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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

werden soll, wie echte Gemälde und Bildsäulen vor Malern und Bildhauern. 12 Ein Beispiel für das (feindliche) Gegenüberstehen ist das Wort, das die Schrift von Kain sagt: „er ging fort vom Angesichte Gottes und wohnte im Lande Nod gegenüber Eden“ (1 Mos. 4,16). Nod bedeutet „unruhige Bewegung“, Eden „frohen Genuss“[1]; jenes bezeichnet sinnbildlich [p. 141 M.] das die Seele hin und her schüttelnde Laster, dieses die Tugend, die ihr Wohlbehagen und frohen Genuss verschafft, nicht den Genuss durch die unvernünftige Leidenschaft der Wollust, sondern die mit grossem Behagen verbundene mühelose und sorglose Freude. 13 Wenn nun die Seele sich von der Vorstellung Gottes entfernt, auf die sich zu stützen für sie gut und nützlich wäre, da muss sie, wie ein Schiff auf dem Meere von entgegenwehenden gewaltigen Stürmen, hierhin und dahin geworfen werden, sodass sie zur Heimat und Wohnstätte bekommt Unruhe und Erschütterung, die im grössten Gegensatz stehen zu der Festigkeit der Seele, die ihr die durch Eden bezeichnete Freude verschafft. 14 (5.) Für das Gegenüberstehen zum Zweck der Urteilsfällung ist ein Beispiel das des Weibes, das aus Eifersucht des Ehebruchs beschuldigt wird. „Stellen soll“, so heisst es, „der Priester das Weib vor den Herrn und ihr Haupt enthüllen“ (4 Mos. 5,18). Was die Schrift damit erklären will, wollen wir untersuchen. Das Nötige wird oft nicht in der nötigen Weise getan und das nicht Pflichtmässige bisweilen in pflichtmässiger Weise[2]. Z. B. wenn die Rückgabe eines Pfandes nicht aus ehrlicher Absicht geschieht, sondern entweder zum Schaden des Empfängers oder in hinterlistiger Absicht der Ableugnung eines grösseren anvertrauten Gutes, so wird eine pflichtmässige Tat nicht in der nötigen Weise vollbracht. 15 Wenn aber der Arzt dem Leidenden nicht die Wahrheit sagt, falls er zum Nutzen des Kranken ihn zu entleeren oder zu schneiden oder zu brennen beschlossen hat, damit dieser nicht in Voraussicht der Schmerzen sich der Behandlung entziehe oder vor Schwäche dabei versage, oder wenn der Weise die Feinde tauscht zum Heile des Vaterlandes, in


  1. Vgl. Alleg. Erklär. I § 45.
  2. Stoischer Gedanke: vgl. Arnim, Stoic. vet. fragm. III 511 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/009&oldid=- (Version vom 3.12.2016)