Philon: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel | |
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kann. 136 Die Diebe aber, die eine gewisse Macht erlangt haben, plündern ganze Städte aus und kümmern sich nicht um die Strafen, weil sie mächtiger zu sein glauben als die Gesetze: das sind die von Natur oligarchisch Gesinnten, die nach Herrschaft und Gewalt streben, die die Diebstähle im grossen ausführen und mit den vornehmen Namen der Obrigkeit und der Regierung den Raub, was es in Wahrheit ist, bemänteln. 137 Von früher Jugend auf lerne darum jeder, dass man nichts von fremdem Gut heimlich entwenden darf, und wäre es das geringste, weil Gewohnheit, wenn sie einwurzelt, stärker ist als Natur, und das Kleine, wenn ihm nicht gewehrt wird, zu bedeutender Grösse sich auswächst und immer weiter sich ausdehnt.
138 (27.) Auf das Verbot des Diebstahls lässt Moses das des falschen Zeugnisses folgen, weil er weiss, dass die falschen Zeugen grosse und schwere Schuld auf sich laden. Denn erstens zerstören sie die hehre Wahrheit, die doch das heiligste der Besitztümer im Leben ist, indem sie gleich der Sonne Licht um die Dinge verbreitet, damit nichts daran dunkel bleibe. 139 Zweitens, abgesehen davon dass sie die Unwahrheit sagen, hüllen sie den Sachverhalt wie in tiefe Nacht und Finsternis, leisten Beihilfe den Uebeltätern und schädigen die, denen Unrecht geschehen ist, indem sie versichern genau zu wissen und bestimmt wahrgenommen zu haben, was sie weder gesehen noch gehört haben noch wissen können. 140 Sie verüben weiter ein drittes Unrecht, das noch schlimmer ist als die beiden ersten. Fehlt es nämlich an Beweisen, sei es mündlichen oder schriftlichen, dann nehmen die Prozessführenden zu Zeugen ihre Zuflucht, deren Aussage dann für die Richter eine Richtschnur ist in der Sache, über die sie ihren Spruch fällen sollen; muss man sich doch an diese allein halten, wenn anderes zum Beweise nicht da ist. Das hat dann die Folge, dass die, gegen welche Zeugnis abgelegt wird, Unrecht leiden müssen, während sie sonst wohl den Prozess hätten gewinnen können, die Richter aber, die (auf solche Zeugen) hören, einen ungerechten und gesetzwidrigen Spruch statt eines gesetzmässigen und gerechten fällen. 141 Das Verbrechen wird aber auch zu einem religiösen Frevel;
: Ueber den Dekalog (De decalogo) übersetzt von Leopold Treitel. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonDecalGermanTreitel.djvu/035&oldid=- (Version vom 9.12.2016)