Doppeloctave in dem von 4 : 1. Noch andere unzählige Vorzüge besitzt die Vierzahl, von denen wir die meisten in der Abhandlung über Zahlen[45] ausführlich mitgeteilt haben. – 116 Unter dem Stirnblech befand sich der Kopfbund, damit es den Kopf nicht berühre. Ausserdem aber wurde noch eine spitze Mütze angefertigt; eine solche Mütze pflegen nämlich die orientalischen Könige statt eines Diadems zu tragen.

117 (12.) Solchergestalt war die Kleidung des Hohenpriesters; ihre Bedeutung als Ganzes und in ihren Teilen darf aber nicht übergangen werden. Ihr Ganzes[46] ist ein getreues Abbild des Weltalls, ebenso sind ihre Teile Abbilder der einzelnen Teile der Welt. 118 Beginnen wir mit dem bis auf die Füsse reichenden Gewande. Dies Unterkleid ist ganz hyacinthfarbig[47], [p. 153 M.] ein Bild der Luft; auch sie ist ja von Natur dunkelfarbig[48] und reicht gewissermassen bis zum Saume herab, nämlich von der Region unter dem Monde oben bis zu den Enden der Erde herab sich ausdehnend und überallhin strömend; deshalb umwallt auch das Gewand von der Brust bis zu den Füssen den ganzen Körper. 119 An ihm sind [325] in der Gegend der Knöchel Granatapfel, ferner Blüten[49] und Glöckchen. Die Blüten sind ein Sinnbild der Erde – denn aus ihr blüht und spriesst alles –, die Granatapfel ein Bild des Wassers, sie sind treffend so genannt, denn ihr Name klingt im Griechischen an das Wort für „Fliessen“ an; die Glöckchen ein Sinnbild des harmonischen, einträchtigen Zusammenwirkens dieser Elemente, denn weder ist die Erde ohne Wasser noch das Wasser ohne Erdsubstanz allein zur Hervorbringung hinreichend, sondern erst das Zusammentreten und die Vermischung beider. 120 Ein sehr deutliches Zeugnis für diese Deutung ist auch der Platz dieser Verzierungen; denn wie am äussersten Rande des langen Gewandes die Granatäpfel, die Blüten und die Glöckchen sich befinden, so haben auch die Elemente, deren Sinnbilder sie sind, Erde und Wasser, den untersten Platz im Weltall zu eigen erhalten und zeigen durch ihren Einklang mit der Harmonie des Alls die ihnen eigenen Kräfte in bestimmt abgegrenzten Zeitabschnitten und den ihnen zukommenden Zeiten. 121 So ist für die drei Elemente, aus denen und in denen jegliche sterbliche und vergängliche Gattung besteht, für Luft, Wasser und Erde, als Sinnbild das lange Gewand mit seinen in der Gegend der Knöchel befindlichen Anhängseln in gebührender Weise nachgewiesen. Wie nämlich das Unterkleid eines ist, so sind auch die genannten drei Elemente einer Art, da alles unterhalb des Mondes Wandlungen und Aenderungen erleidet; und wie an [326] dem Unterkleide die Granatäpfel und Blüten hängen, so hängen Erde und Wasser gewissermassen an der Luft, denn ihre Trägerin ist die Luft. 122 Das Schulterkleid ferner wird unsere Betrachtung als Sinnbild des Himmels durch wahrscheinliche Vermutungen nachweisen. Erstens deuten die zwei runden Smaragdsteine auf den Schulterblättern nach der Ansicht mancher Erklärer auf Sonne und Mond hin, die Beherrscher von Tag und Nacht unter den Gestirnen[50]; der Wahrheit näher kommend könnte man jedoch sagen, sie deuten auf die beiden Welthälften: wie die Steine nämlich sind der Teil über der Erde und der unter der Erde gleichartig, und keiner von beiden besitzt die Eigenschaft abzunehmen und zuzunehmen wie der Mond. 123 Auch die Farbe bezeugt dies: denn dem Smaragd ähnlich erscheint das Aussehen des gesamten Himmels unserm Blick. Ganz zutreffend sind aber auch in jedem der beiden Steine sechs Namen eingegraben, weil jede der beiden Welthälften, den Tierkreis in zwei Teile teilend, sechs Sternbilder des Tierkreises für sich erhält. 124 Zweitens: worauf sonst weisen die zwölf in der Farbe ungleichen, auf vier Reihen zu je drei verteilten Steine auf der Brust hin, wenn nicht auf den Tierkreis[51]? Bringt ja auch dieser in seiner [p. 154 M.] vierfachen Zerteilung in je drei Bilder die Jahreszeiten hervor, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, vier Wandlungen, und für jede von ihnen sind drei Tierbilder die Grenze, wie man sie aus den Umdrehungen der Sonne erkennt, die sich nach dem in den Zahlen sich bekundenden unverrückbaren, unwandelbaren, wahrhaft göttlichen Gesetze vollziehen. 125 Deshalb wurden sie auch dem Logeion, das diesen Namen mit Recht trägt[52], eingefügt; denn nach bestimmtem, festem Naturgesetz (Logos) stellen sich die Wandlungen und Jahreszeiten ein und zeigen, was das Wunderbarste daran ist, durch ihre zu bestimmten Zeiten wiederkehrende Veränderung [327] ihre ewige Dauer. 126 Richtig und sehr schön ist es auch, dass die zwölf Steine in der Farbe voneinander verschieden sind und keiner dem andern gleicht. Denn auch von den Bildern des Tierkreises[53] erzeugt jedes eine ihm eigene Färbung sowohl in Luft, Erde und Wasser und den Vorgängen in diesen Elementen als auch bei allen Arten von Lebewesen und Gewächsen. 127 (13.) Aus zwei Lagen besteht das Logeion ganz mit Recht; denn zweifach ist auch der sowohl im All als auch in der Natur des Menschen waltende Gedanke (Logos): im All der der körperlosen, urbildlichen Ideen, aus denen die übersinnliche Welt gebaut wurde, und der der sichtbaren Dinge, welche getreue Abbilder jener Ideen sind und aus denen unsere sinnlich wahrnehmbare Welt geschaffen wurde[54]; ebenso beim Menschen einerseits der im Innern wohnende Gedanke, andrerseits der sich äussernde, und zwar ist der erstere gewissermassen der Quell, der letztere das aus jenem hervorströmende gesprochene Wort[55]; der Ort des ersteren ist die Vernunft, der des sich äussernden Gedankens die Zunge, der Mund und alle anderen Sprachwerkzeuge. 128 Sehr richtig hat ferner der Künstler dem Logeion eine quadratische Gestalt gegeben; er will damit andeuten, dass wie der Gedanke in der Natur, so auch der im Menschen in jeder Beziehung feststehen muss und in keinem Punkte schwanken darf. Demgemäss hat er ihm auch die zwei erwähnten Vorzüge, Offenbarung und Wahrheit, zugewiesen, denn wie der Gedanke der Natur (das Naturgesetz) wahrhaft ist und alles offenbart, so ist auch der Geist des Weisen in dessen Nachahmung gebührendermassen verpflichtet, ebenso in Verehrung der Wahrheit ohne jeden Trug zu sein und [328] nichts missgünstig im Unklaren zu lassen, dessen Mitteilung denen, die Belehrung empfangen, nützen könnte[56]. 129 Aber auch den beiden in jedem von uns wohnenden Gedankenformen, der sich mitteilenden und der innerlichen, hat er zwei ihnen eigene Vorzüge zugewiesen, der sich mitteilenden die Offenbarung, der im Geiste lebenden die Wahrheit. Es ziemt nämlich dem denkenden Geist, dass er keine Lüge in sich aufnimmt, und der Mitteilung, dass sie nichts verhindert, was zur deutlichsten Offenbarung führen kann. 130 Aber das gesprochene Wort ist von keinem Nutzen, trotz aller Verherrlichung des Schönen und Edlen, wenn nicht entsprechende Handlungen sich zu ihm gesellen. Deshalb befestigte er das Logeion an dem Schulterkleid, damit es nicht lose sei, denn er hielt es für unrecht, wenn das Wort von den Werken [p. 155 M.] getrennt ist. Die Schulter ist ihm nämlich das Sinnbild für Tatkraft und Wirken. 131 (14.) Solche Lehren sind es, auf die er durch die heilige Kleidung hindeutet. Die spitze Mütze anstatt des Königsdiadems setzt er ihm aufs Haupt, weil er es für recht hält, dass der der Gottheit Geweihte während der Zeit der heiligen Handlung alle überrage, und zwar nicht nur Laien, sondern auch Könige. 133 Oben darauf aber befindet sich das goldene Stirnblech, in das die vier Buchstaben eingegraben sind, durch die, wie es heisst, der Name des Seienden bezeichnet wird; denn ohne Anrufung Gottes kann nichts Seiendes bestehen; die Harmonie des Alls ist seine Güte und sein gnädiges Walten. 133  Auf diese Weise geschmückt begibt sich der Hohepriester zu den heiligen Handlungen, damit, wenn er zu den herkömmlichen Gebeten und Opfern hineingeht, mit ihm das ganze Weltall eintrete vermöge der Abbilder, die er an sich trägt, nämlich das von der Luft in dem Untergewande, das von dem Wasser in dem Granatapfel, das von der Erde in den Blüten, das von dem Feuer in der scharlachroten Farbe, das von dem Himmel in dem Schulterkleide, und nach dem Bilde der beiden [329] Welthälften die runden Smaragde mit den je sechs Inschriften auf seinen Schultern, ein Bild des Tierkreises in den zwölf Steinen auf seiner Brust, die zu dreien in vier Reihen geordnet sind, endlich ein Bild der das All zusammenhaltenden und ordnenden Kraft in dem Logeion. 134 Denn wer dem Vater des Weltalls zum Priester geweiht war, musste unbedingt dessen an Vortrefflichkeit äusserst vollkommenen Sohn[57] zu seinem Fürsprecher nehmen, sowohl zur Vergebung der Sünden als auch zur Bitte um Gewährung unerschöpflichen Glückes. 135 Vielleicht aber will dies auch lehren, dass der Diener Gottes versuchen solle, wenn es ihm auch nicht möglich sei des Weltschöpfers, so doch wenigstens seiner Welt sich völlig würdig zu erweisen, in deren Abbild gekleidet er die Pflicht hat, das Urbild sofort im Geiste zu tragen, selbst sich gewissermassen aus einem Menschen in ein Weltwesen umzugestalten und, wenn man so sagen darf, – wer über die Wahrheit spricht, hat die heilige Pflicht, volle Aufrichtigkeit zu üben – eine Welt im Kleinen in sich darzustellen[58].

136 (15.) Ausserhalb der Vorhalle an den Eingängen ist ein Waschbecken aus Erz (2 Mos. 30,18), zu dessen Anfertigung der Künstler nicht rohes Material nahm, wie es sonst zu geschehen pflegt, sondern zu anderm Gebrauch sorgfältig verfertigte Geräte, die voller Eifer und mit allem Ehrgeiz die Weiber, in Frömmigkeit mit den Männern wetteifernd, herbeibrachten in der Absicht, damit einen herrlichen Kampfpreis davonzutragen, und nach Kräften bestrebt an Frömmigkeit hinter jenen nicht zurückzubleiben. 137 Ihre Spiegel nämlich, [p. 156 M.] mit deren Hilfe sie ihre Wohlgestalt zu schmücken pflegen, brachten sie (2 Mos. 38,8), ohne jegliche Aufforderung, in [330] freier Selbstbestimmung bereitwillig als schicklichste Weihegabe ihrer Sittsamkeit, ihrer ehelichen Keuschheit und vor allem ihrer seelischen Schönheit dar[59]. 138 Diese nahm der Künstler, und er beschloss sie zu schmelzen und nichts anderes als das Waschbecken aus ihnen zu verfertigen, damit die Priester beim Betreten des Heiligtums, um dort die vorgeschriebenen heiligen Handlungen zu verrichten, dies als Gefäss für das Sprengwasser, besonders beim Waschen von Händen und Füssen, benützten – ein Sinnbild fleckenlosen Lebens und reinen Lebenswandels in lobenswerten Werken, der nicht den rauhen Pfad oder, richtiger gesagt, Unpfad des Lasters, sondern die gerade Bahn der Tugend einherschreitet –. 139 „Es erinnere sich“, so sagt er, „auch wer sich besprengen will, dass der Stoff zu diesem Gefässe Spiegel waren, damit auch er wie in einem Spiegel seinen eigenen Geist betrachte; und wenn irgend ein Makel sich zeigen sollte infolge einer unvernünftigen Empfindung, sei es einer Lust, die widernatürlich überhebt und aufbläht, oder andrerseits eines Schmerzes, der herabstimmt und niederdrückt, oder einer Furcht, die von der Richtung des geraden Weges abzieht und ablenkt, oder der Begierde, die nach dem, was man nicht besitzt, gewaltsam zieht und lockt, so soll er diesen Fehler wie ein Arzt in Behandlung nehmen und heilen und der echten, makellosen Schönheit nachstreben. 140 Denn wie des Leibes Schönheit auf dem Ebenmass seiner Teile, auf der schönen Hautfarbe und der Gesundheit des Fleisches beruht und nur eine kurze Blütezeit hat, so beruht die Schönheit des Geistes auf der Einheitlichkeit der Grundsätze und der Uebereinstimmung der Tugenden, sie welkt nicht durch die Länge der Zeit, sondern erneuert und verjüngt sich, solange sie dauert, geschmückt mit der unvergleichlichen Farbe der Wahrheit und der Uebereinstimmung der Werke mit den Worten und der Worte mit den Werken und ausserdem des Willens mit beiden“[60].

