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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

κύριος und δεσπότης gleichbedeutend sind. 23 Allein wenn auch der Gegenstand ein und derselbe ist, so sind doch die Benennungen dem Sinne nach verschieden. Denn κύριος ist von κῦρος abzuleiten, das „Feststehendes“ bedeutet im Gegensatz zu dem Unsichern, Haltlosen, δεσπότης aber von δεσμός (Band, Fessel), wovon meines Erachtens auch δέος (Furcht) kommt, – so daß der „Gebieter“ ein „Herr“ ist und dazu, wenn ich so sagen darf, ein furchtbarer Herr, der nicht nur das Verfügungsrecht {κῦρος) und die Macht über alle besitzt, sondern auch Furcht und Angst einzuflößen imstande ist – vielleicht aber auch deswegen, weil er das „Band“ (δεσμός) aller Dinge ist, das sie, die an sich unzusammenhängenden, unlöslich zusammenhält und zusammenzwängt.[1] 24 Mit den Worten „Gebieter, was wirst du mir geben“ will er etwa folgendes sagen: Ich kenne wohl deine überragende Macht, ich verstehe das Furchtbare deiner Herrschaft, furchtsam und bebend stehe ich da und doch bin ich wiederum kühn.[2] 25 Denn du hast mir gesagt, ich solle mich nicht fürchten (1 Mos. 15, 1); du hast „mir eine Zunge der Wohlerzogenheit gegeben, um zu wissen, wann ich reden muß“;[3] du hast mir den zugeschlossenen Mund gelöst, geöffnet und noch redegewandter gemacht; du hast ihn gelehrt, was zu sagen ist, und somit jene Verheißung erfüllt: „Ich werde deinen Mund öffnen[4] und dich

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/15&oldid=- (Version vom 23.2.2020)
  1. Hier nennt Philo (mit Anspielung auf Plato Tim. 41A) Gott selbst das Band aller Dinge, dagegen § 188 den göttl. Logos, ebenso in De fuga § 112. Vgl. Bréhier, Les idées philos. et rel. de Philon S. 85.
  2. θαρρῶ heißt ich bin kühn (vgl. § 22 Anf.), aber auch ich bin guten Mutes, zuversichtlich. Dieser Sinn überwiegt hier. Die Antinomie der religiösen Stimmung, die (nach Rudolf Ottos bekannten Darlegungen) das Göttliche als tremendum wie als fascinosum empfindet, kommt in der folgenden Ausführung (Parallelen bei Windisch, Frömmigkeit Philos 52ff.) besonders schön zum Ausdruck. I. H.
  3. Philo zitiert (was die Herausgeber nicht bemerkt haben) Jes. 50, 4, wo die LXX übersetzt: Κύριος δίδωσίν μοι γλῶσσαν παιδείας τοῦ γνῶναι, ἡνίκα δεῖ εἰπεῖν λόγον.
  4. So auch Sept., abweichend vom hebr. Urtext: „Ich werde mit deinem Munde sein.“ Daß hier Abraham eine an Moses ergangene Verheißung (und zuvor ein Selbstzeugnis Jesajas) auf sich bezieht, läßt sich vielleicht damit erklären, daß er nach Philo ein „Prophet“ ist (siehe § 258) und als solcher die Kenntnis der Zukunft besitzt (§ 261). Für ihn, der kein Hebräisch versteht, liegt ja das Wesen des „Propheten“ vor allem in der eigentlichen Bedeutung dieses griechischen Wortes, in dem „Vorhersagen“ der Zukunft. Vgl. auch § 30, wo Abr. sagt, das Bekenntnis seiner Nichtigkeit sei von Moses verewigt worden, und § 36, wo er Israel kennt und sich als diesem Volke WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt zugeteilt bezeichnet. Vgl. auch Über d. Nachstellungen § 62 u. Anm. [Überdies neigt Philo dazu, jeden auf bestimmte Personen bezüglichen Ausspruch allgemeingültig zu fassen (s. zu § 4!), oder vielmehr: das Individuelle verblaßt vor seinem – ausschließlich dem Unbegrenzten zugewandten – Blick. I. H.]