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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

eine zum Himmel schreiende[1] Torheit, an den edlen Seelenpflanzen vorüberzugehen, die edle Früchte, gute Reden und lobenswerte Taten, hervorbringen; nein, bleiben muß man[2] und ernten und in Fülle genießen; denn die schönste unter den vollkommenen Tugenden ist die unersättliche Heiterkeit, deren Sinnbilder die erwähnten Weinberge sind.[3] 155 Wir aber, [296 M.] auf die Gott von oben herab die Quellen der Güter niedertauen und regnen läßt, sollten wir aus einem Brunnen trinken und Tropfen auf der Erde suchen, wo uns der Himmel unaufhörlich bessere Nahrung regnen läßt als Nektar und Ambrosia, die in der Sage gepriesen werden? [34] 156 Werden wir ferner als Aushilfe und Zuflucht ein Werk des Kleinglaubens unternehmen und durch Menschenkunst aufbewahrtes Getränk heraufziehen, wir, denen der Allerlöser den himmlischen Schatz zu Nutz und Frommen öffnete? Denn der Weihepriester Moses betet, daß „der Herr uns öffne seinen guten Schatz, den Himmel, Regen zu spenden“ (5 Mos. 28, 12).[4] 157 Erhört aber wurden die Gebete des Gottesfreundes. Und wie? Du glaubst doch wohl nicht, daß einer, der weder Himmel noch Regen noch Brunnen noch überhaupt etwas Irdisches für fähig hält, ihn zu ernähren, sondern das alles überging und aus eigener Erfahrung sagte: „Gott, der mich ernährte von Jugend auf“ (1 Mos. 48, 15), alle Wasseransammlungen auf Erden auch nur eines Blickes gewürdigt hätte? 158 So wird wohl aus einem Brunnen nicht trinken mögen, wem Gott die reinen Rauschgetränke gibt, bald durch einen dienenden Engel, den er das Schenkenamt auszuüben würdigte, bald auch durch sich selbst, ohne jemanden zwischen den Geber und den Empfänger zu stellen. 159 So wollen wir nun unverzüglich versuchen, auf der Königsstraße zu wandeln, wir, die wir uns dazu entschlossen haben, am Irdischen vorüberzugehen. Eine Königsstraße aber ist der Weg, dessen Besitzer nicht ein einzelner Privatmann ist, sondern allein der auch in Wahrheit einzige König. 160 Das aber ist, wie ich auch schon etwas weiter oben sagte, die Weisheit, durch die allein bittenden Seelen die Zuflucht zum Ungewordenen gewährt wird; denn es ist


  1. Ich lese nach Mangeys Konjektur διωλύγιος = weithin sich erstreckend, weithin schallend.
  2. Philo versteht also: „an dem Lande (= Erde) werden wir vorbeiziehen, aber Felder und Weinberge nicht durchwandern“, sondern darin weilen!
  3. Über den Weinberg als Sinnbild der Heiterkeit vgl. § 96 und De fuga et inv. § 176. De somniis II § 174.
  4. Über die Auslegung dieser Stelle vgl. Alleg. Erklär. III § 104. Quis rer div. her. § 76.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/35&oldid=- (Version vom 26.2.2022)