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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

wichtigste Saat betrachten, die der Schöpfer auf fruchtbaren Boden gepflanzt hat, in die vernunftbegabte Seele. 11 Ihr erster Schössling ist die Hoffnung, die Quelle der (verschiedenen) Lebensrichtungen: in der Hoffnung auf Gewinn stürzt sich der Geschäftsmann auf die mannigfachen Arten des Erwerbs; in der Hoffnung auf glückliche Fahrt durchsegelt der Schiffsreeder die weite Fläche des Meeres; in der Hoffnung auf Ruhm ergreift der Ehrgeizige den Beruf des Staatsmannes und Verwalters der öffentlichen Angelegenheiten; in der Hoffnung auf Kampfpreise und Kränze kämpfen die in der Athletenkunst Geübten in den gymnastischen Wettspielen; die Hoffnung auf Glückseligkeit führt die Anhänger der Tugend zur Philosophie, um durch sie imstande zu sein das Wesen der Dinge zu schauen und ihr Handeln so einzurichten, dass es der Vollkommenheit der besten Lebensrichtungen, der theoretischen und der praktischen, entspricht, — ein Ziel, das, wenn es erreicht wird, die Glückseligkeit verbürgt. 12 Manche haben nun die Keime der Hoffnung entweder in feindlicher Absicht vernichtet, indem sie die schlechten Triebe in ihrer Seele grosszogen, oder aus Leichtsinn zerstört, indem sie die Kunst der Bodenbearbeitung vernachlässigten. Andere wiederum, die anscheinend gute Verwalter sind, haben die Eigenliebe der Gottesfurcht vorgezogen und die Ursachen ihrer Erfolge sich selbst zugeschrieben. 13 Alle diese laden Schuld auf sich; Beifall verdient nur der allein, der in Gott seine Hoffnung sucht als dem, der der Urheber seines Entstehens ist und allein die Macht besitzt, ihn vor Schaden und Verderben zu bewahren. Welcher Preis ist nun ausgesetzt für den, der in diesem Kampfe gekrönt wird? Es ist das aus sterblicher und unsterblicher Natur zusammengesetzte Wesen, der Mensch, nicht derselbe wie der Empfänger (des Preises), aber doch auch nicht von ihm verschieden: 14 die Chaldäer nennen ihn Enos, was ins Griechische übersetzt „Mensch“ bedeutet, d.h. er erhält den gemeinsamen Namen des ganzen Geschlechts als eigenen[1], ein auserlesener Preis, insofern damit ausgedrückt ist, dass niemand


  1. Die ganze Auseinandersetzung beruht auf der vom masoretischen Texte abweichenden Uebersetzung der Bibelworte 1 Mos. 4,26 in der Septuaginta (οὗτος ἤλπισεν). Vgl. Ueber Abraham § 9.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/008&oldid=- (Version vom 30.9.2017)