141 (16.) Nachdem er nun selbst über die Urbilder des heiligen Zeltes belehrt worden war und darauf geistig [331] hochbegabte und für die Uebernahme und Ausführung der herzustellenden Arbeiten gut befähigte Männer darin unterwiesen hatte, mussten nach Vollendung des Heiligtums natürlich auch die Geeignetsten zu Priestern gewählt werden und lernen, wie sie die Opfer darbringen und den heiligen Dienst verrichten sollten. 142 Seinen Bruder wählte er seiner Tugend halber vor allen zum Hohenpriester, und dessen Söhne bestellte er zu Priestern, wobei er nicht das eigene Geschlecht bevorzugte, sondern die Gottesfurcht und Frömmigkeit, die er bei ihnen wahrnahm. Ein deutlicher Beweis dafür ist folgendes: keinen seiner beiden Söhne – er hatte deren zwei – würdigte er dieses Amtes, hätte aber doch unbedingt beide gewählt, wenn er der Liebe zu Angehörigen irgend welchen Vorzug hätte einräumen wollen. 143 Er setzte jene aber in das Amt ein unter Zustimmung des gesamten Volkes nach Anweisung der göttlichen Offenbarungen auf [p. 157 M.] eine ganz neue Art, die mitgeteilt zu werden verdient (2 Mos. c. 29. 3 Mos. c. 8). Zuerst wäscht er sie mit reinstem, lebendigem Quellwasser, legt ihnen dann die heiligen Gewänder an, dem Bruder das bis zu den Füssen reichende Untergewand und gewissermassen als Panzer das Schulterkleid, das ganz kunstvoll gewebte Symbol des Alls, den Bruderssöhnen leinene Röcke und Gürtel nebst Beinkleidern: 144 die Gürtel, damit sie unbehindert und ungehemmt in der Ausübung der heiligen Handlungen seien, dadurch dass die lockere Bauschung der Unterkleider durch sie zusammengeschnürt wurde, die Beinkleider, damit nichts, was zu verhüllen geboten ist, sichtbar werde (2 Mos. 28,42), besonders beim Hinaufschreiten zu dem Altar oder beim Hinabsteigen von oben, wenn sie alles im Eifer und mit Schnelligkeit taten. 145 Wäre nämlich nicht die Vorschrift über die Bekleidung zur Verhütung künftiger Ungewissheit so ausführlich gewesen, so würden sie schon bei ihrer eifrigen Beflissenheit im heiligen Dienste sich entblössen und nicht imstande sein, den dem Heiligtum und den Priestern gebührenden Anstand zu wahren[61]. 146 (17.) Nachdem er sie mit den Gewändern geschmückt hatte, nahm er von dem wohlriechenden Salböl, das durch [332] die Kunst der Salbenbereiter hergestellt wurde, und salbte damit zuerst die Gegenstände in dem unbedachten Raume des Heiligtums, den Opferaltar und das Waschbecken, indem er sie siebenmal besprengte, dann das Zelt und jedes einzelne der heiligen Geräte, die Lade, den Leuchter, den Räucheraltar, den Tisch, die Gefässe zu Weinspenden, die Schalen (zum Auffangen des Blutes) und alles andere, was zu den Opfern erforderlich und nützlich ist; und zuletzt führte er den Hohenpriester herbei und salbte ihm das Haupt mit vielem Oel. 147 Nach weihevoller Ausführung dieser Handlungen befiehlt er ein Kalb und zwei Widder zu bringen, jenes, um es zur Vergebung der Sünden zu opfern, womit er andeutet, dass jedem Geborenen, auch wenn er tugendhaft ist, dadurch dass er zur Geburt gekommen, das Sündigen angeboren ist[62], wofür man die Gottheit durch Gebete und Opfer gnädig stimmen müsse, damit sie nicht zürnend strafe. 148 Von den Widdern aber war der eine zum Ganzopfer bestimmt als Dank für die wohlgeordnete Einrichtung des Alls, von der jedem einzelnen in gebührendem Masse etwas zugute komme, da er aus allen Elementen Nutzen ziehe; denn er benutzt die Erde zum Wohnen und zu der von ihr gespendeten Nahrung, das Wasser zum Trinken, zum Baden und zur Schiffahrt, die Luft zum Atmen und zu den Wahrnehmungen durch die Sinne – denn ihr aller Werkzeug ist die Luft – und ferner noch zum Genuss der Jahreszeiten, das Feuer teils im praktischen Gebrauch zum Kochen und Heizen, teils das Feuerelement am Himmel zur Beleuchtung und zur Wahrnehmung alles Sichtbaren. 149 Den andern Widder verlangte er, um die Priester durch heiligende Läuterung zu weihen, weshalb er ihn auch treffend den Widder der „Weihe“ nannte (2 Mos. 29,26. 3 Mos. 8,22), da sie durch ihn in die für Diener Gottes und Vollzieher heiliger Handlungen passenden Weihen eingeführt werden sollten. 150 Von seinem Blute spendet er einen Teil rings um den Altar (2 Mos. 29,20)[63], [333] den andern fängt er in einer untergehaltenen Schale auf und bestreicht damit drei Teile am Körper der zu weihenden Priester, das Ende eines Ohres, das einer Hand und eines Fusses, alle [p. 158 M.] auf der rechten Körperseite. Damit will er sagen, dass der Vollkommene in allem, in Wort und Tat und Leben, rein sein muss. Ueber das Wort urteilt das Ohr, die Hand ist das Sinnbild für die Tat, das für den Lebenswandel der Fuss. 151 Da nun alle drei Handlungen am äussersten Ende der betreffenden Gliedmassen und auf der rechten Seite vorgenommen werden, so ist anzunehmen, dass damit der günstige Fortschritt auf allen Gebieten gemeint ist, der die äusserste Glückseligkeit und das Ziel zu erreichen sucht, nach dem man streben und auf das man alle Handlungen richten muss, indem man, wie beim Bogenschiessen das Ziel, das Lebensziel fest ins Auge fasst. 152 (18.) Zuerst also bestrich er mit dem ungemischten Blute des einen Opfertieres, des sogenannten Weihewidders, die erwähnten drei Gliedmassen der Priester. Dann nahm er von dem von allen geopferten Tieren herrührenden Blute am Altar und von dem erwähnten Salböl, das die Salbenbereiter angefertigt hatten, mischte das Oel mit dem Blute und besprengte mit dieser Mischung die Priester und ihre Gewänder, denn er wollte, dass sie nicht allein an der Reinheit ausserhalb und in dem unbedachten Raume des Heiligtums teilhaben sollten, sondern auch an der im Allerheiligsten, da sie auch innen den Dienst verrichten sollten; alles zum Innern Gehörige war aber mit Oel gesalbt worden. 153 Nachdem sie nun ausser den bisherigen Opfern noch andere, und zwar teils die Priester für sich selbst, teils die Aeltesten für das ganze Volk, dargebracht hatten, geht Moses in das Zelt und führt seinen Bruder mit sich – es war der achte und letzte Tag der Weihezeit, in den sieben vorhergehenden hatte er ihn und die Bruderssöhne in die heiligen Weihen eingeführt – und unterwies ihn wie ein guter Lehrer einen gelehrigen Jünger, auf welche Weise der Hohepriester den Dienst im Innern zu verrichten habe. 154 Darauf treten beide heraus und verrichten, die Hände vor dem Angesichte ausstreckend, die geziemenden Gebete für das Volk aus reinem, frommem Herzen. Während sie [334] noch beten, ereignet sich ein grosses Wunder: aus dem Allerheiligsten schlägt plötzlich – war es nun ein Strahl des reinsten Aethers, oder hatte die Luft in natürlicher Wandlung der Elemente sich in Feuer aufgelöst - eine mächtige Flamme heraus, fährt in jäher Gewalt auf den Altar nieder und verzehrt alles, was sich auf ihm befindet, wohl um aufs deutlichste kundzutun, dass von den heiligen Handlungen keine ohne göttlichen Willen ausgeführt worden war. 155 Ganz auserlesen war, wie billig, die Gabe, die damit dem Heiligtum gewährt wurde: sie kam nicht aus dem Bereiche menschlicher Werktätigkeit, sondern war das reinste Element der Welt; denn das Feuer, das auch bei uns im Gebrauche ist[64], sollte den Altar nicht berühren, weil es vielleicht mit zahllosen Schäden behaftet ist; 156 denn es wird nicht nur angezündet beim Braten oder Kochen vernunftloser Tiere zu unrechter Sättigung des unseligen Magens, sondern auch bei der mit Vorbedacht [p. 159 M.] unternommenen Tötung von Menschen, und zwar nicht bloss von drei oder vier, sondern auch von zahlreichen Massen: 157 sogar grosse Flotten mit voller Bemannung haben ja abgeschossene Brandpfeile schon verbrannt und ganze Städte verzehrt, die qualmend bis auf den Grund zu Asche vernichtet wurden, so dass auch nicht eine Spur der früheren Stätte übrig geblieben ist. 158 Aus diesem Grunde, glaube ich, wies Gott das im Hausbedarf benutzte Feuer als ein beflecktes von dem hochheiligen, reinen Altar hinweg und sandte dafür eine ätherische Flamme aus dem Himmel herab zur Unterscheidung des Heiligen vom Unheiligen, des Menschlichen vom Göttlichen. Denn es geziemte sich, dass den Opfern ein Feuer von mehr unvergänglicher Wesensart gewährt wurde als die des Feuers ist, das zur Bereitung der Lebensbedürfnisse dient.

159 (19.) Da aber täglich viele Opfer und besonders bei Versammlungen und an Festtagen, sowohl für einzelne als auch für die Gesamtheit, aus zahllosen und nicht immer gleichen Veranlassungen dargebracht werden mussten, wie es [335] bei der Frömmigkeit eines so grossen Volkes selbstverständlich war, so bedurfte es zu dem heiligen Dienst auch einer Menge von Tempelwärtern. 160 Ihre Wahl fand wiederum auf eine ganz neue und ungewöhnliche Weise statt: einen von den zwölf Stämmen erachtete er nach seinem Verdienst für geeignet und wählte er für dies Amt, das er als Preis und Auszeichnung für ein gottgefälliges Werk verheissen hatte. 161 Dies Werk war folgendes (2 Mos. cap. 32). Als Moses auf den Berg in der Nähe gestiegen war und dort mehrere Tage mit Gott allein war, hielten die von Natur Wankelmütigen seine Abwesenheit für eine günstige Gelegenheit; als ob völlige Führerlosigkeit eingetreten wäre, gaben sie sich zügellos unfrommem Tun hin und wurden, die Ehrfurcht gegen das wahrhaft seiende Wesen vergessend, Verehrer der aegyptischen Gebilde. 162 Also verfertigten sie[65] einen goldenen Stier, eine Nachbildung des Tieres, das in jenem Lande für das heiligste galt, brachten unheilige Opfer dar, führten unfromme Reigentänze auf, sangen Hymnen, die von heidnischen Trauergesängen[66] nicht verschieden waren, und wurden durch den übermässigen Genuss ungemischten Weines von einem zweifachen Rausch ergriffen, infolge des Weines und ihrer Unvernunft, und schmausend und schwärmend verlebten sie die ganze Nacht, unbekümmert um die Zukunft, in dem süssen Laster. Aber ihrer wartete die gerechte Vergeltung, die auf die Verblendeten sah und auf die Strafen, die sie verdienten. 163 Als nun das unaufhörliche Schreien der in grossen Haufen Versammelten aus dem Lager bis in weite Entfernung drang, so dass das Getöse sogar bis auf den Bergesgipfel gelangte, da traf es das Ohr des Moses, und er, in seiner Liebe zu Gott und zu den Menschen zugleich, befand sich in grosser Ratlosigkeit: weder konnte er sich entschliessen, das vertraute Gespräch mit der Gottheit zu verlassen, das er in der Einsamkeit allein mit ihr pflegte, noch auch wollte er untätig bleiben, wenn die Menge die bösen Folgen der Abwesenheit des Führers in vollem Masse [336] erfahre. 164 Denn er erkannte den Lärm, weil er imstande war, [p. 160 M.] aus dem undeutlichen Stimmengewirr das eigentümliche Wesen anderen unbekannter und verborgener Seelenvorgange zu erschliessen, und merkte, dass die herrschende Unruhe vom Weinrausch herrühre, da Unmässigkeit Uebersättigung und Uebersättigung Frevelmut erzeugt. 165 So nach beiden Seiten hierhin und dorthin mit starker Macht gezogen, wusste er nicht, was er tun solle. Da wird ihm, während er dies erwog, von Gott verkündet: „Geh schnell von hinnen, steig hinab; der Gesetzlosigkeit hat das Volk sich hingegeben; sie beten als Gott einen stierförmigen, von Menschenhand gefertigten Ungott an und opfern ihm, uneingedenk alles dessen, was sie gesehen und was sie gehört haben und was sie zur Gottesfurcht führen sollte“. 166 Betäubt und gezwungen das Unglaubliche zu glauben, sprang er als Mittler und Versöhner nicht sofort hinab, sondern verrichtete zuvor die inbrünstigsten Gebete für das Volk um Vergebung für die begangenen Sünden. Erst als der sorgende Fürbitter den Herrn besänftigt hatte, kehrte er erfreut und niedergeschlagen zugleich zurück: erfreut war er, weil die Gottheit sein Flehen erhört hatte, voller Sorge und Niedergeschlagenheit aber und in Aufregung ob des Frevels der Menge. 167 (20.) Als er nun in die Mitte des Lagers kam und den plötzlichen Abfall der Menge sah und staunend wahrnahm, mit welchem Trugbilde sie die grosse Wahrheit vertauscht hatten, bemerkte er, dass die Seuche nicht alle ergriffen hatte, sondern dass einige noch gesund und dem Bösen abgeneigt waren. Um nun die Unheilbaren von den über die Vorgänge Erzürnten und den etwa ihre Sünde Bereuenden unterscheiden zu können, erlässt er die Aufforderung – dies war ein deutlicher Prüfstein für die Gesinnung eines jeden inbezug auf die Frömmigkeit und ihr Gegenteil –: „Wer zum Herrn hält, der komme zu mir!“ (2 Mos. 32,26). 168 Ein kurzer Spruch, aber von grossem Inhalt; sein Sinn ist etwa folgender: wer keines von den Werken von Menschenhand oder von den geschaffenen Wesen für einen Gott hält, sondern nur den Einen, den Leiter des Alls, der trete zu mir! 169 Von den übrigen nun achteten die einen, die in ihrem Eifer für den ägyptischen Wahn abtrünnig geworden waren, [337] auf seine Worte gar nicht, die anderen hatten vielleicht aus Furcht vor Züchtigung nicht den Mut näher zu treten, weil sie entweder die Strafe von Moses’ Hand zu fürchten hatten oder die Auflehnung des Volkes; denn immer ist die Menge denen feindlich, die nicht ihre Torheit mitmachen. 170 Nur der sogenannte Levitische Stamm allein eilte, dem Rufe gehorchend, wie auf ein Losungswort eifrig herbei und bewies so durch seine Schnelligkeit die Bereitwilligkeit und den [p. 161 M.] eifrigen Drang der Seele zur Frömmigkeit. 171 Als Moses sie wie aus den Schranken der Rennbahn um die Wette heraneilen sah, sprach er: „Ob ihr nicht bloss mit den Leibern, sondern auch mit dem Herzen in solchem Eifer zu uns kommt, das sollt ihr sofort beweisen. Jeder ergreife ein Schwert und töte alle, die getan haben, was vielfachen Tod verdient; denn sie haben den wahren Gott verlassen und sich Götter gemacht, die fälschlich diesen Namen tragen; sie nannten vergängliche, geschaffene Wesen mit dem Namen des Unvergänglichen, Unerschaffenen; er schone selbst Verwandte und Freunde nicht, als Freundschaft und Verwandtschaft betrachte er allein die Frömmigkeit der Edlen“. 172 Dieser Aufforderung mit Bereitwilligkeit entgegenkommend – denn sie waren im Herzen jenen schon geradezu entfremdet, seitdem sie den begangenen Frevel gesehen hatten –, töten sie gegen 3000 Jünglinge von denen, die noch vor kurzem ihre liebsten Freunde gewesen waren. Als die Leichen mitten auf dem Versammlungsplatze lagen, wurde die Menge bei ihrem Anblick einerseits von Mitleid mit ihnen ergriffen und begann andrerseits die noch immer glühende und zornerfüllte Entschlossenheit der Vollstrecker des Todesurteils zu fürchten und kam so durch Furcht zur Besinnung. 173 Moses aber dachte in Anerkennung ihrer Heldentat an eine Ehrung für sie und sicherte ihrer Tat den ihr angemessenen Lohn: die für Gottes Ehre freiwillig einen Kampf unternommen und in kurzer Zeit zu glücklichem Ende geführt hatten, sollten gebührendermassen seines Dienstes gewürdigt werden durch Erlangung des Priestertums.

