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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Ich verließ auch die (durch die Sprache sich äußernde) Vernunft, da ich viel Unvernünftiges an ihr zu verwerfen fand, wie sehr sie sich auch überhebt und aufbläht. 72 Denn mit großer Kühnheit wagte sie mir Körper mittels Schattenbilder,[1] Gegenstände durch Wörter zu zeigen, was ja unmöglich ist; und trügerisch umschwätzt und umspült sie mich, da sie mit mehrdeutigen Worten die Sonderart der Gegenstände nicht mit klarem Ausdruck darstellen kann. 73 Nachdem ich wie ein unverständiges, unmündiges Kind solche Erfahrungen machte, sah ich ein, daß es somit besser wäre, von all diesen Dingen abzugehen und die Kraftäußerungen eines jeden Gott anheimzustellen, der den Körper gestaltet und aufbaut, die Sinne befähigt wahrzunehmen und der Vernunft die Sprache verleiht!“ 74 In derselben Weise, wie du dich von den andern entfernt hast, entferne dich und ziehe hinweg von dir selbst. Wie aber geschieht das? Verwalte nicht für dich das Denken, Verstehen und Begreifen, sondern bringe und weihe es[2] dem, der der Urheber des gründlichen Denkens und des untrüglichen Begreifens ist!

[15] 75 Dieses Weihegeschenk wird er wohlgefällig aufnehmen wie eine Opferspende, die heiliger ist als die allheiligen. Zwei Sachen stehen sich offensichtlich gegenüber, das Geistige und das Sinnliche. Das Pantheon[3] der sinnlich wahrnehmbaren Wesen ist diese Welt, das der unsichtbaren ohne Zweifel die geistige. 76 Daß derjenige, der sich von (dem Reich) der sichtbaren[4] abwendet und sich eifrig bemüht, ein Gottesdiener zu sein, der Erbe des hochgepriesenen Reichtums der Natur ist, das bezeugt die Schrift mit den Worten: „Hinaus führte er ihn nach außen und sprach: Blicke empor zum Himmel“ (das. 15, 5), da doch dieser die Schatzkammer der göttlichen Güter ist, wie es

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/27&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. Dies bezieht sich wohl auf Platos berühmtes Höhlengleichnis im Anfang des 7. Buches vom Staat.
  2. Ἀνατιθέναι doppelsinnig wie ἀναφέρειν: Über die Unveränd. G. § 4 und Anm.
  3. Auch dieser Kosmos, nämlich der Himmel, ist das Pantheon oder die „hochheilige Wohnung“ sichtbarer „Götter“ oder „göttlicher Wesen“, wie Philo die Gestirne bezeichnet (s. Über d. Weltsch. § 27 u. Anm. und hier weiter unten § 176), wenn er auch als Monotheist deren Anbetung, da sie Werke Gottes sind, verpönt, Über die Einzelges. I § 15.
  4. Das Wort νοητῶν, das sich nur in der vorzüglichen Papyrushandschrift von Koptos findet, während es in allen übrigen fehlt, ist offensichtlich ein Schreibfehler für ὁρατῶν, vgl. § 98 und 289. ἐξ ἡμῶν = ἐκ τοῦ ἡμῶν κόσμου.