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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt

das die menschlichen Geschicke wie im Brettspiel hinauf- und hinabzieht, das oft an einem Tage den Hohen stürzt und den Niedrigen hoch emporhebt[1]. Und obwohl sie dies täglich sich ereignen sehen und genau kennen, blicken sie gleichwohl mit Geringschätzung auf Angehörige und Freunde herab, übertreten die Gesetze, in denen sie geboren und auferzogen sind, rütteln an der väterlichen Sitte, die keinerlei berechtigter Tadel trifft, fallen von ihr ab und denken in ihrem Gefallen an der Gegenwart gar nicht mehr an die Vergangenheit[2]. 32 (7.) Er aber, obwohl er bis zur höchsten Grenze menschlichen Glückes gelangt war und für den Tochtersohn des mächtigen Königs galt, nach allgemeiner Erwartung beinahe [p. 86 M.] bereits Erbe der Herrschaft seines Grossvaters war und fast den Titel eines jungen Königs führte, lag mit Eifer der Lehre seines Hauses und seiner Vorfahren ob; er hielt das Glück seiner Pflegeeltern, wenn es auch zur Zeit in grösserem Glanze sich zeigte, für unecht, die Lage seiner leiblichen Eltern, wenn sie auch vorübergehend glanzlos war, betrachtete er dagegen als echt und ihm selbst zukommend. 33 Und wie ein unbestechlicher Beurteiler seiner Erzeuger und seiner Pflegeeltern suchte er jenen durch Anhänglichkeit und heisse Liebe, diesen durch Dankbarkeit die Wohltaten zu vergelten und hätte dies auch allezeit getan, wenn er nicht wahrgenommen hätte, dass in dem Lande ein grosser, unerhörter Frevel von dem Könige verübt wurde. 34 Wie oben erwähnt, waren nämlich die Juden Landfremde, da die Vorfahren des Volkes infolge einer Hungersnot wegen


  1. Anspielung auf Worte des Euripides (frg. 420), die an anderer Stelle (Ueber die Träume I § 154) wörtlich von Philo angeführt werden.
  2. Hier scheint Philo auf Vorgänge seiner Zeit anzuspielen, wie er sie zum Teil in der eigenen Familie erlebte. Von seinem abtrünnigen Neffen Tiberius Alexander, der es später bis zum Prokurator von Judäa (64) brachte, unter Nero Statthalter von Aegypten war, wo er einen Aufstand blutig unterdrückte, und auch im jüdischen Kriege den Römern wesentliche Dienste leistete, sagt sein politischer Gesinnungsgenosse Josephus (Alt. XX § 100): „Er blieb den väterlichen Sitten nicht treu“. Sollte vielleicht die hier mit so auffallender Ausführlichkeit entworfene Schilderung der Entwickelung des jungen Moses eine Mahnung für den begabten, aber ehrgeizigen Bruderssohn sein?
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Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloMos1GermanBadt.djvu/015&oldid=- (Version vom 1.8.2018)