174 (21.) Da es aber nicht nur eine Klasse der im heiligen Dienste Tätigen gab, sondern den einen, die bis ins Allerheiligste [338] gehen dürfen, die Verrichtung der Gebete, der Opfer und der anderen heiligen Handlungen oblag, den anderen, die manche „Tempelwärter“ nennen, nichts von alledem, sondern nur die Besorgung und Obhut des Heiligtums und aller Gegenstände darin bei Tag und bei Nacht, so machte sich die Uneinigkeit über den Vorrang, die schon bei vielen häufig Anlass zu grossem Unglück geworden ist, auch hier geltend (4 Mos. 16,1ff.): die Tempelwärter erhoben sich gegen die Priester und sannen darauf, das diesen überwiesene Ehrenamt an sich zu reissen; sie hofften, dass dies leicht sein werde, da sie jenen an Zahl um ein vielfaches überlegen waren. 175 Damit es aber nicht schiene, als ob sie im eigenen Interesse nach Aenderung der Lage strebten, überreden sie auch den ältesten der zwölf Stämme, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, und diesem schlossen sich viele der Unbesonnenen an, da er das Recht des Erstgeborenen auf die Führung geltend machen konnte. 176 Moses erkannte, dass dieser grosse Aufstand gegen ihn selbst gerichtet sei; denn er hatte gemäss dem ihm geoffenbarten Gottesworte seinen Bruder zum Hohenpriester erwählt, es gingen aber verläumderische Reden um, als hätte er die Offenbarungen erdichtet und die Wahl nur wegen der Verwandtschaft und aus Liebe zum Bruder getroffen. 177 Darüber natürlich betrübt, nicht nur, dass er Misstrauen begegne, trotzdem er so viele Proben seiner Vertrauenswürdigkeit abgelegt hatte, sondern auch, dass dies in Angelegenheiten der Gottesverehrung geschehe, um derentwillen [p. 162 M.] allein schon auch, wer sonst unwahrhaftigen Charakters ist, aufrichtig sein musste – ist ja die Wahrheit die Begleiterin Gottes –, verschmähte er es, sie mit Worten über seine Handlungsweise zu belehren, da er wohl wusste, dass der Versuch einer Umstimmung derer, die durch gegensätzliche Ansichten voreingenommen sind, sehr schwer ist, sondern fleht zu Gott, ihnen sichtbare Beweise dafür zu liefern, dass bei der Wahl zum Priesteramte kein Trug stattgefunden habe[67]. 178 Da befiehlt Gott (4 Mos. 17,16ff.), [339] zwölf Stäbe in gleicher Zahl mit der der Stämme zu nehmen, auf elf von ihnen die Namen der anderen Stammeshäupter zu schreiben und auf den noch übrigen den seines Bruders, des Hohenpriesters, und dann sie in das Heiligtum bis ins Allerheiligste zu tragen. Er tut, wie ihm befohlen, und wartet gespannt auf den Ausgang der Sache. 179 Am folgenden Tage geht er, durch einen Gottesspruch veranlasst, in Anwesenheit des ganzen Volkes hinein und holt die Stäbe heraus. Mit den anderen war keinerlei Veränderung vorgegangen, dagegen hatte an dem einen, auf den der Name seines Bruders geschrieben war, sich ein Wunder begeben: wie ein edles Pflanzenreis hatte er überall frische Schösslinge getrieben und war mit einer reichen Fülle von Früchten beladen. 180 (22.) Die Früchte waren Mandeln[68], deren Natur der anderer Früchte ganz entgegengesetzt ist. Während nämlich bei den meisten anderen, bei der Weintraube, bei der Olive, bei den Aepfeln, der Samenkern und der essbare Teil der Frucht voneinander verschieden und auch räumlich getrennt sind – draussen der essbare Teil, der Samenkern dagegen drinnen (von einer Hülle) umschlossen –, ist der Samenkern und der essbare Teil der Mandel ein und dasselbe: beide bilden eines in der Erscheinung und ihr Platz ist derselbe im Innern der Frucht, durch eine doppelte Umfriedigung geschützt und ringsum wohlverwahrt, nämlich durch eine recht dicke Schale und ein fast holziges Gebilde. Damit wird auf die vollendete Tugend hingedeutet. 181 Wie nämlich in der Mandel Anfang und Ende ein und dasselbe ist, und zwar Anfang, insofern sie Samenkern, Ende, insofern sie Frucht ist, so verhält es sich auch mit den Tugenden: jede ist Ausgangspunkt und Ziel zugleich, Ausgangspunkt, weil sie nicht aus einer fremden Kraft, sondern nur aus sich selbst erwächst, und Ziel, weil das naturgemässe Leben zu [340] ihr hinstrebt. 182 Dies ist der eine Grund; es wird aber noch ein andrer angegeben, der noch bedeutungsvoller als der erste ist. Bei der Mandel ist die Schale bitter und die im Innern wie ein hölzerner Zaun den Kern umgebende Hülle sehr derb und fest, die von beiden eingeschlossene Frucht daher nicht leicht zu gewinnen. 183 Dies stellt er als Sinnbild für die ringende Seele hin, womit er sie zur Tugend anspornen zu müssen glaubt, indem er lehrt, dass ihrer Erlangung Mühe vorhergehen muss: bitter, widerwärtig und hart ist die Arbeit, aus der das Glück erwächst; deshalb ist Verweichlichung zu vermeiden. 184 Denn wer die Anstrengung flieht, [p. 163 M.] der flieht auch das Gute; wer aber standhaft und männlich die Schwierigkeiten aushält, dessen Streben ist auf dem Wege zur Glückseligkeit. Denn in Ueppiglebenden, seelisch Verweichlichten und körperlich infolge täglicher, unausgesetzter Schwelgerei entnervten Menschen kann Tugend nicht wohnen, wegen schlechter Behandlung betreibt sie bei ihrer Herrin, der aufrechten Vernunft[69], ihr Scheiden und zieht von dannen. 185 Aber in Wahrheit sucht die hochheilige Vereinigung von Einsicht, Mässigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit[70] die Strebenden und alle die auf, die nüchterner, harter Lebensführung in Enthaltsamkeit und Standhaftigkeit mit Einfachheit und Anspruchslosigkeit sich hingeben, wodurch die bedeutendste unserer Fähigkeiten, die Urteilskraft, zu fester Gesundheit und zum Wohlbefinden fortschreitet, indem sie den schweren Widerstand des Körpers niederwirft, den Trinken und Schlemmen, Geilheit und die anderen unersättlichen Begierden stärken, da sie Wohlbeleibtheit erzeugen, die Gegnerin einsichtigen Sinnes. 186 Vom Mandelbaum sagt man übrigens, dass er, wie er unter den Bäumen, die im Frühling zu knospen pflegen, als erster blühe und so ein froher Vorbote der Fülle von Baumfrüchten sei, so auch als letzter sein Laub abwerfe und so alljährlich sein schönes in Grün prangendes Greisenalter am längsten ausdehne. Beide Eigenschaften stellt er als Sinnbild des Priesterstammes[71] [341] hin und deutet damit an, dass auch er als erstes und letztes Glied des gesamten Menschengeschlechts blühen wird, bis es der Gottheit gefallen wird, unser Leben der Zeit der Frühlingswende gleich zu machen, indem sie die tückische Habsucht, die Quelle des unglücklichen Lebens, aus der Welt schafft.

187 (23.) Da, wie wir ausgeführt haben, der vollkommenste Führer vier Eigenschaften aufweisen muss, die eines Königs, eines Gesetzgebers, eines Priesters und eines Propheten, um als Gesetzgeber das, was zu tun nötig ist, zu befehlen und das Unstatthafte zu verbieten, als Priester nicht nur die weltlichen, sondern auch die religiösen Interessen wahrzunehmen, und als Prophet das, was nicht mit dem Verstand begriffen wird, auf Grund göttlicher Offenbarung zu künden, so gehe ich nach der Erörterung der drei ersten Eigenschaften und dem Nachweis, dass Moses der beste Herrscher, Gesetzgeber und Oberpriester war, nunmehr daran zu zeigen, dass er auch der bewährteste Prophet gewesen ist. 188 Wohl weiss ich zwar, dass alles, was in den heiligen Büchern aufgezeichnet ist, durch ihn mitgeteilte göttliche Offenbarungen sind; aber ich will von den ihm besonders eigentümlichen Leistungen (als Prophet) sprechen, nachdem ich nur das folgende vorausgeschickt habe. Die Gottesworte wurden teils von Gott selbst durch Vermittlung des göttlichen Propheten[72] verkündet, teils in Form von Frage und Antwort als Gottes Wille offenbart, teils von Moses selbst im Zustande innerer Begeisterung und Verzückung ausgesprochen[73]. 189 Die der [342] ersten Art sind ganz und gar Offenbarungen der göttlichen Eigenschaften, nämlich seiner Gnade und seines Wohlwollens, [p. 164 M.] durch die er alle Menschen zu tugendhaftem Leben anleitet und ganz besonders das für seinen Dienst befähigte Volk, dem er den Weg zur Glückseligkeit bahnt. 190 Die zweite Art setzt einen innigen Verkehr voraus, da der Prophet über das, was er wissen will, anfragt und die Gottheit ihm antwortet und ihn belehrt. Die dritte Art ist dem Gesetzgeber vorbehalten, dem die Gottheit die Gabe des Voraussehens erteilt hat, durch die er die Zukunft im Namen Gottes künden kann. 191 Von einer Besprechung der Offenbarungen der ersten Art wollen wir absehen, denn sie sind zu gross, als dass sie von einem Menschen gerühmt werden können, ja kaum Himmel, Weltall und die gesamte Natur könnten sie würdig preisen; übrigens werden sie auch gewissermassen durch einen Dolmetsch verkündet; Verdolmetschung aber ist etwas anderes als Prophezeiung. Die zweite Art aber will ich nunmehr darzulegen versuchen und mit ihr alsdann die dritte Art verbinden, in der die Verzückung des Redenden zu Tage tritt, ein Zustand, der ihn besonders und im eigentlichen Sinne als Propheten erscheinen lässt.

192 (24.) Wir wollen nun unser Vorhaben auf folgende Weise beginnen. Es gibt vier Stellen, in denen gesetzliche Bestimmungen durch Weissagungen in Form von Frage und Antwort erlassen werden; ihre Art ist gemischter Natur: einerseits ist der Prophet während der Frage in Verzückung, andrerseits erteilt der Allvater die Offenbarung, indem er Rede und Antwort mitteilt. Der erste Fall betrifft einen Uebeltäter, der nicht bloss Moses, den frömmsten aller Menschen, die je gelebt haben, sondern auch einen, der von der Frömmigkeit nur ein wenig gekostet hat, in Zorn versetzen musste (3 Mos. 24,10ff.). 193 Ein Bastard, Sohn ungleicher Eltern, eines ägyptischen Vaters und einer jüdischen Mutter, missachtete die angestammten Sitten der Mutter, neigte sich, wie die Erzählung lautet, dem aegyptischen Unglauben zu und trat eifrig für die Gottlosigkeit der Aegypter ein. 194 Fast von allen Völkern nämlich sind die Aegypter die einzigen, die die Erde als Bollwerk gegen den [343] Himmel behandelten, indem sie jene göttlicher Ehren für würdig erklärten, während sie diesem keine besonders hohe Verehrung zuteil werden liessen, als müsste man mehr als die Residenz die äusserste Grenze in Ehren halten; ist ja im Weltenbau der Himmel die hochheilige Residenz, der äusserste Rand aber die Erde, an sich zwar aller Ehren wert, aber im Vergleich mit der Region des Aethers so weit hinter ihm zurückbleibend wie die Finsternis hinter dem Licht, wie die Nacht hinter dem Tage, wie die Vergänglichkeit hinter der Unvergänglichkeit und der Sterbliche hinter Gott. 195 Da nämlich ihr Land nicht wie die anderen durch Regen befruchtet wird, sondern durch die Ueberschwemmungen des Stromes bewässert zu werden pflegt, so stellen die Aegypter in ihrer Lehre den Nil wie ein Abbild des Himmels als Gottheit dar und sprechen mit Stolz von ihrem Lande. 196 (25.) Jener Mischling nun verlor in einem Zank mit einem Manne aus dem Gott zu schauen befähigten[74] und nach Erkenntnis strebenden Volke vor Zorn die Herrschaft über sich, und da er zugleich ein Eiferer für die ägyptische Gottlosigkeit war, dehnte er seinen Frevel von der Erde bis zum Himmel aus: [p. 165 M.] mit fluchwürdiger, schuldbeladener, befleckter Seele und Zunge und allen andern Sprachwerkzeugen fluchte er in Ueberbietung aller Schlechtigkeit dem, den zu preisen nicht einmal allen, sondern allein den Edelsten gestattet ist, die in vollkommener Reinheit die Weihen empfangen haben. 197 Daher staunte Moses ob der Sinnesverblendung und des Uebermasses von Keckheit, aber obwohl er von edler Entschlossenheit erfüllt war und den Wunsch hatte, mit eigener Hand den Menschen aus dem Wege zu räumen, fürchtete er doch, die Strafe, die er vollziehen wollte, könnte zu leicht sein; denn eine Züchtigung, die einem solchen Frevel entspräche, zu ersinnen hätte ein Mensch nicht vermocht. 198 Denn hat schon die Versagung der Ehrfurcht gegen Gott die Folge, dass man weder Eltern noch Vaterland noch Wohltäter ehrt, welches Uebermass von Schlechtigkeit blieb für den noch [344] übrig, der neben der Verweigerung der Ehrfurcht noch die Frechheit besitzt, Gott zu lästern? Und doch ist selbst das Lästern noch unbedeutend im Vergleich mit dem Fluchen. Wenn aber unablässige Geschwätzigkeit und Zügellosigkeit des Mundes sich in den Dienst gesetzesfeindlichen Unverstandes stellen, dann wird ein ganz unerhörter Frevel verübt. 199 O Mensch, fluchen kann jemand Gott? welchen andern Gott kann er zur Bekräftigung seines Fluches anrufen? oder ruft er ihn selbst gegen ihn an? Fort mit so unheiligen, frevelhaften Einfällen! Die arme Seele müsste nach dem Gebote der Schicklichkeit von ihrer Befleckung durch solche Sprache, bei der der stumpfe Sinn des Gehörs ihr seinen Dienst leistete, sich rein waschen. 200 Und die Zunge dessen, der ein so frevelhaftes Wort gesprochen, wurde nicht gelähmt, und die Ohren dessen, der ihn hören musste, wurden nicht verstopft? Es müsste dies denn Absicht der vergeltenden Gerechtigkeit gewesen sein, die weder einen sehr hohen Grad des Guten noch sehr grosse Schlechtigkeit im Dunkel lassen zu dürfen glaubt, als augenfälligsten Beweis von Tugend oder Lasterhaftigkeit, um für jene die gebührende Anerkennung, für diese die verdiente Strafe zu bestimmen. 201 Aus diesem Grunde heisst er den Uebeltäter in Gewahrsam bringen und in Fesseln legen, wendet sich aber an die Gottheit mit der Bitte um Verzeihung wegen des Zwanges der Sinne, durch den wir auch sehen, was nicht recht ist zu sehen, und hören, was nicht recht ist zu hören, und fleht sie an ihm kundzutun, was dem Urheber so ausserordentlicher, ungewöhnlicher Gottlosigkeit und Freveltat geschehen solle. 202 Und Gott befiehlt ihn zu steinigen, wohl weil er die Bestrafung durch Steine als gebührende Strafe erachtete für den Mann mit der steinharten, unempfindlichen Seele, zugleich aber auch weil er wollte, dass alle Angehörigen des Volkes, die, wie er wusste, sehr ergrimmt und wütend waren, bei der Bestrafung mitwirken. Die gemeinsame Beteiligung so vieler Myriaden konnte aber nur durch Steinwürfe erfolgen. 203 Nach der Bestrafung des Gottlosen und Schuldbefleckten wurde eine neue Verordnung erlassen, die man wohl sonst nie einer besonderen Aufzeichnung für wert [345] erachtet hätte; allein die unvorhergesehenen Umsturzbestrebungen erfordern auch neue Gesetze zur Verhinderung [p. 166 M.] solcher Verbrechen. Sofort wird also folgendes Gesetz gegeben: „Wer Gott flucht, macht sich einer Sünde schuldig, wer aber den Namen des Herrn ausspricht, soll sterben (3 Mos. 24,15.16)“. 204 Ganz recht, o Allweiser, du allein hast ungemischte Weisheit unverfälscht genossen. Du hast das Nennen für schlimmer gehalten als das Verwünschen? Denn sonst hättest du einen Mann, der die schwerste Gottlosigkeit begangen, nicht so milde behandelt, indem du ihn gewöhnlichen Sündern beigeselltest, während du gegen einen, der anscheinend ein geringeres Unrecht begangen, die äusserste Strafe, den Tod, festsetztest. 205 (26.) Aber offenbar hat das vorliegende Gesetz mit dem Worte „Gott“ nicht den Höchsten, den Schöpfer des Alls, sondern die heidnischen Götter[75] im Sinne. Fälschlich heissen „Götter“ die Kunstwerke von Malern und Bildhauern; denn mit Bildsäulen von Holz und Stein und ähnlichen Werken ist die Welt angefüllt, und ihrer Beschimpfung muss man sich enthalten, damit keiner der Jünger des Moses sich gewöhne überhaupt die Benennung „Gott“ geringzuachten; denn diese Bezeichnung ist hochbedeutsam und verehrenswert. 206 Wer aber gegen den Herrn von Menschen und Göttern, ich will nicht sagen ein beschimpfendes [346] Wort spricht, sondern auch nur seinen Namen bei ungehöriger Gelegenheit auszusprechen wagt, der soll als Strafe den Tod erleiden. 207 Sprechen ja auch die, denen die Ehre ihrer Eltern, die doch sterblich sind, am Herzen liegt, deren Namen nicht aus, sondern rufen sie aus Ehrfurcht vor ihnen mit Verschweigung der Eigennamen unter den natürlichen Benennungen, indem sie sie „Vater“ und „Mutter·“ nennen, Namen, durch die sie sofort ihre unübertrefflichen Wohltaten und die eigene Dankbarkeit bekunden. 208 Und da sollen noch Leute auf Nachsicht Anspruch machen dürfen, die den hochheiligen göttlichen Namen im Ueberschwall der Rede bei unpassender Gelegenheit und als Redefüllsel gebrauchen?

