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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

und Mitleid mit unserem Geschlecht, um der Fürsorge und des Beistands willen, um auch der Seele, die im Körper wie in einem Flusse[1] hingerissen wird, Heil einzuflößen und sie wieder zu beleben. 148 Wandelt doch in den Seelen der ganz Gereinigten lautlos und unsichtbar allein der Lenker des Alls – denn es gibt ja ein dem Weisen verkündetes Gotteswort, in dem es heißt: „Ich werde in euch wandeln und ich werde euer Gott sein“ (3 Mos. 26, 12) –, in den Seelen derer, die ihr schmutziges und in den beschwerlichen Körpern beflecktes Leben erst waschen, aber noch nicht völlig gereinigt haben (aber wandeln) die Engel, die sie reinigen durch ihre Lehren vom Schönen und Guten. 149 Welche Massen schlechter Bewohner ausziehen müssen, damit der eine gute einziehen kann, ist offensichtlich. Eile darum, meine Seele, Gottes Haus zu werden, ein heiliges Heiligtum, der schönste Aufenthalt. Denn vielleicht, vielleicht wirst auch du ebenso den Hausherrn, den die ganze Welt hat, zum Hausherrn bekommen, der sich um sein eigenes Haus kümmert, daß es immer wohl verwahrt und unbeschädigt erhalten bleibe. 150 Wahrscheinlich aber stellt sich der Tugendeifrige auch sein eigenes Leben als einer Leiter gleichend vor; denn seinem Wesen nach ist das Tugendstreben ein nicht gleichmäßig fortlaufender Vorgang; bald geht es nach der Höhe vorwärts, bald kehrt es sich nach der entgegengesetzten Richtung um, und bald tritt es wie ein Schiff eine gute Fahrt durchs Leben, bald eine schlechte an. Denn wechselnd ist, wie es heißt,[2] das Leben der Strebenden, bald lebendig und wach, bald tot oder schlafend. 151 Und wahrlich, das ist wohl nicht unzutreffend gesagt; denn die Weisen erlangten den olympischen und himmlischen Raum zur Wohnung, da sie es gelernt haben, immer nach oben zu streben, die Schlechten aber die Schluchten des Hades, da sie vom Anfang bis zum Ende darauf bedacht waren zu sterben und vom Kindes- bis zum Greisenalter ans Verderben gewöhnt sind. 152 Die Tugendstrebenden aber – sie stehen nämlich zwischen den Extremen – steigen oft wie auf einer Leiter hinauf und hinab, entweder von ihrem besseren Teil hinaufgezogen oder vom schlechteren in die entgegengesetzte Richtung abgelenkt, bis der Schiedsrichter in diesem Wettkampf


  1. Das Bild hat Philo nach dem platonischen Timaeus 43 Α anschaulich ausgeführt in der Schrift: Über d. Riesen § 13.
  2. Vgl. Über den Dekalog 56 und die Anm. Bei Homer Od. XI 303f. heißt es von Kastor und Polydeukes: ἄλλοτε μὲν ζώουσ' ἑτερήμεροι, ἄλλοτε δ' αὖτε τεθνᾶσιν.
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/41&oldid=- (Version vom 7.10.2018)