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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

[9] 47 Daher scheint mir auch sein Vorfahr in der Erkenntnis, mit Namen Abraham, es nicht lange ertragen zu haben, in Haran zu weilen. Es heißt nämlich: „Abraham war 75 Jahre alt, als er aus Haran auszog“ (1 Mos. 12, 4), obgleich sein Vater Tharah, der Erkundung des Geruchs bedeutet,[1] bis an sein Ende dort lebte. 48 Wörtlich wird in den heiligen Schriften [628 M.] erklärt: „Tharah starb in Haran“ (1 Mos. 11, 32); er war nämlich ein Kundschafter der Tugend, nicht ihr Bürger, und er ergab sich dem Genusse von Düften, aber nicht von Nahrungsmitteln, da er noch nicht imstande war, sich mit Einsicht zu erfüllen, ja nicht einmal von ihr zu kosten, sondern sie nur riechen konnte.[2] 49 Denn wie bekanntlich die Jagdhunde die Leichen auch der weit entfernt liegenden Tiere wittern und finden, da ihr Geruchssinn von der Natur besonders scharf ausgebildet wurde, genau so spürt der nach Bildung Strebende den von der Gerechtigkeit und jeder anderen Tugend aufsteigenden süßen Duft und sehnt sich danach, auf sie zu treffen, von denen dieser so wunderbare Reiz ausgeht; kann er es aber nicht, so dreht er den Kopf umsonst im Kreise, er riecht nur den so heiligen Duft des Schönen und Guten und der Tugenden[3]; denn er leugnet es nicht, daß er lüstern ist nach Erkenntnis und Einsicht. 50 Selig also die, denen es vergönnt wurde, die Reize der Weisheit zu genießen, mit ihren Betrachtungen und Lehren bewirtet zu werden und bei diesen Genüssen weiter zu dürsten, da sie eine unerfüllbare und unstillbare Sehnsucht nach Erkenntnis mitbrachten. 51 Den zweiten Preis aber werden die erhalten, denen es zwar nicht vergönnt war, vom heiligen Tische zu genießen, aber doch ihre Seelen mit Duft zu erfüllen. Durch die Lüfte der Tugend werden diese aufleben wie die Kranken, die dadurch, daß sie keine Nahrung aufnehmen konnten, erschlafft sind und sich die zur Besserung dienenden Gerüche zuführen, die die Ärzte als Heilmittel für die Ohnmacht zubereiten. [10] 52 Es heißt jedoch von Tharah, er habe das Chaldäerland verlassen und sei nach Haran ausgewandert in Begleitung seines Sohnes Abraham und der Blutsverwandten seines Hauses, nicht damit wir wie aus einem Geschichtsbuche


  1. תרח‎ von תור‎ „auskundschaften“ und רוח‎ „Duft, Geruch“.
  2. γεύεσθαι bedeutet sowohl „kosten“ wie „schmecken“. Philo spielt hier mit dem Doppelsinn, indem er es zunächst als Gegensatz zu ἐμπίπλασθαι auffaßt, dann aber auch als Tätigkeit des Geschmacksinnes, um so die Verbindung zu ὀσφραίνεσθαι herzustellen.
  3. Der Übersetzung liegt ἀρετῶν statt σιτίων zugrunde nach Wendlands Konjektur.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/21&oldid=- (Version vom 7.10.2018)