209 (27.) Nach der Ehrung des Schöpfers des Alls umgab der Prophet den heiligen Sabbat mit Feierlichkeit, da er mit seinem scharfblickenden Auge sah, dass seine alles überragende Schönheit dem Himmel und überhaupt dem ganzen Weltgebäude aufgeprägt ist und von der Natur selbst im Bilde wiedergegeben wird. 210 Er fand nämlich erstens, dass die Siebenzahl mutterlos sei, nicht durch ein Weib geboren, allein aus des Vaters Samen ohne Zeugung entsprossen und ohne Befruchtung entstanden. Zweitens erkannte er, dass sie nicht bloss überaus schön und mutterlos sei, sondern auch ewig jungfräulich, weder einer Mutter Kind noch selbst Mutter, weder aus Verwesung hervorgegangen [p. 167 M.] noch zu verwesen bestimmt[76]. Zum dritten bemerkte er bei seiner Forschung, dass der siebente Tag auch der Welt Geburtstag sei, den der Himmel feiert und die Erde und alle Wesen auf der Erde in Freude und Fröhlichkeit ob der in allem harmonischen Siebenzahl. 211 Aus diesem Grunde verfügte der in allem grosse Moses, dass die Bürger seiner heiligen Gemeinschaft der Ordnung der Natur gemäss den Sabbat als Volksfest feiern durch Heiterkeit und Frohsinn und durch Enthaltung von Feldarbeiten, von gewerblicher auf Gewinn bedachter Tätigkeit und von allen Beschäftigungen zur Beschaffung der Lebensbedürfnisse, durch friedliches [347] Verhalten und Loslösung von jeglicher mühsamen und ermüdenden Sorge; ihre Musse sollten sie aber nicht wie manche den Scherzen oder den Tändeleien oder den Darbietungen von Possenreissern oder Tänzern widmen, um welche die Schauspielwütigen sich quälen und zu Tode hetzen und so vermittels der hervorragendsten Sinne, des Gesichts und des Gehörs, die zur Königin geschaffene Seele zur Sklavin machen, sondern lediglich der Beschäftigung mit der Philosophie. 212 Nicht jedoch mit einer Philosophie, wie sie von Wortjägern und Sophisten betrieben wird, die Lehrsätze und Reden wie andere Ware auf dem Markte feilbieten, die nicht erröten, immerfort Philosophie gegen Philosophie – o Erde und Sonne! – ins Feld zu führen, sondern mit der echten Philosophie, die aus dreierlei, aus Entwürfen, Worten und Handlungen, in ein einheitliches Wesen wohl zusammengefügt ist, zur Erwerbung und zum Genuss der Glückseligkeit. 213 Um diese Verordnung unbekümmert, obwohl ihm die Gottesworte über den heiligen Sabbat noch frisch in den Ohren tönen mussten, die die Gottheit ohne den Propheten durch eine – was das grösste Wunder war – sichtbare[77] Stimme verkündet hatte, die die Augen der Anwesenden mehr noch als die Ohren auf sich gelenkt hatte, ging jemand hinaus, um Holz zu sammeln, mitten durch das Lager, während er doch wusste, dass alle in ihren Zelten ruheten (4 Mos. 15,32 ff); und es war noch dazu ersichtlich, dass er diesen Frevel absichtlich so verübte, dass er keinem verborgen bleiben sollte. 214 Es waren nämlich einige vors Tor in die Einsamkeit gegangen, um an reiner, stiller Stätte zu beten; da sahen sie die gesetzwidrige Tat, wie jener Brennholz zusammentrug, und in ihrem Unmut waren sie nahe daran ihn zu töten, aber sie gaben der Vernunft Gehör und bezähmten ihre zornige Erregung; denn es sollte weder den Anschein haben, als wollten Privatleute an Stelle der Vorgesetzten [348] jemand bestrafen, und noch dazu ohne Rechtsprechung, wenn die Uebertretung auch sonst offenbar war, noch sollte die Heiligkeit des Sabbats die Befleckung durch einen Mord, und wäre er noch so gerechtfertigt, erleiden. Daher ergriffen sie ihn und führten ihn zu ihrem Führer, mit dem die Priester beisammensassen, während das gesamte Volk als Zuhörer dabeistand. 215 Es war nämlich Sitte, immer, soweit die Verhältnisse es gestatteten, vorzugsweise aber, wie schon früher erwähnt, an den Sabbaten zu philosophieren, wobei der Führer Anleitungen und Belehrungen gab über das, was zu tun und zu sagen war, und die anderen dadurch an [p. 168 M.] Tugend zunahmen und in Sitte und Lebenswandel sich veredelten. 216 Seitdem beschäftigen sich noch bis heute die Juden an den Sabbaten mit der Philosophie ihrer Väter und widmen jene Zeit der Wissenschaft und dem Nachdenken über die Fragen der Natur[78]. Ihre Bethäuser in den einzelnen Städten sind nichts anderes als Lehrstätten der Weisheit, Mannhaftigkeit, Mässigung, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Heiligkeit und jeglicher Tugend, durch die die weltlichen und religiösen Interessen überdacht und zu rechtem Ziele geführt werden. 217 (28.) So wurde denn damals der Täter eines solchen Frevels in Gewahrsam abgeführt. Moses aber wusste nicht, was mit dem Menschen geschehen solle, – dass seine Tat den Tod verdiene, sagte er sich wohl, aber welches wäre wohl die passende Art der Bestrafung? – er wendet sich daher mit unsichtbarer Seele an den unsichtbaren Gerichtshof und fragt den schon vor dem Hören alles wissenden Richter, welches Urteil er gefällt habe. 218 Und Gott verkündet den Urteilsspruch, er sei des Todes schuldig, und die Tötung solle auf keine andere Weise erfolgen als durch Steinigung, weil auch ihm ebenso wie dem früheren Frevler der Geist sich in empfindungslosen Stein verwandelt habe, denn er habe die vollendetste Gesetzesübertretung begangen, worin fast alle anderen Gebote über die Heilighaltung des Sabbats mit inbegriffen seien. 219 Inwiefern? Weil nicht nur die handwerksmässigen, sondern auch alle anderen Gewerbe und Beschäftigungen und ganz besonders die auf Gewinn und auf [349] Beschaffung der Lebensbedürfnisse zielenden teils mit unmittelbarer Benutzung des Feuers teils nicht ohne die durch Feuer hergestellten Werkzeuge ausgeübt werden. Daher untersagt er wiederholt an den Sabbaten Feuer anzuzünden, weil dies die hauptsächlichste und wichtigste Veranlassung zum Arbeiten ist, bei deren Ruhe auch die einzelnen Werktätigkeiten naturgemäss, wie er erwartete, mit ruhen würden. 220 Der Stoff aber für das Feuer ist das Holz, und so beging der Holzsammler eine Sünde, die dem Feueranzünden aufs engste verwandt ist, und verübte dabei eine zweifache Gesetzesübertretung, insofern er einerseits trotz des Gebots der Ruhe sammelte und andrerseits solche Dinge sammelte, die Stoff für Feuer sind, d. i. das erste Mittel für gewerbliche Tätigkeit.

221 (29.) Die beiden angeführten Stellen enthalten die Bestrafung von Gottlosen, die durch Frage und Antwort festgesetzt wurde. Zwei andere sind nicht derselben, sondern ganz verschiedener Art, die eine von ihnen bezieht sich auf die Erbfolge, die andere dem Anscheine nach auf eine heilige [p. 169 M.] Handlung, die ausserhalb der gesetzlichen Zeit vollzogen wird; über diese letztere wollen wir zunächst sprechen. 222 Den Anfang der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche bezeichnet Moses als den ersten Monat im Jahresumlauf (2 Mos. 12,2), wobei er anders als manche andere weniger der Zeit als den Gaben der Natur, die diese für die Menschen wachsen lässt, den bestimmenden Wert einräumte. Zu dieser Zeit nämlich gelangen die unentbehrlichen Nahrungsmittel, die Saatfrüchte, zu voller Reife, während die Frucht der in Blüte stehenden Bäume eben im Entstehen begriffen ist; denn sie nimmt erst den zweiten Rang ein und reift deshalb auch spät. Immer nämlich muss in der Natur das nicht ganz Unentbehrliche hinter dem durchaus Unentbehrlichen zurückstehen. 223 Ganz unentbehrlich aber sind Weizen, Gerste und alle anderen Nahrungsmittel, ohne die man nicht leben kann; Oel aber, Wein und Baumfrüchte gehören nicht zu den unentbehrlichen Lebensmitteln, da auch ohne sie die Menschen ihr Leben viele Jahre hindurch bis in ein sehr hohes Greisenalter hinein ausdehnen können. 224 In diesem [350] Monate nun, am 14. Tage, wenn die Mondscheibe ihr volles Licht zu erhalten im Begriff ist, wird das Ueberschreitungsfest gefeiert, ein allgemeines Volksfest, das in chaldäischer[79] Sprache sogenannte Pascha, an dem nicht die Laien die Opfertiere nur dem Altare zuführen, während die Priester sie schlachten, sondern nach Vorschrift des Gesetzes das gesamte Volk Priesterdienst tut, indem jeder einzelne das für ihn bestimmte Opfer herbeiführt und mit eigener Hand die Opferhandlung vollzieht[80]. 225 Während nun alles andere Volk froh und vergnügt war, da jeder die priesterliche Tätigkeit als eine Ehre betrachtete, brachten andere unter Tränen und Klagen die Festzeit zu (4 Mos. 9,6ff.), denn es waren ihnen vor kurzem Angehörige gestorben, und in ihrer Trauer um sie litten sie zweifachen Schmerz, denn ihre Betrübnis um die hingeschiedenen Verwandten wurde noch dadurch erhöht, dass sie des Vergnügens und der Ehre der priesterlichen Tätigkeit verlustig gehen mussten; da nämlich die für ihre Trauer bestimmte Zeit noch nicht abgelaufen war, hatten sie an jenem Tage auch die üblichen Reinigungen und Besprengungen nicht vornehmen können. 226 Diese kamen nun nach dem Feste voller Kummer und Niedergeschlagenheit zu dem Führer und schilderten ihm ihre Lage, den jüngst erfolgten Tod ihrer Verwandten, die Trauerzeit, die sie notwendigerweise einhalten mussten, und als Folge davon die Unmöglichkeit der Teilnahme an dem Opfer des Ueberschreitungsfestes. 227 Darauf baten sie, den übrigen nicht [351] hintenangesetzt zu werden, man solle ihr Unglück bei dem Tode der Angehörigen ihnen nicht als Unrecht anrechnen und [p. 170 M.] ihnen nicht eine Strafe auflegen anstatt sie zu bemitleiden; sonst würden sie in schlimmerer Lage zu sein vermeinen als die Gestorbenen, da diese ja für keinerlei Ungemach mehr eine Empfindung hätten, während sie, die Ueberlebenden, mit voller Empfindung dafür tot zu sein glauben würden. 228 (30.) Nach Anhörung dieser Beschwerde sah Moses, dass ihr Rechtsanspruch nicht ungereimt sei, dass andrerseits der Grund für ihr Fernbleiben vom Opfer ein zwingender war und dass ihre zwiespältige Lage Mitgefühl verdiene, aber sein Urteil war unentschieden und schwankte wie auf der Wage hin und her – einerseits machten das Mitleid und das Recht ihren Einfluss geltend, auf der andern Seite fiel das Gesetz über das Opfer des Ueberschreitungsfestes dagegen schwer ins Gewicht, da darin sowohl der erste Monat als auch der 14. Tag des Monats für das Opfer ausdrücklich angegeben war –; und so, zwischen Versagen und Gewähren im Geiste hin und her geworfen, bittet er die Gottheit, das Richteramt zu üben und die Entscheidung durch eine Offenbarung zu erkennen zu geben. 229 Und Gott erhört ihn und kündet einen Spruch nicht über den Fall allein, über den er angegangen wurde, sondern auch über die künftig im Falle des Zusammentreffens derselben Umstände zu erwartenden. Dazu fügte er noch eine Bestimmung für solche hinzu, die aus anderen Veranlassungen mit dem gesamten Volke gemeinsam zu opfern verhindert würden. 230 Sehen wir nun, was das für Sprüche waren, die über diesen Gegenstand geoffenbart wurden. „Trauer um Verwandte“, so heisst es, „ist ein für Blutsverwandte nicht zu unterdrückendes Schmerzgefühl und kann als Verfehlung nicht angesehen werden. 231 Innerhalb der vorgeschriebenen Trauerzeit soll der Trauernde aus dem heiligen Bezirk verbannt sein, der von jeder nicht nur mutwilligen, sondern auch unbeabsichtigten Befleckung rein gehalten werden muss. Ist aber die Zeit der Trauer vorüber, so sollen sie der Gleichberechtigung bei den Opferhandlungen nicht verlustig gehen, damit nicht die Lebenden noch schlimmer daran seien als die Toten. Sie sollen als zweite [352] im zweiten Monat, wiederum am 14. Tage, hingehen und auf dieselbe Weise wie die ersten opfern und das Opfer wie jene nach ähnlichem Gesetz und Verfahren vollziehen. 232 Dasselbe Recht soll auch denen gewährt werden, die nicht durch einen Trauerfall, sondern infolge einer weiten Reise gehindert sind, zusammen mit dem ganzen Volke zu opfern. Ist doch das Weilen in der Fremde oder das Wohnen an anderem Orte kein Unrecht, so dass sie dadurch der Gleichberechtigung beraubt werden sollten, zumal ja das eine Land das Volk wegen der grossen Menschenmenge nicht fassen kann, sondern Auswanderer nach allen Richtungen hin entsendet“.

