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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

anzunehmen, daß, wer auf der Königsstraße ungehindert wandelt, nicht eher müde wird, als bis er den König getroffen hat. 161 Dann aber erkennen die Ankömmlinge seine Glückseligkeit und die eigene Nichtigkeit; denn auch als Abraham sich Gott nahte, erkannte er sogleich sich selbst als Erde und Asche (1 Mos. 18, 27). 162 Doch weder zur rechten noch zur anderen Seite sollen sie von der Königsstraße abbiegen,[1] sondern mitten auf ihr selbst fortschreiten. Die Abschweifungen nach beiden Seiten sind nämlich tadelnswert, da sie einerseits Übertreibung und dadurch Überspannung, andererseits Versäumnis und Erschlaffung mit sich bringen; denn hier ist das Rechte nicht weniger zu tadeln als das Linke. 163 Bei den unbesonnen Lebenden ist wohl die Tollkühnheit zur Rechten, die Feigheit aber zur Linken, bei Leuten von geringer Vornehmheit bezüglich des Geldausgebens [297 M.] ist der Geiz das rechte, verschwenderischer Aufwand das linke (Extrem); und manche, die im Berechnen überklug sind, meinen, man müsse den Betrug anstreben, die Naivität aber fliehen; und andere eilen der Götterfurcht als etwas Rechtem nach, weichen aber der Gottlosigkeit aus als etwas, das man fliehen muß.[2] [35] 164 Damit wir nun aber beim Abirren nicht gezwungen werden, uns mit den Krieg führenden Schlechtigkeiten einzulassen, wollen wir den Willen und Wunsch hegen, auf der Mitte der Straße fortzueilen. In der Mitte zwischen Kühnheit und Feigheit aber liegt die Tapferkeit, zwischen überschäumendem Leichtsinn und schmutzigem Geiz die Mäßigkeit, zwischen Frevelmut und Torheit die Einsicht, und zwischen Aberglaube und Gottlosigkeit die Frömmigkeit.[3] 165 Diese liegen in der Mitte zwischen den Abschweifungen nach beiden Seiten, alles zugängliche und gangbare Wege, auf denen man nicht mit körperlichen Organen, sondern mit den Regungen einer Seele einherwandeln soll, die beständig nach dem Besten strebt. 166 Hierüber ärgerte sich am meisten der irdische Edom – denn er bangte um die Abwehr und Zerstörung seiner eigenen Ansichten –, und er wird mit unversöhnlichem Kriege drohen, wenn wir den Durchzug erzwängen und stets die Frucht seiner Seele abschnitten und niedermähten, die er zum Verderben der Besonnenheit aussäte, aber (noch) nicht erntete; denn er sagt: „Du sollst nicht durch mich hindurchziehen, sonst werde ich im


  1. Vgl. Über die Nachstellungen § 101. Über die Riesen § 64.
  2. § 142f.
  3. Nach den Definitionen der Tugenden bei Aristoteles, Eth. Nic. 9. 1115 a 13ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/36&oldid=- (Version vom 26.2.2022)