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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

ihm in ingrimmigem Hass, andere, die mutig und kecker sind, passen eine Gelegenheit ab und greifen ihn an, wenn sie schwächer sind, aus dem Hinterhalt, wenn sie stärker sind, ganz offen. 87 Denn es besteht ein beständiger, unversöhnlicher Kampf, wie zwischen Wolf und Lamm, so auch zwischen allen Tieren, Wasser- wie Landtieren, und allen Menschen; ihn vermag kein Sterblicher zu beseitigen, der Ewige allein beseitigt ihn, wenn er Menschen der Errettung für würdig erachtet, die friedlichen Charakters sind und einträchtiges Zusammenleben gern haben, bei denen der Neid entweder überhaupt keine Stätte findet oder rasch verfliegt, weil sie gewillt sind ihre Glücksgüter zu allgemeinem Gebrauch und Genuss auf den Markt zu tragen. 88 O möchte doch dieses Glück einstmals unserm Leben leuchten, o könnten wir jene Zeit schauen, in der die wilden Tiere einst zahm sein werden! Zuvor aber müssen die wilden Tiere in unserer Brust[1] gezähmt werden, ein Glück, wie es grösser nicht zu finden ist. Oder wäre es nicht töricht zu glauben, dass wir den Schädigungen von wilden Tieren draussen entrinnen werden, wenn wir die (Tiere) in unserm Innern immerfort zu furchtbarer Wildheit antreiben? Wir dürfen daher die Hoffnung nicht aufgeben, dass nach Bezähmung der Tiere in unserer Brust auch die Tiere draussen zahmer sein werden. 89 Dann, glaube ich, werden Bären und Löwen und Panther und die indischen Elefanten und Tiger und alle anderen an Kraft und Stärke unüberwindlichen Tiere ihr einsames Leben aufgeben und sich zu den anderen gesellen[2]; und allmählich werden sie nach dem Beispiel der Herdentiere beim Anblick des Menschen zahm bleiben und nicht mehr wie früher dadurch gereizt werden; betroffen werden sie ihn wie einen Vorgesetzten und natürlichen Herrn scheu ansehen, manche werden auch dem fügsamen und seinem Herrn ergebenen (Tiere) nacheifern, wie die Malteserhündchen, die unter freudigen Sprüngen (ihre Herren) mit den Schweifen anwedeln[3]. 90 Dann wird


  1. d. h. die ungezügelten Leidenschaften.
  2. Vgl. die bekannte Schilderung der messianischen Zeit bei Jesaja 11,6 ff.
  3. Die Μελιταῖα κυνίδια (Hunde aus Malta) waren als Schosshündchen sehr beliebt: vgl. Becker, Charikles I² 147.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/026&oldid=- (Version vom 2.10.2017)