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Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn

konnte er sich nicht halten und wurde sofort von seinem Gefühl überwältigt; daher wendet er sich, ehe es bemerkt werden konnte, ab[1], läuft angeblich zu einem dringenden Geschäft — denn die Wahrheit auszusprechen war der Zeitpunkt noch nicht gekommen — und lässt in einem Winkel des Hauses aufschluchzend seinen Tränen freien Lauf. 201|(34.) Nachdem er sich dann gewaschen, wurde er seiner Qual durch vernünftige Ueberlegung Herr; er trat wieder zu den Fremden und lud sie zum Mahle, nachdem er ihnen zuvor den für den Jüngsten als Geisel zurückbehaltenen Bruder herausgegeben hatte. Es nahmen aber auch andere an dem Mahle teil, angesehene Aegypter. 202|Die Bewirtung erfolgte bei allen nach ihrem väterlichen Brauche, da es ihm eine Härte dünkte, alte Gesetze unbeachtet zu lassen, zumal bei einem Gastmahle, wo doch das Angenehme das Unangenehme p. 70 M. überwiegen soll. 203|Da er auch Auftrag gegeben hatte, dass sie nach dem Alter gesetzt werden — damals hatten die Menschen noch nicht die Sitte des Lagerns bei den Mahlzeiten[2] —, wunderten sie sich, dass die Aegypter dieselben Bräuche hatten wie die Hebräer, dass sie auf bestimmte Reihenfolge achtgaben und in der Ehrung der Aelteren und der Jüngeren Unterschiede zu machen wussten. 204|Vielleicht, dachten sie, hat sonst in dem Lande eine rohere Lebensweise geherrscht, und dieser Mann, der an die Spitze des Gemeinwesens gestellt ist, hat nicht nur in die grossen Dinge, durch die im Frieden und im Kriege alles gut geleitet wird, schönste Ordnung hineingebracht, sondern auch in die Dinge, die als unwesentlich gelten und meistens in Spielereien bestehen; denn das Mahl verlangt eigentlich Heiterkeit und lässt einen allzu ernsten und strengen Gast nicht gern zu. 205|Während sie im stillen sich in solchen Lobsprüchen über ihn ergehen, werden Tische mit nicht zu kostspieligen Speisen hineingebracht, da wegen der Hungersnot der Gastgeber es nicht für richtig hielt zu schwelgen, wenn andere Mangel


  1. Josephus Altert. II § 123 stimmt auch hier in seinen Ausdrücken fast wörtlich mit Philo überein.
  2. Bei Griechen und Römern herrschte bekanntlich die Sitte, bei Tisch nicht zu sitzen, sondern zu lagern.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/046&oldid=- (Version vom 6.9.2017)