233 (31.) Nachdem ich soviel über die gesprochen, die durch widrige Zufälle verhindert wurden, zugleich mit dem Volke das Ueberschreitungsopfer darzubringen, die aber, wenn auch spät, so doch in angemessener Weise die unterlassene Verpflichtung erfüllen wollten, wende ich mich zum Schluss zu der Verordnung über die Erbfolge (4 Mos. 27,1ff.), einer Verordnung, die in gleicher Weise gemischter Natur war, insofern sie durch Frage und Antwort ihre Entstehung erhalten hat. 234 Es war ein angesehener Mann aus nicht unangesehenem Stamme mit Namen Salpaad (Zelophchad). Diesem werden sieben Töchter geboren, aber kein Sohn. Da [p. 171 M.] diese nach des Vaters Tode den Verlust des Losanteils ihres Vaters befürchteten, weil die Landesanteile nur männlichen Personen gegeben werden, treten sie mit der Mädchen geziemenden Scheu an den Führer heran, nicht weil sie Reichtum erjagen wollten, sondern weil sie des Vaters Namen und Ansehen zu erhalten trachteten, und sprachen: 235 „Unser Vater ist gestorben, aber er starb, ohne an irgend einem der Aufstände beteiligt gewesen zu sein, in denen so viele umgekommen sind, vielmehr befleissigte er sich eines stillen Lebens fern von politischen Händeln, man müsste denn die Tatsache, dass er keinen männlichen Spross hatte, ihm als Schuld anrechnen. Wir erscheinen nun vor dir dem Anscheine nach als Waisen, in Wirklichkeit, um an dir einen Vater zu haben, denn mehr noch als der leibliche Vater ist den Untertanen der gesetzmässige Herrscher ein Verwandter“. 236 Obwohl voller Bewunderung für die Klugheit der Jungfrauen und ihre Liebe [353] zu ihrem Erzeuger, hielt er doch an sich; ihn fesselte eine andere Vorstellung, nach der die Landesanteile nur die Männer als Ehrengabe für den Heeresdienst und die bestandenen Kriege unter sich teilen sollten, dem Weibe aber seine Natur, die ihm Freiheit von solchen Kämpfen gewährt, offenbar auch keinen Anteil an den dafür ausgesetzten Kampfpreisen gibt. 237 Daher stellt er, wie billig, in diesem Schwanken und in der Unentschiedenheit seines Geistes die Lösung der Frage der Gottheit anheim, die seiner Ueberzeugung nach allein durch untrügliche und unfehlbare Beurteilung die feinsten Unterschiede zur Offenbarung von Wahrheit und Recht auseinanderzuhalten weiss. 238 Und der Schöpfer des Alls, der Vater der Welt, der Erde, Himmel, Wasser und Luft und alles, was aus jedem dieser Elemente hervorgegangen ist, zusammenhält und lenkt, der Beherrscher von Göttern und Menschen, verschmähte es nicht, verwaisten Mädchen Recht zu sprechen. Dabei gewährte er ihnen in seiner Güte und Gnade, wie er stets alles mit seinem wohltuenden Walten erfüllt, mehr noch als ein Richter gewöhnlich tut: er verkündete das Lob der Jungfrauen. 239 O Herr, wie könnte Dich jemand preisen, mit welchem Munde, mit welcher Zunge, mit welchem Werkzeug der Sprache, mit welcher Macht der Seele? Können die Sterne, zu einem Chor vereint, ein Deiner würdiges Lied singen? Kann der Himmel, ganz in Sprache sich auflösend, auch nur einen Teil Deiner herrlichen Eigenschaften erschöpfend schildern? „Was die Töchter des Salpaad gesprochen“, sagt er, „ist richtig“. 240 Wie gross dies Lob als Zeugnis Gottes ist, wer weiss das nicht? Kommet nun her, ihr Prahler, die ihr auf euer Glück so stolz seid, die ihr euren Nacken unnatürlich hoch traget und die Brauen emporziehet, bei denen das bemitleidenswerte Unglück des Witwentums von Frauen zum Gelächter und die noch mehr [p. 172 M.] Mitleid als jenes verdienende Verlassenheit verwaister Kinder zum Gegenstand des Spottes wird; 241  begreifet, dass die anscheinend so Niedrigen und Unglücklichen nicht zu den Verachteten und Unangesehenen gerechnet werden bei Gott, von dessen Herrschaftsgebiet alle die Reiche der Erde überall nur der wertloseste Teil sind, weil selbst der gesamte Umkreis [354] der Erde ringsum nur der äusserste Saum seiner Werke ist, und nehmet die Belehrung an, der ihr euch nicht verschliessen könnt. – 242 Trotz der Anerkennung für die Bitte der Jungfrauen liess er sie zwar nicht ohne Ehrengabe, verhalf ihnen aber nicht zu gleicher Ehre mit den im Kampfe erprobten Männern, sondern überwies diesen die Erbteile als ihnen zukommenden Kampfpreis zum Lohn für ihre tapferen Taten, während er jene nur der Gunst und Freundlichkeit, nicht des Ehrenlohnes, für wert erklärte. Dies stellt er recht deutlich vor Augen durch die Wahl der Ausdrücke „eine Gabe“ und „geben sollst du“ (4 Mos. 27,7), anstatt der Worte „Abgabe“ und „abgeben“; denn während diese Worte das eigentliche Bekommen (dessen, worauf man Anspruch hat) bezeichnen, bedeuten jene ein blosses Gewähren. 243 (32.) Nach dem Ausspruch über das Gesuch der verwaisten Jungfrauen gibt er auch ein allgemeineres Gesetz über Erbfolge und beruft als erste die Söhne zur Besitznahme des väterlichen Gutes, wenn aber keine Söhne vorhanden seien, in zweiter Reihe die Töchter, die man, wie er sich ausdrückt, mit dem Erbe „bekleiden“[81] müsse, gewissermassen als äusserlichem Schmuck und nicht als eigenem, angeborenem Besitztum. Denn womit man einen „bekleidet“, das hat innerlich keine Zugehörigkeit zu dem Geschmückten, sondern ist jeder inneren Einheit und Verbindung mit ihm bar. 244 Nach den Töchtern beruft er in dritter Reihe die Brüder, die vierte Stelle weist er den Oheimen von Vaterseite zu und deutet damit an, dass auch die Väter Erben ihrer Söhne werden können; denn sehr töricht wäre die Annahme, dass er des Vaters Bruder mit Rücksicht auf dessen Verwandtschaft mit dem Vater das Erbrecht erteilt, dem Vater selbst aber die Erbfolge vorenthalten habe. 245 Da es aber ein Naturgesetz [355] ist, dass die Eltern von ihren Kindern beerbt werden und nicht diese beerben, so schwieg er von dem unerwünschten, ungünstigen Falle[82], damit es nicht den Anschein gewinne, dass Vater und Mutter in der unstillbaren Trauer um früh verstorbene Kinder eine Einnahmequelle haben, aber er nannte sie doch in versteckter Andeutung, indem er den Oheimen die Erbfolge gestattete, und wurde so beiden Forderungen gerecht, sowohl der der Schicklichkeit als auch der, dass das Vermögen ihnen nicht vorenthalten werde. Nach den Oheimen kommen in fünfter Reihe die nächsten Verwandten des Geschlechts, denen er je nach dem näheren Grade das Erbrecht erteilt.

246 (33.) Nachdem ich dies, wie es erforderlich war, über die Offenbarungen gemischter Art auseinandergesetzt, will [p. 173 M.] ich nunmehr die im Zustande der Verzückung ausgesprochenen Weissagungen des Propheten besprechen, denn so habe ich es darzulegen versprochen. Die erste Ergriffenheit durch göttlichen Geist kam über ihn zu der Zeit, die auch dem Volke der Anfang seines Glückes geworden ist, als es in vielen Myriaden die Auswanderung aus Aegypten nach den Städten Syriens unternahm (2 Mos. c. 14). 247 Männer und Weiber gelangen nach dem Durchzug durch die ganz pfadlose, weite Wüste an das sogenannte Rote Meer. Da waren sie natürlich in grosser Ratlosigkeit: sie konnten weder übersetzen – aus Mangel an Fahrzeugen – noch hielten sie es für ungefährlich, auf demselben Wege umzukehren. 248 In dieser schlimmen Lage bricht ein noch grösseres Unglück über sie herein: der König von Aegypten zog mit einem ansehnlichen Heere, das aus Reiterei und Fussvolk bestand, zu ihrer Verfolgung aus, voller Eifer sie zu überfallen, um sie für den Auszug zu strafen, den er ihnen auf ganz deutliche Gottessprüche hin [356] gestattet hatte; aber die Stimmung schlechter Menschen ist natürlich wandelbar und schlägt wie auf einer Wage aus kleinem Anlass ins Gegenteil um. 249 So gefangen zwischen den Feinden und dem Meere, verzweifelten sie an der eigenen Rettung; indem die einen den jammervollsten Untergang noch für ein wünschenswertes Glück hielten, die anderen in dem Glauben waren, es sei besser durch die Elemente der Natur umzukommen, als den Feinden zum Gelächter zu werden, dachten sie beide daran sich ins Meer zu stürzen und warteten am Gestade, den Körper mit irgend einem schweren Gegenstande belastet, um gleich, wenn sie die Feinde nahe sähen, hinabzuspringen und leicht in die Tiefe zu sinken. 250 So ängstigten sie sich ob der unentrinnbaren Not fast zu Tode. (34.) Der Prophet aber, wie er das gesamte Volk in der Bestürzung wie einen Fischzug im Garne gefangen sah, wird, seiner selbst nicht mehr mächtig, von Gottes Geist ergriffen und weissagt folgendes: 251 „Die Furcht ist durchaus berechtigt, der Schrecken nahe und gross die Gefahr; vor uns öffnet das Meer seinen weiten Rachen, einen Zufluchtsort zum Entrinnen gibt es nirgends, Schiffe haben wir nicht, hinten lauern feindliche Scharen, die in atemloser Verfolgung heranschreiten. Wohin soll man fliehen? wohin ausweichen? Von allen Seiten tritt uns plötzlich alles feindlich entgegen: Land, Meer, Menschen, Elemente der Natur. 252 Aber fasset Mut, gebet nicht alle Hoffnung auf! Bleibet festen Sinnes und wanket nicht, erwartet von Gott die unüberwindliche Hilfe. Ungerufen wird sie sofort erscheinen, ungesehen wird sie für euch kämpfen. Erfahren habt ihr es schon oft, wie sie unsichtbar euch beistand. Ich sehe sie schon zum Kampfe sich rüsten, Schlingen den Feinden um den Nacken werfen. Sie zieht sie hinab ins Meer, wie ein Bleiklumpen sinken sie in die Tiefe. Ihr sehet sie zwar noch am Leben, meinem Blick aber erscheinen sie schon als Tote; noch heute werdet auch ihr sie als Leichen schauen“. 253 Was er sprach, überstieg jede Erwartung, aber [p. 174 M.] sie erprobten durch die Wirklichkeit die Wahrheit der Prophezeiung. Denn durch göttliches Walten traf alles ein, was er prophezeit hatte, so unglaublich es auch klang: [357] Spaltung des Meeres, Zurücktreten der beiden Teile, Verdichtung der Wellen des zerschnittenen Teiles bis in ihre ganze Tiefe, damit sie als äusserst starke Mauern dienten, Bahnung einer schnurgeraden, wunderbar geschaffenen Strasse mitten zwischen den zu Eis gefrorenen Wogen, 254 der Durchzug des Volkes, das ungefährdet zu Fuss wie auf trockenem Pfade und steingepflastertem Estrich durch das Meer dahinschritt – der Sand nämlich wurde trocken und seine sonst zerrinnende Substanz wuchs zu einer einheitlichen festen Masse zusammen –, das Nachdrängen der atemlos verfolgenden Feinde, die in ihr eigenes Verderben rannten, ihre Zügelung durch die den Nachtrab deckende Wolke, in der eine göttliche, Feuerglanz ausstrahlende Erscheinung wirkte, das Zurückströmen der Meeresfluten, die eine Zeitlang im Fliessen gehemmt auseinanderklafften, die plötzliche Ueberflutung des zerspaltenen und ausgetrockneten Teiles, 255 der Untergang der Feinde, die die Mauern aus Eis durch ihren Einsturz niederstreckten und die wie in einen Abgrund über den Weg strömenden Meeresfluten überschwemmten, das Schauspiel ihres Unterganges mit den wieder emporkommenden Leichen, die schwimmend die Oberfläche des Meeres bedeckten, und der gewaltige Wellengang, durch den alle Leichname in Haufen auf das jenseitige Ufer im Strudel hinausgeschleudert wurden, um einen überzeugenden Anblick den Geretteten zu bieten, denen es beschieden war, nicht nur den Gefahren entronnen zu sein, sondern auch die jegliche Schilderung überbietende Züchtigung der Feinde, die nicht durch menschliche, sondern durch göttliche Gewalten geschah, mitanzusehen. 256 Deshalb ehrt Moses, wie billig, den Wohltäter durch Danklieder (2 Mos. 15,1): er teilt das Volk in zwei Chöre, Männer und Weiber gesondert, übernimmt selbst die Leitung des Männerchors und macht seine Schwester zur Chorführerin der Frauen, und so singen sie Loblieder auf den Vater und Schöpfer, ihre Stimmen in wohlklingenden Akkorden vereinend und in rechter Verbindung von Vortragsweise und Gesang, im Vortrage gleichmässig einander ablösend und im Gesange tiefe und hohe Stimmen zu einheitlichem Wohlklang verbindend. Die Männerstimmen nämlich [358] sind tief, die Frauenstimmen hoch, und aus ihrer Vereinigung, wenn sie in rechter Mischung einander angepasst werden, ergibt sich ein wohltönendes, harmonisches Lied. 257 Was aber soviele Myriaden zu dem einmütigen Entschluss brachte, ein und dasselbe Lied in demselben Augenblick gemeinsam zu singen, das waren jene grossartigen Wunder, von denen ich eben gesprochen. In seiner Freude darüber konnte der Prophet, als er auch die grosse Freude des Volkes sah, die Lust nicht mehr zurückhalten und stimmte das Lied an, jene aber traten, als sie ihn hörten, zu zwei Chören zusammen und sangen seine Worte mit.

