Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/32

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Land zu geben, es zu ererben“ (1 Mos. 15, 7). Das bedeutet nicht nur eine Verheißung, sondern auch die Erfüllung einer früheren Verheißung. 97 Das ihm früher geschenkte Gut war demnach der „Auszug“ aus der chaldäischen Himmelskunde,[1] die glauben lehrte, die Welt sei nicht Gottes Werk, sondern Gott, und das Wohl- und Übelergehen aller Wesen werde den Bewegungen und festbestimmten Umkreisungen der Gestirne zugeschrieben und davon hänge auch die Entstehung des Guten und Bösen ab. (Zu diesen wunderlichen Behauptungen hat die gleichmäßige[2] und geordnete Bewegung der Himmelskörper die Leichtfertigen verleitet; der Name der Chaldäer wird nämlich von einem Worte abgeleitet, das „Gleichmäßigkeit“ bedeutet.) 98 Das neue Gut aber war (die Verheißung), „Weisheit zu ererben“, diejenige, die nicht durch die Sinne aufgenommen werden kann, sondern von dem reinsten Geist[3] erfaßt wird und durch die die beste Auswanderung gesichert ist, indem die Seele von der Sternkunde weg zur Naturbetrachtung, von unsicherer Mutmaßung zu sicherer Erkenntnis und, um es gründlich zu sagen, von dem Erschaffenen zum Unerschaffenen, von der Welt zu ihrem Meister und Vater übersiedelt.[4] 99 Daß jene, die der Lehrmeinung der Chaldäer folgten, auf den Himmel, dieser dagegen, nachdem er sich von ihr losgemacht hatte, auf Gott, den Beherrscher des Himmels und den Lenker der ganzen Welt, alles Vertrauen setzte, das sagt die heilige Schrift. Schön war fürwahr das Erbe, zu groß vielleicht für die Kraft des Empfängers, aber würdig der Größe des Gebers.

[21] 100 Allein dem Freunde der Weisheit genügt es nicht, auf Grund der göttlichen Worte Köstliches zu erhoffen, wunder wie viel zu erwarten; bei seinem [p. 487 M.] Durst und Hunger nach Erkenntnis glaubt er,

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/32&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Vgl. Über Abrah. § 77ff.
  2. Eine gleichmäßige Bewegung (κίνησις ὁμαλής), eine in jedem Zeitmoment mit derselben Geschwindigkeit verlaufende Kreisbewegung hat nach Aristoteles der erste Himmel, die Fixsternsphäre, s. Kappes, Die aristotelische Lehre über Begriff u. Ursache der κίνησις. Bonn 1887 S. 22. – Der Name Chaldäer soll Gleichmäßigkeit bedeuten; vielleicht erklärte man כשדיה‎ = כְּשָֺדֶה‎ „wie ein ebenes Feld“ und שדה‎ als Gegensatz zu הר‎?
  3. Stellen, wie die vorliegende, beruhen auf der platonischen (ganz unstoischen) Voraussetzung, daß es eine wahre Erkenntnis nur vom Geistigen gibt, und außerdem auf der weitverbreiteten Voraussetzung, daß der Geist bei den Objekten seiner Forschung weilt. I. H.
  4. Vgl. Über Abraham § 72ff. und hier § 289. Die Bezeichnung Gottes als „Meister und Vater“ entlehnt Philo aus Platons Tim. 28c.