Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/70

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

verkündet? (1 Mos. 9, 25–27). 261 Und wie ist es mit Isaak? Wie mit Jakob? Denn daß auch diese durch vieles und besonders durch ihre Ansprachen an ihre Kinder sich als Propheten erwiesen haben, darin stimmen alle überein. Das Wort: „Versammelt euch, damit ich verkünde, was euch begegnen wird am Ende der Tage“ (1 Mos. 49, 1) war ja das eines Gottbegeisterten; denn die Kenntnis der Zukunft ist nicht Sache des Menschen. 262 Wie ist es [p. 511 M.] aber mit Moses? Wird er nicht allgemein als Prophet gepriesen? Denn so sagt die Schrift: „Wenn (einer) von euch Prophet des Herrn wäre, so würde ich mich ihm in einer Erscheinung zu erkennen geben, dem Moses aber in Gestalt und nicht durch Rätsel“ (4 Mos. 12, 6. 8) und ferner: „Nicht stand fürder ein Prophet auf wie Moses, den der Herr erkannte, Angesicht zu Angesicht“ (5 Mos. 34, 10). 263 Treffend weist also die Schrift auf den Gottbegeisterten hin mit den Worten: „Gegen Sonnenuntergang überfiel eine Ekstase“ , [53] indem sie unseren Geist symbolisch „Sonne“ nennt.[1] Denn was in uns die Vernunft ist, das ist in der Welt die Sonne; beide sind Lichtträger, diese sendet in das All ein wahrnehmbares Licht hinaus und jene gibt uns selbst geistige Lichtstrahlen durch die begriffliche Erfassung. 264 Solange noch unser Geist nach allen Seiten hin leuchtet und eindringt, gleichsam Mittagshelle in unsere ganze Seele ergießt, sind wir in uns und nicht (von einem andern) eingenommen; sobald er aber „untergeht“, überfällt uns natürlich[2] eine Ekstase (Außersichsein), ein gottbegeistertes Eingenommensein und eine Verzückung. Sobald nämlich das göttliche Licht aufstrahlt, geht das menschliche unter; sobald jenes untergeht, erhebt sich dieses und geht auf. 265 Das aber ist bei den Propheten gewöhnlich der Fall. Es entfernt sich der Geist in uns bei der Ankunft des göttlichen Geistes[3] und kommt wieder bei dessen Entfernung; denn Sterbliches kann füglich nicht mit Unsterblichem zusammenwohnen. Deshalb führte der „Untergang“ der Vernunft und die sie umgebende Dunkelheit eine Ekstase und gottgetragene Verzückung herbei. 266 Zu dem Bericht wird aber noch folgendes hinzugefügt: „Es wurde zu Abraham gesprochen“ (1 Mos. 15, 13),[4] denn fürwahr, tatsächlich schweigt der Prophet, auch wenn

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/70&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Hier bedeutet „Sonne“ den menschlichen Geist, weiterhin § 307 das Leben. Vgl. auch § 224 und Anm.
  2. D. h. es ist begreiflich, daß erst dann die Ekstase eintritt.
  3. Im Text steht hier πνεῦμα.
  4. Im Urtext aktiv: „Er sprach zu Abr.“ Zur Sache vgl. Über d. Einzelges. I § 65 Anm.