258 (35.) Dies ist Anfang und Einleitung der in Verzückung [p. 175 M.] sich äussernden Prophetentätigkeit des Moses. Die nächste Prophezeiung dieser Art bezieht sich auf den wichtigsten und unentbehrlichsten Gegenstand, die Nahrung, die nicht die Erde hervorbrachte – denn diese war unfruchtbar und nichts zu erzeugen imstande –, sondern der Himmel im Regen herniedersandte, und zwar nicht einmal, sondern vierzig Jahre hindurch täglich vor Tagesanbruch, eine Frucht aus dem Aether im Tau, Hirsekörnern gleich. 259 Als Moses sie sah, heisst er sie sammeln und spricht in Verzückung (2 Mos. 16,15ff.): „Ihr müsst auf Gott vertrauen, dessen Wohltaten ihr in Vorgängen, die jede Erwartung überboten, erfahren habt. Nicht zum Aufspeichern, nicht zum Ansammeln soll die Speise sein; niemand lasse auch nur den geringsten Teil davon bis morgen übrig“. 260 Trotz dieser Worte lassen einige, die in der Frömmigkeit noch unbeständig waren, vielleicht in der Annahme, das Gesagte sei keine Prophezeiung, sondern nur ein Rat des Führers, auf den andern Tag übrig; aber faulend erfüllt dies zuerst die Umgebung des Lagers mit üblem Geruch und ging dann in Würmer über, deren Entstehen eine Folge der Verwesung ist. 261 Als Moses dies sah, zürnte er natürlich ob ihres Ungehorsams. Wie sollte er auch nicht, da sie nach so vielen grossen Ereignissen, die dem auf das Wahrscheinliche und Natürliche gerichteten Denken unmöglich schienen, aber doch kraft der göttlichen Vorsehung mit Leichtigkeit ins Werk gesetzt wurden, nicht nur zweifelten, sondern auch ungläubig waren, die Unverbesserlichen! [359] 262 Aber der himmlische Vater machte ihnen durch zwei ganz deutliche Beweise den Spruch des Propheten einleuchtend; den einen lieferte er sofort durch das Verderben, den üblen Geruch und die Verwandlung des Uebriggelassenen in die gemeinsten Lebewesen, in Würmer, den andern gab er später: immer nämlich wurde, was das Volk zuviel gesammelt hatte, von den Sonnenstrahlen zersetzt und zerschmolz völlig. 263 (36.) Einen zweiten Spruch verkündet er in göttlicher Ergriffenheit nicht lange darauf, den über den heiligen Sabbat. Dass dieser Tag in der Natur einen Vorrang hat, nicht nur seitdem die Welt geschaffen war, sondern schon vor Erschaffung des Himmels und der ganzen sinnlich wahrnehmbaren Welt[83], das wussten die Menschen nicht, vielleicht weil infolge der oft aufeinander folgenden Vernichtungen durch Wasser und Feuer[84] die späteren Geschlechter von den früheren keine Erinnerung an die Aufeinanderfolge und Ordnung in der Reihe der Zeiten durch Ueberlieferung hatten empfangen können. Diese unbekannte Tatsache offenbarte er in göttlicher Begeisterung in einem Spruch, der ihm durch das Zeugnis eines deutlichen Zeichens bestätigt wurde (2 Mos. 16,22ff.). 264 Dies Zeichen war folgendes: an den vorhergehenden Tagen pflegte der Speiseregen aus der Luft in geringerer Menge zu kommen, damals (am 6. Tage) aber in doppelt so grossem Masse. Wenn ferner an den früheren Tagen etwas übrig blieb, wurde es weich und zerschmolz, bis es völlig in Feuchtigkeit sich verwandelte und ganz verschwand, damals aber blieb es ohne jede Veränderung in gleichem Zustande. Als dies Moses mitgeteilt wurde und er sich sofort selbst durch den Augenschein davon überzeugte, war er verwundert, aber es gab ihm weniger Anlass zu verstandesmässiger Folgerung als vielmehr zu gottbegeisterter Kundgebung über den [360] Sabbat. 265 Ich brauche nicht erst zu erwähnen, dass auch [p. 176 M.] solche verstandesmässige Schlüsse der Prophetie verwandt sind; denn der Verstand würde nicht mit solcher Sicherheit das Richtige treffen, wenn es nicht auch ein göttlicher Hauch wäre, der ihm den Weg zur Wahrheit selbst zeigte. 266 Das Wunder aber offenbarte sich nicht bloss in der Verdopplung der Speise, auch nicht bloss darin dass sie gegen die sonstige Gewohnheit unversehrt blieb, sondern auch darin dass dies beides am sechsten Tage geschah seit dem Tage, da zum ersten Male die Speise aus der Luft gespendet worden war, nach welchem Tage die hochheilige Zahl des siebenten Tages in die Erscheinung treten sollte. So konnte der denkende Beobachter erkennen, dass entsprechend der Aufeinanderfolge bei der Erschaffung der Welt auch die himmlische Speise ihnen gegeben wurde. Denn wie Gott am ersten in einer Reihe von sechs Tagen die Welt zu schaffen begonnen, so liess er auch die genannte Speise regnen. 267 Das Bild aber ist ein ganz gleiches: wie er nämlich das vollkommenste Werk, die Welt, aus dem Nichts ins Dasein rief, auf dieselbe Weise schuf er auch reiche Nahrung in der Wüste durch Verwandlung der Elemente nach dem dringenden Bedürfnis, damit ihnen anstatt der Erde die Luft zur Speise Nahrung ohne Mühe und Anstrengung gewähre, da sie keinen Ausweg hatten, auf dem sie in Musse sich Lebensmittel beschaffen konnten. 268 Darauf verkündet er eine dritte höchst wunderbare Prophezeiung und sagt, am siebenten Tage werde die Luft die gewohnte Speise nicht gewähren und nichts, auch nicht das geringste, werde wie sonst auf die Erde herabgesandt werden. 269 Dies erfüllte sich tatsächlich: obwohl er nämlich am Tage vorher dies verkündet hatte, waren einige Wankelmütige zum Sammeln hinausgeeilt und kehrten in ihrer Hoffnung getäuscht unverrichteter Sache zurück, sich selbst ob ihrer Ungläubigkeit scheltend und den Propheten einen Seher der Wahrheit und Verkünder von Gottes Wort nennend, der allein die unbekannte Zukunft vorauszusehen vermöge.

270 (37.) Derart war das, was er über die Himmelsspeise in göttlicher Ergriffenheit verkündete. Demnächst tat er noch [361] andere notwendige Aussprüche, wiewohl diese eher Ermahnungen als Prophezeiungen ähnlich scheinen könnten. Dazu gehört auch der Spruch bei Gelegenheit des schon früher[85] erwähnten grössten Abfalls von der väterlichen Sitte, als sie nach Anfertigung eines goldenen Stieres, einer Nachahmung ägyptischen Wahnes, Reigen bildeten, Altäre errichteten und Opfer darbrachten und dabei des wahrhaften Gottes vergassen und den Adel der Vorfahren, der durch frommen, heiligen Wandel noch erhöht worden war, vernichteten. 271 Darüber war Moses tief betrübt, dass das bis vor kurzem scharf blickendste aller Völker [p. 177 M.] plötzlich insgesamt blind geworden sein sollte, und ferner dass das Mythengebilde voller Lug die Kraft haben sollte, den so grossen Glanz der Wahrheit auszulöschen, den weder die Verfinsterung der Sonne noch die des ganzen Sternenchors verdunkeln kann; umstrahlt sie ja eigenes unsinnliches, körperloses Licht, mit dem verglichen das Licht der Sinnenwelt für Nacht im Vergleich zum Tage gelten könnte. 272 Diese Erwägung bringt ihn ganz aus der Fassung, in seiner äusseren Erscheinung wie in seinem Denken vollzieht sich eine Wandlung, und in Verzückung spricht er: „Wer ist unter euch, der von dem Taumel nicht mit erfasst ist und nicht ohnmächtigen Wesen den Namen der Macht gegeben hat? jeder dieser Art trete zu mir heran“ (2 Mos. 32,26). 273 Nur ein einziger Stamm gesellt sich zu ihm, nicht minder mit der Gesinnung als mit den Leibern. Schon lange waren sie von Wut erfüllt gegen die gottlosen Frevler, aber sie suchten nach einem Anführer und Leiter, der in rechtmässiger Weise Zeit und Art für die strafende Tat ihnen zeigen sollte. Als Moses diese in Zorn und voll von Wagemut und Entschlossenheit sah, da wurde er noch viel mehr als vorher von göttlicher Begeisterung ergriffen und sprach: „Nehme jeder von euch ein Schwert, eile hurtig durch das ganze Lager und töte nicht nur andere, sondern auch seine nächsten Freunde und Verwandten allenthalben und sei überzeugt, dass dies das makelloseste Werk sei für die Ehre der Wahrheit und Gottes, für die in der vordersten Reihe zu streiten die leichteste Arbeit ist“. 274 Indem sie nun im [362] ersten Ansturm 3000 und zwar die, die hauptsächlich Anführer der Freveltat gewesen waren, töteten, lieferten sie nicht nur den rechtfertigenden Nachweis ihres Fernbleibens von der frechen Tat, sondern gewannen dadurch auch das Anrecht auf den Ruhm der edelsten Vorkämpfer und wurden einer Ehre gewürdigt, die ihrem Tun am meisten gebührte, des Priestertums: Diener der Heiligkeit sollten sie fortan sein, für die sie tapfer gekämpft und gestritten hatten.

275 (38.) Ich habe nun einen noch bedeutungsvolleren Spruch mitzuteilen, über den ich auch schon früher gesprochen habe[86], als ich die oberpriesterliche Wirksamkeit des Propheten behandelte. Auch diesen Ausspruch tat er wiederum in göttlicher Ergriffenheit, und er ging nicht etwa lange Zeit nachher, sondern sofort bei der Verkündigung in Erfüllung. 276 Von den Diensttuenden am Tempel gibt es zwei Klassen, die höhere die der Priester, die niedere die der Tempelwärter. Es gab aber zu jener Zeit nur drei Priester, während die Zahl der Tempelwärter viele Tausende betrug. 277 Diese blickten stolz auf die überwiegende Zahl ihrer Angehörigen, wiesen mit Geringschätzung auf die geringe Zahl der Priester hin und zettelten zwei Freveltaten gegen das Gesetz auf einmal an, die Herabsetzung der Höhergestellten und die Erhöhung der Niedrigeren, wie das der Fall ist, wenn Untergebene zum Umsturz der besten und gemeinnützigsten Einrichtung, der Ordnung, gegen ihre Herrscher sich erheben. 278 Darauf schmähten sie, in Scharen sich zusammenrottend, den Propheten laut: der Verwandtschaft zuliebe habe er seinem Bruder und seinen Bruderssöhnen das Priestertum verliehen und dabei die Vorschriften [p. 178 M.] über ihre Wahl erlogen, denn diese seien nicht, wie wir es geschildert haben, mit göttlichem Willen ergangen. 279 Darüber betrübt und von tiefem Schmerz ergriffen, wurde der sonst so milde, sanfte Mann von dem Gefühle des Hasses gegen die Schlechtigkeit zu gerechtem Zorn in solchem Masse gereizt, dass er die Gottheit bat, sich von ihrem Opfer abzuwenden (4 Mos. 16,15), nicht als ob er erwartete, dass der allgerechte Richter Opfer von Gottlosen annehmen würde, sondern weil auch die Seele des Frommen ihrerseits kein [363] Hehl macht aus dem Wunsche, dass die Unfromrnen nicht zu ihrem Ziele gelangen, sondern stets ihre Absicht vereitelt sehen mögen. 280 Noch in heftiger Aufwallung durch das berechtigte Gefühl der Empörung wird er in göttlicher Ergriffenheit zum Propheten und verkündet folgendes (4 Mos. 16,28 ff.): „Eine schlimme Sache ist der Unglaube nur für die Ungläubigen; sie belehrt nicht das Wort, sondern Tatsachen. Durch eigenes Leid werden sie meine Wahrhaftigkeit kennen lernen, da sie durch Belehrung sie nicht erkannt haben. 281 Seine Entscheidung wird dieser Streit durch das Ende ihres Lebens erhalten: wenn sie einen natürlichen Tod erleiden, so habe ich die Gottessprüche erdichtet; sterben sie aber auf eine noch nicht dagewesene, ungewöhnliche Weise, so wird dies ein Zeugnis für meine Wahrhaftigkeit sein. Eine gähnende Kluft der sich öffnenden Erde sehe ich über ungemein weiten Raum sich ausdehnen, vielköpfige Sippen sehe ich untergehen, Häuser samt ihren Bewohnern in den Abgrund gezogen und verschlungen werden, Menschen lebendig in die Unterwelt hinabfahren“. 282 Als er schwieg, spaltet sich die Erde, durch ein Beben erschüttert, sie spaltet sich besonders an der Stelle, wo die Zelte der Frevler sich befanden, sodass sie alle insgesamt hinuntersanken und darin verschüttet wurden; denn die auseinandergetretenen Teile traten wieder zusammen, nachdem der Zweck erreicht war, weswegen sie zerteilt worden waren. 283 Bald darauf verzehrten plötzlich herniederfahrende Blitze die zweihundertfünfzig Anführer des Aufstandes alle insgesamt, ohne auch nur einen Rest ihrer Leiber übrig zu lassen, der einer Bestattung hätte teilhaftig werden können. 284 Die schnelle Aufeinanderfolge der Strafen und die Grösse beider setzte die Frömmigkeit des Propheten in ein helles, rühmliches Licht, denn er hatte Gott zum Zeugen der Wahrheit seiner Prophezeiungen. 285 Auch das darf nicht übersehen werden, dass in die Züchtigung der Gottlosen Erde und Himmel, die ursprünglichsten Bestandteile des Alls, sich teilten; denn ihrer Bosheit Wurzeln hatten sie in der Erde, aber sie hatten sie zu so grosser Höhe ausgedehnt und bis hoch in den Himmelsäther hinein erhoben. 286 Daher lieferte jedes der beiden Elemente die Strafen, jene sich spaltend und auseinandertretend, [364] um die hinabzuziehen und zu verschlingen, die ihr jetzt eine Last waren, dieser einen unerhörten Regen, nämlich einen mächtigen Feuerstrom, herabsendend, um sie zu verbrennen und zu vertilgen. 287 Das Ende aber für die Verschlungenen wie für die von den Blitzen Vernichteten war [p. 179 M.] das gleiche: beide verschwanden, die einen von der Erde begraben, die durch das Zusammenschliessen der Kluft sich wieder zu einer gleichmässigen Ebene einte, die anderen von dem Feuer des Blitzes völlig verzehrt.

