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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

dies wird der Geist gehindert seinen eigenen geraden Lebensweg zu wandeln. 122 Wenn er aber in einem gesunden Körper wohnt, wird er in voller Freiheit sich ganz und gar mit den Lehren der Weisheit befassen und so ein glückliches und seliges Leben erlangen: ein solcher Geist empfängt ordentliche Nahrung aus der wohltuenden Macht Gottes und Sättigung aus den heiligen Reden und Satzungen. 123 Von solchem Geiste sagt der Prophet, dass Gott „in ihm wandle“ wie in einem Königspalast — denn wirklich ist Gottes Palast und Wohnhaus der Geist des Weisen —; „sein Gott“ heisst eigentlich der Gott aller Wesen, und er wiederum „das auserwählte Volk“, nicht das Volk einzelner Herrscher, sondern das des einen wahrhaften Herrschers, das heilige (Volk) des heiligen (Gottes)[1]. 124 Das ist der Geist, der unlängst vielen Lüsten, vielen Begierden und dem Zwange zahlloser Laster unterworfen gewesen ist; Gott aber hat die Leiden seiner Knechtschaft „zerrieben“ und ihn zur Freiheit hinausgeführt[2]. Das ist der Geist, der nicht eine Wohltat genossen hat, von der nicht gesprochen werden darf, die vielmehr überall gerühmt und frei verkündigt wird wegen der Allmacht des Schützers, die ihn nicht an das unterste Ende[3] sinken liess, sondern hoch bis zum Haupte emporhob[4]. 125 Diese Worte sind aber bildlich gemeint und haben einen allegorischen Sinn: wie nämlich beim Tiere der Kopf der oberste und edelste Teil ist, der Schweif aber der unterste und geringste Teil, eigentlich überhaupt kein Teil, der die Zahl der Glieder mit voll macht, sondern nur ein Werkzeug zum Verscheuchen der heranfliegenden (Tierchen), ebenso, sagt er, wird das Haupt des Menschengeschlechts der weise Mann oder das weise Volk sein, alle anderen aber werden gleichsam nur Teile eines Körpers


  1. Philo verwendet hier und im folgenden die auf Israel sich beziehenden Bibelworte 3 Mos. 26,12 καὶ ἐμπεριπατήσω ἐν ὑμῖν καὶ ἔσομαι ὑμῶν θεὸς καὶ ὑμεῖς ἔσεσθέ μου λαός}} im psychologischen Sinne.
  2. 3 Mos. 26,13 ἐγώ εἰμι κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν ὁ ἐξαγαγὼν ὑμᾶς ἐκ γῆς Αἰγύπτου, ὄντων ὑμῶν δούλων καὶ συνέτριψα τὸν δεσμὸν τοῦ ζυγοῦ ὑμῶν καὶ ἤγαγον ὑμᾶς μετὰ παρρησίας.
  3. Wörtlich: „an das Schwänzende“ (πρὸς τὰ οὐραῖα im Anschluss an das εἰς οὐράν der Bibel, s. die folgende Anm.).
  4. 5 Mos. 28,13 καταστήσει σε κύριος ὁ θεός σου εἰς κεφαλὴν καὶ μὴ εἰς οὐράν.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/035&oldid=- (Version vom 4.10.2017)