Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn | |
|
der Befürchtung, dass durch seine Wahrhaftigkeit die Macht der Gegner gestärkt werden könne, so wird ein nicht pflichtmässiges Werk in der nötigen Weise getan. Deshalb sagt auch Moses, dass man „gerecht die Gerechtigkeit ausüben solle“ (5 Mos. 16,20)[1], weil es auch auf ungerechte Weise möglich ist, wenn nämlich der Richtende nicht in ehrlicher Absicht der Sache sein Ohr leiht. 16 Nun kann zwar das gesprochene Wort oder die verübte Tat allen deutlich erkennbar sein, nicht aber die Gesinnung, aus der heraus das Wort gesprochen oder die Tat verübt wurde; es kann vielmehr unklar sein, ob sie gesund und rein oder ob sie krank und mit vielen Flecken behaftet ist, und kein Sterblicher ist imstande den Gedanken einer unbekannten Absicht zu durchschauen, sondern nur Gott allein, weshalb auch Moses sagt: „das Verborgene ist Gott dem Herrn, das Offenkundige ist dem Geschaffenen erkennbar“ (5 Mos. 29,28). 17 Daher ist dem priesterlichen und prophetischen Wort[2] geboten, die Seele „Gott gegenüberzustellen mit unverhülltem Haupte“, d. h. entblösst in ihrem Hauptentschluss und entkleidet in ihrer Absicht, damit sie mit den scharfen Augen des unbestechlichen Gottes geprüft entweder, wie ein unechtes Geldstück, der verborgenen Heuchelei überführt werde oder von jeder Schlechtigkeit frei die gegen sie gerichteten Verleumdungen wegwische, indem sie zum Zeugen den anruft, der allein die Seele nackt zu sehen vermag. 18 (6.) Dies ist also die Gegenüberstellung zum Zwecke der Urteilsfällung. Die zum Zwecke des Vertrauterwerdens aber wird bei dem allweisen Abraham gebraucht, denn es heisst: „noch stand er dem Herrn gegenüber“ (1 Mos. 18,22); und ein Beweis der Vertrautheit ist der Zusatz: „er trat näher und sprach“ (ebenda). Denn für einen, der fremd gegenübersteht, ziemt es sich wegzutreten und sich zu entfernen, für den Vertrauten dagegen sich zu nähern. 19 Stehen aber und die Seele unwandelbar erhalten heisst näher treten der Macht Gottes, da die Gottheit unwandelbar, das Geschaffene dagegen von Natur veränderlich ist. Wenn einer also die dem Geschöpf
Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/010&oldid=- (Version vom 3.12.2016)