Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn | |
|
Mitleid mit dem Alter eines Mannes, der zu jeder Zeit nur Kämpfe der Tugend durchgekämpft hat. Die Städte Syriens hat er für sich gewonnen, so dass sie ihn freundlich aufgenommen haben und ihn achten, obwohl er fremdartige und von den ihrigen sehr abweichende Sitten und Gebräuche hat und sich von den Eingeborenen ziemlich fernhält. Aber seine vortreffliche Lebensführung und die volle Uebereinstimmung seiner Worte mit seinen Handlungen und seiner Handlungen mit seinen p. 74 M. Worten brachten es dahin, dass er auch die wegen der väterlichen Gebräuche nicht Wohlgesinnten umstimmte. 231|So wirst du eine solche Gnade erweisen, wie sie grösser nicht leicht einer empfangen kann; denn welch grösseres Geschenk könnte einem Vater zuteil werden, als einen schon aufgegebenen Sohn zurückzuerhalten?“
232(39.) Aber damit wie mit allem, was früher geschah, wurden sie nur auf die Probe gestellt, denn der Landesverweser wollte erforschen, wie weit ihre Liebe zu seinem leiblichen Bruder gehe; er fürchtete nämlich, dass sie eine natürliche Abneigung gegen ihn haben, wie gewöhnlich die Kinder der Stiefmütter gegen die Familie der andern gleichberechtigten Frau. 233|Deshalb hatte er sie auch wie Kundschafter mit Beschuldigungen empfangen und über ihre Herkunft befragt, um unter diesem Vorwande zu erfahren, ob sein Bruder noch lebe und nicht etwa hinterlistiger Weise getötet sei; deshalb hatte er auch einen zurückbehalten und die andern abziehen lassen, nachdem sie versprochen hatten, den Jüngsten ihm zuzuführen, den zu sehen er heftiges Verlangen trug, wie er auch von der schweren und drückenden Sorge um ihn befreit sein wollte. 234|Nachdem dann der Bruder erschienen war, und er ihn mit eigenen Augen gesehen hatte, wurde er ein wenig diese Sorge los; er lud sie darauf zum Gastmahl, bewirtete sie und liess dem leiblichen Bruder bessere Stücke von den Speisen reichen; dabei sah er auf jeden einzelnen und suchte aus ihren Mienen zu erforschen, ob versteckter Neid bei ihnen vorhanden sei. 235|Und wiewohl er sie heiter sah und erfreut über die Ehrung des Jüngsten, also schon durch zwei Zeugnisse den Beweis erhalten hatte, dass keine heimliche Feindschaft bestehe, hatte er doch noch eine dritte
Philon: Ueber Joseph (De Josepho) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1909, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonJosGermanCohn.djvu/052&oldid=- (Version vom 6.9.2017)