Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang | |
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ruhigen Wetters der Windstille[1] erfreut, kannst du dann noch daran zweifeln, daß der Unvergängliche und Selige, der im Besitz der Macht über die Tugenden und die Vollkommenheit und Glückseligkeit selbst ist, keiner Sinnesänderung bedarf, sondern bei dem beharrt, was er von Anfang an wünschte, ohne etwas daran zu ändern? 27 Menschen allerdings kommt notwendig die Veränderlichkeit zu durch ihre innere oder äußere Unbeständigkeit; so haben wir uns zum Beispiel oftmals Freunde gewonnen und uns von ihnen wieder getrennt, nachdem wir nur kurze Zeit mit ihnen verkehrten, ohne daß wir ihnen etwas vorzuwerfen gehabt hätten, um sie mit Feinden oder Unbekannten auf eine Stufe zu stellen. 28 Eine solche Handlungsweise bekundet unsere leichtsinnige Sorglosigkeit, da wir nicht imstande sind, unsere ursprünglichen Absichten mit Festigkeit durchzuführen. Gott aber ist nicht unbeständig. Überdies kommt es doch vor, daß, wenn wir uns auch vornehmen auf denselben Urteilen zu bestehen, so doch die mit uns Verkehrenden nicht auf ihrem Standpunkt beharrten, so daß notwendigerweise unsere Ansichten sich mit veränderten. 29 Denn für einen Menschen ist es unmöglich, die Ereignisse der Zukunft und die Gedanken anderer vorauszusehen. Gott aber ist alles wie in reinem Glänze offenbar. Denn er dringt auch bis in die Winkel der Seele [277 M.] und kann das, was den anderen unsichtbar ist, weithin deutlich erblicken; mit Fürsorge und Voraussicht, den ihm eigentümlichen Tugenden, läßt er sich nichts entweichen und seiner Beobachtung entgehen. Daher verträgt sich auch die Unklarheit der Zukunft nicht mit seinem Wesen; denn nichts ist für Gott unklar und zukünftig. 30 Nun ist es klar, daß der Erzeuger seine Erzeugnisse, der Baumeister seine Gebäude und der Verwalter das ihm Anvertraute kennen muß. Gott aber ist in Wahrheit Vater, Baumeister und Verwalter der Dinge im Himmel und in der Welt. Wohl bleiben auch die kommenden Ereignisse im Dunkel der Zukunft, bald für einen kleineren, bald für einen größern Zeitraum. 31 Doch auch Schöpfer der Zeit ist Gott; denn er ist ihres Vaters Vater – Vater aber der Zeit ist der Kosmos – und dessen Bewegung hat er als ihren Ursprung offenbart, so daß die Zeit im Verhältnis zu Gott die Stellung eines Enkels einnimmt.[2] Dieser Kosmos jedoch ist der jüngere Sohn
- ↑ Zur „Windstille“ der Seele vgl. die Anm. zu Über die Geburt Abels § 16.
- ↑ Diese merkwürdige Spekulation Philos geht im wesentlichen auf posidonische Gedanken zurück, wie wir sie bei Plutarch Quaestion. Platon. 1007 C finden: εἰκόνες δ᾽ εἰσὶν ἄμφω τοῦ θεοῦ, τῆς μὲν οὐσίας ὁ κόσμος τῆς δ᾽ ἀιδιότητος ὁ χρόνος [79] ἐν κινήσει, καθάπερ ἐν γενέσει θεὸς ὁ κόσμος. ὅθεν ὁμοῦ γεγονότας φησὶν ὁμοῦ καὶ λυθήσεσθαι πάλιν, ἄν τις αὐτοὺς καταλαμβάνῃ λύσις. (vgl. Tim. 38 B.) οὐ γὰρ οἷὸν τ᾽ εἶναι χωρὶς χρόνου τὸ γενητὸν ὥσπερ οὐδὲ τὸ νοητὸν αἰῶνος, εἰ μέλλει τὸ μὲν ἀεὶ μένειν τὸ δὲ μηδέποτε διαλύεσθαι γιγνόμενον. Hiermit verbindet Philo erstens die auch sonst sich bei ihm findende Lehre vom Kosmos als dem Sohne Gottes (Über die Trunkenheit § 30. Leben Mos. II § 134. Über die Einzelges. I § 96), eine Lehre, die sich auch bei Plutarch (Quaest. Platon. 1001 B) angedeutet findet, der ausdrücklich Gott als den Vater der Welt bezeichnet, und die im Poimandres IX 8 in voller Ausbildung erscheint. Zweitens drückt er die Zeit, die nach Plato (Tim. 38 B) und Posidonius (Gronau, Poseidonios u. die jüdisch-christl. Genesisexegese, Leipzig 1914 S. 43ff.) mit dem Himmel und der Welt zugleich entstand, in dasselbe Abhängigkeitsverhältnis zum Kosmos herab, in dem dieser zur Gottheit steht, und bezeichnet sie als Sohn des Kosmos. Philos Tendenz, der Zeit (χρόνος) eine möglichst niedrige Stellung anzuweisen, entspringt aus einer Polemik gegen die Spekulation von der Zeit (χρόνος = Χρόνος = Κρόνος) als dem Urprinzip und der obersten Gottheit; vgl. meine Anmerkung zu Über die Geburt Abels usw. § 77.
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/7&oldid=- (Version vom 3.2.2022)