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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

[272 M.] [1] 1 „Und wenn nach jenem“,[1] heißt es, „einkehrten die Boten bei den Töchtern der Menschen, zeugten sie für sich selbst“ (1 Mos. 6, 4). Es ist doch wohl zu untersuchen, welchen Sinn das „nach jenem“ hat. Es handelt sich jedenfalls um eine Zurückbeziehung, die etwas von dem Vorhergehenden deutlicher erklärt. 2 Es war aber vorher[2] die Rede vom göttlichen Geiste, von dem es hieß, daß er bis in alle Ewigkeit in der zersplitterten und vielgestaltigen Seele, die sich überdies mit der Last des Fleisches als drückendster Bürde beschwert hat,[3] nur sehr schwer verbleiben könnte. „Nach jenem“ [273 M.] Geiste aber gehen die „Boten“ zu den Töchtern der Menschen ein. 3 Solange nämlich in der Seele die reinen Strahlen der Vernunft leuchten, durch die der Weise Gott und seine Kräfte schaut, geht keiner der Lügenboten in den Verstand ein, sondern sie werden aus den geweihten Gefäßen[4] alle herausgedrängt. Wenn aber das Licht des Denkens verdunkelt und überschattet wurde, schleichen sich die Genossen der Finsternis ein,[5] kommen mit den niedrigen und weichlichen Leidenschaften, die er Töchter der Menschen nennt, zusammen und zeugen (Kinder) für sich, nicht für Gott.[6] 4 Denn die wahren Erzeugnisse Gottes sind die vollkommenen Tugenden, die Verwandten der Schlechten aber die unharmonischen Laster. Lerne aber, wenn du magst, mein Geist, das Nicht-sich-selbst-zeugen kennen von dem vollkommenen


  1. Gemeint ist, wie der MT zeigt, hiernach, was Philo absichtlich mißversteht. Natürlich faßt er den Vorgang nicht als einmalig, sondern als ständig eintretend. Der Doppelsinn von ἄγγελος, das im Text nicht Bote, sondern Engel bedeutet, ist im Deutschen nicht wiederzugeben; bezeichnend ist, wie die folgende Deutung über das Attribut Gottes hinweggeht. In den Schlußworten folgt Philo der LXX gegen den MT, nach dem sie gebaren ihnen zu übersetzen wäre.
  2. Über die Riesen § 19ff.
  3. Ebenda § 30f. Zum Gedanken, daß der Leib die Seele belaste, vgl. Heinemann, Poseidonios' metaphysische Schriften I 56 und 140, der besonders auf Weish. Sal. 9,15 aufmerksam macht.
  4. Die Weihgefäße (περιρραντήρια) sind zu erklären aus dem bei Philo häufigen Bilde der Seele als eines Gefäßes (ἀγγεῖον) der Tugend, so z. B. De congressu § 21, Quis rerum div. her. § 311, De fuga et invent. § 194. Auch σῶμα und αἴσθησις sind ἀγγεῖα ψυχῆς, Über die Nachkommen Kains § 137.
  5. Vgl. Über die Einzelgesetze II § 42: παρευημέρησαν αἱ κακίαι.
  6. Über das Motiv der Zeugung Gottes nicht für sich, sondern für die erwählten Menschen vgl. mein Buch Pneuma Hagion 52ff.; Heinemann, Monatsschr. für Gesch. u. Wiss. d. Jud. 66, 272ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/1&oldid=- (Version vom 2.2.2022)