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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

Und wie die Vernunft der Einsicht bedarf, um die unkörperlichen Dinge zu erkennen, so bedarf das Auge, um die Körper wahrzunehmen, des Lichtes, das auch die Ursache vieler anderer Güter für die Menschen ist, besonders aber des höchsten Gutes, der Philosophie. 54 Denn sobald das Gesicht, vom Licht hinaufgeleitet, die Natur und die harmonische Bewegung der Gestirne wahrnahm, die wohlgeordneten Umdrehungen der Fixsterne und Planeten, von denen jene sich in immer gleicher Weise bewegen, diese in ungleicher und entgegengesetzter Weise zweierlei Bewegungen machen[1], und ihre harmonischen, nach den Gesetzen vollkommener Musik geordneten Reigentänze[2], bot es der Seele eine unsagbare Lust und Wonne; und je mehr diese sich an dem Anblick der Erscheinungen weidete, die nacheinander, eine aus der anderen folgend, sich ihr zeigten, desto unersättlicher ward ihr Verlangen nach geistigem Schauen. Dann ging sie weiter, wie sie es gern tut, und forschte, was denn das Wesen dieser sichtbaren Dinge sei, ob sie unerschaffen (ewig) seien oder einen Anfang gehabt haben, welcher Art ihre Bewegung sei und welches die Ursachen, durch die sie alle geleitet werden. Aus der Forschung über diese Dinge entstand die Philosophie, das vollkommenste Gut, das in das menschliche Leben eingetreten ist.

[18.] 55 Im Hinblick also auf jene Idee des gedachten Lichtes, von der bei der unkörperlichen Welt die Rede war, schuf Gott die sinnlich wahrnehmbaren Gestirne, göttliche und überaus herrliche Gaben, die er, wie in einem Heiligtume, am reinsten Teile der körperlichen Natur, am Himmel, befestigte, und zwar zu vielen Zwecken: erstens, damit sie leuchten, zweitens zu Zeichen, dann zur Bestimmung

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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/23&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. nämlich die tägliche Bewegung um die Erde und die Bewegung um die Sonne.
  2. Philo bezeichnet oft im Anschluss an die Pythagoreer die Bewegung der Gestirne als harmonische Reigentänze. Unter der „vollkommenen Musik“ ist die Harmonie der Sphären gemeint, die nach pythagoreischer Lehre darin besteht, dass in den Bewegungen der Himmelskörper die richtigen Zahlenverhältnisse herrschen und infolge dessen ein musikalischer Zusammenklang.