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Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/20

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Hast du sie nicht verkauft und das Geld aufgezehrt“ (1 Mos. 31, 14. 15) damit du sie – infolge der Aufzehrung des Lohnes und Lösegeldes – auch später nicht wiedererlangen kannst? Stelle dich nun, als ob du (sie) küssen wolltest, du, der du nach allgemeinem Urteil ein Feind bist. Dagegen wird Moses den Schwiegervater[1] nicht küssen, sondern mit aufrichtigem Herzen lieben, denn so heißt es: „Er ,liebte‘[2] ihn und sie begrüßten einander“ (2 Mos. 18, 7). – [9] 45 Es gibt aber eine dreifache[3] Lebensweise: die göttliche, die irdische und die dazwischenliegende, aus beiden gemischte. Die göttliche stieg nicht zu uns herab und kam nicht in die Bande des Körpers. Die irdische[4] stieg weder hierauf, noch versuchte sie aufzusteigen; wie eine Höhlenbewohnerin führt sie in den Kammern des Hades ein nicht lebenswertes Leben. 46 Die gemischte ist diejenige, die bald, von der besseren Seite getrieben, gotterfüllt und gottbegeistert ist, bald, von der schlechteren in entgegengesetzte Richtung gezogen, umschlägt. So oft also wie bei einer Wage der Teil des besseren Lebens ganz und gar überwiegt,[5] zeigt die Masse des entgegengesetzten Lebens emporschnellend ein ganz leichtes Gewicht. 47 Moses, der die göttliche Lebensweise kampflos mit dem Siegeskranze schmückt, läßt die übrigen in Gestalt zweier Frauen zur Beurteilung auftreten und gibt ihnen wohlpassende Namen: die eine nennt er die geliebte, die andere die gehaßte.[6] 48 Denn wer nimmt nicht gern die Genüsse und Vergnügungen

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/20&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Meist urteilt Philo in den allegorischen Schriften über Jithro ungünstig : s. die Anm. zu Über die Landwirtschaft § 43.
  2. ἐφίλησεν αὐτὸν, die Übersetzung von וישק לו‎, bedeutet natürlich: er küßte ihn.
  3. Vgl. Über die Riesen § 13 u. Anm. Die göttliche Lebensweise ist die der reinen Geister und Engel, die im Luftraum wohnen. Die irdische haben die, die nur für den Körper leben und mit ihm untergehen oder in der Unterwelt ein Schattendasein führen. Mit dieser Einteilung ist freilich das folgende schwer vereinbar. Wenn Moses die göttliche Lebensweise lobt und krönt, so will er sie doch empfehlen, also wird auch sie auf Erden möglich sein. Außerdem können nicht „die übrigen zwei“, die gemischte und die irdische, der Vernunft und Sinnenlust entsprechen, sondern die göttliche und die irdische.
  4. Die göttliche, wörtlich: die auf Gott gerichtete (τὸ πρὸς θεόν) und die irdische, die auf die Kreatur (τὸ πρὸς γένεσιν) gerichtete, nach dem Vergänglichen strebende Lebensweise.
  5. Die Stelle ist textkritisch unsicher.
  6. Die Lehre, daß die Tugend wegen ihrer Strenge verhaßt sei, findet sich bei Philo häufig, und zwar mit ähnlicher exegetischer Anknüpfung; vgl. Über die Nachkommen Kains § 135 und Anm. Das hier gegebene Bild von WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt der Strenge des Weisen entspricht im allgemeinen dem älteren stoischen Ideal (Stoic. Vet. Fragm. III 637ff.), an dem die jüngere Richtung nicht ohne Einschränkung festhielt; indem Philo dem Weisen auch das Lachen (γέλως) abspricht, setzt er sich freilich mit seiner Deutung des Isaak als des berechtigten „Lachens“ in Widerspruch. Die tief pessimistische Auffassung des Zuges des Menschen zur Sünde widerspricht dagegen der stoischen Lehre, daß das Sittliche das uns Anziehende sei (Stob. II 100, 21 Wachsm. καλόν = καλοῦν; danach Sen. Ep. 118, 8 bonum est quod invitat animos, quod ad se vocat); aber auch sie konnte in der stoischen Lehre von der Unerreichbarkeit des Ideals des Weisen eine Stütze finden; Optimismus und Pessimismus sind in dem stoischen Bilde vom Menschen ebensowenig zu vollem Ausgleich gekommen wie in dem Weltbild der Schule (Caird, Die Theologie in der griechischen Philosophie S. 358 der deutschen Ausgabe). I. H.