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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

unreinen Aussatzes,[1] als ob sie wegen der Unbeständigkeit ihrer Gesinnung ein unstät dahingetragenes Leben führen sollten, sondern wie Geschöpfe, in die Striche eingezeichnet und denen verschiedene, aber lauter echte Siegel aufgeprägt sind, deren Eigentümlichkeiten, wenn sie miteinander vermischt und vermengt sind, eine musikalische Harmonie hervorbringen werden. 203 Denn die Kunst, bunte Gewebe herzustellen, halten manche Leute für eine so der Beachtung unwerte und unbedeutende Sache, daß sie sie den Webern überlassen haben. Ich bewundere aber nicht nur sie, sondern auch ihren Erfinder,[2] und besonders wenn ich hinblicke auf die Erdteile, die Sphären am Himmel, die Verschiedenheiten der Tiere und Pflanzen und das ganze bunte Gewebe, diese unsere Welt. 204 Denn ich werde alsbald dazu gezwungen, den Verfertiger dieses ganzen Geflechts als den Erfinder der Wissenschaft bunter Weberei zu denken, und ich verehre den Erfinder, ehre aber auch seine Erfindung; vor dem Werke aber erfaßt mich Bewunderung, und obgleich ich nur den kleinsten Teil davon sehen kann, so suche ich durch Vergleiche, ausgehend von dem mir offenbarten Teil, soweit er überhaupt offenbar wurde, sorgfältig das Ganze zu erschließen nach den Regeln der Analogie.[3] 205 Ich bewundere aber auch [652 M.] den Verehrer der Weisheit, weil er dieselbe Kunst betrieben hat und es für richtig hält, Vieles und Verschiedenes aus Verschiedenem zu ein und demselben zusammenzufügen und zusammenzuweben. Denn er nahm von der Grammatik, wie sie die Kinder treiben, die beiden ersten Teile, das Schreiben und das Lesen, von der vollkommeneren (Grammatik) aber die Bekanntschaft mit den Dichtern und die Kenntnis der alten Geschichtsschreibung, von der Arithmetik und Geometrie das untrügliche Verfahren, Proportionen aufzustellen und zu rechnen, von der Musik die Rhythmen, die Versmaße und die enharmonischen, chromatischen und diatonischen, die verbundenen und die getrennten Harmonien,[4] von der Rhetorik die Erfindung, den Ausdruck, die Gedankenordnung, die Disposition, das Memorieren und die Vortragskunst,[5] von der Philosophie aber das, was in diesen Gegenständen


  1. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 47.
  2. Nach Mangeys Konjektur.
  3. Nach Wendlands Konjektur.
  4. Siehe oben § 28.
  5. Abgesehen davon, daß wir hier τάξις neben οἰκονομία zur Bezeichnung der Komposition und Disposition des Stoffes finden, gibt Philo die gewöhnliche Fünfteilung der Rhetorik wieder.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/52&oldid=- (Version vom 7.10.2018)