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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Schranke, die die Anstürme und Angriffe des schlechtem Teiles von dem besssern abwehren wird. 203 Noch mehr aber staune ich, wenn ich, das Gotteswort vernehmend, darüber belehrt werde, wie sich die Wolke mitten[1] zwischen das ägyptische und das israelitische Heer stellte (2 Mos. 14, 20). Die Wolke nämlich, die die Freunde schützende und rettende, die Feinde abwehrende und züchtigende Waffe, ließ es nicht länger zu, daß das sich beherrschende gottgeliebte Geschlecht von dem seinen Begierden frönenden gottlosen verfolgt würde. 204 Auf die tugendhaften Seelen träufelt sie mild Weisheit hinab, die Weisheit, die naturgemäß frei von allem Bösen ist, aber auf die elenden und einsichtslosen läßt sie Strafen haufenweis niederströmen, bringt Überflutung, jämmerlichen Untergang über sie. 205 Dem Erzengel[2] aber, dem allerersten Logos, gab der Vater, der das Weltall geschaffen hat, ein auserlesenes Geschenk, daß er, auf der Grenzscheide stehend, das Geschöpf von dem Schöpfer absondere. Er ist einerseits der Fürsprecher des stets hilfsbedürftigen Sterblichen bei dem Unvergänglichen, andererseits der Abgesandte des Herrschers an den Untertan. 206 Dieser Ehrenstellung freut er sich, und stolz darauf [p. 502 M.] erklärt er ausdrücklich: „Und ich stand zwischen Gott und euch“ (5 Mos. 5, 5), weder als ein Unerschaffener wie Gott noch wie ihr geschaffen, sondern in der Mitte zwischen den zwei Extremen, beiden als Unterpfand dienend, bei dem Schöpfer zur Bürgschaft, daß das Geschöpf niemals vollends die Zügel abstreifen und abtrünnig werden, unschönes Verhalten der Wohlanständigkeit vorziehen würde, und bei dem Geschöpf zur frohen Zuversicht, daß der gnädige Gott niemals sein eigenes Werk außer acht läßt. Denn wie ein Herold bringe ich den Geschöpfen die Friedensbotschaft dessen, der beschlossen hat, Kriege aufzuheben, des beständig über den Frieden wachenden Gottes.

[43] 207 Nachdem uns die heilige Schrift über die Teilung in gleiche Teile belehrt hat, führt sie uns auch zur Erkenntnis der Gegensätze

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/56&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Auch hier konnte das doppelte ἀνὰ μέσον (für doppeltes בין‎) Philo bedeutungsvoll erscheinen.
  2. Moses ist hier der Philonische Logos, aber De somniis II, 228 das Symbol des vollkommenen Weisen im stoischen Sinne. S. Einleit. zum 1. Bande S. 16.
    [Vielleicht war Philo die Lehre vom Menschen als Mittelglied zwischen Gott und der Schöpfung bekannt, die sich bei dem Bischof Nemesius findet und von W. W. Jaeger, Nemesios von Emesa 102, auf Posidonius zurückgeführt worden ist. I. H.]