Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn | |
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Munde durch Loblieder, Preisgesänge und Segenssprüche den Allvater ehre und nur zu dieser Tätigkeit allein ihre ganze Ausdrucksfähigkeit anstrenge und zeige; die Sinne, damit sie die ganze wahrnehmbare Welt, den Himmel und die Erde und die in der Mitte liegenden Wesen, die Lebewesen und die Pflanzen, deren Tätigkeiten und Fähigkeiten, alle Bewegungen und Zustände sich vorstellen und untrüglich und rein der Seele übermitteln. 111 Denn dem Geiste hat es Gott gegeben, die geistige Welt aus eigner Kraft, die sichtbare mittels der Sinne zu erfassen. Könnte man wirklich in allen Stücken mehr für Gott als für sich leben, dermaßen, daß man mit den Sinnen in das Wahrnehmbare eindränge behufs Auffindung der Wahrheit, mittels der Seele das Geistige und wirklich Seiende gründlich überdächte, mittels des Sprachorgans sowohl die Welt als deren Schöpfer priese: so würde man ein glückliches und seliges Leben führen. [23] 112 Das ist meines Erachtens mit den Worten „nimm mir“ angedeutet. – Da er aus Mitleid mit unserem Geschlecht, auf daß es eines bessern Geschickes teilhaftig werde, das Bild der göttlichen Tugend vom Himmel zur Erde herniedersenden wollte, läßt er sinnbildlich das heilige Zelt mit den darin befindlichen Geräten als Abbild und sichtbare Darstellung der Weisheit anfertigen. 113 „Inmitten unserer Unreinheit“, sagt die Schrift (3 Mos. 16, 16), soll das Zelt errichtet werden, damit wir eine Stätte haben, wo wir nach Abspülung und Abwaschung dessen, was unser elendes und [p. 489 M.] schmachvolles Leben besudelt, entsühnt werden sollen. Betrachten wir also, in welcher Weise sie das, was zur Anfertigung gehörte, herbeizuschaffen befohlen hat. „Gott sprach,“ sagt sie, „zu Moses folgendermaßen: Sprich zu den Kindern Israels, und nehmet mir Erstlinge;[1] von allen, denen es wohlgefällt, sollt ihr meine Erstlingsopfer nehmen“ (2 Mos. 25, 1. 2). 114 Also haben wir auch hier die Lehre, daß man nicht für sich sondern für Gott nimmt, indem man erwägt, wer der Geber ist, und indem man das Gegebene nicht beschädigt, sondern unbeschädigt und tadellos, vollkommen und lauter aufbewahrt. Sehr lehrreich läßt die Schrift ihm die „Anfänge“ weihen; denn tatsächlich erscheinen die Anfänge der Körper und Dinge als Gottes Werk allein. 115 Prüfe, wenn du es erkennen willst, ein jedes: Pflanzen, Lebewesen, Künste,
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/35&oldid=- (Version vom 2.4.2020)