Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn | |
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zu haben glaubten. 81|Von welcher Roheit und Härte die Gefängniswärter gewöhnlich zu sein pflegen, weiss jeder; sie sind von Natur gefühllos, und durch die Gewohnheit wird ihre Roheit jeden Tag noch mehr gesteigert, da sie niemals auch nur zufällig irgend etwas Gutes sehen oder reden oder tun, sondern immer nur schlimme und gewalttätige Dinge. 82|Denn sowie die körperlich gut Gebauten, wenn sie die nötige Uebung in der Athletenkunst erlangt haben, sehnig werden und unwiderstehliche Kraft und ausserordentliche Gewandtheit erwerben, ebenso wird eine rohe und harte Natur, wenn sie noch mehr Uebung in der Grausamkeit bekommt, ganz und gar unzugänglich dem Mitleid, dieser edlen und menschenfreundlichen Empfindung. 83|Sowie nämlich die Menschen, die mit den Guten umgehen, ihren Charakter verbessern, wenn sie Gefallen finden an dem Umgang, so nehmen die auch, die mit den Schlechten zusammenleben, etwas von deren Schlechtigkeit an; denn die Macht der Gewohnheit ist so stark, dass sie (Gegensätze) ausgleicht und es dahin bringt, dass sie zur Natur wird. 84|Nun leben die Gefängniswärter zusammen mit Dieben, Spitzbuben, Einbrechern, Frevlern, gewalttätigen Menschen, Verführern, Mördern, Ehebrechern, Tempelräubern; von allen diesen eignen sie sich etwas Schlechtigkeit an und bilden aus dieser bunten Mischung schliesslich eine Einheit von Bosheit und Verruchtheit. 85|(16.) Gleichwohl wurde ein solcher (Gefängniswärter) p. 54 M. von der Bravheit des Jünglings so bezwungen, dass er ihm nicht nur Ruhe und Sicherheit (gegen schlechte Behandlung) gewährte, sondern auch die Aufsicht über alle Gefangenen übertrug, so dass er selbst des äusseren Ansehens wegen nur noch dem Namen nach Gefängniswärter blieb, den tatsächlichen Dienst aber dem Jüngling überliess, wovon die Gefangenen keinen geringen Vorteil hatten. 86|Sie glaubten den Ort nicht mehr Gefängnis nennen zu dürfen, sondern Besserungshaus; denn statt durch Martern und Strafen, die sie Tag und Nacht in Hieben und Fesseln und allen möglichen Misshandlungen zu erleiden hatten, wurden sie jetzt durch philosophische Reden und Lehren zurechtgewiesen, wie auch durch das Verhalten des Belehrenden, das noch wirkungsvoller
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/023&oldid=- (Version vom 4.9.2017)