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Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler

Geschlechte“[1] (2 Mos. 20, 5); denn über die (vollendeten) Erzeugnisse und gleichsam die Nachkommenschaft der Gedanken kommt die Strafe; sie selbst aber an und für sich entgehen der Anklage, wenn keine tadelnswerte Handlung hinzukommt. 49 Dies ist auch der Grund, warum in dem Gesetz über den Aussatz der in allem große Moses dessen Bewegung, Weitergreifen und Ausbreitung als unrein, dessen Stillstand aber als rein bezeichnet; er sagt nämlich: „Wenn er sich auf der Haut verbreitet, soll der Priester ihn für unrein erklären. Wenn aber der sichtbare Fleck auf der Stelle bleibt und sich nicht ausbreitet, soll er ihn für rein erklären“ (3 Mos. 13, 22. 23). Daraus folgt, daß die Ruhe und das Verharren der Laster und Leidenschaften der Seele – auf diese spielt nämlich (Moses) mit dem Aussatze an[2] – nicht zur Verantwortung gezogen wird, ihre Bewegung und ihr Weitertragen aber unbedingt straffällig ist. 50 Etwas Ähnliches ist auch in dem an Kain gerichteten Ausspruch enthalten, nur noch auffälliger; denn zu ihm wird gesagt: O Mensch, „du hast gesündigt, komm zur Ruhe“ (1 Mos. 4, 7). Das Sündigen ist eben, weil es eine Bewegung und eine Betätigung der Lasterhaftigkeit war, strafbar, während das Verharren in Ruhe, als ein Zustand und ein Stillestehen, von Vorwurf frei ist und heilsam.

[11] 51 Das wird nun, glaube ich, als Einleitung genügen. Im Anschluß daran[3] wollen wir sehen, was für eine Bedeutung die Flüche haben. Es heißt: „Verflucht sei Chanaan; Diener im Hausgesinde soll er sein seinen Brüdern“, und: „Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Chanaan soll ihnen Sklave sein“ (1 Mos. 9, 25. 26). 52 Wir haben schon früher einmal[4] gesagt, daß Sem


  1. [Philo meint, daß nach der Bibel Gott nicht außer den Vätern, sondern statt der Väter die Enkel bestraft. Diese Auffassung der göttlichen Strafe findet zwar im griechischen Denken (Solon El. 13, 31 f.; Theognis 205f.), wie im jüdischen (Ezech. 18, 2) ihre Stütze, mußte aber natürlich vom ethischen Standpunkt bedenklich erscheinen (wie sie ja auch der rabbinischen Auffassung des Verses nicht entspricht); die allegorische Deutung hat daher zugleich apologetischen Sinn. I. H.]
  2. Über diese sonderbare allegorische Deutung des Aussatzes vgl. man Ü. d. Unveränderl. Gottes § 127ff. und Ü. d. Pflanzung Noahs § 111.
  3. Ich lese ἐχομένας.
  4. Weder in der Schrift Ü. d. Nüchternheit findet sich vorher eine solche Erklärung des Namens Sem, noch in einer anderen der uns erhaltenen Schriften. Es ist mir höchst wahrscheinlich, daß im 2. Buche Ü. d. Trunkenheit, in dem Abschnitte über die γυμνότης, der Bibelvers Gen. 9, 23 behandelt und bei dieser Gelegenheit die allegorische Deutung Sems gegeben war, auf die sich nun Philo hier bezieht.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Nüchternheit (De sobrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSobrGermanAdler.djvu/18&oldid=- (Version vom 17.7.2016)