288 (39.) Einige Zeit später, als er den Gang von hinnen in den Himmel antreten und nach dem Scheiden aus dem sterblichen Leben zur Unsterblichkeit gelangen sollte, berufen vom Vater, der ihn aus der Zweiheit von Leib und Seele in ein Einheitswesen umschaffen und ihn ganz und gar in einen sonnigen Geist umgestalten wollte, da wurde er ebenso von göttlichem Geiste ergriffen, weissagte aber nun nicht mehr dem ganzen versammelten Volke gemeinsam, sondern prophezeite jedem Stamme gesondert die Zukunft und die künftigen Schicksale (5 Mos. c. 33). Davon ist ein Teil bereits eingetroffen, der andere wird noch erwartet, denn Zuversicht für die Zukunft bietet die Erfüllung in der Vergangenheit. 289 Da sie durch Geburt und besonders durch ihre Abkunft von verschiedenen Müttern sowohl in den mannigfachen Richtungen ihres Denkens als auch in deren Betätigungen im Leben unendlich verschieden voneinander waren, so ziemte es sich, wie bei einer Erbteilung, eine den einzelnen angemessene Verteilung der Sprüche und Weissagungen zu ersinnen. 290 Ist nun schon dies bewunderungswürdig, so ist doch das Wunderbarste der Schluss der heiligen Bücher (5 Mos. 34,5ff.), der für die ganze Gesetzgebung das ist, was in einem Lebewesen der Kopf. 291 Wie er bereits im Begriff ist hinweggenommen zu werden und unmittelbar auf der Schwelle steht, um im Fluge in den Himmel zu enteilen, kommt der Geist Gottes über ihn, und noch lebend weissagt er in Verzückung genau über seinen Tod noch vor dem Tode: wie er gestorben, wie er begraben wurde, ohne dass jemand dabei war, nämlich nicht von sterblicher Hand, sondern von unsterblichen Wesen, [365] wie er auch nicht in einem Grabe seiner Ahnen bestattet wurde, sondern ein ganz erlesenes Grabmal gefunden, das kein Mensch je gesehen, wie ihn das ganze Volk einen vollen Monat unter Tranen betrauerte und dabei die Trauer als eines jeden persönliche und zugleich allen gemeinsame bekundete wegen seiner unsagbaren Güte und Fürsorge für jeden einzelnen wie für die Gesamtheit. 292 So War das Leben, so war auch das Ende des Herrschers, Gesetzgebers, Oberpriesters und Propheten Moses, wie es in der heiligen Schrift geschildert wird.




