Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/62

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

[48] 230 Nachdem die Schrift hierüber das Geeignete gesagt, fügt sie schließlich hinzu: „Die Vögel aber teilte er nicht“ (1 Mos. 15, 10). Vögel nennt sie die gefiederten zum Hochfliegen geschaffenen zwei Geister, den einen über uns waltenden – das Urbild – und den andern in uns – das Abbild. 231 Moses nennt den über uns waltenden „das Ebenbild[1] Gottes,“ den in uns befindlichen „Abglanz jenes Ebenbildes“. Denn er sagt: „Gott schuf den Menschen“ nicht als Ebenbild Gottes, sondern „nach dem Ebenbilde“ (1 Mos. 1, 27). Somit ist der in jedem von uns waltende Geist, der im eigentlichen Sinne und in Wahrheit Mensch ist, der dritte Abdruck, vom Schöpfer ab gerechnet; der mittlere[2] ist das Musterbild für den Menschen und ein Abbild von Gott. 232 Naturgemäß ist unser Geist unteilbar. Denn den vernunftlosen Seelenteil[3] teilte der Schöpfer sechsmal und machte daraus sieben Teile: Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch, Tastsinn, Sprachvermögen und Zeugungskraft, aber den vernünftigen, der eben Geist genannt ist, ließ er ungeteilt, ähnlich wie im Welthimmel. 233 Denn auch in diesem, so wird behauptet, ist die äußerste feststehende Sphäre[4] ungeteilt gelassen, dagegen ist die innere sechsmal geteilt und bildet die sieben sogenannten Kreise der Planeten. Denn ich meine, was in Menschen die Seele, ist in der Welt der Himmel. Somit sind die zwei denkenden und vernünftigen Wesen, das im Menschen und das im Weltganzen, völlig ganz und ungeteilt. Darum heißt es: „Die Vögel teilte er nicht“. [p. 506 M.] 234 Unser Geist wird mit der gemeinen Taube verglichen, da dieses Lebewesen zahm ist und bei uns lebt; die Turteltaube aber mit dem Musterbilde unseres Geistes. Denn Gottes Logos[5] ist Einsamkeit-liebend

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/62&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Über εἰκών, das Philo als philosophischen Terminus im platonischen Sinne auffaßt, vgl. Horovitz, Untersuchungen zu Philons und Platons Lehre v. d. Weltsch. S. 64; über den Geist als Mensch im Menschen s. Über die Landw. § 9 und Anm.
  2. Der Logos.
  3. Vgl. oben § 184, Über d. Weltschöpfung § 117, All. Erkl. I, 11, Über die Nachst. § 168, Über d. Landw. § 30, Arnim StVFr. II 827ff. Sieben Seelenkräfte zählt Philo Über Abr. § 29.
  4. Der Fixsternkreis. Über den Himmel als ἡγεμονικὸν τοῦ κόσμου vgl. Arnim II 644, Über die Cherubim § 21ff. u. Anm.
  5. Siehe oben § 126ff., wo für den menschlichen Geist (νοῦς) und Gottes Logos Weisheit (σοφία) gesagt ist. Der Wechsel der Ausdrücke λόγος (§ 230, 234), νοῦς (§ 231) und σοφία ist für Philos unexakte Redeweise lehrreich; er ist erklärlich durch seine Neigung, beide mit dem Logos gleichzusetzen (Leisegang, Der heilige Geist 67f.). I. H.