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Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel

ist erstens zu erwidern, dass Moses den Lesern der heiligen Schrift eine treffliche Lehre geben will, die nämlich, dass jeder einzelne, sofern er nach dem Gesetze lebt und Gott gehorsam ist, ein ganzes zahlreiches Volk, ja noch mehr, alle Völker und, wenn man noch weiter gehen darf, sogar die ganze Welt aufwiegt[1]. 38 Darum heisst es auch an anderer Stelle bei dem Lobe eines Gerechten: „Ich bin dein Gott“ (1 Mos. 17,1), und das spricht der, der auch Gott der Welt ist, womit denn gesagt ist, dass die Untergebenen, die auf denselben Platz gestellt sind und es dem Führer in gleicher Weise recht machen, die gleiche ehrenvolle Auszeichnung erfahren. 39 Ein zweiter Grund ist der, dass, wenn einer in der Mehrzahl wie zu einer Menge spricht, er nicht notwendig auch den einzelnen anredet beim Anordnen oder Verbieten; spricht er dagegen in der Einzahl wie zu jedem einzelnen der Beteiligten, dann hat es gleich das Ansehen, dass er alle zusammen darüber belehrt, was sie zu tun haben[2]. Williger gehorchen wird auch, wer die Ermahnung als an ihn selbst gerichtet entgegennimmt; wer sie dagegen mit anderen zusammen empfängt, der verhält sich ziemlich taub dagegen und nimmt für seine Auflehnung leicht den Umstand zum Vorwand, dass sie ja an die Menge gerichtet gewesen. 40 Der dritte Grund ist der, dass kein König oder Tyrann von Hochmut und Grössenwahn erfüllt den niedrigen Mann aus dem Volke verachten solle, sondern an die [p. 187 M.] heilige Schrift als Quelle der Belehrung gehend freundlich blicke und den Stolz abtue, indem er einer annehmbaren oder vielmehr wahren Ueberlegung folge: 41 wenn der Unerschaffene und Unvergängliche, der Ewige, der keines der Geschöpfe bedarf, der Schöpfer des Alls und Wohltäter, der König der Könige und der höchste Gott, auch nicht den Niedrigsten geringschätzte, vielmehr auch diesen mit heiligem Wort und heiliger Satzung gnädig speiste, und so als ob er


  1. Vgl. De virtutibus § 185. In den Abot R. Nathan 31 p. 46 a (ed. Schechter) wird ein Ausspruch des R. Nehemia angeführt: „ein einziger Mensch wiegt die ganze Schöpfung auf“.
  2. Vgl. Jalkut zu 2 Mos. 20,2; Ueber die Textgestaltung dieses Satzes s. Cohn im Hermes XXXVIII S. 542.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/013&oldid=- (Version vom 9.12.2016)