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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

Abraham, der den geliebten und einzigen echten Sprößling der Seele, das deutlichste Ebenbild der selbstgelehrten Weisheit, mit Namen Isaak, Gott zuführt[1] und hingibt mit voller Bereitwilligkeit als ein notwendiges und geziemendes Dankgeschenk, nachdem er, wie die Schrift sagt (1 Mos. 22, 2. 9), an den Füßen gefesselt hatte das ungewöhnliche Schlachtopfer, entweder weil er, einmal göttlicher Verzückung gewürdigt, es nicht mehr für recht hielt, Sterbliches zu betreten, oder weil er die Schöpfung als schwankend und unstät durchschaute, nachdem er die unwandelbare Beständigkeit des Seins erkannt hatte, an die er, wie es heißt (1 Mos. 15, 6), geglaubt hat. [2] 5 Seine Schülerin und Nachfolgerin wird Anna,[2] die Gabe der Weisheit Gottes. Übersetzt nämlich wird sie mit „ihr Gnadengeschenk“. Denn als sie nach dem Empfang göttlichen Samens schwanger wurde und die Geburtswehen bis zum Ende überstanden hatte, gebar sie den in die Ordnung Gottes eingegliederten Charakter, genannt Samuel[3] – er heißt nämlich übersetzt „Gott Zugeordneter“ –, und gab ihn, den sie empfangen hatte, dem Geber wieder, da sie nichts für ihr eigenes Gut hielt, es sei denn eine göttliche Gnadengabe. 6 Sie spricht nämlich in dem ersten Buche der Könige[4] folgendermaßen: „Ich gebe ihn dir als eine Gabe“ (1 Sam. 1, 28), d. h. soviel als: ihn, der eine (mir verliehene) Gabe ist, so daß der Sinn ist: „Den Gegebenen gebe ich“, nach folgendem hochheiligen Spruche Mosis: „Meine Gaben, meine Geschenke, meine Erträgnisse[5] sollt ihr mir regelmäßig darbringen“ (4 Mos. 28, 2). 7 Denn wem anders soll man danken als Gott? Und wodurch, wenn nicht durch seine Gaben?


  1. Philo verwertet den Doppelsinn von ἀνάγειν, das nicht nur darbringen, sondern auch auf etwas zurückführen bedeuten kann. Abraham schreibt also den Isaak nicht sich, sondern Gott zu. – Die Attribute „einziger“ und „geliebter“ (μόνος, ἀγαπητός) treten in der mystisch-religiösen Literatur der Spätantike – der Heiden ebenso wie der Christen – bei Göttersöhnen oder deren Hypostasen auf. Vgl. bei Philo De ebrietate § 30; τὸν μόνον καὶ ἀγαπητὸν αἰσθητὸν υἱὸν ... τόνδε τὸν κόσμον. Siehe unten § 31f.
  2. Über Anna (חַנָּה‎ = חִנָּה‎) und ihre allegorische Deutung vgl. Über die Trunkenheit § 145ff. De mut. nom. § 143f. De somniis I § 254.
  3. Über Samuel (von שׂוםsetzen, aufstellen) und seine allegorische Deutung vgl. De somniis I § 254f. Über die Wand. Abrah. § 196. Über die Trunkenheit § 144.
  4. Philo zählt nach der LXX vier Bücher der Könige, wobei 1. und 2. Sam. als die beiden ersten gelten an die sich 1. u. 2. Reg. anschließen.
  5. In dem ungenau zitierten Vers (vgl. Über die Cherubim § 84 und Anm.) faßt Philo meine Gaben als die von mir gegebenen statt die mir gebührenden.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/2&oldid=- (Version vom 3.2.2022)