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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

am Herzen liegt, durchaus verabscheuenswert“. |10Da der Vater aber in Besorgnis war, dass aus, dem Zusammenleben Unruhe und Zwist bei den Brüdern entstehen könnte, die dem Träumer Hass nachtrugen für seine Träume, schickte er sie aus, die Viehherden zu weiden, ihn (Joseph) aber behielt er bis zu einem geeigneten Zeitpunkt zu Hause, weil er wusste, dass für die Empfindungen und Leiden der Seele die Zeit der beste Arzt sein soll[1], der imstande ist Trauer zu beseitigen, Groll zu tilgen und Furcht zu entfernen; denn alles mildert die Zeit, auch was im natürlichen Verlauf der Dinge schwer heilbar ist. 11|Als er aber vermutete, dass der Hass nicht mehr in ihrem Herzen fortwuchere, sandte er den Sohn aus, die Brüder zu begrüssen und zugleich Meldung zu bringen, wie es ihnen und den Viehherden gehe. 12|(3.) Dieser Weg sollte wider Erwarten beider Teile der Anfang grossen Unglücks und andrerseits auch grossen Glücks werden. Der Jüngling ging den Befehlen des Vaters gehorchend zu den Brüdern; als diese ihn von weitem kommen sahen, sprachen sie miteinander nichts gutes Verheissendes, wobei sie ihn nicht einmal mit seinem Namen benannten, sondern als „Traumseher“ und „Träumer“ und mit ähnlichen Ausdrücken bezeichneten; sie gingen in ihrem Groll so weit, dass zwar nicht alle, aber die Mehrzahl, seine Ermordung anrieten und, um nicht ertappt zu werden, daran dachten, nach der Tötung ihn in eine tiefe Grube zu werfen; es gibt nämlich in der Gegend viele Behälter für Regenwasser. 13|Und beinahe hätten sie die grosse Blutschuld des Brudermordes begangen, wenn sie sich nicht durch die Mahnungen des ältesten (Bruders) hätten überreden lassen, der ihnen riet, nicht ein solches Verbrechen zu begehen, sondern ihn nur in eine der Gruben zu werfen; er gedachte aber im Herzen ihn zu retten, nach ihrem Weggange nämlich ihn herauszunehmen und ganz unversehrt zum Vater zu schicken. 14|Nachdem sie zugestimmt hatten, ging er (der Aelteste) an ihn heran und begrüsste ihn, die andern aber ergriffen ihn wie


  1. „Die Zeit der beste Arzt der seelischen Affekte“ ist stoische Lehre. Vgl. Seneca de ira II 29.
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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/008&oldid=- (Version vom 1.9.2017)