  1. Plato Staat V p. 473 d.
  2. Vgl. Cic. de offic. II 10,35: cum inter omnes philosophos constet ... qui unam haberet, omnes habere virtutes. Nach Gomperz, Gr. Denker I, 254 eine echt Sokratische Lehre; vgl. Plat. Protag. p. 329e ἐάνπερ τις ἓν λάβῃ, ἅπαντα ἔχειν. Stoischer Grundsatz nach Stobaeus Ecl. II, 110 und Diog. La. VII 125 τὸν γὰρ μίαν ἔχοντα πάσας ρετὰς ἔχειν..
  3. Vgl. Ueber Abraham § 134.
  4. Vgl. Josephus gegen Apion II § 277: „... wenn wir auch unsern Reichtum, unsere Städte und alles andere Gute verlieren, so bleibt uns doch das Gesetz als unsterblicher Besitz“. Evang. Matth. V 18: „Wahrlich ich sage euch, bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht ein Jota oder ein Häkchen vom Gesetze vergehen“. Evang. Luk. XVI 17: „Leichter können Himmel und Erde vergehen, als dass ein Häkchen des Gesetzes fällt“.
  5. Vgl. Josephus gegen Apion I § 42: „In einem so langen Zeitraum, der bereits verstrichen ist, hat keiner gewagt etwas hinzuzufügen (zu den Gesetzen) oder etwas aufzuheben oder zu ändern; allen Juden ist der Glaube an den göttlichen Ursprung der Gesetze angeboren“.
  6. Die Erwähnung dieser Sabbatverbote an unserer Stelle und der Versuch einer ethischen Begründung der halachischen Vorschriften sind bemerkenswert. Bekanntlich scheinen sonst ganze Gebiete der Halacha Philo völlig unbekannt, so z. B. das Verbot, Fleisch und Milch zusammen zu geniessen (2 Mos. 23,19. 34,26. 5 Mos. 14,21 und Talm. babyl. Chulin f. 115b); vgl. De virtutibus § 143f., wo er den Satz: „du sollst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen“ wörtlich als Verbot besonderer unnatürlicher Grausamkeit auffasst. – Ueber Feier des Sabbats und anderer jüdischer Feste bei den Heiden vgl. Joseph. g. Ap. II § 282: „Aber auch in dem gemeinen Volke entwickelte sich schon seit langer Zeit ein gar grosser Eifer für unsere Frömmigkeit, und es gibt auch nicht eine einzige hellenische Stadt und nicht ein einziges Barbarenvolk, wohin nicht die Sitte des Sabbats, an welchem wir nicht arbeiten, gedrungen wäre, und wo nicht die Fasten und das Lichtzünden und viele von unsern Speiseverboten beobachtet würden“.
  7. Mit dem „Fasten“ meint Philo den Versöhnungstag. Mit ἱερομηνία bezeichnet er sonst das jüdische Neujahrsfest: vgl. De spec. leg. I § 180 II § 188. Hier aber scheint er das Wort in seiner eigentlichen Bedeutung zu verstehen. Die griechischen ἱερομηνίαι waren Festzeiten in den einzelnen Monaten, in denen einem Gotte bestimmte Opfer dargebracht und Festspiele abgehalten wurden; alle Feindseligkeiten der griechischen Staaten untereinander mussten an solchen Tagen nach vorher erfolgter Ankündigung unterbleiben.
  8. Chaldäisch ist bei Philo oft gleichbedeutend mit Hebräisch; vgl. Ueber Abraham § 8, Leben Mos. I § 5.
  9. „Natur“ hier, wie häufig bei Philo, für „göttliche Vorsehung“; vgl. Ueber Joseph § 38. Aehnlich natura bei Horaz Sat. I 6,93 und sonst.
  10. Dass die Bekenner des jüdischen Gesetzes die Hälfte der Menschen ausmachten, ist natürlich Uebertreibung.
  11. Die folgende Erzählung von der Entstehung der alexandrinischen Bibelübersetzung stimmt in den wesentlichsten Zügen mit der Darstellung in dem Briefe des Pseudo-Aristeas überein.
  12. Unter den heiligen Schriften versteht Philo hier, wie auch sonst meistenteils, ausschliesslich die fünf Bücher Mosis.
  13. Die bekannte Forderung der stoischen Philosophie.
  14. Wie z. B. Plato in seinen „Gesetzen“; vgl. Plat. Legg. IV p. 709 ff.
  15. Vgl. die ähnlichen Ausführungen in der Einleitung der Schrift „Ueber die Weltschöpfung“.
  16. Vgl. מדת הדין‎.
  17. Durch die Sintflut.
  18. Zerstörung von Sodom und Gomorra.
  19. ὥσπερ φλόγα λασίῳ ὕλῃ κεχυμένῃ gibt schwerlich einen erträglichen Sinn. Ich lese ἐλαίου ὕλῃ für λασίῳ ὕλῃ, wie ξύλων ὕλην συγκομίζειν II § 214 von dem Sammeln des Holzes zum Feuer gesagt wird, wie ferner De spec. legg. IV § 125 vom Talg (στέαρ) gesagt wird ὡς ὕλη φλογὸς ἐπιφερόμενον ἀντ’ ἐλαίου διὰ τὴν πιότητα u. s. w. Vgl. Xenoph. Sympos. 2,24 τὰς δὲ φιλοφροσύνας ὥσπερ ἔλαιον φλόγα ἐγείρει. Vgl. auch das Wort des Anaxagoras bei Plutarch (Perikles 16 extr.) ὦ Περίκλεις, καὶ οἱ λύχνου χρείαν ἔχοντες ἔλαιον ἐπιχέουσιν und Horaz Sat. II 3,321: adde poemata nunc, hoc est, oleum adde camino, in ähnlichem Sinne von der Leidenschaft, Verse zu machen. Philo hat den Ausdruck „Oel ins Feuer giessen“ in seiner rhetorischen Manier zugestutzt. Der Gedanke scheint aber ganz ähnlich wie hier bei Cicero vorzuliegen im Hortensius frg. 74 (Müller): ad iuvenilem lubidinem copia voluptatum, gliscit illa ut ignis oleo. Zur Verbindung ἐλαίου ὕλη vgl. auch noch § 72 λίθων πολυτελῶν ὕλης. Eine Spur der ursprünglichen Lesart ἐλαίου ist vielleicht noch in der Variante κεχριμένην (für κεχυμένῃ) der Handschriftenklasse A erhalten.
  20. Die biblische Erzählung (1 Mos. 6,16) nennt nur drei Stockwerke, ebenso die griechische Uebersetzung. Josephus (Altert. I § 77) spricht wie Philo von einem vierstöckigen Bau.
  21. So nach Cohns Konjektur πρὸς καταγωγὴν (oder καταμονὴν) γενῶν für πρὸς καταλλαγὴν καιρῶν.
  22. Diese Aehnlichkeit scheint sich nicht auf die in dem bibl. Schöpfungsbericht erzählte Erschaffung der Menschen im Ebenbilde Gottes zu beziehen, sondern ist wohl aus Plato Timaeus p. 29e πάντα ὅτι μάλιστα γενέσθαι ἐβουλήθη παραπλήσια ἑαυτῷ zu erklären.
  23. Der Anfang dieses Kapitels hat bei den Abschreibern die irrtümliche Annahme veranlasst, als beginne hier ein neues Buch. Der Verfasser selbst bezeugt in einer andern Schrift (De virtutibus § 52), dass er das Leben Mosis in 2 Büchern dargestellt habe. Der Eingang des 2. Buches gibt übrigens in der Disposition einen Ueberblick über, den Gesamtinhalt dieses Buches, aus dem gleichfalls hervorgeht, dass das hier Vorangehende nur einen Abschnitt des zweiten Buches bildet. – Die Inhaltsangabe des ersten Abschnittes, wie sie § 46 skizziert ist, zeigt, dass hier ein Stück über Gebote und Verbote verloren ist (vgl. Cohn, Einteil. u. Chronologie d. Schriften Philos S. 32). Daraus erklärt sich vielleicht auch die auffallende Tatsache, dass das wichtigste Ereignis in Moses’ Leben, die Offenbarung am Sinai, nicht erwähnt ist. Der in § 70 erwähnte Aufenthalt auf dem Berge bezieht sich auf 2 Mos. 34,28ff. Dagegen sind § 97 τὰ χρησθέντα λόγια erwähnt, von denen also vorher erzählt sein muss.
  24. 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8 + 9 + 10 = 55. Die Pythagoreer, die die Zahlen den Göttern verglichen und ihnen göttliche Beinamen gaben, nannten die Einheit Apollon, die Zweiheit Artemis u. s. w., die Zehnzahl Panteleia d. h. höchste Vollkommenheit (Stob. Ecl. I, 10 ed. Meineke). Vgl. Ueber die Weltschöpfung § 47.
  25. d. h. das Quadrat der Seiten. Vgl. De special. legg. II § 177: „Die Zahl fünfzig ergibt sich aus dem ursprünglichsten der in den Elementen umfassten Dinge, dem rechtwinkligen Dreieck, wie die Mathematiker sagen. An Umfang betragen seine Seiten in ihrer Länge von 3, 4 und 5 die Zahl 12, das Urbild des Tierkreises. ... im Quadrat ergeben sie die Zahl, 50 = 3 × 3 + 4 × 4 + 5 × 5“. Dass dies Dreieck gerade rechtwinklig sein muss, erklärt sich aus De opificio mundi § 97 τὸ ὀρθογώνιον τρίγωνον ἀρχὴ ποιοτήτων und weil es die Hälfte des Quadrats ist, in dessen rechten Winkeln Philo den ὀρθὸς λόγος, die Quelle aller Tugenden, und in dessen Gleichheit der Seiten er die Gleichheit als Mutter der Gerechtigkeit, der obersten Tugend, dargestellt sieht (De plant. § 121f.). – Auch bei Tim. Locr. 98 B, der vielleicht von Philo beeinflusst ist, ist das ἁμιτετράγωνον ἀρχὰ συστάσιος γᾶς. – Die Begründung für die Zahlen 3 und 4 als Seiten dieses Dreiecks enthält De opif. § 97.
  26. Vgl. die Anm. zu § 79.
  27. Insofern die Summe der Zahlen 1 + 2 + 3 + 4 = 10 beträgt. Vgl. auch De plant. § 123f.
  28. Die Teile von 28 sind 1 = 1/28, 2 = 1/14, 4 = 1/7, 7 = 1/4, 14 = 1/2; die Summe dieser Teile beträgt 1 + 2 + 4 + 7 + 14 = 28.
  29. Gemeint sind die 40 Wochen der Schwangerschaft.
  30. Vgl. Ueber die Weltschöpfung § 29 und die Anm. dazu.
  31. In derselben Weise werden die vier Gewebstoffe symbolisiert von, Josephus Altert. III § 183 und Jüd. Krieg V § 212.
  32. Die Septuaginta gibt כפרת (2 Mos. 25,17 ff.) durch ἱλαστήριον (Sühngerät) wieder.
  33. מדת הרחמים (vgl. Einleit. S. 19.)
  34. Die Hemisphärien braucht Philo weiter unten auch für eine andere Deutung (§·122).
  35. οὐρανός = Weltall wie bei Plato Timaeus p. 28 b ὁ δὴ πᾶς οὐρανὸς ἢ κόσμος ἢ καὶ ἄλλο ὅ τι ποτὲ ὀνομαζόμενος.
  36. Vgl. Einleitung S. 19. 20. Ueber Abraham § 121 und die Anm. dazu.
  37. Vgl. Josephus Altert. III § 182. Jüd. Krieg V § 217.
  38. Von Salz auf dem Tische meldet der hebr. Text nichts, wohl aber die Septuaginta 3 Mos. 24,7. Vgl. dazu 3 Mos. 2,13.
  39. Ich setze nach τροφιμώτατα einen Punkt, nach τελειογονούσης ein Komma statt des Punktes, und streiche das δὲ nach οὐρανοῦ oder schreibe dafür δὴ, denn der Satz von καὶ διότι bis τελειογονούσης, der als Grund für das Vorhergehende nicht recht zu verstehen ist, gibt für das folgende einen guten Grund.
  40. Die etymologische Spielerei θυσιαστήριον = θυσίας τηρεῖν, die auch De spec. leg. I § 290 wiederkehrt, lässt sich in der deutschen Uebersetzung nicht wiedergeben, ebensowenig wie vorher das Wortspiel θυμιατήριον (Räucheraltar) und ἀναθυμιάσεις (das Aufsteigen der Dünste).
  41. In der Septuaginta werden die Urim und Tummim (2 Mos. 28,30) mit δήλωσις und ἀλήθεια (Offenbarung und Wahrheit) übersetzt. Diese beiden Ausdrücke werden von Philo De spec. leg. I § 88 ff. näher erklärt: „Für das Logeion liess er doppelt gelegtes buntes Gewebe anfertigen und nennt das eine „Offenbarung“ und das andere „Wahrheit“. Mit der „Wahrheit“ will er andeuten, dass zum Himmel Lüge ganz und gar nicht steigen darf, sondern dass diese ganz an den Erdenraum gebannt ist, wo sie in den Seelen schuldbeladener Menschen ihren Wohnsitz hat, mit der „Offenbarung“ aber deutet er an, dass die Wesen am Himmel alles offenbaren, was bei uns vorgeht und was an und für sich gänzlich unerkennbar sein würde. Dafür der deutlichste Beweis: wenn nicht das Licht, die Sonne der Sonne, leuchtete, wie könnten die zahllosen Eigenschaften der Körper sich enthüllen?“ u. s. w. Eine andere Deutung gibt Philo weiter unten§ 128 ff. – Das sogenannte Logeion denkt Philo sich als ein aus zwei taschenartig übereinander gelegten Geweben zusammengesetztes Stück.
  42. Es war gesetzliche Vorschrift, dass nur die Priester beim Segen im Tempel den Gottesnamen (יהוה‎) aussprechen durften, dass er aber sonst unaussprechbar sei, vgl. Talm. Sota f. 38a.
  43. Wie in der Schrift über die Weltschöpfung (§ 98) und sonst geht Philo bei der Bestimmung der mathematischen Gebilde vom Punkte aus und zählt 1) Punkt, 2) Linie, 3) Fläche und 4) Körper.
  44. Vgl. die Anm. zu S. 43.
  45. Diese Schrift Philos ist nicht erhalten; vgl. oben S. 44 Anm. 2.
  46. Ueber die Kleidung des Hohenpriesters handelt Philo fast wörtlich ebenso De spec. leg. I § 84 ff. Zur Symbolik vgl. Weish. Salom. XVIII 24 ἐπὶ γὰρ ποδήρους ἐνδύματος ἦν ὅλος ὁ κόσμος.
  47. Die Hyakinthos der Alten hat mit unsrer Hyacinthe nicht vielmehr als den Namen gemein. Mit der dunkelblauen Farbe der Blume wird oft dunkles Haar verglichen.
  48. Vgl. oben § 88.
  49. Nach dem hebr. Text von 2 Mos. 28,34 ff. sind am Saume des Untergewandes nur Troddeln, in Form von Granatäpfeln, und Schellen; die griech. Uebersetzung d. St. (v. 30), die überhaupt durch verwirrende Zusätze entstellt ist, hat auch Philo beeinflusst und seine dem hebr. Texte widersprechende Symbolik veranlasst. Will man LXX 28,30 παρὰ ῥοΐσκον χρυσοῦν κώδωνα καὶ ἄνθινον dem hebr. Text entsprechend übersetzen: „neben jedem Granatapfel eine goldene Schelle, und zwar in Blütenform“, und das letztere (u. zw. in Bl.) als erklärenden Zusatz zum hebr. Texte betrachten, so bleibt immer noch die Schwierigkeit des vorhergehenden Verses bestehen, der zugleich von Granatäpfeln aus Webstoffen und solchen aus Gold spricht und von Schellen zwischen ihnen, ohne das Material der Schellen anzugeben, während nach dem hebr. Texte nur die Schellen aus Gold sind. Der erwähnte Zusatz καὶ ἄνθινον bildet die Grundlage der Philonischen Auslegung, die auch De spec. leg. I § 93 fast, wörtlich wiederkehrt. Dass die Schellen aus Gold sind, ist selbstverständlich; vgl. Septuag. 36,33.34 = HT 39,25.26.
  50. Diese Deutung hat Josephus Altert. III § 185.
  51. Ebenso Josephus a. a. O.
  52. Obgleich der in Rede stehende Schmuck (חשן‎) aus gewebtem Stoffe besteht, wird er gewöhnlich als „Schild“ (Brustschild) bezeichnet. Das von der Septuaginta und daher auch von Philo dafür gebrauchte Wort λογεῖον lässt sich im Deutschen schwer wiedergeben; genauer als hier erklärt Philo den Ausdruck an der Parallelstelle De spec. leg. I § 88.
  53. Zu τῶν ἐν τῷ ζῳοφόρῳ ist ζῳδίων zu ergänzen; ζῳοφόρος ist = ζῳδιακὸς κύκλος.
  54. Vgl. Ueber die Weltschöpfung § 16 ff.
  55. Stoische Termini, zum Teil schon von Plato und Aristoteles sachlich begründet. Vgl. Ueber Abraham § 29. 83; De migr. Abr. § 71 λόγος δὲ ὁ μὲν πηγῇ ἔοικεν, ὁ δὲ ἀπορροῇ, πηγῇ μὲν ὁ ἐν διανοίᾳ, προφορὰ δὲ ἡ διὰ στόματος καὶ γλώττης ἀπορροῇ. Aehnlich ibid. § 78. „Gedanke und Wort sind nach der Lehre der Stoiker ein und dasselbe. Derselbe Logos, welcher Gedanke ist, solange er in der Brust bleibt, wird zum Worte, wenn er aus ihr hervortritt“. (Zeller, Philos. d. Gr. III³ 1 S. 67 mit Anm.)
  56. Eine andere Deutung s. oben zu § 113. In der Schrift Quis rer. div. heres § 303 ist die Deutung der hier vorliegenden ähnlich: „den Hohenpriester hat er mit Offenbarung und Wahrheit geschmückt, denn er will, dass das Wort des Weisen deutlich und wahrhaftig sei“.
  57. d. h. die ganze Welt, deren Sinnbild (in seiner Kleidung) mit ihm im Heiligtum erscheint, – nicht, wie Zeller (Philos. d. Gr. III³ 2 S. 372 Anm. 5) meint, den Logos. Ebenso wird De spec. leg. I § 96, wo diese Auslegung der Priesterkleidung wiederkehrt, die Welt ausdrücklich Gottes Sohn genannt (vgl. zu dieser Stelle L. Cohn im Hermes XLIII S. 187). Quod Deus sit immutabilis § 31 heisst unsere sinnlich wahrnehmbare Welt Gottes jüngerer Sohn, ihr Urbild, die ideale Welt, der ältere Sohn Gottes.
  58. Ueber den Menschen als Welt im Kleinen und die Welt als Menschen im Grossen vgl. Quis rer. div. her. § 155 und Ueber die Weltschöpfung § 82ff. mit Anm. oben S. 57.
  59. Vgl. bei Raschi z. St: (2 Mos. 38,8) eine ähnliche Deutung. Im Altertum gab es nur Spiegel aus Metall (Erz oder Silber).
  60. Vgl. oben I § 29.
  61. Vgl. auch De special. leg. I § 83.
  62. Vgl. Kohel. 7,20.
  63. Philo las also am Ende dieses Bibelverses auch die Worte καὶ προσχεεῖς ( oder ἐπιχεεῖς) τὸ αἷμα ἐπὶ τὸ θυσιαστήριον κύκλῳ, die sich nur in wenigen Hss. der Septuaginta finden und in den meisten fehlen.
  64. Vgl. § 158.
  65. Man beachte, dass Aarons Beteiligung an der Verfertigung des goldenen Kalbes gar nicht erwähnt wird.
  66. z. B. auf Osiris.
  67. Die Bestrafung Korahs und seiner Rotte wird hier übergangen und für den letzten Teil der Darstellung zurückgestellt (§ 275 ff.).
  68. Die Septuaginta übersetzt zwar 4 Mos. 17,23 שקדים (Mandeln) durch κάρυα (Nüsse), das Wort κάρυον wurde indessen auch für „Mandel“ gebraucht, denn im Lateinischen wird mit nux graeca die Mandel bezeichnet (Hehn, Kulturpflanzen⁴ S. 321). Dass Philo hier unter κάρυα Mandeln verstand, ergibt sich daraus, dass er weiterhin (§ 186) von ἀμυγδαλῆ (Mandelbaum) spricht.
  69. Stoisch: vgl. Einleit. S. 17.
  70. Die bekannten Kardinaltugenden der griechischen Philosophen seit Sokrates.
  71. [341] Unter diesem Priesterstamm im weiteren Sinne das jüdische Volk zu verstehen, ist nicht nötig, denn nach De special. leg. I § 97 unterscheidet sich der Hohepriester der Juden von den Priestern der anderen dadurch, dass diese nur für Angehörige, Freunde und Mitbürger zu beten und zu opfern pflegen, während jener für das ganze Menschengeschlecht, ja sogar für das ganze Weltall Gebete und Dankopfer der Gottheit weiht. Auch § 168 und § 190 ebendas. wird betont, dass die täglichen Opfer nicht nur für das gesamte Volk (Israel), sondern für das ganze Menschengeschlecht dargebracht werden.
  72. Ausser den sogenannten Zehngeboten, die von Gott ohne Moses’ Zutun durch eine eigens geschaffene Stimme gesprochen werden (vgl. unten § 213 und Ueber den Dekalog § 33).
  73. Vgl. die ähnliche Einteilung der Träume De somn. I § 1. 2. II § 1. 2.
  74. Philo nennt das Volk hier ὁρατικόν entsprechend der Erklärung des Namens Israel, die er häufig anführt (ὁρῶν θεόν „Gott schauend“), Vgl. Ueber Abraham § 57.
  75. Philo legt hier wie immer die griech. Uebersetzung aus, die für das hebräische Wort אלהיו‎ „seinen Gott“ nur θεὸν gibt. Der hebr. Text lässt diese Deutung wegen des Possessivsuffixes nicht zu. Nach ihm bezieht sich offenbar auch der erste Teil des Verses nicht auf Götzen. Auch Josephus (c. Ap. II § 237. Altert. IV § 207) kennt, wie Philo, das Verbot, die von anderen verehrten Götter zu verspotten oder zu lästern. Die Veranlassung dazu bot die Uebersetzung der LXX 2 Mos. 22,27(28) θεοὺς οὐ κακολογήσεις (אלהים לא תקלל‎). – Den Unterschied zwischen dem Gattungsnamen „Gott“ und dem heiligen Eigennamen macht übrigens auch die jüdische Tradition, nach der die Todesstrafe erst, wie bei Philo, auf die ausdrückliche Nennung des Namens gesetzt ist (vgl. z. B. die Kommentare von Raschi und Ibn Esra z. St.). Freilich ist Philos Auffassung die bei weitem strengere, sie bestraft mit dem Tode auch das „Nennen bei ungehöriger Gelegenheit“. Aber Philo ist hier in der Wiedergabe der Bibelworte ungenau, indem er ὃς δ'ἄν ὀνομάσῃ sagt statt ὀνομάζων (scil. καταράσηται), wie die Septuaginta ונקב‎ übersetzt. Vgl. über diese ganze Stelle Z. Frankel, Einfluss d. paläst. Exegese S. 130ff.
  76. Pythagoreische Zahlensymbolik; vgl. Ueber die Weltschöpfung § 100; Leg. Alleg. I § 15; De decalogo § 102; De spec. leg. II § 56.
  77. Philo deutet die wörtliche, aber den Sinn nicht treffende Uebersetzung der Septuag. von 2 Mos. 20,18 ἑώρα τὴν φωνήν (hebr. Plural הקולות = das Gewitter); vgl. Ueber den Dekalog § 46. 47. – Auch jüdische Kommentatoren deuten diese Stelle ähnlich wie Philo (רואין את הנשמע מה שאי אפשר לראות במקום אחר׃ את הקולות היוצאין מפי הגבורה‎) Raschi z. St.
  78. Dazu gehört nach der alten Theorie die sogenannte Metaphysik.
  79. s. I § 5.
  80. Auch nach der Mischna (Pesachim c. 5 M. 5 im Anschluss an 2 Mos. 12,6) wurde das Passahopfer mit besonderer Feierlichkeit von Laien geschlachtet, und erst mit dem Auffangen des Blutes in silbernen und goldenen Schalen begann die heilige Handlung des Priesters: שחט ישראל וקבל הכהן‎. Das Passahlamm scheint längere Zeit auch ausserhalb Jerusalems einen gewissen Mittelpunkt der Passahandacht im Hause gebildet zu haben, so dass Einsichtige befürchtet zu haben scheinen, es könnte daraus ein Missbrauch, ausserhalb des Tempels zu opfern, entstehen. Man vergl. die Erzählung (Talm. bab. f. 53a) von dem Tadel, den der römische Jude Theudas sich durch die Behörde von Jerusalem (Simon ben Schetach(?) nach Berach. f. 19a) zuzog, – Von den heutigen Falaschas berichtet Faitlovich (Gli Ebrei d’Abissinia p. 12) aus eigener Anschauung: nella prima sera hanno mantenuta l’usanza biblica di scannare l’agnello del sacrifizio pasquale.
  81. Die Uebersetzung des Textwortes והעברת (4 Mos. 27,7) in der Septuaginta περιθήσεις bedeutet sowohl verleihen, als auch bekleiden, anziehen, antun. Auch die hebr. Kommentatoren (vgl. Raschi z. St. בכלן הוא אומר ונתתם, ובבת הוא אומר והעברתם‎; auch Talm. Baba Bathra f. 109 b) lenken die Aufmerksamkeit auf die eigentümliche Wahl des Ausdrucks für das Erbrecht der Tochter, aber ihre Deutung ist eine andere. Philo wird zu seiner Deutung durch die Verbindung נתן תתן‎ (δόμα δώσεις) veranlasst, während ἀποδιδόναι einen berechtigten Anspruch voraussetzt.
  82. Das talmudische Erbrecht erkennt gleichfalls den Vater als Erben an (vgl. Mischna, Baba Bathra c. 8,1 אלו נוחלין ומנחילין, האב את הבנים und die Kommentatoren, von denen Nachmanides das Schweigen vom Vater in ähnlicher Weise wie Philo zu erklären sucht דרך ברכה ידבר ולא בנכרתים‎. Die wesentliche Uebereinstimmung Philos mit der Halacha stellt Ritter, Philo und die Halacha S. 94–97 fest. Aus der Begründung im § 245 scheint hervorzugehen, dass auch nach Philo der Vater den Vortritt vor seinen Brüdern hat (gegen R.s Ausführungen daselbst S. 35 Anm. 1).
  83. Vgl. das Sabbatlied des Salomo Alkabez לכה דודי‎ (im hebr. Gebetbuche): מראש מקדם נסוכה‎.
  84. Von einer Vernichtung der ganzen Welt durch Feuer berichten die biblischen Quellen nichts, im Gegenteil, Gen. 8,21 spricht ausdrücklich dagegen. In dieser für Griechen bestimmten Schrift konnte Philo vielleicht an den mythischen Weltbrand zur Zeit des Phaethon (vgl. Ovid Met. II, 210 ff.) erinnern.
  85. § 159–173.
  86. § 174–186.
« Buch 1 Philon
Ueber das Leben Mosis
[[Ueber das Leben Mosis/|]] »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).